Cinema Moralia – Folge 40
Am Nasenring der Funktionäre |
||
Genesis P. Orridge und Lady Jaye nach einer ihrer vielen Verschmelzungsoperationen |
||
(Foto: Arsenal – Institut für Film und Videokunst) |
»Quo Vadis deutscher Film?« Morgen abend ist so ein Tag, an den man sich, wenn alles gut läuft, auch in ein paar Jahren noch erinnern wird. Da stellt nämlich der Berliner Produzent Martin Hagemann, seine Thesen »zur Rettung des deutschen Films« vor. Sie sind brisant, soviel darf man jetzt schon verraten, vor allem für die Funktionäre, Kulturpolitiker und Gremienprofis der deutschen Filmszene und für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, denn sie laufen auf die Forderung hinaus, die deutsche Filmförderung einfach abzuschaffen, zumindest in ihrer jetzigen Form. Und das von einem Filmproduzenten, also einem Angehörigen jener Spezies, die, so möchte man glauben, von den derzeitigen Förder-Verhältnissen doch noch am meisten profitiert. Pustekuchen sagt Hagemann, und begründet das gut. Hagemann produziert seit 1985 Spiel- und Dokumentarfilme, ist überdies selbst Mitglied in verschiedenen Fördergremien und sitzt im Vorstand der beiden großen Verbände Produzentenallianz und »AG Dok«. Er weiß also, wovon er redet, und kann von den eifrigen Verteidigern des Bestehenden nicht als unbedeutende Stimme oder Außenseiter abgetan werden. Fast verzweifelt meldet er sich zu Wort, und klagt dringend notwendige Veränderungen ein, die eigentlich nur Selbstverständlichkeiten sind – und das nicht in erster Linie um sich selbst zu retten, sondern die Eigenständigkeit des deutschen Kinofilms. Hagemann wird auch von seinesgleichen Widerspruch ernten, aber zumindest hat seine wohlbegründete Argumentation das Zeug, die überfällige Diskussion um die ökonomische Zukunft des deutschen Kinos auszulösen. Man wundert sich ja schon länger, was sich die deutschen Filmproduzenten alles gefallen lassen. Gerade die unabhängigen. Sie wirken mitunter so, als würden sie am Nasenring durch die Manege des Förderzirkus geführt, vor allem damit ihre Dompteure sich toll und allmächtig fühlen dürfen. Zugleich weiß man natürlich, warum das so ist: Wer aufmuckt, wird schnell mal bei den nächsten Gremiensitzungen übergangen. Trotzdem wagt sich jetzt einer aus der Deckung. Mehr dazu morgen bei der Berliner Diskussionsrunde zum Thema »Quo vadis deutscher Film?« im Babylon-Mitte beim »Festival Around the world in 14 films« – und nächste Woche an dieser Stelle.
+ + +
»Rettet die Kurbel!« Das Kino die »Kurbel« in Charlottenburg ist das erste Tonfilmkino Berlins. Aber am 21. Dezember 2011 soll dort der letzte Vorhang fallen. Denn der Eigentümer des Gebäudes, mit dem schön-sprechenden Namen »Terra-Real Verwaltungs-Gesellschaft mbH« will das Gebäude komplettsanieren und die Kinoräume an eine Supermarktkette vermieten. Wirtschaftliche Gründe allein sprechen nicht dafür. Denn das Kino verfügt über drei Säle (346, 140 und 89 Sitzplätze). Die Besucherzahlen steigen von Jahr zu Jahr, mit ihnen die Umsätze. Gespräche mit dem Haus- und Kinoeigentümer, Symcha Karolinski, haben nichts gebracht. Darum hat sich jetzt eine Initiative gebildet, die versucht, diesen drohenden Kulturverlust zu verhindern, und dem Kinosterben zu trotzen: »Rettet Die Kurbel« heißt eine öffentliche Initiative. Am Donnerstag, 24. November 2011 gibt es ihr erstes Treffen. Um 17:00 Uhr im Berliner »Irish Harp Pub« (Giesebrechtstraße 15) kommt es zum »Großen Info-Treffen der Retter mit prominenten Unterstützern«.
