Cinema Moralia – Folge 45
Die Film-Katastrophe |
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Die »Costa Concordia« in Godards Film Socialisme |
Was für ein Zufall, was für ein Zusammenhang! Es hätten tausend Schiffe sein können, die an der italienischen Küste auf Grund gelaufen und katastrophisch gekentert sind. Aber es konnte, in anderem Sinn, eben nur dieses eine sein: Die unglückliche »Costa Concordia« ist nämlich genau jenes Traumschiff, auf dem Jean-Luc Godard seinen wunderschönem Film Socialisme gedreht hat, eine Parabel auf den Fortschrift, die Utopie und ihr Scheitern, und jetzt auch ein Sinnbild des gescheiterten neoliberalen Kapitalismus, des Börsen-Europa. An solchen natürlich ganz zufälligen Zufällen zeigt sich, dass Godard eben ein Genie ist.
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Jeder, wirklich jeder, der noch die Absicht hat, sich Helmut Dietl Zettl anzugucken, soll nicht sagen können, wir hätten ihn nicht gewarnt: Tut es nicht! Nein!! Nein!!! Nein!!!! Der Rest des Films ist genauso originell, wie der Einfall, einen Journalisten Zettl zu nennen, er handelt nicht von Berlin, sondern vom rotweingetränkten Blick aus Münchner Butzenscheiben auf Berlin, er ist ein künstlerischer und, ja auch, intellektueller Offenbarungseid des Regisseurs und des Co-Autors Stuckrad-Barre. Dietl war ja super, gar keine Frage. Vielleicht haben sich aber beide wirklich das Hirn weggekokst? Vielleicht war auch nur das Syndrom am Werk, das sich oft rührt, wenn sich zwei selbstgefällige Alpha-Tiere an eigenen Einfällen hochschaukeln, und die Bodenhaftung verlieren. Zettl ist im Humor der 80er Jahre steckengeblieben, ein lahmer Scheiß, der nie zündet. Und die Allzweckwaffe Bully als Schimmerlos-Ersatz ist, wie schon in Hotel Lux, auch keine Allzweckwaffe mehr. Im Gegenteil. Ein unnötiger Film, ohne Tempo. Und dass er dann in den ARD-Tagesthemen mit Sätzen beworben wird, wie »mit hintergründigem Humor karikiert er den Umgang mit Macht«, »messerscharfe Dialoge«, »fein-hinterhältige Satire«, ist nur grotesk. Da ist nichts fein und nichts hinterhältig. Da sind alle Vorlagen der Wirklichkeit, von Wulff über Guttenberg bis Lafontaine/Wagenknecht, aus Feigheit und/oder Dummheit, rechts und links liegengelassen.
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Besser, wirklich viel besser, ist Tage, die bleiben. Denn wenn ein Mensch stirbt, ist das traurig. Wer es selbst erlebt hat, weiß aber auch, welche albernen und grotesken und auch lustigen Seiten der Tod bei allem Ernst der Situation haben kann, und erst recht das Benehmen der Überlebenden. Um die geht es in Pia Stietmanns Debüt, das durch vieles besticht: Die gute Besetzung ist einer der Trümpfe dieses Films, der ein größere Publikum verdient hat. Denn Familiendramen gibt es zwar (zu) viele im Kino. Doch dieses ist besonders und einfach ein besserer Film über Leere und Verlusterfahrung nach dem Tod eines Familienmitglieds: Nichts ist aufgesetzt, nichts rührselig bei diesem Film, der unprätentiös von einer Familie erzählt, in der die Mutter, die vieles zusammengehalten und »abgefangen« hat, plötzlich bei einem Autounfall stirbt. Der Vater hat eine Geliebte, die Kinder anderes im Kopf – und diese Situation, wie all das Unausgesprochene, das nicht nur zu »dysfunktionalen« Familien gehört, tritt jetzt zutage. Max Riemelt, Götz Schubert, Mathilde Bundschuh und Lena Stolze spielen die Hauptrollen bei diesem Film, dessen Starttermin die Gemeinsamkeiten mit Alexander Paynes The Descendants noch deutlicher zutage treten lässt, ebenso wie die Unterschiede zwischen amerikanischem und europäischem Filmemachen. Stietmann braucht diesen Vergleich nicht zu scheuen.
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Dieter Kosslick zeigt sichtbar Wirkung. »Er hat Kreide gefressen«, sagt eine Kollegin über den Direktor der Berlinale, als wäre er der böse Wolf im Märchen. Dabei hat Dieter Kosslick nur seine Performance etwas gedämpft: Er hat auf den Schwachsinns-Moderator vom Sponsor RBB mit seinem marktschreierischen Gebrauchtwarenhändlerjargon verzichtet, und stellt das Programm vor, ohne Namen falsch auszusprechen, Jurymitglieder mit »wir hatten ja schon einmal eine ›Berlinackte‹« anzukündigen und Filme zu vergessen. Die Bilanz eine Woche vor Beginn der Berlinale kann trotzdem auch auf dem Papier nicht überzeugen: Nur 18 Wettbewerbsfilme, vor zehn Jahren, als Kosslick hier antrat, waren es 30. Und wenn sie so sind wie in den letzten acht Jahren, muss man Schlimmes befürchten.
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In ein paar Tagen, am 14. Februar, wird Alexander Kluge 80 Jahre alt. Man würdigt diesen größten Lebenden des deutschen Kinos am besten damit, dass man seine Filme und Sendungen anguckt. Am Sonntagnacht kam wieder etwas Besonderes auf »News & Stories«: Das Zugunglück von Hordorf. Es ging um eine Zugkatastrophe, und deren Bewältigung. Da trifft sich Kluge mit seinem Bruder im Geiste, Godard, an ihrem Interesse für Katastrophen. Dazwischen liegt die Berlinale.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.