Cinema Moralia – Folge 30
Wo bleibt das Positive? |
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Ellen und das Äffchen. Tierschutz ist nur eines der Nebenthemen des neuen Films von Pia Marais, Im Alter von Ellen. Sein Hauptthema ist die großartige Jeanne Balibar – zu sehen jetzt in Berlin beim Festival »Around the World in 14 Films« und ab dem 20.01.11 bundesweit im Kino |
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(Foto: RFF Real Fiction Filmverleih eK) |
»Mitteldeutscher Rundfunk, bitte haben sie ein wenig Geduld, wir verbinden sie gleich weiter, ... Mitteldeutscher Rundfunk, bitte ...«, – dafür dass die Presseabteilung des MDR in Leipzig den hochtrabenden Namen »Hauptabteilung Kommunikation« trägt, ist sie erstaunlich unkommunikativ. Letzten Dienstag war es während eines halben Tages nicht möglich, außer mit den Damen der Telefonzentrale mit einem menschlichen Wesen Kontakt aufzunehmen. Überall nur Anrufbeantworter. Offenbar gab es ein Meeting und keiner der Kommunikationschampions kam auf die Idee, sein Telefon umzustellen.
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Irgendwann haben wir es dann doch noch geschafft, und wissen jetzt, dass die MDR-Produktion Geheimsache Ghettofilm, den der MDR produziert hat, zwar nicht beim MDR oder in der ARD, aber immerhin bei Arte erstmals im Fernsehen gezeigt wird, und sogar zu einer Zeit, in der die meisten Menschen noch nicht im Bett sind: um 20.40 Uhr am 8. Dezember 2010. Auch wenn das jetzt eine hervorragende Gelegenheit wäre, wieder einmal gerechte Kritik am Fernsehen im Allgemeinen und an der ARD im Besonderen zu üben – man kann das bekanntlich gar nicht genug tun – und zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass die ARD nun auch noch den letzten Dokumentarfilmplatz gestrichen hat, ausgerechnet für den Kotzbrocken Frank Plasberg, wollen wir doch ausnahmsweise das Gegenteil tun: loben. Kaum zu glauben, dass sich bei arte noch ein Plätzchen gefunden hat, wo man doch die ganzen Reise- und Koch.... äh, Kultursendungen unterbringen muss. Aber solange Plasberg nicht auch noch kocht...
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Geheimsache Ghettofilm ist ein Dokumentarfilm und lief auf der Berlinale im Panorama, und wieder mal sind die Verleiher zu doof, zu feige oder zu schlau (was ungefähr dasselbe ist), diesen Film in die Kinos zu bringen. Schließlich handelt er auch weder von Tieren, noch von Musik, ist also genau genommen gar kein Dokumentarfilm. Im wohlverstandenen Sinne.
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Man sieht das pralle Leben: Eine Straße voller Menschen. Dazu Pferdekarren, eine Straßenbahn, geschäftiges Treiben. Manche sind gut angezogen, die Damen mit pelzgefütterten modischen Mänteln, hochhackigen Schuhen, frisch frisiert, die Herren in Anzügen, mit Aktentaschen zur Arbeit gehend. Andere sind offenkundig bettelarm, ihre schmalen Gesichter künden von Hunger und Sorgen, einzelne betteln, liegen erschöpft auf der Straße. Misstrauisch – so meint man heute – oder vielleicht auch zutiefst verwundert blicken einige von ihnen direkt in die Kamera. Es sind faszinierende Bilder, die selbst bei dem, der schon weiß, worum es sich handelt, zunächst jene unmittelbare, naive Reaktion auslösen, die sich immer wieder bei Bildern aus der Vergangenheit einstellt: Man blickt auf die Oberfläche der verlorenen Zeit, interessiert sich für Äußerlichkeiten. Dann erst beginnt man allmählich, den Schrecken in diesen Bildern zu erkennen und sie als doppeltes Zeugnis zu verstehen.
»Achtung! Geheime Kommandosache« steht vor den Filmrollen. Es sind Schwarzweiß-Aufnahmen in hervorragendem technischem Zustand. Und genaugenommen hat man so etwas noch nie gesehen.
