Cinema Moralia – Folge 39
Wer zahlt, schafft an |
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Die Bibel für die Piraten |
Natürlich sehen sich auch renommierte Filmfestivals heute einer Menge offener Fragen und einer generell unsicheren Zukunft ausgesetzt: Wie sollen sie sich in kommenden Jahren finanzieren? Fast alle Festivals, nicht zuletzt große – man denke nur an die Berlinale – sind längst nicht mehr rein öffentliche, das heißt mit öffentlichen Geldern finanzierte Veranstaltungen. Private Gelder scheinen inzwischen unentbehrlich geworden. Aber auch solche Gelder fließen nicht umsonst – im Gegenteil. Nicht anders als die Kulturministerien, wollen auch private Geldgeber Gegenleistungen sehen, und im Gegensatz zu den Kulturbehörden haben sie wenig Interesse an so altmodischen Dingen wie – oho – »Bildung«, oder – also wirklich – »Erziehung« des Publikums, oder gar – das kann man nun wirklich nicht mehr sagen – »der Verbesserung des Menschengeschlechts«. Der Grundsatz »Wer zahlt, schafft an« gilt hier also eher noch mehr. Private Gelder sind also für Festivals in der Regel teurerer Gelder, als die öffentlichen.
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Das dies trotzdem kaum thematisiert wird, liegt gewiss auch daran, dass kein Festival-Direktor auf diese Gelder verzichten will – aber es liegt auch an der öffentlichen Kürzungspolitik und dem öffentlichen Druck, Steuergelder mit privatem Geld zu ergänzen. Eigentlich aber müsste der Grundsatz gelten, auf die privaten Geldgeber, die durch ihre Beteiligung in den meisten Fällen die Kultur, die sie mitfinanzieren, zerstören, zu verzichten. Die Kulturpolitik sollte den öffentlichen Raum zurückerobern; und die privaten Pharisäer verjagen.
Ungeachtet aller Probleme wächst die Bedeutung von Festivals, gerade auch von mittelgroßen und kleineren, wie San Sebastian, Locarno, Wien, Gijon, Turin, und anderen fürs Autorenkino und unabhängige Filmemacher noch immer weiter. Oft genug sind sie inzwischen der einzige Ort, an dem normale Zuschauer überhaupt neue Filme jenseits des in jeder Hinsicht begrenzten Industriekinos sehen können, und sich innere Zusammenhänge und Tendenzen des Weltkinos erschließen.
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Wenn es für einen Journalisten schwierig ist, auf solchen ausländischen Festivals Interviews zu bekommen, liegt das nicht am Festival, sondern an den Weltvertrieben und den deutschen Verleihern. Die Weltvertriebe wollen, dass nur Journalisten aus Territorien Interviews führen, die den Film noch kaufen sollen. Den Rest sollen die jeweiligen Verleiher bezahlen. Die aber wollen selbst darüber entscheiden, wer Interviews führt, und wann sie veröffentlicht werden. Was beide gemeinsam haben: Sie wollen Kontrolle und Macht. Entscheidungsmacht. Ob das legitim ist, wäre mal zu diskutieren. Der eigentliche Haken aber liegt woanders. Verleiher und Weltvertriebe wollen zwar etwas, aber sie wollen nicht dafür bezahlen. Das wiederum ärgert die Festivals. Denn wer bezahlt das Hotel für den Star, den Flug? Nicht der Weltvertrieb und schon gar nicht der deutsche Verleiher. Mit ihren Mitteln versuchen sie trotzdem die Festivals zu entmündigen.
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»Suspension of disbelief« – das ist im Kino, wenn man etwas glaubt, das man eigentlich nicht im Ernst glauben kann und besser auch nicht glauben sollte, aber es für die Dauer des Films doch glauben will. Das gilt auch für meine Haltung zum Thema Piraterie im Allgemeinen und zur Piratenpartei im Besonderen. Die Haupt-Frage, die die Partei stellt, ob das klassische Eigentum in Zukunft durch Zugang und Zugangsrechte abgelöst werden, ist für die Zukunft von Kultur und Kulturjournalismus zentral. Man muss nicht darum herumreden: Digitalisierung zerstört Freiheitsrechte, klassischen Journalismus und die Kinokultur. Sie vereinfacht auch staatliche Überwachungsmechanismen und leistet der Ökonomisierung aller Lebensbereiche Vorschub. Was steht umgekehrt auf der anderen Seite der Bilanz? Zum Beispiel ein freies Film-Magazin wie »artechock« und Texte wie dieser hier. Was noch? Vorschläge willkommen.
Es gibt jedenfalls keine einfachen Antworten. Aber die Fragen – ganz schlicht praktisch zum Beispiel nach Verdienstmöglichkeiten in der digitalen Umsonst-Welt und nach der Praktikabilität von Modellen wie der Kulturflatrate – müssen gestellt und debattiert werden und die Piraten stören den bürgerlichen Konsens, der auf ein Schweigekartell hinausläuft, und für derartige Vorschläge vorab Denkverbote verhängt.
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Zum Weiterlesen hier ein Buchtip, auf den wir bald noch eingehen werden: Adrian Jones: »Piracy: The Intellectual Property Wars From Gutenberg to Gates«
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.