62. Berlinale 2012
Die geheimen Protokolle des Jake G. |
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oder: Ich bin ein Star, holt mich hier raus |
Von Thomas Willmann
Vorbemerkung: Es war ein kleines, schwarzes Notizbuch, über das unser artechock-Reporter Thomas Willmann buchstäblich stolperte, als er eben den Berlinale Palast verlassen wollte. Es lag vor der Sesselreihe auf dem Boden, in der die Internationale Jury zu sitzen pflegt. Und da auf dem Ledereinband die Initialen »J.G.« prangten, war nicht schwer zu raten, wem von den prominenten Preisrichtern die kleine Kladde grade aus der Tasche geglitten sein musste.
Just in dem Moment war die Jury dabei, wieder auf ihren Geheimgängen hinter den Kulissen des Festivals zu verschwinden. Da aber das Gemüt unseres Berichterstatters verschattet war von bald einer Woche zerknirschender Sozialdramen und trostloser Kinokunstversuche, reichte die Geistesgegenwart nicht, mit dem Notizbüchlein hinterher zu hecheln. Statt also nachtragend zu sein, behielt er das wertvolle Dokument in seinem Besitz. Und präsentiert hier bei artechock weltexklusiv eine (von ihm zusammengestellte und übersetzte) Auswahl des brisanten Inhalts!
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AUS DEM NOTIZBUCH VON »J.G.«
Ich habe den ganzen Flug über dieses seltsame Grinsen nicht aus dem Kopf bekommen, dass sie in Hollywood alle hatten, als ich ihnen voll Stolz erzählt habe, dass ich in die Jury der Berlinale berufen wurde. »Toll, Jake!,« hat Renée gesagt, die schon mal hier war. »Da wünsche ich Dir ganz viel Spaß!« Und ich schwöre, sie hat hinter meinem Rücken Willem zugezwinkert. Und als ich Roland gefragt habe, ob er irgendwelche Tipps hat, wo er doch sogar schon mal Jurypräsident war, hat er auch nur so komisch geguckt, lange geschwiegen, und dann gemeint: »Denk dran, dass 2012 die Welt untergeht.« Nur Ang hat mir Mut gemacht. Der ist ja so ein lieber Kerl. Nein, nein, hat er dann auch immer beteuert, das gelte nicht mir, dass die anderen auf der Party danach immer wieder aufgelacht haben. Aber ich habe sie aus den Augenwinkeln erwischt, dass sie dabei zu mir rübergeschaut und auf mich gezeigt haben. Was wissen sie, was ich nicht weiß?
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Also, angefangen hat es schon mal gar nicht schlecht. »Revolution«, hat's geheißen, sei ja eins der großen Themen hier, bei diesem Festival. Zum Auftakt gab's also Französische Revolution. Da hab ich meine Politik, und schöne Kostüme hab ich auch. Und guck, wie clever: 14. Juli 1789 ist, und kaum wen interessiert's, in Versailles. Wo man sich mit Stechmücken, Ratten und Stoffmustern beschäftigt. Und weil die Nachrichten aus Paris langsam sind, und man eh noch nicht kapiert, was sie bedeuten. Tanz auf dem Vulkan, quasi. Dekadente Vergnügungen, während die Weltereignisse schon das große Gewitter zusammenbrauen. Wir haben danach beim Champagnerempfang lange darüber diskutiert.
Was mich aber wirklich schockiert hat an Les adieux à la reine: Diane Kruger kann schauspielern!?
Memo: Muss nachfragen, ob in Hollywood schon mal jemand aufgefallen wäre, dass Diane Kruger schauspielern kann.
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Asghar hat auf seiner Schreibmappe lauter Aufkleber mit kleinen, goldenen Bären. Asghar hat hier letztes Jahr gewonnen, was er gerne und oft erwähnt. Er scheint sich zu freuen, wieder hier zu sein. Vielleicht freut er sich aber auch nur, grad nicht in Teheran zu sein.
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Ja, Berlin! Muss ja ehrlich zugeben: Das war einer der Hauptgründe, diesem Gig zuzusagen. Sind ja immer alle so begeistert von Berlin. Weltstadt, und so. »Viva Berlin!« hab ich dann auch gleich neben mein Autogramm geschrieben, unter dem großen Porträtfoto, was sie von jedem von uns gemacht und im Berlinale Palast aufgehängt haben.
