09.02.2012

62. Berlinale 2012

Kopf ab, und nichts vergessen

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Alle Jahre wieder:
Anke Engelke führt durch
die Berlinale-Eröffnungsgala

Doris Dörrie, Berliner Geld und die baye­ri­sche Mafia – Notizen von der Berlinale, 1. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Klar, norma­ler­weise lesen wir natürlich nicht den »Focus« – igit­ti­gitt, nein, wirklich nicht, und das aus vielen Gründen. Ein kleiner Hinweis hat uns trotzdem zum Schlab­ber­heft des Info-Preka­riats greifen lassen: In München hatten sie keinen besseren Gedanken (oder alle anderen haben abgesagt), als Doris Dörrie zu inter­viewen. Nun wissen wir ja schon länger, dass Dörrie nicht gerade eine Leuchte ist, und dass sie wahn­sinnig schlechte Filme macht, ist auch nichts Neues. Aber das sie auch noch einen schlechten Charakter hat... Da schimpft nämlich Dörrie gegen die Berlinale. Da gebe es, so Dörrie, »leider inzwi­schen immer mehr diese komplette Ablösung des Festival-Films vom Publi­kums­film. ... das unkluge und hoch­ge­fähr­liche Ausein­an­der­di­vi­dieren von Filmen fürs Publikum und Filmen fast gegen das Publikum«. Und dann wie Wulff, »und das sehe ich mit großer Besorgnis«.

Hoho! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ausge­rechnet Dörrie, die dank Kosslick und nur dank Kosslick vor ein paar Jahren sogar im Wett­be­werb lief – mit ihrem mäßigen Kirsch­blüten. Ausge­rechnet Dörrie, die noch nie etwas anderes gemacht hat als Publi­kums­filme, denen das Zeug zum Festi­val­film fehlt, weil sie für den intel­li­genten Teil des Publikums zu blöd sind. Ausge­rechnet Dörrie, der die Größe fehlt, die Größe ihrer besseren deutschen Kollegen, wie etwa Christian Petzold, der diese Filme macht, die sie dann als Festival-Film gegen ihren eigenen banalen Schrott ausspielt. Ausge­rechnet Dörrie, die schon einen baye­ri­schen Filmpreis hinter­her­ge­worfen bekommen hat, obwohl noch kein Mensch aus dem Publikum ihren Film sehen konnte. Ausge­rechnet Dörrie, die als Filme­ma­cherin nichts ist, als ein Wurm­fort­satz der baye­ri­schen Förder­tröpfe. Die dümmste Bemerkung Dörries ist dann aber nicht die über die Berlinale, sondern über den Bundes­film­preis: »Dieses Ausein­an­der­di­vi­dieren lässt sich auch an der Voraus­wahl zur Nomi­nie­rung für den Deutschen Filmpreis ablesen. Da sind auch die meisten Publi­kums­er­folge außen vor geblieben, und auch Glück hatte es nicht geschafft.« So ein Blödsinn. In der Voraus­wahl der Film­aka­diemie, die weißgott wieder kein Ruhmes­blatt ist, finden sich solche Festi­val­filme wie Anonymus, Baikonur, Blutz­brüdaz, Hotel Lux, Klitschko, Rubbel­die­katz, Tom Sawyer, Die vierte Macht, Vorstadt­kro­ko­dile 3, Wickie auf grosser Fahrt – glück­li­cher­weise gibt's aber noch ein paar andere. Übrigens wurden bei der Akademie, nachdem es Anatol Nitschke im Vorjahr vorge­macht hat, 24 Wildcards gezogen – schön, dass der deutsche Kriti­ker­ver­band nicht der einzige ist, der sich mit seiner Preis­ver­lei­hung lächer­lich macht.

