Cinema Moralia – Folge 44
Feuchte Höschen beim ZDF |
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Amer von Hélène Cattets und Bruno Forzani | ||
(Foto: Koch Media / Neue Visionen Filmverleih GmbH) |
»Gute Unterhaltung!« wünscht die unbefangene Ansagerin vor der Vorführung beim Filmfestival von Saarbrücken (nächste Woche mehr darüber). Sie meint es sicher gut. Bloß, dass dann gleich drei Kurzfilme kommen über Krieg und über traumatisierte Bundeswehrsoldaten. Und dann denkt man doch nicht nur, was für eine doofe Moderatorin, die besser mal darüber nachgedacht hätte, was sie da moderiert, sondern man denkt noch etwas anderes: Warum eigentlich? Warum muss es immer Unterhaltung sein, die uns versprochen wird, wo doch das Kino ganz andere Dinge verspricht? Bessere Dinge, die man erlebt, wenn man diese Woche in Filme wie Drive geht, und auch The Artist, und zum Beispiel in Amer.
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Ein Auge. Drei Augen. Eine gleißende Sonne. Wie ein Skalpell zerteilt der Splitscreen das Bild in drei. Ein Skalpell wird in diesem Psychothriller später noch eine zentrale Rolle spielen... Hélène Cattets und Bruno Forzanis Film Amer, der in Frankreich entstand, aber eher eine Hommage an die Erzählsprache des italienischen B-Movies der 70er-Jahre ist, reiht Urszenen des Kinos aneinander: Das Auge und das Skalpell; ein kleines Mädchen in einem großen Haus, nachts, mit einem Kerzenlicht; Blicke durch Türen, um die Ecken; Angst, und Erinnerung. Dieser Tryptichon um eine erwachsene Frau, die an den Ort zurückkommt, an dem sie einst dem größten Schrecken ausgesetzt war, ist eine Fabel, die von Poe oder Baudelaire sein könnte, eine Traumnovelle mit Gothic-Elementen. Amer strahlt etwas ganz Unzeitgemäßes aus, entfaltet aber gerade damit größtmögliche Wirkung: Es erinnert uns an das verlorene Kino, das nur noch in unserem Unterbewusstsein haust, in dem eigenen dunklen Begehren, das uns ins Kino treibt. Ein Film also über Schaulust und Fetischismus, der diese selbst bedient. Eine Liebeserklärung mit der Kamera. Tolles Kino!
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Ganz im Gegensatz zu Offroad. Nora Tschirner im deutschen Kino – das ist, wenn man kein Keinohrhasen-Fan ist, immer noch ein uneingelöstes Versprechen. Ihre Fähigkeiten und ihre Wirkung stehen außer Zweifel, sie macht jeden Film besser, in dem sie mitspielt, aber bisher spielt sie eben auch nur in Filmen mit, die das bitter nötig haben. Man möchte Elmar Fischers zweiten Spielfilm mögen, schon weil hier ein Regisseur versucht, einen passablen Genrefilm zu drehen. Das misslingt aber leider sofort, weil der Krimi mit einer deutschen Beziehungskomödie kombiniert wird: Die von Tschirner gespielte Maike hat ein langweiliges Leben, dem sie gern entfliehen möchte. Dazu rafft sie sich aber erst auf, als sie ihr Freund betrügt. Nach ein paar konstruierten Wendungen hat sie ihr Provinzkaff gegen die Wüste und den Langweiliger gegen einen attraktiven Südländer getauscht und wird von Gangstern gejagt. Wäre alles noch akzeptabel, hätte es Charme und wäre nicht so ungemein bieder, vorhersehbar und überflüssig. Und Darsteller wie Max von Pufendorf, Leslie Malton und Axel Milberg haben auf der Kinoleinwand rein gar nichts verloren. So bleibt nur die Hoffnung, dass sich Nora Tschirner endlich ein guter Regisseur wie Dominik Graf oder Christian Petzold erbarmt, und sie aus der Hölle des deutschen Quatschfilms erlöst.