Der Dokumentarfilm Geheimsache Ghettofilm von der israelischen Regisseurin Yael Hersonski erzählt die Geschichte eines Films, der nie fertiggestellt wurde. Es sind überaus seltene, kostbare und zugleich ideologisch »kontaminierte« Filmaufnahmen aus dem Warschauer Ghetto. Gedreht im Mai 1942 als Rohmaterial für einen NS-Propagandafilm, der nie zustande kam, überstand das Material mit tausenden anderer Filmkopien den Krieg in einem
NS-Geheimarchiv, und lagerte die folgenden Dekaden im Filmarchiv der DDR. Man hielt die über 60 Minuten lange Sequenzen zunächst für eine vergleichsweise objektive Darstellung des Ghettolebens. Hersonski sichtete viele Quellen, darunter das Tagebuch von Adam Czerniaków, dem Vorsitzenden des »Judenrats« des Ghettos, der gezwungen wurde, für den Film ein »normales Verwaltungsleben« zu spielen, wie die Verhörprotokolle eines der beteiligten Kameraleute. Es wird klar: Diese
Bilder sind Propagandamaterial, Ergebnis einer totalen Inszenierung, und doch zeigen sie ebensoviel, wie sie verschweigen. Man kann viel sehen auf ihnen. Schon gleich zu Beginn der ersten Rolle, beim Panoramablick, sieht man direkt neben der belebten Straße die drei Meter hohe Mauer, die das Ghetto abtrennte. Parallel daneben läuft noch eine Straße, die nur sehr spärlich belebt ist. An einigen Stellen gibt es statt der hohen Mauer, nur einen Maschendrahtzaun. Davor stehen Menschen
und scheinen zu gaffen. Vielleicht sind einige auch gekommen, um sich mit Ghettobewohnern zu treffen, um ihnen Nachrichten oder Geld oder Nahrung zu bringen. Man sieht auch an einem Tor Soldaten (oder Polizisten?) mit Wehrmachtsstahlhelm. Wenn man genau hinsieht, ist erkennbar: Sie blicken nach oben, zur Kamera. Die Filmsituation war also den Anwesenden sehr wohl bewusst.
Wenige Monate später wurde die Produktion des Films gestoppt. Warum? Nachdem die Massenmorde ein immer
größeres Ausmaß angenommen und die »Liquidierung« des Ghettos begonnen hatte, hatte das »Dritte Reich« kein Interesse mehr daran, Juden zumindest vor der Weltöffentlichkeit human zu behandeln. Vielleicht stoppte man den Film aber auch, weil die Bilder anderes erzählen, als sie sollen, weil die, die man hier sieht, Menschen sind, keine »Untermenschen« oder Ungeziefer, schon gar keine bedrohlichen Bestien. Die gefühlige Musik des Films hätte man sich daher auch sparen können, genauso
wie kurze nachgestellte Szenen. Ansonsten ist Hersonski ein hervorragender, origineller Film geglückt.
Was ist aus all diesen Menschen geworden? Die meisten wurden in den nächsten drei Jahren in den deutschen Vernichtungslagern ermordet. Viele starben wohl auch beim heroischen Ghetto-Aufstand, der ziemlich genau ein Jahr später ausbrach. Der eine oder andere immerhin hat überlebt, und konnte uns Nachgeborenen einen Eindruck geben, von all dem, das die Bilder nicht zeigen können.
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Ein hundsmiserabler Scheißdreck ist dagegen Habermann. Wenn es doch nur einfach »biederes Schulkino« wäre, wie Zoran Gojic beim BR behauptet, was diese deutsch-tschechische Koproduktion bietet. Dann hätte die Geschichte eines grundguten deutschen Gutsherren, der nach der deutschen Besetzung des Sudentenlands 1938 zwischen die Mühlen der Weltpolitik gerät und alles falsch macht, weil er alles richtig machen will, ja wenigstens pädagogischen Wert. Doch das Gegenteil ist der Fall: Habermann vom Tschechen Juraj Herz ist ein ebenso einseitiger, wie geschmackloser Film, der den historischen Hintergrund, der einen Film durchaus verdient hätte, als eine Geschichts-Schmonzette inszeniert, die von den Fakten wenig übrig lässt, und stattdessen an revisionistischen Legenden strickt, wie jener vom friedlichen Zusammenleben der Sudetendeutschen mit den Tschechen. Stilistisch bedient sich der Film häufig beim Trash-Kino: Blutsstropfen schon im Titel, eine genüsslich Gewalt ausstellende Kamera, verzerrte und entstellte Gesichter, die im Prinzip nur rassistische Nazi-Klischees umdrehen – in der Bildsprache wie in der »Moral« des Films läuft dies dann auf eine Gleichsetzung deutscher Vertreibungs-Erfahrungen mit der deutschen Ermordung der Juden hinaus. Was die »Filmbewertungsstelle« geritten hat, diesen Film auch noch »besonders wertvoll« zu finden, das fragt man sich.
