Cinema Moralia – Folge 41
»Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.« |
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Ein Film, der sich anbiedert: What a Man mit Matthias Schweighöfer, Mann des Jahres 2010 |
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(Foto: Twentieth Century Fox of Germany GmbH) |
Nicht alle Filmemacher sind gleich. Bei uns in Deutschland sind zum Beispiel die Produzenten etwas gleicher... Nehmen wir nur die Referenzförderung, also jene Gelder, die ein Film pro Zuschauer bekommt, vorausgesetzt er erreicht die Mindestzuschauerzahl von 50 000. Bei uns geht diese Referenzförderung nur an die Produzenten – obwohl jeder weiß, dass nicht immer der Produzent schuld ist, wenn ein Film Erfolg hat. In der Schweiz dagegen teilen sie sich Produzent und Regisseur. Das klingt erstmal viel logischer, schließlich dient die Referenzförderung auch dazu, es den Filmemachern – und das sind Regisseure wie Produzenten – zu ermöglichen, einen neuen Film zu machen. Derartige konkrete Vorschläge wären das Wichtigste, was der deutsche Film braucht. Und das Beharren auf ihnen.
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Ein befreundeter Filmemacher erinnert im Gespräch einfach mal zwischendurch an einen Schlüsselsatz aus dem Oberhausener Manifest, dessen Veröffentlichung sich bald zum 50. Mal jährt. Es lohnt sich nachzulesen. Darin steht unter anderem: »Wir sind gemeinsam bereit, wirtschaftliche Risiken zu tragen.« Wer würde so etwas heute schreiben?
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»Schafft die Filmförderung ab! Jedenfalls in ihrer jetzigen Form.« – Das ist die Quintessenz von sieben brisanten Thesen »zur Rettung des deutschen Kinos«. Sie stammen, das hatten wir letzte Woche berichtet, vom Berliner Produzenten Martin Hagemann, der seit 1985 Spiel- und Dokumentarfilme produziert, überdies Mitglied in verschiedenen Fördergremien ist und im Vorstand der beiden großen Verbände Produzentenallianz und AG Dok sitzt. Es ist also keine unbedeutende Stimme, und kein Außenseiter, der sich hier fast verzweifelt zu Wort meldet, und dringend notwendige Veränderungen, oft nur Selbstverständlichkeiten einklagt – nicht in erster Linie um sich selbst zu retten, sondern die Eigenständigkeit des deutschen Kinofilms. Hagemann wird, auch von seinesgleichen, Widerspruch ernten, aber zumindest hat seine wohlbegründete Argumentation das Zeug, die überfällige Diskussion um die ökonomische Zukunft des deutschen Kinos auszulösen. Der deutsche Film sei eigentlich schon tot, heißt es sinngemäß in dem Papier, das vergangene Woche bei einer Berliner Diskussionsrunde unter dem Titel »Quo vadis deutscher Film?« öffentlich vorgestellt werden wurde. »Als wirtschaftliche Definition funktioniert der Begriff, künstlerisch wie fördertechnisch verkauft er Fernsehen als Kino«, schreibt Hagemann und fordert »eine klare Trennung von Kino und Fernsehen.« Filmförderung sei »zu einer Quelle der Zusatzfinanzierung für Fernsehsender verkommen«. Hagemann nennt Zahlen: 80 Millionen werden von den Sendern national und länderweit in die Förderungstöpfe eingezahlt. Aber 50 Millionen werden für eigene Programme ausgegeben, davon 30 Millionen direkt an Töchter der Sendeanstalten. Diese Finanzierung, so Hagemann, »muss verfassungsrechtlich geprüft und beendet werden.«
Und es blieb nicht bei Kritik, Hagemann machte auch Lösungsvorschläge, die, wenn nur der politische Wille existierte, sehr leicht und kostenneutral umgesetzt werden könnten: Vor allem will er ein Ende der Einflussnahme der Sendeanstalten in den Fördergremien, die längst zu einem Selbstbedienungsladen der Fernsehsender verkommen sind. Wie in anderen Ländern auch, etwa den international besonders erfolgreichen Kinoländern Frankreich, Österreich und Dänemark müssten die öffentlich-rechtlichen Sender verpflichtet werden, deutsche Kinofilme anzukaufen und zu Hauptsendezeiten zu senden. Die Position des Produzenten gegenüber den Lizenznehmern sei zu stärken – sprich: Deutsches Kino darf nicht länger Billigware der Sender sein, es muss ihnen mindestens genauso viel wert sein, wie Hollywoodfilme und Sportrechte. Fördergelder müssten den Produzenten direkt zugute kommen, nicht den Fernsehanstalten. Referenzmittel sollten ab der ersten Kinokarte angerechnet werden, nicht erst ab 50 000 Zuschauern – die heute bereits kaum ein deutscher Kinofilm erreicht. »Eine automatische Förderung, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, macht die Gremien überflüssig und schafft Planungssicherheit auf Seiten der Produktion.«
