Kinos in München – Das Cinema
Das Cinema |
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Bereit zum Abheben in eine andere Dimension: Das Cinema in der Nymphenburger Straße |
Von Dunja Bialas & Teresa Lemme
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es einmal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir die Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Das Cinema ist für alle diejenigen Kinoheimat, die das »Oringinal« wollen. Alle, die bei synchronisierten Filmen wegen komischer Sprechweisen schmerzhaft das Gesicht verziehen, denen zu viele Witze in der Übersetzung hängen bleiben oder die lieber die echten Stimmen der großen Hollywood-Stars zum authentischen Bild hören wollen, gehen in das Kino, in dem die englischsprachigen Kinofilme im Original zu sehen sind. Die Besucher, das sind Studenten oder solche, die in ihren 20er
Jahren mit den Originalfilmen für das Kino kulturalisiert wurden, und es sind viele, die von außerhalb des deutschen Sprachraums kommen und daran gewöhnt sind, Filme in der Originalsprache zu sehen. Sie alle zieht es ins Cinema.
Wir haben dem Cimema einen Besuch abgestattet und den Betreiber Dieter Buchwald getroffen, der uns Einblicke in die bewegte Geschichte seines Kinos gewährt hat, die das Cinema noch ein bisschen liebenswerter machen. Das Kino zu leiten ist für ihn ein Beruf,
dem er mit der Leidenschaft eines Berufenen nachgeht und zugleich mit dem großen Spaß, das andere nur in der Freizeit haben. Der Beruf als Leidenschaft? »Sonst würde ich das mit 72 nicht immer noch machen«, sagt Buchwald und blinzelt verschmitzt mit seinen wasserblauen Augen. Dass hinter der Arbeit fürs Kino eine echte love affair steckt, sieht man im an, während er mit bedächtig stolzem Lächeln uns sein Kino vorführt.
Wir betreten den einzigen Saal, den das Kino hat – das Cinema ist ein »Ein-Leinwand-Kino«. Dies bedeutet ein gewisses programmatisches Risiko, das das Cinema eingegangen ist, mehr noch als andere Ein-Leinwand-Kinos, die nicht mit der Fremdsprachenbarriere umgehen müssen, und die aus einem viel größeren Pool von angebotenen Filmen schöpfen können. Es braucht programmatisches Geschick, diesen einen Saal gut zu bespielen und ein gewisses Glück, welche Filme sich gerade in der Originalsprache anbieten. Und es braucht, das wird uns bei unserem Besuch klar, noch ein anderes Alleinstellungsmerkmal als nur die Fremdsprachigkeit. Und hier wird es richtig spannend. Der Kinosaal ist rundum mit hellem Holz getäfelt, überall sind kleine Lautsprecher eingelassen, hinten an der Decke können wir eine regelrechte Lautsprecher-Batterie ausmachen, die mehr an Orgelpfeifen erinnert als an die »amateurhaften Lautsprecherboxen«, über die Buchwald lästert, wenn er seine Sound-Installation mit der Einrichtung anderer Kinos vergleicht. Die aufwendige Holzvertäfelung, so erklärt uns Buchwald, der in seinem Leben auch schon das IMAX-Kino betrieben hat, garantiert einen exzellenten Sound, was gleichzeitig bedeutet: Man versteht jedes Wort gut und deutlich, das auf der Leinwand gesprochen wird. Diese hohe Tonqualität ist deshalb so entscheidend, weil sie sich direkt auf das Hörverständnis der englischen Dialoge auswirkt – nur ein kleiner Anteil der Besucher sind »native speaker«. Man solle keine Angst haben, in der Originalsprache nichts zu verstehen, betont Buchwald, bei ihm werden die Worte so gut wiedergegeben, dass man auch bei nicht so guten Sprachkenntnissen weit mehr versteht als man sich vorher zugetraut hätte.
»Die Tonunterschiede hören die Leute«, davon ist Buchwald überzeugt. Seine Aufmerksamkeit gegenüber dem Ton brachte den Münchnern das erste Kino deutschlandweit, das mit THX aufwarten konnte. Wir lesen später auf Wikipedia unter dem Stichwort »THX« nach: »Unterwerfen müssen sich diesen Normen nicht nur die eingesetzte Technik, sondern auch die Räumlichkeiten, da deren Beschaffenheit einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Tönen hat.« Bei THX also geht es nicht zwingend nur um Technik (und schon gar nicht um eine bestimmte THX-Technik), es geht um ein Raumerlebnis, das entscheidend ist, will man das Zertifikat vom THX-Erfinder George Lucas erhalten. 1989/1990 gab es den großen Umbau des Cinemas, bei dem Buchwald den recht angeschmuddelten Saal in einen regelrechten Konzertsaal verwandelte – die nicht nach optischen, sondern akustischen Gesichtspunkten angebrachte Holzvertäfelung wurde von derselben Firma erstellt, die auch die Philharmonie im Gasteig mit Holz verkleidet hat.