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Der beste, weil treffendste und schönste Satz, den ich in den letzten Jahren über Godard gehört habe, stammt von Michael Klier, der schon deshalb ein guter Regisseur sein muss, weil er auch ein Fußballfan und -kenner ist: »Godard ist wie Magath.« Genau!! Ein Genie, ein Sadist, ein Zwangscharakter, ein Rechthaber, einer, der immer recht hat, ein Kontrollfreak, ein Sensibelchen, einer, der nicht verlieren kann, eine Nervensäge, ein Intellektueller, ein Zuspätgekommener, der beste
seiner Zunft...
Jetzt, am Freitag, wird er 80 Jahre alt. Und morgen Abend, ab 19 Uhr feiert das Münchner Filmmuseum in Godards Geburtstag hinein. In der »Open Scene« läuft der Kurzfilm Dans le noir du temps, Godards Beitrag zum Episodenstück Ten Minutes Older: The Cello (2002) und danach den Spielfilm Nouvelle vague von 1990. Das Filmmuseum schreubt dazu: »Jean-Luc Godard war in den Jahren 1959 – 1967 der innovativste, produktivste und umstrittenste Regisseur der ›Nouvelle Vague‹, der Erneuerungsbewegung des französischen Films, und er hat wie kein zweiter Künstler die Filmsprache verändert. Sein Motto: ›Aber sind diese Bilder und Töne auch
notwendigerweise die richtigen?‹, weist auf Godards Arbeitsweise, der sich vom Bewunderer des US-Kinos zu seinem Kritiker wandelte. Godard spiegelt die Realität in seinen Filmen nicht wieder, sondern er zitiert sie, montiert sie und setzt sich in diesem Prozess mit seiner Arbeit auseinander, bringt sich selbstreflexiv ein, was seine Filme in Bezug auf Konventionen des Erzählkinos sperrig macht. Als intellektuelle Entwürfe, gedanklich und montagetechnisch faszinierende
Denk-Arbeiten, sind Godards Werke von großem Einfluss gewesen. Als Kino nehmen sie eine Außenseiterstellung ein.« In Berlin hat dagegen das Arsenal Godards Geburtstag ganz offensichtlich vergessen – oder absichtlich ignoriert?
In Nouvelle vague kann man auch Alain Delon wiederbegegnen, der neulich erst erstaunlich frisch und klug im französischen Fernsehen auftrat, gemeinsam mit Claudia Cardinale, aus Anlaß des 50-jährigen Jubiläums von Viscontis Il gattopardo. Das Fernsehen, jedenfalls das französische, hat also sogar Sinn fürs Kino.
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Ein anderes Geburtstagskind, und gewissermaßen mit Visconti (seelen-)verwandt ist Hans-Jürgen Syberberg. Der wird am 8. Dezember 75 Jahre alt. Man sollte sich seine Filme wieder anschauen, die zur Zeit vor allem auf DVD zu sehen sind; man sollte sich aber auch einmal die Mühe machen, und sich Syberbergs Website angucken, eine Dokument all der Hybris und Monomanie, aber eben auch der Genialität, die Syberberg ausmacht, und seine Filme so einmalig. Auf die Dauer noch interessanter ist allerdings ein Text von Bernd Kiefer, der erfolgreich versucht, uns Syberbergs Filmästhetik näherzubringen.