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Man kann dergleichen noch ergänzen: Was Hagemann nicht sagt, obwohl es in der Branche ein offenes Geheimnis ist: Gerade die Branchenriesen zahlen kaum Fördergelder zurück. Zu zahlreich sind die Möglichkeiten, mit Hilfe von Tochterfirmen Verluste abzuschreiben. Und warum soll es statt einer Mindestzuschauerzahl eigentlich keine Deckelung der Referenzmittel nach oben geben? Warum soll eine Förderung die als Kulturförderung geplant war, ausgerechnet der Massenware zugute kommen, das Spezielle, Exzentrische, Schwierige aber links liegen lassen? Warum wird Film überhaupt als Wirtschaftsgut subventioniert? Europarechtlich ist das mehr als fragwürdig, denn Film ist ja keine Steinkohle. Darum hat jede Filmförderung ein kulturelles Mäntelchen. Was dabei herauskommt, sieht man jede Woche im Kino: Filme, die irgendeine Bedeutung vor sich hertragen, aber ästhetisch belanglos sind.
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So paradox es klingt, trifft es doch in der Regel zu: Je billiger ein Film ist, umso schwieriger ist er zu finanzieren. Während bei teuren Großprojekten, die mit vermeintlich reißerischer Thematik oder einer Bestselleradaption aufwarten können, und mit Stars gepickt sind, alle dabei sein wollen, haben es gerade jene Filme, die eine Filmförderung eigentlich nötig haben, und wegen denen sie einst erfunden wurde, am schwersten, genug Geld zu finden, um überhaupt gemacht zu werden. Nochmal: Es geht hier nicht um die Finanzierung irgendwelcher Luxusarbeitsplätze, sondern ums nackte Überleben. Und trotzdem: Wenn von Filmförderung die Rede ist, sind nicht öffentliche Subventionen gemeint, wie sie im Bereich von Oper, Ballett und Theater selbstverständlich sind – mit denen eine Kunstform überhaupt noch am Leben erhalten soll – sondern öffentliches Geld, das im Erfolgsfall zurückgezahlt werden muss. Wie immer ist die entscheidende Frage aber auch hier, wie man Erfolg definiert. Spätestens in Zeiten, in denen es dem deutschen Kino immer schlechter geht, die Zuschauerzahlen nur noch mit kulturell Belanglosem von Bully bis What a Man aufgehübscht werden, aber sogar Alexander Sokurows Faust -Verfilmung, die jetzt in Venedig den Goldenen Löwen gewann, aber – im Gegensatz zur wirklich bedeutenden Literaturverfilmung Hanni & Nanni – keine Gnade vor den deutschen Fördergremien findet, steht genau diese Definition nun auf dem Prüfstand.
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Wer aufmuckt, wird in der Regel abgewatscht, und während Hagemann unter den Regisseuren viel Zustimmung erfährt, bleibt er unter den deutschen Produzenten eine Einzelstimme. Bei Unternehmen wie der Constantin wundert das nicht. Warum aber Firmen wie Schramm Film, Piffl, Heimatfilm, und alle anderen nicht öffentlich aufmucken, nur in Hinterzimmern und »unter drei« die Wahrheit sagen, und sonst das böse Spiel mitspielen, weiß der Himmel. Feigheit vor dem Feind – anders kann man es nicht nennen. In jedem Fall sind die Beteiligten selber mit schuld an den Verhältnissen einer Filmfinanzierung als Hindernislauf, die dadurch charakterisiert wird, dass in Deutschland im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern die Filmförderung und die Förderung der Sender nicht für das Kino da ist, nicht dazu da ist, den Filmemachern zu dienen – sondern umgekehrt die Filmemacher die Bittsteller an den Thronen der wahren Herren.