Mann, was war ich voreilig! Berlin im Februar hat -15°C. Es ist grau. Und ich habe eben erfahren, dass ich jeden Morgen um 9 Uhr im Kino sitzen muss. Und dort wachbleiben. 9 Uhr! Soviel zum Thema Berliner Nachtleben... Berlin zieht selbst Shah Rukh Khan runter. Er ist auch hier, sie lieben ihn. (Sie lieben ihn mehr als mich hier, aber hey...) Er hat hier gedreht. Hat mir den Film gezeigt – Don 2 – The King Is Back. Können schon was, diese Inder. Beim Anfang, noch in Asien, hab ich mir ehrlich gesagt schon Sorgen gemacht: Die wollen doch nicht unserem schönen amerikanischen Action-Kino den Rang ablaufen?
Aber eben: Berlin! Dachte immer, diese Bollywoodfilme müssten bunt, überbordend und dauernd mit Musik sein. Denkste. Die Deutschen haben die da aber ordentlich runtergeholt von dem Trip. Eng, grau, ernst, das ist's. Aber Neid: Ein, zwei Dutzend
Titeltafeln nur mit Geldgebern und Sponsoren am Anfang! Da können wir noch was lernen. Das haben diese Inder drauf.
Memo: Hab ich eigentlich auch schon einen Uhrenvertrag? Agenten fragen!
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Na ja, die ersten Filme, über die wir wirklich zu urteilen hatten, waren jetzt schon etwas mühsam. Weggesperrtes Mädchen im Keller – aber NICHT diese Österreicherin. Sondern eine reine Fantasie des Regisseurs. Was er am Anfang schriftlich groß betont. Weil: Auch Rechtsanwälte gehen mal ins Kino. Wäre aber, ehrlich gesagt, auch sonst wenig Verwechslungsgefahr. Yup, À moi seule ist eine reine Fantasie.
Weil: Das Opfer ist ja fast der dominantere
Teil in der Beziehung zu dem Täter, gell! Und mit Sex hat die ganze Sache für den Täter ja auch fast gar nichts zu tun. M-hmm. Aber vom Tempo her, da hat der Film einem schon mehr auf Opfer-Seite verortet, das muss man ihm lassen.
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Angelina hat's gut! Die fliegt hier mit ihrem eigenen Film für ein paar Tage ein. Ist der einzige Hollywood-Star hier, um den sich die ganze Stadt wirklich schert. Kann machen, was sie will, muss nicht mal zur Eröffnungsgala, wenn sie lieber im Hotel mit den Kindern Lego spielt. Und hat dann noch diesen Film über den Bosnienkrieg, den bei uns daheim keiner recht mochte oder angeschaut hat, den sie hier aber lieben. Und der sie zum guten Menschen des Festivals macht.
Dieter zumindest sah ziemlich glücklich aus. Angelina mit einem Polit-Drama und Publicity-Bedarf – wenn es ein Berlinale-Kit von Lego gäbe, würde er sich genau das basteln.
Hab mich mit Angelina und Brad getroffen und ihnen Briefe für die Leute daheim in L.A. mitgegeben. »Bleib tapfer,« haben sie gesagt, mir in die Augen geschaut und die Hände gehalten. Ich sei dort nicht vergessen! Ein paar Momente später schon hatten sie sich wieder lachend unter die Menge gemischt.
Meine Betreuerin hat mich höflich, aber entschieden zurück ins Juryzimmer gebeten.
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Man hüte sich vor der Erfüllung seiner Wünsche! »Mal ein Genre-Film zwischendurch, das wär's!« Hab ich gestern noch gedacht. »Ich hoffe, die zeigen uns nicht nur so irrelevantes Relevanz-Kino?« Oh je! Wünsche dir nie Genre-Filme von Leuten, die keinen Bezug dazu haben! Die setzen dir dann so Zeug vor wie Dictado. Ich mein: Wie schwer kann's sein, einen brauchbaren spanischen Psychothriller aus dem in dem Feld ja nicht kleinen Angebot zu picken? Zu schwer für die
Leute hier, offenbar...