Am kommenden Samstag, um hier noch einmal das Fernsehen zu loben, zeigt dann der Bayerische Rundfunk – echt! Der BR!! Wow!!! – zuerst Carlos Gerstenhauers 45-minütiges Syberberg-Portrait »Hans Jürgen Syberberg – der Unberechenbare«. Und das um 23.15 Uhr, wahrscheinlich, weil Carlos Halbspanier ist, und in Spanien ist man da gerade beim Abendessen. Also eigentlich Prime Time. Und danach kommt dann – alle die Rekorder programmieren! – Romy – Portrait eines Gesichts, Syberbergs Dokumentarfilm über die Ausnahmedarstellerin von 1966.
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Leider doch noch gestorben ist Mario Monicelli, der 1915 geborene Altmeister der intelligenten Komödie. Wer Spanisch versteht, sollte unbedingt das hervorragende El Pais-Interview mit Monicelli nachlesen.
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Obwohl einerseits immer mehr Mist ins Kino kommt, kommen andererseits immer weniger französische Filme bei uns ins Kino. Abgesehen davon, dass das Grund zum Schimpfen ist, kann man nun immerhin in Berlin eine Menge französische Filme sehen – im Rahmen der zehnten Französischen Filmwoche. Das ist zwar eine gute Nachricht, eine schlechte ist allerdings, das in der Schau des französischen Kinos wenig Übersehenes, und dafür eine Menge Filme laufen, die sowieso in den nächsten Wochen ins Kino kommen. Sparen sollte man sich daher – damit die Verleihger Geld verdienen – Von Menschen und Göttern; Das Labyrinth der Wörter; Small World, Vergissmeinnicht; und Am Waldrand... Sowie schräg, dass da die Titel nicht in französischer Sprache angegeben sind, oder? War da nicht mal was mit Francophonie und »exception culturelle«? Immerhin laufen die Filme auf Französisch mit Untertiteln
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Deutsche »exception culturelle« ist traditionellerweise der Donnerstag, jedenfalls in Berlin beim Festival »Around the World in 14 Films«, dem Festival von Bernhard Karl, den die Münchner ja als Kurator von Teilen des Münchner Filmfests kennen. Da läuft ab 21:30 Uhr der neue Film von Pia Marais, Im Alter von Ellen, und nach dem Film diskutieren wir mit Regisseurin und Hauptdarstellerin. Schon vorher diskutieren wir über den deutschen Film, und darüber, ob sich hinter guten Zahlen auch gute Filmpolitik verbirgt. Natürlich nicht. Und die Zahlen sind auch nicht so gut, wenn man mal genauer hinguckt. Mehr dazu, morgen in Berlin, im Babylon ab 20 Uhr.
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Neulich in Mainz. Auch beim sehr engagierten und sympathischen »Filmz«, dem »Festival des deutschen Films« ging es um die deutsche Kinosituation, und eine Bilanz der »Nuller-Jahre«. Zwischen Stagnation und Innovation toitelten die Veranstalzter, vielleicht hätten sie Regression hinzufügen müssen. Die Kollegen von »Negativ« – was für ein toller Name für ein Filmmagazin! – haben dankenswerterweise ausführlich berichtet.
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Und wo bleibt nun das Positive? Na hier:
»Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
›Herr Kästner, wo bleibt das Positive?‹
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.«Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.Ihr braucht schon wieder mal Vaseline,
mit der ihr das trockene Brot beschmiert.
Ihr sagt schon wieder, mit gläubiger Miene:
»Der siebente Himmel wird frisch tapeziert!«Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
und denkt, unter Zucker verschwänden sie.
Ihr baut schon wieder Balkons vor die Herzen
und nehmt die strampelnde Seele aufs Knie.Die Spezies Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, daß ich’s hübsch zusammenreime,
und denkt, daß es dann zusammenhält?Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.Habt Sonne in sämtlichen Körperteilen
und wickelt die Sorgen in Seidenpapier!
Doch tut es rasch. Ihr müßt euch beeilen.
Sonst werden die Sorgen größer als ihr.Die Zeit liegt im Sterben. Bald wird sie begraben.
Im Osten zimmern sie schon den Sarg.
Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben .. .?
Ein Friedhof ist kein Lunapark.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.