Cinema Moralia – Folge 43
Prime time, second hand |
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Essential Killing von Jerzey Skolimowski | ||
(Foto: Ascot Elite) |
Eine brandneue, sehr schlechte Nachricht erreicht uns aus Spanien: Das erste Opfer der neuen politischen Mehrheiten – für die mehr oder weniger reaktionäre postfranquistische PP (Partido Popular) – ist das Filmfestival von Gijon, das renommierteste und älteste spanische Festival nach San Sebastián, das Anfang Dezember immer eine Art »Hofer Filmtage« Spaniens war. Dort ist nach sechzehn Jahren der Direktor José Luis Cienfuegos auf eine überdies ziemlich rüde Art entlassen worden, die recht kennzeichnend für den Brutalo-Stil der PP ist: Aus der Presse erfuhr er von der Benennung eines Nachfolgers. Dieser Nachfolger, ein unbeschriebenes Blatt, gegen den vor allem spricht, dass er sich vor den Karren der PP spannen lässt, kündigte an, das Festival »allen Publikumstypen« zu öffnen »nicht nur den erlesenen und intelligenten«. Sein Programm soll um Fernsehproduktionen und Animationsfilme ergänzt werden. Na dann! Diesen kaum verbrämten Populismuskurs kennen wir ja von manchen unserer Festivals. Das lässt Schlimmes befürchten.
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Der Preis eines Doku-Formats für die Prime Time liegt beim ZDF derzeit bei etwa 220.000 Euro. Das sind knapp 5000 Euro pro Minute. Legt man bei der ARD etwa den gleichen Betrag zugrunde, dann kostete das Interview mit Noch-Bundespräsident Wulff, das vor einer Woche gleichzeitig auf ARD und ZDF gesendet wurde, ungefähr 150.000 Euro. Dafür hätte man einen schönen Studentenfilm drehen können, der sich im Zweifelsfall besser verkaufen und jedenfalls öfters wiederholen ließe. Aber von der Verwendung kostbarer öffentlich-rechtlicher Sendezeit einmal abgesehen – wer zahlt diese Kosten eigentlich? Und wer hat eigentlich entschieden, dem Bundespräsidenten dieses Forum zu geben? Wer entscheidet, dass es in beiden Sendern gemeinsam, also gewissermaßen »alternativlos«(Angela Merkel) gesendet wird? Wer trägt die Kosten für die Verschiebung/Verspätung und damit einhergehenden Zuschauerverluste/Quoteneinbrüche der nachfolgenden Sendungen? Für die Zuschauerverluste/Quoteneinbrüche der konkurrierenden (zum Teil auch öffentlichen) Sender? Kann eigentlich jeder Politiker bei ARD/ZDF Sendezeit bestellen? Wenn nicht, welche Politiker können dies unter welcher Voraussetzung?
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Man kann sich den Film vorstellen, den Lubitsch, Wilder oder sogar Helmut Dietl aus der MailboxKredit-Affaire des noch amtierenden Bundespräsidenten machen würden.
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Da wir an diesem Ort immer gern (und oft mit guten Gründen) über das Fernsehen schimpfen, wollen wir an dieser Stelle einmal loben: Letzte Woche stießen wir eher zufällig bei arte, der nach seiner allerneuesten Programmreform im Gegensatz zur ARD wieder stärker auf den Dokumentarfilm setzt, auf Jerome de Missolz' Film David Bailey, eine Fotolegende. Wahrscheinlich weiß jeder unserer klugen Leser, wer Bailey war, wir wussten überhaupt nichts: David Bailey,
Modephotograph unter anderem für die »Vogue« war eine der schillernden Figuren des »Swinging London« der 1960er-Jahre. Er war der Entdecker von Jean Schrimpton, einem der ersten Supermodels, und das reale Vorbild für den von David Hemmings gespielten Photographen in Antonionis Blow Up (1966). Im Film erzählt er, dass Freunde manche private Details ohne sein Wissen an Antonioni und
seinen Drehbuchautor verraten hatten. Zugleich legt er großen Wert darauf, dass die Idee zu dem Film nicht von Antonioni gekommen sei, sondern von dessen Produzent Carlo Ponti. Bailey, 1938 geboren, photographierte in seinem ziemlich einzigartigen Stil Dutzende Filmstars und Regisseure vor allem der großen Periode des europäischen Autorenfilms. Man sieht ihn mit Visconti, Romy Schneider und Helmut Berger, mit Michael Caine. Und natürlich ausführlich mit Catherine Deneuve, mit der er
sieben Jahre verheiratet war. Deneuve kommt ausführlich zu Wort. Ein paar Mal drehte Bailey auch eigene Filme, zwei Kurzfilme, einen Dokumentarfilm über Cecil Beaton (Beaton By Baily) und einen über Andy Warhol (In Bed With Warhol), sowie seine Mystery-Romanze The Intruder von 1999, die man schon deshalb gern sehen würde, weil dort Charlotte Gainsbourg, Nastassja Kinski und Molly Parker mitgespielt haben.