Wahrscheinlich waren sie begeistert, dass dieses Ding auch so einen bleiernen, bedeutungsschwangeren Tonfall hatte. Sah in ihren Augen wohl nach Gewicht und Kunst aus. Und wenn man sonst nie Genre-Filme guckt, findet man vermutlich die Story ganz neu und überraschend, mit dem toten Mädchen, das seine kindlichen Mörder im Erwachsenenalter heimzusuchen scheint. Aber halt nur: Wenn man sonst nie Genre-Filme guckt.
Nun denn – einer für die Liste: »Warum zwingen sie uns, das anzuschauen?«
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Wie gut werde ich hierfür eigentlich bezahlt?
Memo: Muss meinen Agenten fragen, wieviel das einbringt.
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Peinliche Situation. Habe diesen Mann im Juryzimmer gebeten, mir eine Wasserflasche zu bringen. Wäre vielleicht gut gegangen – wenn ich dann nicht versucht hätte, ihm Trinkgeld zu geben.
Memo: Boualem. Er heißt Boualem, er ist Schrifsteller, und er ist mit uns in der Jury.
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Anton wirkte heute Mittag sehr bleich. Hab versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Aber er stammelte immer nur »35mm, 35mm« vor sich hin. Ihn scheint dieser griechische Film Metéora sehr mitgenommen zu haben.
Ich glaube, diese Fotografen sind manchmal echt überempfindlich. Ich mein, was war da schlimm dran, dass der Regisseur nur seine niedrigauflösende Videokamera
hatte? Soll er deswegen die Landschaften mit diesen spektakulär isolierten Bergklöstern anders filmen, als wenn er David Lean wäre? Das bisschen braune Pixel-Matschepampe mit den Kontrast-Artefakten wirkt jetzt doch echt nicht sooooo viel weniger überwältigend, oder? Ich mein, wollen wir von Regisseuren jetzt auch noch verlangen, dass sie sich Gedanken machen über den Zusammenhang von technischen Möglichkeiten und ästhetischen Absichten? Hey, sind wir hier bei Kubricks, oder im
Kino, oder was? Als ob Bilder da einen Unterschied machen...
Barbara hat versucht, Anton aufzubauen. Sie hat ihm das erklärt, warum nicht genug Budget für richtigen Film da war. Hat irgendwas mit dem Euro zu tun. Und dass man Griechen aus Prinzip zu möglichst schmerzhaften Sparmaßnahmen zwingen muss.
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Mein Agent meint, nun ja, so direkt BEZAHLT... also... »Aufwandsentschädigung«... Ich mach das quasi umsonst! Ich fasse es nicht.
Memo: Brauche einen neuen Agenten.
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Mir hat mal einer eine Tasche geklaut. Da war nicht viel Geld drin, aber ich mochte die Tasche, und hing an einigen der persönlichen Dinge drin, und es war wahnsinnig nervig, alles an Papieren wieder zusammenzubekommen, und teuer, die Schlösser an der Haustür auszuwechseln. Ich will kein Verständnis haben für Leute, die anderen Menschen Taschen klauen. Oder Skier. Wir haben diesen schweizer Film gesehen, L'enfant d'en haut, über so einen Buben in einem Skiort, der Taschen, Skier, Brillen, Handschuhe klaut.
Armer Bub! Weil: Keine Eltern! Probleme mit der vom Leben überforderten Schwester, mit der er zusammenlebt! Buhuu! Ich musste immer an die Leute denken, die Skifahren wollten, und es nicht konnten. Weil man ihnen ihr Zeug geklaut hatte. Warum darf ich mit denen kein Mitleid haben? Na ja, es war dann alles nicht ganz so klar und einfach, wie's
anfangs schien. Schon okay, der Film. Aber ich will trotzdem mal ein Sozialdrama sehen über normale, halbwegs gutsituierte Menschen in stabilen persönlichen Verhältnissen, deren einziges Problem ist, dass man ihnen den wohlverdienten Urlaub versaut hat, indem man ihnen ihr Zeugs klaut. Auch das ist ein Problem unserer Tage!