Die Marketing-Chefin von George Lucs kam höchstpersönlich in die Nymphenburger Straße 31 und erstellte das Zertifikat. Die gesamte Soundanlage wird seitem mindestens alle 4 Jahre neu getuned und eingestellt. Wir haben bei unserem Besuch im Cinema-Konzertsaal tatsächlich das Gefühl, mitten im Sound zu stehen und alles ganz klar zu hören, als ob es ganz ruhig wäre und nur der Sound auf uns zukäme. Wenn jetzt eine Stecknadel auf der Leinwand fallen würde, sind wir uns sicher, würden wir es hören. Und dabei ist der Sound nicht einmal sonderlich laut.
Buchwald reißt uns aus unserer Andacht heraus und führt uns noch auf den Balkon. Jetzt wird deutlich, wie sehr es ihm bei allen Gesichtpunkten um einen hohen Qualitätsstandard geht: Hier auf dem Balkon, der mit einem kleinen Aufpreis auf den Kinoeintritt betreten werden kann, fühlt man sich wie beim Upgrade im Flugzeug von Economy zu Business. Im Gegensatz zu den Plätzen im Parkett sind die Sitze hier extra breit, aus anschmiegsamem Leder. Man hat mehr Beinfreiheit und durch die begrenzte Zahl der Sitze ein Gefühl von kompletter Exklusivität. Die Leute lieben die Premium-Lounge, und Buchwald bedauert, nicht mehr Platz für die Erweiterung des Luxusabteils zu haben. Aber auch auf den »billigen Plätzen« lässt sich’s gut sitzen: Buchwald – der trotz oder wegen seiner Technik-Begeisterung unbedingt von Beginn an mit einem Vorurteil ausräumen will: »Ich bin kein Freak!« – lässt regelmäßig die Sitze aufpolstern.
Im Kino-Konzertsaal
Seit 37 Jahren schon leitet der promovierte technische Diplomvolkswirt das Cinema. In den Anfangsjahren, als sich die Besucherzahlen noch nicht auf mehr als 25 pro Tag beliefen, wurde allerdings nur Repertoire gespielt: schon leicht abgestandene Filme, die all jene Kinos spielen durften, die nicht das Siegel »Erstaufführungskino« hatten. Noch Anfang der 1990er Jahre waren das in München nicht mehr als sechs Kinos, eine Zahl, die absurd anmutet und mit einem Kriterium zu tun hatte, das sich allein aus dem Stadtplan generierte: Nur die Kinos in der Innenstadt durften Filme in Erstaufführung zeigen, die anderen hatten das Nachsehen und konnten aktuelle Filme erst dann übernehmen, wenn sie komplett abgenudelt waren. Die verlorene Ehre der Katharina Blum, erzählt uns Buchwald, bekam er erst sage und schreibe in der 17. Woche nach Kinostart überlassen – ein Umstand, der keines der nicht innenstädtischen Kinos wirklich attraktiv machen konnte.
Angesichts zurückgehender Besucherzahlen schloss sich Buchwald mit anderen Kinobetreibern zusammen, und gemeinsam zogen sie Ende der 1980er Jahre vor das Kartellgericht und klagten gegen die Verleihpraxis, immer nur die gleichen Kinos zu beliefern und trotz großer Erfolge, die das Cinema bei den wenigen Erstaufführungen, die es ergattert hatte, nicht mit in den Kreis der Erstaufführungen aufzunehmen. 1991 wurde dann Recht gesprochen, seit 1992 gibt es den sogenannten »Cinema-Fall«, der der ungleichen Behandlung durch die Verleiher einen Endpunkt setzte. Seitdem ist das Cinema ein Erstaufführungskino und spielt in der ersten Kino-Liga.
Buchwald hatte in der Zwischenzeit schon umgebaut, und ihm war klar: auch in der ersten Liga gilt es, um Filme zu kämpfen. »Geh in die Nische«, sagte er sich deshalb 1992, »und die Nische heißt: Spiel Englisch!« Fortan schöpfte er aus dem vergleichsweise großen Angebot der englischsprachigen Originalfilme.