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Bei den Franzosen ist es besser. Wenigstens ein bisschen: Ziemlich beste Freunde sind die zwei Elfjährigen, bei deren Elternversammlung sich der alleinerziehende Vater des einen, und die Mutter des anderen kennen lernen: Zuerst mögen sie sich gar nicht, kein Wunder, ist Agathe doch eine kühle Galeristin, die im Pariser »rive gauche« ein bourgois ausgepolstertes Leben in der Künstlerbohème führt, Patrick dagegen, ein versoffener Ex-Sträfling ohne Manieren und Geschmack, dafür, wie sich herausstellt mit Qualitäten im Bett, die Agathes allzu nachsichtigem Mann, dem Verleger Francois (von André Dussolier voller Güte gespielt) offenbar abgehen. Und dass die beiden irgendwann im Bett landen, ist von Anfang an so sicher wie das Amen in der Kirche. Diese Verlässlichkeit der Dramaturgie erinnert an klassische Komödien, wie auch die Screwball-Qualität mancher Dialoge. Denn vor das Bett hat der Komödiengott den Wortkrieg gesetzt. Isabelle Huppert spielt die Agathe mit einer kontrollierten Dosis Katherine Hepburn. Und die Huppert wieder einmal in einer Komödie zu sehen, ist ein leider zu seltenes Glück. Regisseurin (und Ex-Schauspielerin) Anne Fontaine inszeniert Mon pire cauchemar souverän, aber wie ihre Hollywood-Vorbilder nicht ohne Klischees, die dort, wo es um Lebensphilosophie und ums Frauenbild gilt, erkennbar ins Konservative verrutschen; am Ärgerlichsten: Frauen werden durch Intelligenz und beruflichen Erfolg offenbar kalt und frigide. Da muss dann schon das daherkommen, was man so einen »richtigen Mann« nennt. Ansonsten hat zu diesem Film die bemerkenswerte Lida Bach in ihrer Kritik bei »negativ« alles geschrieben und ganz recht. Sie hat nur, in diesem Fall, ein weniger großes Herz, als ich.
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Wozu uns dann folgender Dialogsatz aus Underworld 3D einfällt, der nächste Woche ins Kino kommt: »My heart is not cold. It’s broken.«
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Jetzt bekommen wieder alle feuchte Höschen: »Oscarchancen für das ZDF«! titelt die Pressemitteilung. Man möcht’s nicht glauben. Aber natürlich ist auch das ZDF an Pina beteiligt, und darum muss es eine eigene Pressemitteilung herausbrezeln. So wie gefühlte 50 andere Institutionen, die nichts Besseres zu tun haben, als im Minutentakt Oscar-Pressemitteilungen zu verschicken. Mit viel zu großen Anhängen und mäßigem Unterhaltungswert. Besonders gefallen hat uns da die Pressemitteilung der HFF-München: »HFF-Absolvent Wim Wenders für den Oscar nominiert«. Einen Moment dachten wir, für den Studentenoscar. Aber dann werden wir aufgeklärt: »Wim Wenders studierte von 1967 bis 1970 an der HFF München« Und weiter: »München, 24. Januar 2012 – Der Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München Wim Wenders ist mit seinem Film Pina für den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert. Die Academy Awards werden am 26. Februar zum 84. Mal vergeben. ... Wenders war bereits im Jahr 2000 mit seinem Film Buena Vista Social Club für den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert. Am vergangenen Freitag wurde er beim Bayerischen Filmpreis mit dem Ehrenpreis des Ministerpräsidenten ausgezeichnet.«
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Alle lieben Ziemlich beste Freunde, 20 Millionen Franzosen können nicht irren, und wer nicht mitliebt, ist ein schlechter Mensch. Ok, ok. Was an dem Film aber zumindest nervt, ist dass alle immer betonen müssen, WIE toll und liebenswert der Film ist, und überhaupt. Und dass dauernd Unberufene, also keine Filmkritiker, sondern das verdammte normale Publikum in Gestalt verdammt normaler Promis das auch noch verstärken müssen. Ausnahmsweise ist es jetzt mal nicht Amelie Fried, sondern Bestsellerautor Jan Weiler, was auch nicht besser ist, zumal Weiler dann populistisch so einsteigt: »Endlich mal wieder im Kino gewesen. Wir sahen Ziemlich beste Freunde an und fühlten uns gut unterhalten.« und mit dem immerhin seriösen Vorwurf des Rassismus so umgeht: »In dem Film, den ich gesehen habe, gingen so ziemlich alle Pointen auf Kosten des weißen Behinderten und seiner spießigen Umgebung.«
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Wer wissen will, was an dem Film aber vor allem blöd ist, der sollte sich mal mit Produzenten und Verleihern von halbwegs anspruchsvollen Filmen, von sogenanntem Arthouse- und Kunstkino unterhalten. Die erklären einem nämlich, dass die Kinobetreiber, eigentlich keinen anderen Film mehr spielen wollen, als diesen noch wochenlang rauf und runter. Und das darum jeder andere Film, der nicht von Hollywood stammt, in den nächsten Wochen große Probleme hat, gute Kinos und damit Zuschauer zu finden. Ziemlich beste Freunde müllt, mit anderen Worten, die Kinos voll.
