Nach dem Sturm ist vor der Krise |
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Reiten gegen den Sturm: Ridley Scotts Robin Hood |
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(Foto: Universal Pictures International Germany GmbH) |
Das Meer ist immer noch braun und sichtbar aufgewühlt, und auch an Land sind die Folgen des schweren Unwetters noch längst nicht alle beseitigt, der am Wochenende über Cannes toste, und vor allem die Croisette in Mitleidenschaft zog, die malerische Strandpromenade des mondänen südfranzösischen Urlaubsortes. Als ob Finanzkrisen und Vulkanausbrüche nicht schon genug wären, geschah dies ausgerechnet wenige Tage vor Beginn der wichtigsten zwei Wochen des Jahres. Denn an diesem Mittwochabend werden hier die Filmfestspiele eröffnet. Zum 63. Mal werden sich an der Cote d’Azur an den nächsten zwölf Tagen Stars und Sternchen, kunstsinnige Autorenfilmer und geldverliebte Produzenten ein Stelldichein geben. Im hochkarätig besetzten Wettbewerb werden am Ende die Goldene und andere Palmen verteilt, und auf dem Filmmarkt, der weltweit wichtigsten Veranstaltung dieser Art, werden Geschäfte gemacht. Nach wie vor gilt: Cannes ist das Mekka des Kinos, der alljährliche Wallfahrtsort der gesamten Filmbranche.
Doch auch die anderen Stürme, die gerade die Welt erschüttern, hinterlassen ihre Spuren: Eröffnet wird mit Robin Hood, einem lang erwarteten Projekt des Briten Ridley Scott (Alien, Blade Runner). Weil die Hauptrolle des Helden in Strumpfhosen von Russel Crowe übernommen wird, trifft hier auch die Traumpaarung von Gladiator zusammen und versucht ohne Frage den Welterfolg zu wiederholen. Doch was unter anderen Umständen einfach ein mehr oder weniger gelungenes, unverbindliches Abenteuerspektakel gewesen wäre – und vermutlich ein blutiges Schlachtengemälde –, wird in diesen Zeiten ohne Frage auch als untergründiger Kommentar zur Finanz verstanden werden: Der gute Dieb, der die Reichen beraubt um den Armen zu geben, dürfte noch ein paar zusätzliche Sympathien ernten.
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Tatsächlich wirkte der fertige Film dann wie Gladiator on the Beach – ein Werk, das mit dem Robin Hood in unseren Köpfen kaum zu tun hat: Crowe ist einer, der vieles kann, den man sich aber als flinken Waldgänger dann doch nicht vorstellen kann. Bei Scott trägt er ein Kettenhemds, und müht sich ab mit einem schweren Schwert, der Waffe der adeligen Ritter, während Pfeil und Bogen ihn eigentlich als Mann des Volkes ausweisen. Lady Mariann spielt die auch schon ein wenig eingetrocknete Cate Blanchet arg damenhaft, vor allem dafür, dass sie tagsüber selbst auf dem Feld arbeiten muss. Trotzdem: Rund eine Stunde lang macht Ridley Scott fast alles richtig. Da ist sein Film ein pralles Panorama das Mittelalters zur Zeit des Dritten Kreuzzugs und wirkt eher wie eine Fortsetzung von Scotts Kreuzfahrerfilm Kingdom of Heaven. Man sieht, wie seinerzeit eine Burg eingenommen wurde, man sieht Kämpfe im Wald, Bootsüberfahrten, das Leben des eher veramten Landadels. Das ist extrem plastisch und sinnlich und realistisch, ohne Glamour: Ritter im Schlamm, man glaubt, den Dreck riechen und die Feuchtigkeit fühlen zu können. Erkennbar auch Scotts Interesse für Militärtechnik, das man schon in früheren Filmen bewundern konnte. Ridley Scott, auch schon bald 72, hat Sinn für Geschichte, und das heißt für Details. Erstaunlich auch, mit wieviel Energie er bei der Sache ist – ein Film, dessen Druck nie nachlässt, und doch erfüllt von der Lust an Einzelheiten, kleinen stimmigen Details: Etwa das London des Jahres 1199. Oder der Sherrif von Nottingham, der hier völlig heuntergekommen ist, arm, unwichtig – kleine, dreckige, einfache Verhältnisse. Oder dem inmitten der Schlacht wiederkehrenden Ruf »Protect the King«, worauf dann die Ritter sämtliche Vorsicht über den Haufen werfen, nur noch um die Sicherheit des mitunter blindlings stürmenden Herrschers bemüht.
Die Robin-Figur ist unentschlossen und düster: Insgesamt ist das Bild höchst uneindeutig. Einerseits ist dieser Robin ein Überlebenskünstler, erzählt Scott vom Aufstieg eines einfachen Mannes. Zugleich ist er traumatisiert: Vom Tod des Vaters und der Teilnahme an einem Massaker im Krieg. Wie der »Gladiator« ein verlorener Charakter, dem hier aber Heimkehr und Erlösung vom Trauma vergönnt sind. Ähnlich zwiegespalten ist Scotts politische Agenda. Er entscheidet sich für keine Positionierung seines Helden, nimmt in Kauf, dass dessen Darstellung in sich widersprüchlich ist: Ein konservativer Revolutionär, einer, der das Rad zurückdrehen will.
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Ebenfalls ein offen hochaktueller Film zur Krise ist Wall Street 2 – Money Never Sleeps, die mit Spannung erwartete Fortsetzung von Oliver Stones Film von 1987, der nicht nur modisch stilbildend wirkte – die Hosenträger des sardonisch-schurkischen Finanzhais Gordon Gekko (Michael Douglas) ahmten die Yuppies der 90er nach – wie dessen Sprüche: »Gier ist gut«. Aus heutiger Sicht wirkt der Gekko der 80er wie ein Vorbote unserer Gegenwart: Stones Kino war schon öfter ein Seismograph seiner Zeit – man darf sehr gespannt sein, wie es wird, wenn Douglas nach fast einem Vierteljahrhundert noch einmal in eine seiner prägnantesten Rollen schlüpft.
Die Finanzwelt zum Thema macht auch der junge Berliner Regisseur Christoph Hochhäusler, der mit seinem dritten Spielfilm Unter dir die Stadt nach Falscher Bekenner (2006) bereits zum zweiten Mal in Cannes vertreten ist, wieder in der Reihe »Certain Regard« – als einer von drei deutschen Beiträgen in Nebensektionen. Dort kann er zwar keine Palme gewinnen, weltweite Aufmerksamkeit aber ist ihm sicher. Im Film steht die private Seite der Frankfurter Hochfinanz im Zentrum: Eine verheiratete Frau verliebt sich in den Chef ihres Mannes, Attraktion und Macht, Geld und Liebe vermischen sich ununterscheidbar. In den Hauptrollen sind Nicolette Krebitz und Mark Waschke zu sehen.
Viele deutsche Darsteller wird man im französischen Film Carlos von Olivier Assayas sehen: Darin geht es um den berühmten Terroristen gleichen Namens und die Verflechtungen des europäischen Gewaltnetzwerks der 70er, aber auch um dessen private Seiten: Nora von Waldstätten spielt die deutsche Frau des glamourösen Terrorchefs.
Aufwühlen will auch Nikita Michalkow: Seinem Film Predstojane über die UdSSR im zweiten Weltkrieg geht das Gerücht eines Riesenflops voraus. Auch wenn sich die Wolken fürs Erste vollzogen haben: Die Stürme fangen im Kino erst gerade an. Inmitten der Finanzkrise wirkt Cannes aber wie eine stille erholsame Oase im Hurrikan.