Einige prominente Kulturschaffende und -förderer, nicht nur aus Film, Theater und Verlagswesen, exponieren sich bereits. Dazu gehört der Filmförderer Medienboard, aber auch der Schauspieler Hilmar Thate. Weitere Infos unter: www.rettetdiekurbel.blogspot.com
+ + +
Glücksfall I. The Ballad of Genesis and Lady Jaye. Hätte Stummfilmpionier Georges Méliès zur Zeit der Pop-Art-Avantgardisten der sechziger Jahre gelebt, wäre vielleicht so ein Film herausgekommen: Unglaublich naiv und unglaublich phantastisch im selben Moment, sich um keinerlei Regeln scherend, und doch immer darauf bedacht, den Zuschauer ins Herz und manchmal die Magengrube zu treffen. Die in New York lebende Französin Marie Losier erzählt in ihrem ersten Langfilm, einer sehr subjektiven Dokumentation nach einer Handvoll experimenteller Kurzfilme, die Geschichte der beiden Künstler Genesis P-Orridge und Lady Jaye. Seit Mitte der Neunziger war dies zugleich die große Liebe und eine Arbeitsgemeinschaft – bis zum Tod von Lady Jaye 2007. Diese Lebens- und Sterbensgeschichte ist berührend erzählt, zugleich erfährt man viel über Postpunk, Performance-Kunst und das von William S. Burroughs und Brion Gysin entlehnte Prinzip des »Cut-Up«, das Genesis P-Orridge seit 2000 mit schockierend-faszinierender Radikalität auf den eigenen Körper anwendet, indem sich der heterosexuelle Mann durch Schönheitsoperationen in eine Frau verwandelt, und so aus sich selbst das finale »pandrogyne« Kunstwerk macht. Losier glückte ein einzigartiger Film über Liebe, Kunst und Geschlechteridentität, der bei der letzten Berlinale sehr passend zugleich den Caligari-Preis wie den Teddy-Award gewann.
+ + +
Glücksfall II. Songs of Love and Hate, der zweite Spielfilm der in Berlin lebenden Schweizerin Katalin Gödrös schildert das Leben einer wohlhabenden Winzersfamilie im Tessin und einen Mikrokosmos mit Wanderarbeitern und Haustieren. Vor allem sieht man einer jungen Frau beim Erwachsenwerden zu. Dieses ist bei der siebzehnjährigen Lilli vor allem dadurch gestört, dass sie eine besonders enge Vaterbeziehung hat. Der Vater weiß auch nicht recht, wie er mit der Mutation der geliebten Tochter zur attraktiven Frau umgehen soll, und regiert mit schroffer Strenge – die wiederum die Tochter zum Irrationalen und die Ereignisse in überraschende Volten treibt. Was am Ende die Moral von der Geschicht' sein soll, wird nicht völlig klar, aber das ist vielleicht auch besser so. Dafür ist alles vor dem Hintergrund einer schönen Berglandschaft ansprechend gefilmt und bewegend gespielt – Hauptdarstellerin Sarah Horváth, die bereits mit Lollipop Monster beeindruckte, gewann für diese Rolle im Januar den Max-Ophüls-Preis.
+ + +
»Making a movie is like romancing a girl« – Filme zu produzieren sei wie um eine Frau zu werben. Das sagt der Hollywoodproduzent Jonathan Shields in Vincente Minellis Hollywood-Insiderkomödie The Bad and the Beautiful. Shields ist allerdings eine Erfindung, genau wie jener »letzte Tycoon«, dem F. Scott Fitzgeralds gleichnamiger und später verfilmter Roman einst ein Denkmal setzte. Die Wirklichkeit scheint profaner: Das Bild, das die meisten
Filmliebhaber vom Beruf des Produzenten haben ist das eines nach Hollywood verpflanzten Onkel Dagobert: Knausrig und eher ungebildet seien sie, im Zweifelsfall Nervensägen, die die Künstler im falschen Moment unter Druck setzen, ihre Arbeit nicht zu schätzen wissen und statt mit Film auch mit Wurst handeln könnten.