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Andererseits wird man jetzt, wo sich einer aus der Deckung wagt, genau verfolgen, welche Steine man ihm in Zukunft in den Weg legen wird. An der Filmförderung liegt das eher wenig. Natürlich gibt es auch hier versteckte Einflussnahmen, vor allem politische. Jeder in der Branche weiß, dass die bayerische Filmförderung seit jeher einen besonders kurzen Draht zur Staatskanzlei hat, und weitaus weniger künstlerische Wagnisse eingeht, als etwa die in Nordrhein-Westfalen oder Berlin-Brandenburg. Entscheidend sind aber die politischen und gesetzlichen Vorgaben, ihre Einhaltung und ihre Kontrolle durch die Gesetzgeber in Berlin und Brüssel.
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Die fehlend gemeinsame Kommunikation der Filmemacher braucht auch Streitkultur, also die Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren und die Toleranz für unterschiedliche Ansätze. Ein Gruppenbewußtsein. Das fehlt beides, eben weil alle allzu individualistisch, neoliberal und atomisiert denken und agieren.
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Fruchtlos ist auch der Gegensatz zwischen Kunst oder Geld, Wirtschaft oder Kultur. Was es aber braucht, ist gute Dialektik: Vermittlung von beidem. Also: Kunst und Geld sind immer dann gut, wenn sie eine Antwort finden auf die Frage, was erzählt werden muss. Eine Antwort, die eine gemeinsame Stoßrichtung hat, eine verbindende Idee und Vorstellung davon, wohin sie wollen. Eine solche Antwort wäre eine politische Antwort. Nicht um Kunst oder Wirtschaft geht es also, sondern letztendlich immer um Politik, die die Voraussetzung einer Verbindung von Kunst UND Wirtschaft ist. Solange der deutsche Film aber Politik, also sowohl das pragmatische Handwerk, als auch die damit immer notwendig verbundenen Freund- und Feinderklärungen (vor allem letzteres) fürchtet, wie der Teufel das Weihwasser, bleibt er im Sumpf der Bedeutungslosigkeit stecken.
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Einfacher gesagt: Man kommt nicht darum herum, Farbe zu bekennen, und zu kämpfen. Dazu gehören Kampfverbände . Dazu gehören Bekenntnisse. Zum Beispiel dafür, dass What a Man keine Förderung bekommen muss, und dass der deutsche Film auch an der Unerzogenheit seines Publikums krankt, das also Erziehung des Publikums not tut. Für die notwendige Veränderung der Produktionsverhältnisse, über die zu Recht immer gesprochen wird, brauchen wir eine Veränderung der Rezeptionsverhältnisse. Also Quoten für den deutschen Film. Solange das nicht passiert, haben wir einen Teufelskreis: Weil die Leute dumm sind, sehen sie die guten Filme nicht an, wenn sie mal im Kino sind. Weil sie die guten Filme nicht ansehen, bleiben sie dumm. Abhilfe schafft, die Filme im Supermarkt von der Bückware auf Augenhöhe zu rücken, und sie länger im Regal zu lassen. Das geht nur mit Quoten, die könnte man aber marktwirtschaftlich organisieren, d.h. jeder Kinobetreiber muss Punktzahl sammeln, kann das mit Petzold dann leichter, als mit Schweighöfer. Zur Zeit muss man mit dem deutschen Film so umgehen, wie in der Politik mit Frauen, Migranten und Behinderten – ist so.
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Zum Fernsehen nur ein Satz, der genauso auch für die Förderung gilt: Sie wollen im Erfolgsfall immer schuld sein, auch sie scheuen aber, sobald etwas schief geht, jede Verantwortung. Es ist nie der Redakteur, es war immer der Regisseur, der schuld ist. Und noch einer: Die deutsche Filmförderung ist zu einem Selbstbedienungsladen der Fernsehsender verkommen.