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Viel­leicht hat das alles ja auch einfach mit »der Bayern-Mafia« zu tun, wie eine Kollegin den filmisch-indus­tri­ellen Komplex aus dem Süden nennt ? Viel­leicht muss man bei Burda auch den Film­standort München stärken, und wie könnte man das besser, als gegen Berlin zu stänkern? Trotzdem liegt Berlin bzw. das Medien­board auch in punkto Förder­auf­wand einmal mehr vor der baye­ri­schen Film­för­de­rung. Und wenn man dann noch sieht, wofür das Geld ausge­geben wird... Nur in den unsäg­li­chen Zettl haben alle Geld hinein­ge­but­tert – wer will schon zu Helmut Dietl nein sagen?

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Anke Engelke, Anke Engelke, Anke Engelke... Man fragt sich ja..., weniger, warum es ihr selber nicht zu blöd wird (bei geschät­zten 50.000 Euro Gage pro Auftritt versteht man das schon), als warum die Auftrag­geber sie eigent­lich immer noch beschäf­tigen: Deutscher Fern­seh­preis, Europäi­scher Song­con­test, Europäi­scher Filmpreis, 3sat, arte, und jetzt wieder mal Berlinale Eröffnung, Berlinale Preis­ver­lei­hung – Anke Engelke ist Kino, auch wenn sie noch keinen Kinofilm gemacht hat, von einigen Synchronauf­tritten mal abgesehen.

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Jetzt geht es also wieder los: Morgen rollen im Eröff­nungs­film die schönen Köpfe von Diane Krüger, Virginie Ledoyen und Lea Sedoux, dann gibt es einen Wett­be­werb mit drei deutschen Regis­seuren, von denen zwei ihren vierten Wett­be­werbs­film seit Kosslicks Amts­an­tritt auf der Berlinale zeigen, Christian Petzold sogar seinen siebten Film auf der Berlinale. Man freut sich also, aber erwartet keine Sensa­tionen. Dann Ursula Meier, Brillante Mendoza, wieder mehr Franzosen als zuletzt. Auf dem Papier sieht der Wett­be­werb klar besser aus, als in den letzten Jahren. Aber Papier ist bekannt­lich geduldig, und jeder, den ich kenne, findet wie ich, dass dem Wett­be­werb zuletzt die kura­to­ri­sche klare Kante gefehlt hat. Mir geht es heute eher wie dem Film­re­dak­teur einer Berliner Lokalz­ei­tung. Der meinte neulich, bei manchen Namen, etwa Mendoza, der zuletzt in Cannes und Venedig war, und bei dem immerhin Huppert mitspielt, frage man sich ja: Wo liegt der Haken? Was ist mit dem Film? Ist er etwa schlecht, sonst würde er ja nicht auf der Berlinale laufen. Die beste Vorrau­set­zung für diese Berlinale ist also, dass die Erwar­tungen so niedrig sind. Da kann es nur positive Über­ra­schungen geben.

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Seit Dieter Kosslicks Amts­an­tritt im März 2001 wurde die Berlinale verkürzt und der Wett­be­werb verklei­nert. Das Festival beginnt einen Tag später und hört einen Tag früher auf, zudem ist der letzte Tag in einen reinen Publi­kumstag umge­wan­delt worden, an dem alle Akkre­di­tie­rungen ihre Gültig­keit verloren haben. Der Wett­be­werb wurde deutlich um bis zu ein Drittel verklei­nert. 2012 laufen 18 Filme im Wett­be­werb, 2011 gar nur 16, in den ersten Jahren unter Kosslick waren es wie unter seinem Vorgänger klar über 20 Filme. Diese Reduk­tionen des Festivals fallen noch deut­li­cher im Vergleich mit der direkten Konkur­renz auf, den A-Festivals von Cannes und Venedig, die länger dauern und mehr Filme präsen­tieren. Perso­nelle Fragen sind inhalt­liche Fragen. Der Berlinale täte perso­neller Wechsel und Wandel gut. Keiner ist unent­behr­lich. Auch nicht Dieter Kosslick. Wenn einer zehn Jahre amtiert, könnte man einfach seine Amtszeit auslaufen lassen. Zudem sollte das Verfahren der Ernennung zukünf­tiger Direk­toren und deren Amtszeit überprüft sowie trans­pa­renter und wand­lungs­freund­li­cher geregelt werden.