Vielleicht, das legt jedenfalls die Geschichte von Arnon Milchan nahe, muss man dieses Bild jetzt ein wenig korrigieren. Denn der heute 66-jährige Hollywood-Produzent,
der seit den frühen 1980er Jahren für große Hollywood-Studios wie Warner Brothers und 20th Century Fox unter anderem Filme wie Once Upon a Time in America, Der Rosenkrieg, Pretty Woman und nicht zuletzt den Film Mr. & Mrs. Smith produzierte, und der mit alldem ein Privatvermögen von über drei Milliarden Dollar auftürmte, hatte offenbar noch eine ganz andere Seite: Seit Mitte der 80er Jahre stand Milchan, der auf Premierenfotos regelmäßig mit Stars wie Angelina Jolie oder Naomi Watts schäkert, offenbar im Sold des israelischen Geheimdienstes. Das enthüllen jetzt die beiden amerikanischen Autoren Meir Doron und Joseph Gelman in ihrem
gemeinsamen Buch »Confidential: The Life of Secret Agent Turned Hollywood Tycoon Arnon Milchan«. Wie die Autoren recherchierten, arbeitete Milchan, der auch ein persönlicher Freund von Israels früherem Premierminister und jetzigem Staatspräsidenten Shimon Peres ist, für den Mossad offenbar vor allem als Vermittler und Mann für »spezielle Bedürfnisse«. Darunter müsse man sich, so die Buchautoren, vorstellen, dass Milchan als Undercover-Agent Auslandskonten für den Geheimdienst
»überwacht« habe. Vor allem aber hat er offenbar als Strohman für Geschäfte mit Waffen und Waffenbauteilen fungiert, die über seine Firma geliefert wurden. Darin ging es unter anderem auch um Nuklearmaterial. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Israel spätestens seit den 70er Jahren über ein eigenes Nukleararsenal verfügt. Peres gilt als »Vater der israelischen Nuklearstreitmacht.« Auch wenn das Buch, dass vor zwei Tagen in Amerika herauskam, von Milchan nicht persönlich
autorisiert wurde, darf man offenbar davon ausgehen, dass sein Inhalt im Wesentlichen den Tatsachen entspricht. Außer mit vielen Bekannten Milchans und mit Shimon Peres hatten die Autoren auch mehrere Gespräche mit dem Tycoon selber geführt, aus denen sie in ihrem Werk zitieren. In diesen bezeichnet sich Milchan als »Patriot« und betont, er habe persönlich von den Geschäften finanziell nicht profitiert. So lebte Milchan offenbar ein Leben, das jetzt selbst den Stoff zu einem guten Film
hergeben könnte. In Internet-Blog mokieren sich jetzt schon manche, und schreiben: »Endlich mal einer aus Hollywood, der einen richtigen Job hat.«
+ + +
Schwachsinn I.: Liebe unterm Wüstenhimmel: Eigentlich will die amerikanische Modejournalisten Juliette (Patricia Clarkson) nur ihren Mann besuchen, der gerade für die UNO in Ägypten arbeitet. Doch der ist unterwegs, und lässt auf sich warten, und da selbst ein harmloser Cafe-Besuch als alleinreisende blonde Frau in der ägyptischen Machowelt nicht einfach ist, ist sie dankbar für die Begleitung durch ihren ägyptischen Freund Tareq (Alexander Siddig). Aus ihrer Begeisterung für den Zauber Ägyptens wird bald Leidenschaft für Tareq. »=« catime=»catime« class=»nc«>Cairo Time ist etwas, was es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte: Eine exotistische Phantasie, so schwerblütig und parfümiert wie Flauberts »Salammbo« nur leider nicht so stilsicher. Dass die Regisseurin Ruba Nadda als Syrisch-Kanadierin selbst Wurzeln im Nahen Osten hat, macht die Sache nicht besser. Dies ist ein Film, der seinen Gegenstand immer nur von Außen betrachtet, einen ausländischen Blickwinkel reproduziert und es bei angenehmen Oberflächen belässt. Das glänzend glatt lackierte Kairo-Bild, das ihr Film zeichnet, unterscheidet sich nur in Nuancen von einer Reportage des »Discovery Channel«, die kitschige Filmmusik gibt all dem den Rest. Was »=« catime=»catime« class=»nc«>Cairo Time immerhin ein wenig rettet, sind die Schauspielleistungen von Patricia Clarkson und Alexander Siddig. Der Neigung, diesen Film mit der »Arabellion« zu verbinden, darf man aber getrost widerstehen, eher repräsentiert diese bereits 2009 entstandene, von der ägyptischen Zensur abgesegnete Schmonzette genau das Ägypten-Bild, das das Ancien Regime der Welt verkaufen wollte: Pyramiden, Nil und orientalische Folklore; Mubarak-Kino.