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François und Barbara hängen die ganze Zeit zusammen. Heute hat er sie mit Handkuss begrüßt. Und ich schwöre, sie hatte einen neuen Lippenstift und hat nicht aufgehört, ihre Lippen bei jeder Gelegenheit zu schürzen, bis François endlich meinte: »Ma chère Barbara, Du hast eine neue Lippenstift? Erinnert er mich an Lola?«
Die ganze Zeit reden sie von einem Rainer. Rainer hier, Rainer da, und immer: »Also RAINER hätte das ganz anders gemacht.«
Memo: Muss rausfinden, wer dieser Rainer ist.
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Vorhin gab's einen Film über eine Gruppe von harm- und ahnungslosen, internationalen Touristen, die auf den Philippinen von einem Terrorkommando entführt werden. Und die dann monatelang schlimme Entbehrungen ertragen, sich durch einen unwirtlichen Dschungel schlagen müssen.Captive hieß er, und ich mochte ihn. Auch wenn ein, zwei Feuergefechte weniger gut gereicht hätten.
Irgendwie konnte ich mich sehr gut in die Situation hineinversetzen.
(Memo: Muss herausfinden – sind unsere Betreuer eigentlich bewaffnet?)
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Gestern waren wir beim Deutschen Präsidenten eingeladen. Händeschütteln, Smalltalk. Von mir wollte er wissen, wo und wie ich denn in Los Angeles so wohne. Und ob es da Gästezimmer gibt. Falls er mal da sein sollte. Charlotte hat ihn mit Frei-CDs abgelenkt, bevor ich antworten musste.
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Jetzt verarschen sie uns. Ich schwöre, jetzt sitzen sie irgendwo, klopfen sich auf die Schenkel und schließen Wetten ab, wie lange wir noch bereit sind, das alles ernst zu nehmen. Heute haben sie uns einen portugiesischen Film gezeigt, wo ich mir bei den Schwarzweiß-Bildern im 4:3-Format schon dachte: »Na, wenigstens kein Stummfilm.« Tja, das war die erste Hälfte! Über eine alte Frau und ihre schwarzen Pflegerin. Die zweite Hälfte WAR dann ein Stummfilm. Fast. Dieser alte Portugiese hat uns die Geschichte erzählt, aus seiner Jugend, zu sprachlosen Bildern. Wenigstens: Afrika! Und ein Baby-Krokodil. Aber halt auch: Afrika! Und ein Baby-Krokodil.
Mike meinte, er würde mir das alles erklären, wenn zwischen den Filmen mal länger Zeit ist. Hm. Cannes hatte The Artist, wir haben Tabu.
Was mich aber wirklich verunsichert hat: Das war irgendwie einer der hübschesten Filme bisher.
Memo: Immer wieder dran denken – Ich bin ein Hollywoodstar, ich bin ein Hollywoodstar, ich bin ein Hollywoodstar...
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Ich darf nicht unfair sein. Es ist wirklich nicht so, dass auf der Berlinale nur so deprimierende, realistische, kritische Filme über Massenvergewaltigungen laufen. Es laufen auch herzerwärmend-versöhnliche, romantisch-erhebende, nationalistische Filme über Massenvergewaltigungen.
Ist das nicht wunderbar, wenn inmitten des Massakers von Nangking sich für ein Dutzend katholischer Kirchenschülerinnen ein Dutzend praktischerweise im Keller geparkter Prostituierter opfern dürfen?
Immerhin: Hat mir meine Lage erträglicher gemacht. Hätte es schlimmer erwischen können. Christian Bale wurde von den Chinesen gekidnappt! Und war da sicher länger als zehn Tage. Genug für Stockholm Syndrom, scheint mir: Macht da mit, als hätte er richtig Spaß dran.
Was ich Zhang Yimou aber am meisten vorwerfe: Flowers of War ist der falsche Titel.
Der Film sollte natürlich einzig und allein War Whores heißen.