Erstaufführungskino zu sein, heißt Primärkopien zu bekommen, ein Umstand, der in der noch gar nicht so lange zurückliegenden Analog-Projektion von 35mm immens bedeutend ist. Noch glücklicher kann sich derjenige schätzen, der die Erstaufführungen in der Originalsprache sieht: »Die Filmkopien sind dann noch näher dran am Negativ«, erklärt uns Buchwald, ganz ohne Laufstreifen und in einer exzellenten Bildqualität. Nur zum Vergleich: eine gute Startkopie habe 3,7K, die meisten digitalen Projektoren, die heute zum Einsatz kommen, haben eine 2K-Auflösung. Dennoch war Buchwald das erste Kino in München, das sich einen digitalen Projektor zulegte. »Das lag an meinen Kontakten zu den USA«, erzählt er, und an seiner Technikaufmerksamkeit, die er durch das IMAX mitbekommen hatte. »Der Wechsel, der kommen würde, war mir früh deutlich.« Bei den ersten digitalen Projektionen wurde der 35mm-Projektor als Backup eingesetzt, damit es zu keinen störenden Pannen kommen konnte. Heute wird meist digital projiziert, aber wirklich entscheidend wird die neue Technik, um 3D zu projizieren, darin sieht Buchwald den eigentlichen Sinn. Avatar war ein Erlebnis im Cinema, und damit sind nicht nur die hervorragenden Zuschauerzahlen gemeint.
Aber, es geht natürlich auch um die Zuschauerzahlen. In einem Jahr wie 2012, wo zuerst die Fußball-EM die Verleiher dazu bringt, Filme zurückzuhalten, dann der Sommer kommt, in dem gewohnheitsmäßig keine nennenswerten Filmstarts gewagt werden und dann auch noch zusätzlich die Olympischen Spielen abgehalten werden, muss schon auf die Gesamtjahresbilanz geguckt werden, damit die Laune gut bleibt. Buchwald bietet seinem Publikum deshalb auch keinen reinen Arthouse an. »Upper-Mainstream«, so bezeichnet er sein Programm, irgendwo auf der guten Seite, und trotzdem das, was eher viele sehen wollen. Die Konkurrenz durch DVD und Internet aber glaubt Buchwald zu spüren. Die Filmstarts in Deutschland, mit denen erst auch die Kopien für die Originalsprache rausgerückt werden, erfolgen oft erst ein Jahr nach dem Start des Filmes im Herkunftsland. Bis dahin haben die Cineasten sich oft schon die DVD besorgt, oder einen Stream im Internet gefunden – die Neugier nach dem Film ist jedenfalls schon abgeflaut. Wenn doch der Start der Originalfilme in Deutschland sich nach der internationalen Premiere richten könnte! Dies jedenfalls wäre Buchwalds Wunsch, um diese Benachteiligung zu umgehen – und um seinen Zuschauern das bieten zu können, was er von seinem Kino in technischer Hinsicht verlangt: auch im Programm mit exklusiver Premium-Qualität aufwarten zu können.
Einen Vorstoß aber hat Buchwald schon gewagt, und hier hat ihm die Technik geholfen: Er ist mit seinem Kino bei Live-Übertragungen bei der Metropolitain Oper oder dem National Theater London dabei. Ein ganz neues Publikum kommt da in den ohnehin schon konzertanten Kinosaal, eigentlich ein kinofremdes, auch betagteres, das aus dem Cinema eine echte Konkurrenz zur Gasteig-Philharmonie werden lässt. Und anders als in der Philharmonie im Gasteig, die ja gerade mit Diskussionen um Saal-Alternativen belegt wird, ist die Akustik im Cinema immer noch mehr als beeindruckend. Wie wird es also weitergehen? Einen Nachfolger hat Buchwald schon im Blick. Und, angesichts der Schließungen, die das Atlantis und Filmcasino im letzten Jahr erfuhren: »Die Fläche für einen Supermarkt ist zu klein«, sagt er, ganz Realist, das hat er schon ausgemessen, Büros gibt es ohnehin genug, und ein Loft im Erdgeschoss scheidet ja ebenfalls aus. Vielleicht, so unser Gedanke, gibt es ja irgendwann einen 2. Cinema-Fall, wenn sich das Cinema erkämpft haben wird, dass originalsprachige Filme beim Start vorgezogen werden können. Ein Pionier mit Visionen ist das Cinema ja allemal, auf allen Ebenen.