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Eine ambivalente Beziehung zwischen Schüler und Lehrer. Das nicht immer der Erwachsene der Verführer sein muss, mag manche provozieren, wirkt in Marco Bergers Film aber alles andere als unrealistisch. Was beginnt wie eine schwule Variante des Lolita-Motivs wird zum Psychothriller. Sebastián ist ein Lehrer, der einfach etwas sensibler is, als andere, und sich daher besonders um seine Schüler kümmert. Aus irgendeinem Grund weckt er Martins Interesse, und der benutzt auch ziemlich unfaire Mittel, um den Lehrer für sich zu gewinnen – obwohl der eigentlich glücklich verlobt ist. So ist Ausente keineswegs eine Love-Story, sondern das Portrait eines zu passiven Mannes, und eine Darstellung der vielschichtigen Bedrohung, die Homosexualität in einer lateinamerikanischen Macho-Gesellschaft bedeutet. Von Martin, dem Stalker, erfährt man zuwenig, um sich wirklich für ihn zu interessieren. Er ist »ausente«, abwesend.
Aussparungen prägen auch das »nuevo cine argentino«, die aktuelle Bewegung des argentinischen Autorenkinos, der Berger zuzurechnen ist. Die Atmosphäre ist wichtiger als die Story und so überzeugt Ausente vor allem als existenzialistisches Drama.
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Anne Sewitskys zweiter Spielfilm Anne liebt Philipp ist zwar ein Kinderfilm, aber da er aus Norwegen stammt, werden sich auch erwachsene Begleiter hier nie langweilen. Der Plot steckt im Titel, entscheidend ist wie bei allen guten Filmen das Wie: Mit schnellem Schnitt, virtuoser Kamera und großartigen Kinderdarstellern wird alles aus der Perspektive der Hauptfigur Anne erzählt, einer ungewöhnlich wachsamen und eigensinnigen Zehnjährigen, die aber auch manche Dummheit macht, die sie selbst später am meisten bereut. Mit bösem Witz wird die Erwachsenenwelt aus Kindersicht geschildert. Falls man es vergaß, wird man erinnert, wie gemein Kinder zueinander sein können, und daran, wie das die Erwachsenen nie verstehen können. Wunderbar an dieser Geschichte vom ersten Verliebt-sein ist, dass sich keines der Kinder so brav und politisch korrekt benimmt, wie neuerdings in vielen deutschen Kinderbüchern und -filmen: Man darf alles essen, rote Haare doof finden und muss sich nicht um die Umwelt kümmern. In seiner antipuritanischen Grundhaltung offenbart sich die Herkunft des Stoffes nach Vigdis Hjorts erfolgreicher Buchvorlage aus den frühen 80er Jahren. Überflüssig sind nur ein paar Klischees, wie die, dass das Kinder-Model auch die Doofe sein muss. Und die Synchronisation ist, wie leider oft, ziemlich blöd.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.