Den Film
kann man zum einen zur Zeit noch auf arte+7 angucken [http://videos.arte.tv/de/videos/david_bailey_eine_fotolegende-6302134.html], im Fernsehen kann man ihn aber auch nochmal sehen (und aufnehmen): am 19.1. um 2.50 Uhr.
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Das Leben von Jean Schrimpton wird übrigens jetzt von der BBC verfilmt. Sie verließ Bailey 1964 für Terrence Stamp, und der wiederum hätte, wie das Leben so spielt, um ein Haar Bailey verkörpert – in Antonionis Film. Erst zwei Wochen vor Drehbeginn gab der die Rolle David Hemmings. Aber das alles ist natürlich »just gossip.« Und wo wir beim Klatsch sind: Wussten wir, dass Cary Grant einmal eine Affaire mit Sophia Loren hatte? Sie hat ihn erstaunlicherweise verlassen weil sie Carlo Ponti heiraten wollte. Vielleicht auch, weil Grant noch verheiratet war. Neulich habe ich Hausboot wiedergesehen, allerdings nur auf DVD. Das hätte man auch lassen können, so unglaublich schlecht ist der Film gealtert. Selbst als erklärter Cary-Grant-Fan ist das schwer erträglich, allenfalls interessant, weil er eine Menge über das Italienerbild Amerika verrät.
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In Berlin und München, vielleicht noch der einen oder anderen kleineren Stadt ist man ja in punkto Kino einigermaßen gut bedient. Natürlich gibt es immer Grund, zu meckern, aber seien wir ehrlich: Wer kann schon alles das gucken, was man sich eigentlich ansehen müsste und wollte? Trotzdem führt das Herumstreunen im Internet immer wieder zu Entdeckungen, die neidisch machen: In Zürich läuft im Kino Xenix gerade eine wirklich interessante Retrospektive: Zum Werk von Jerzey Skolimowski, dem coolsten, aber auch unbekanntesten polnischen Filmemacher Skolimowski ist der Agnostiker neben den Heiligen Drei Königen des polnischen Kinos Waijda, Kieslowski und Polanski. Wer beim letzten Filmfest die restaurierte Fassung von dem in München gedrehten Deep End oder seinen letzten, 2010 in Venedig uraufgeführten Film Essential Killing gesehen hat, konnte sich selbst überzeugen. Und auch wer es nicht schafft, sollte den ziemlich schönen, auch interessanten Text [http://www.xenix.ch/programm/zyklus/-/id/436] lesen, den Barbara Wurm über sein Werk geschrieben hat.
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Überlegung. Bei der Betrachtung eines vielgelobten deutschen Films: Die Krankheit deutscher Drehbücher ist das, was in den Drehbuchschulen »Motivation« genannt wird. Diese hat persönlich zu sein, jedenfalls bei Hauptfiguren, und darum sind Politik und Moral oder gar Ästhetik nie zureichende Motivationen für die Handlung von Figuren. Deswegen ist jeder deutsche Film – Ausnahmen bestätigen die Regel – im Kern ein Melodram.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.