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Asghars Lächeln ist in den letzten Tagen immer krampfhafter geworden. Habe beobachtet, wie er während der Vorführungen Bären-Aufkleber von seiner Schreibmappe pult. Er erwähnt nicht mehr ganz so oft, dass er hier letztes Jahr gewonnen hat. Dafür betont er bei unseren Besprechungen immer häufiger, dass letztes Jahr der Wettbewerb ja VIEL stärker gewesen sei. Und es für einen Film echt nicht leicht war, sich da durchzusetzen. Und dass so ein Goldener Bär schon mehr bedeutet, als dass man den dem einzigen Film gibt, der nicht ganz peinlich ist.
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Charlotte hat bei Postcards From the Zoo die ganze Zeit verzückt »Awwwwww...!« gehaucht, wenn süße Tiere zu sehen waren. Beim Babytiger, beim kleinen Elefanten, beim lustigen Hippo, bei dem Nasenbären. (War es ein Nasenbär? Keine Ahnung. Für mich sah es aus wie ein Nasenbär. Ich bin Schauspieler, kein Zoologe.)
Und dann gab's da einen Typen, der Geräusche aus dem Zoo aufgenommen hat, und sie mit Minimoog-Sounds zu einem Song gemacht hat. Ich fürchte, der Film
hat Charlotte auf Ideen gebracht.
Ansonsten weiß ich wieder nicht, warum der hier im Wettbewerb lief. Mir hat mal jemand gesagt, die Berlinale hätte für solche Filme die Forums-Reihe. Aber wenigstens war dies ein lehrreicher Film. Wusste nicht, dass »Giraffe« ursprünglich aus dem Arabischen kommt. Sollte mehr Wikipedia lesen.
Es lohnt auch, Abspänne zu lesen: Die einsame Giraffe aus dem Zoo von Jakarta heißt in echt gar nicht so, wie sie im Film heißt! Können wir ihr einen Darstellerpreis geben? Ich möchte bitte gerne der Giraffe einen Darstellerpreis geben. Charlotte ist auch dafür.
(Memo: Beim nächsten Film mit Babytigern besser aufpassen, dass keiner merkt, dass ich auch dauernd »Awwwwwww...!« gemacht habe.)
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Welch Schreck! Vorhin hat mich ein fremder Mann plötzlich mit sich gezerrt, und ich dachte schon, ich werde entführt. (Captive wirkt nach.) Er hat mich aber nur in einen stillen Winkel gedrängt, um auf mich einzuflüstern.
Dann hab ich ihn erkannt! Boualem.
(Memo: Muss mir merken, dass er in unserer Jury ist.)
Er hat mir dann gesagt, dass er nach den letzten Filmen, die wir anschauen mussten, nach der Website von Amnesty International gesucht habe. Aber die sei vom Netzzugang seines Hotelzimmers aus gesperrt gewesen. Wir haben beschlossen, in einem unbeobachteten Moment Asghar zu fragen, wie man (mit) sowas umgehen kann.
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Charlotte wirkte heute in den Vormittagsvorstellungen völlig teilnahmslos und abwesend. Den Weg vom und in den Juryraum hätte sie ohne Hilfe gar nicht gefunden. Mike hat uns heimlich Zettel zugesteckt, auf denen er erklärt hat, was geschehen war: Charlotte hat heute Nacht versucht zu fliehen. Sie ist nicht weit gekommen. Man hat sie noch im Tiergarten in einem Erdloch gestellt. Ihre Teilnahmslosigkeit ist eine Nachwirkung von den Betäubungspfeilen.
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Keiner unserer Betreuer hat ein Wort über den Vorfall verloren. Aber sie weichen uns jetzt gar nicht mehr von der Seite. Sie tarnen das als Zuvorkommen. Egal, mit welchem Grund du dich von der Gruppe entfernen willst: Sie erledigen das für dich.
Dann aber große Aufregung! Einer der Betreuer hat heute einmal durchgezählt. Und es fehlte jemand aus der Jury! Völlige Verwirrung, auch bei uns. Hektische Telefonate, Funksprüche. Freilich die Frage: Wie konnte jemand entkommen? Vor allem aber: WER? Keiner wusste das! Drei Stunden hat es gedauert, bis es jemandem ein- und aufgefallen ist: Es ist Boualem!
Renn, kleiner Boualem, flieh! Das Glück sei mit Dir. Ich habe Dich kaum gekannt.