26.07.2012
Cinema Moralia – Folge 50

Wenn das Kino zur Welt kommt

The Dark Knight Rises
Die tiefe und sehr komplexe Symbiose von Film & Verbrechen
(Foto: Warner Bros. Entertainment GmbH)

Traum und Trauma: Die Morde im Kino von Denver erzählen uns etwas über das Verhältnis von Ernst und Entertainment und zeigen: Unterhaltungskino ist das ins Bild gesetzte Unterbewusstsein des Zeitalters – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 50. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Auch Unter­hal­tungs­kino ist nie bloße Unter­hal­tung, und was als welt­flüch­tiges Spektakel gedacht war, kann spek­ta­kulär in die Welt zurück­schlagen. Wer wie wir viel ins Kino geht, wusste das schon immer, und es war so gesehen wohl auch etwas naiv von uns, dann umgekehrt so darüber zu staunen, dass die Welt­hal­tig­keit und -nähe des Kinos andere Menschen noch über­ra­schen könnte, dass sie wirklich den Lügen des Marketing glauben konnten, Kino sei doch nur Unter­hal­tung und nichts au ßerdem. Das ist es nie gewesen.

Auf schreck­lichste Weise mussten dies jetzt der britische Regisseur Chris­to­pher Nolan und seine Fans erfahren: Was als fröhliche Premiere von Batman: The Dark Knight Rises, als Party mit abgrün­digem Action­spaß gedacht war, wurde durch die Morde in einem Premie­ren­kino in der US-Klein­stadt Aurora blutiger Ernst.
Die Ereig­nisse sind eine Tragödie auch für den Regisseur und sein Team –zugleich kann, wer den Film kennt nicht absehen vom Gedanken, ob der Irrsinn eines Einzelnen nicht doch etwas zu tun habe mit dem Vergnügen der Massen um jeden Preis, einem Vergnügen, das keine Grenzen zu kennen scheint, bevor diese ihm nicht mit Gewalt aufge­zeigt werden.

Nolan hat natürlich einen visuellen Reso­nanz­raum geschaffen, der zur Iden­ti­fi­ka­tion einlädt

Die Frage wurde schon bei anderen, verwandten Gele­gen­heiten – Columbine, Erfurt, Winnenden, aber auch den Atten­taten von 9/11, die den Welt­zer­störungs­block­bus­tern eines Roland Emmerich und anderer zum Verwech­seln ähnlich sahen –immer wieder gestellt: Sind die Filme schuld an Gewalt, lädt der ästhe­ti­sche Exzess ein zum mora­li­schen?
Man muss das klar verneinen, denn diese Frage ist zu primitiv gestellt.

Auf tiefere, komple­xere Weise sind Film und Verbre­chen aber eng mitein­ander verbunden. Denn zum einen hat Nolan mit seinen drei BATMAN-Filmen natürlich einen visuellen Reso­nanz­raum geschaffen, der auch Krimi­nelle und Irre wie den Täter von Aurora in einer Weise zur Iden­ti­fi­ka­tion einlädt, wie das ein Film von Godard nie würde, obwohl der Franzose auch schon von Terro­risten und Mördern erzählt hat. Ande­rer­seits aber macht Nolan in The Dark Knight Rises auch genau den Zustand einer Gesell­schaft zum Thema, in der zum Beispiel ein Massen­mörder wie der von Aurora gedeiht. Dieser Film und sein Regisseur sind so intel­li­gent, dass sie ihre eigenen Entste­hungs- und Wirkungs­be­din­gungen immer schon mitre­flek­tieren.

Überhaupt ist Kino eben auch dort, wo es Massen­en­ter­tain­ment sein möchte, Kunst –gute oder viel­leicht auch schlechte, aber eben ein Medium, in dem die Gesell­schaft mit sich selbst kommu­ni­ziert und sich wieder­erkennt. So erzählt uns auch The Dark Knight Rises Dinge, die wir gar nicht über uns wissen wollten. Und führt uns ins Herz der Fins­ternis unserer Selbst, lässt uns in die Abgründe der Gegenwart blicken, zu denen die Alltäg­lich­keit des Massen­mords, ob in Syrien, in Afgha­ni­stan, oder eben in Aurora leider auch gehört.

Der Terror von Aurora wirkt wie eine –perverse –Bestä­ti­gung von Nolans Befund

Nolans Film ist eine Deka­denz­studie. Er ist ernst, kühl, stock­finster. Er ist böse in seiner Diagnose. Der Terror von Aurora wirkt im Angesicht dessen nur noch wie eine – perverse – Bestä­ti­gung von Nolans Befund. Es ist Unter­hal­tungs­kino eben nicht nur als bloße Unter­hal­tung, sondern als das ins Bild gesetzte Unter­be­wusst­sein des Zeital­ters. Die Bilder auf der Leinwand wissen schon seit den Monstern des Expres­sio­nismus, seit Caligari, Nosferatu und Mabuse mehr über uns, als wir selbst.

Aber Vorsicht: Hüten wir uns vor Kroko­dils­tränen. Man könne jetzt keine Film­kritik schreiben, meinen viele in diesen Tagen. Warum eigent­lich? Film­kritik handelt auch von Gesell­schaft und Gewalt und der Welt, in der die Filme gezeigt und gesehen werden. Ein Film­kri­tiker von Rang, das schrieb bereits Siegfried Kracauer vor zwei Gene­ra­tionen, müsse auch ein Gesell­schafts­kri­tiker von Rang sein. Also: Gerade jetzt kann man, muss man Film­kritik betreiben, und nicht nur jenes Marketing-Wohlfühl-Blabla, das sich als solche ausgibt. Man kann und muss erklären, was dieser Film mit unserer Epoche, was die Morde mit dem Film und was die Epoche mit den Morden zu tun hat. Man muss die Sprache pflegen, die Arbeit am Gedanken. Darum zum Beispiel, dies nur am Rande, handelt es sich bei dem Täter von Denver eben nicht um einen »Amokläufer«, auch wenn das jetzt überall steht. Denn wenn einer mona­te­lang Mord­geräte im Internet bestellt, dann läuft er nicht Amok, sondern plant kalt­blütig einen Massen­mord.

Blicken wir den Dingen auch ansonsten ehrlich ins Auge, blicken wir in den Spiegel: In drei, vier Wochen knallt der nächste Action-Thriller-Horror-Block­buster in die Kinos: Und dann, spätes­tens mit Prome­theus, wird keiner mehr von Aurora reden. Dann wird keiner mehr Angst vor diesem Batman-Film haben, keine Sicher­heits­leute werden mehr in den Kinos patrouil­lieren, um die Konsu­menten zu beruhigen und ungestört konsu­mieren zu lassen. So sind die Medien, sagen dazu jetzt viele. Nein: So sind die Menschen. Sie haben nur die Medien und die Filme, die sie verdienen.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.