+ + +
Schwachsinn II.: Wer ist die beste Brautjungfer, besser als alle anderen? Das muss wohl, zumindest für manche Menschen in Amerika, wo der Zwang zur »richtigen Hochzeit« einem mitunter das Heiraten verleiden kann, ein echtes Problem sein. Es dominiert zumindest die erste Hälfte von Paul Feigs Brautalarm einer nicht ganz durchschnittlichen, in manchem angenehm respektlosen Hollywood-Komödie. In deren Zentrum steht Annie (Kristen Wiig), eine Heldin, die in ihren zahlreichen Missgeschicken, ihrem Kampf gegen die Tücken des Schicksals und die Zwänge der Gesellschaft stark an eine zeitgemäße Version von Bridget Jones erinnert. Der Sommer steht für Annie, die in Milwaukee ein ebenso unbefriedigendes Arbeitsleben führt, wie eine missliche Sexbeziehung mit einem Vorstadtidioten, und für die als Mitdreißigerin langsam auch der Countdown zum Glück hörbar tickt, ganz im Zeichen der Heirat ihrer besten Freundin Lilian. Lillian hat sie zur Brautjungfer gewählt, allerdings gibt es ja mehrere Brautjungfern, darunter auch Lilians neue Freundin Helen (Rose Byrne im besten Auftritt des Films). Es dauert nur wenige Stunden, da verstricken sich Annie und Helen in einen erbarmungslosen Ehrgeiz-Wettbewerb. Der mündet in eine große Krise und ein vorhersehbares Happy-End. Der Weg dorthin ist allerdings mit einigen gelungenen Späßchen ebenso gepflastert, wie mit anzüglichem Humor – etwa über »gebleichte Arschlöcher« –, den man in derartigen Frauenkomödien bislang nicht erwarten durfte. Zugleich ist Annie das Gegenteil aller auch von Hollywood propagierten Frauenideale: Sie ist Opfer der Finanzkrise, hat kaum Geld, und lästert über Diäten und magere Models – eben eine konventionelle Komödie.
+ + +
Schwachsinn III.: Der böse Wolf, der hier ein guter ist, will zusammen mit der Großmutter Hänsel und Gretel retten, die von der Hexe Veruschka entführt wurden. Dabei wird aber auch die Großmutter gefangen... Glücklicherweise macht Rotkäppchen gerade eine Shaolin-Kung-Fu-Nahkampfausbildung im Wald bei den »Sisters of the Hood«. Sie beteiligt sich an der Suche, verkracht sich aber mit dem Wolf. Dafür gelingt es der Großmutter zu fliehen... Und so weiter und so weiter dreht sich der böse Mythenfleischwolf, und vermanscht allerlei Ideen der Grimm-Brüder zu einer Art Leinwand-Themenpark: Märchen trifft Kampkunst trifft Animation trifft Serienmord trifft auch noch 3D. Auf Englisch ist das immer dann lustig, wenn einem einfällt, dass Glenn Close und Joan Cusack die Dialoge der animierten Figuren sprechen. In der deutschen Synchronisation gelingt alles weniger. Darüber hinaus ist Das Rotkäppchen-Ultimatum einfach die Fortsetzung von Die Rotkäppchen-Verschwörung.