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»Welches Erlebnis verbinden Sie mit der Berlinale?«, werde ich von der Festi­valz­ei­tung gefragt. Meine Antwort: »Dreierlei:
1. Die alten Kinos am Ku-Damm, das waren wunder­bare Raum­er­leb­nisse aus einer anderen Zeit, mit denen kaum eines der heutigen Kinos mithalten kann – etwa das Astor (das echte, alte, in dem heute Tommy-Hilfinger-Hemden verlauft werden). Dort sah ich Lulu in der Pabst-Retro 1997, meiner ersten Berlinale, und großar­tige Preminger-Filme – mein letzter war der letzte dieses Kinos im Berlinale-Rahmen: Bunny Lake Is Missing, am letzten Sonntag 1999. Das andere tolle Kino ist das Royal, die »größte Leinwand Europas«, dort den Schmacht­fetzen Der englische Patient, den ersten Anime, Prinz­essin Mononoke, und dann im Panorama Fucking Åmål von Moodysson, schwe­di­sche Teenis plötzlich vier Meter groß. Im Kino gilt: Bigger is bigger!
2. Die Mitter­nachts­vor­stel­lungen des Forums im Delphi: Einen Hongkong-Film mit 200 Chinesen zu sehen, das war unver­gleich­lich!
3. Jener Tag, als ich einmal hinter­ein­ander 7 Filme sah: Der letzte war ein Bollywood-Melo, das erste meines Lebens, ab Mitter­nacht im Forum: Dil Se. Erst tanzte Shah Rukh Khan singend auf fahrenden Zügen, am Ende fliegt er in die Luft – ein Wahnsinn!«

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Eine Neuerung aus der Berlinale-Pres­se­ab­tei­lung: Jeden Tag bekommt man jetzt schon seit Montag, eine tägliche Pres­se­mit­tei­lung mit dem Subject »Berlinale Ankünfte / Arrivals«. Darin heißt es »Im Anhang finden Sie die Berlinale–Ankünfte für den...« und Datum. Darin steht dann mit Flug­nummer und Flughafen die Ankunfts­zeit von zum Beispiel Virginie Ledoyen oder Barnaby South­combe.

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Kritik ist auch ein mora­li­scher Akt. Es geht nicht nur darum, eine schöne Kritik zu schreiben.

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Ein Film­fes­tival wie die Berlinale ist vieles und muss vieles sein. Sie ist ein Markt­platz, ein Schau­fenster des Weltkinos, sie ist eine spezielle Bühne des europäi­schen und des deutschen Films. Sie ist heute selbst Film­co­pro­du­zent, Film­aka­demie, Film­mu­seum. Sie ist ein Aufmerk­sam­keits­ver­s­tärker, eine Fachmesse, ein Publi­kum­sevent, nach eigenem Selbst­ver­s­tändnis ein beson­derer Ort für den poli­ti­schen Film. Vor diesem Hinter­grund kann sich jeder an den nächsten Tagen einmal folgende Fragen stellen: Wie wichtig ist in diesem Geflecht von Funk­tionen das, was die Berlinale früher vor allem war, und – viel­leicht sogar nach eigenem Vers­tändnis – auch immer sein soll: Ein Ort für Entde­ckungen neuer Trends und Tendenzen, unbe­kannter Regis­seure und über­se­hener oder unter­re­prä­sen­tierter Film­re­gionen und Kine­ma­to­gra­phien? Ist, anders gefragt, die Berlinale so gut, wie sie sein kann? Stimmen Selbst­dar­stel­lung und Wirk­lich­keit der Berlinale überein? Schließ­lich: Was ist der poli­ti­sche Wille hinter der Berlinale? Das sind die Leit­fragen.

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Lustige Frage eines Bekannten: Ob die Berlinale viel­leicht auch »Too big to fail« sei?

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