12.09.2012
Kinos in München – Das Cinema

Das Cinema

Das Cinema in der Nymphenburger Straße
Bereit zum Abheben
in eine andere Dimension:
Das Cinema
in der Nymphenburger Straße

Cinema – Das Münchner Original

Von Dunja Bialas & Teresa Lemme

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es einmal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir die Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Das Cinema ist für alle dieje­nigen Kino­heimat, die das »Oringinal« wollen. Alle, die bei synchro­ni­sierten Filmen wegen komischer Sprech­weisen schmerz­haft das Gesicht verziehen, denen zu viele Witze in der Über­set­zung hängen bleiben oder die lieber die echten Stimmen der großen Hollywood-Stars zum authen­ti­schen Bild hören wollen, gehen in das Kino, in dem die englisch­spra­chigen Kinofilme im Original zu sehen sind. Die Besucher, das sind Studenten oder solche, die in ihren 20er Jahren mit den Origi­nal­filmen für das Kino kultu­ra­li­siert wurden, und es sind viele, die von außerhalb des deutschen Sprach­raums kommen und daran gewöhnt sind, Filme in der Origi­nal­sprache zu sehen. Sie alle zieht es ins Cinema.
Wir haben dem Cimema einen Besuch abge­stattet und den Betreiber Dieter Buchwald getroffen, der uns Einblicke in die bewegte Geschichte seines Kinos gewährt hat, die das Cinema noch ein bisschen liebens­werter machen. Das Kino zu leiten ist für ihn ein Beruf, dem er mit der Leiden­schaft eines Berufenen nachgeht und zugleich mit dem großen Spaß, das andere nur in der Freizeit haben. Der Beruf als Leiden­schaft? »Sonst würde ich das mit 72 nicht immer noch machen«, sagt Buchwald und blinzelt verschmitzt mit seinen wasser­blauen Augen. Dass hinter der Arbeit fürs Kino eine echte love affair steckt, sieht man im an, während er mit bedächtig stolzem Lächeln uns sein Kino vorführt.

Der Ton macht den Film

Wir betreten den einzigen Saal, den das Kino hat – das Cinema ist ein »Ein-Leinwand-Kino«. Dies bedeutet ein gewisses program­ma­ti­sches Risiko, das das Cinema einge­gangen ist, mehr noch als andere Ein-Leinwand-Kinos, die nicht mit der Fremd­spra­chen­bar­riere umgehen müssen, und die aus einem viel größeren Pool von ange­bo­tenen Filmen schöpfen können. Es braucht program­ma­ti­sches Geschick, diesen einen Saal gut zu bespielen und ein gewisses Glück, welche Filme sich gerade in der Origi­nal­sprache anbieten. Und es braucht, das wird uns bei unserem Besuch klar, noch ein anderes Allein­stel­lungs­merkmal als nur die Fremd­spra­chig­keit. Und hier wird es richtig spannend. Der Kinosaal ist rundum mit hellem Holz getäfelt, überall sind kleine Laut­spre­cher einge­lassen, hinten an der Decke können wir eine regel­rechte Laut­spre­cher-Batterie ausmachen, die mehr an Orgel­pfeifen erinnert als an die »amateur­haften Laut­spre­cher­boxen«, über die Buchwald lästert, wenn er seine Sound-Instal­la­tion mit der Einrich­tung anderer Kinos vergleicht. Die aufwen­dige Holz­ver­tä­fe­lung, so erklärt uns Buchwald, der in seinem Leben auch schon das IMAX-Kino betrieben hat, garan­tiert einen exzel­lenten Sound, was gleich­zeitig bedeutet: Man versteht jedes Wort gut und deutlich, das auf der Leinwand gespro­chen wird. Diese hohe Tonqua­lität ist deshalb so entschei­dend, weil sie sich direkt auf das Hörver­s­tändnis der engli­schen Dialoge auswirkt – nur ein kleiner Anteil der Besucher sind »native speaker«. Man solle keine Angst haben, in der Origi­nal­sprache nichts zu verstehen, betont Buchwald, bei ihm werden die Worte so gut wieder­ge­geben, dass man auch bei nicht so guten Sprach­kennt­nissen weit mehr versteht als man sich vorher zugetraut hätte.

»Die Tonun­ter­schiede hören die Leute«, davon ist Buchwald überzeugt. Seine Aufmerk­sam­keit gegenüber dem Ton brachte den Münchnern das erste Kino deutsch­land­weit, das mit THX aufwarten konnte. Wir lesen später auf Wikipedia unter dem Stichwort »THX« nach: »Unter­werfen müssen sich diesen Normen nicht nur die einge­setzte Technik, sondern auch die Räum­lich­keiten, da deren Beschaf­fen­heit einen entschei­denden Einfluss auf die Wahr­neh­mung von Tönen hat.« Bei THX also geht es nicht zwingend nur um Technik (und schon gar nicht um eine bestimmte THX-Technik), es geht um ein Raum­er­lebnis, das entschei­dend ist, will man das Zerti­fikat vom THX-Erfinder George Lucas erhalten. 1989/1990 gab es den großen Umbau des Cinemas, bei dem Buchwald den recht ange­schmud­delten Saal in einen regel­rechten Konzert­saal verwan­delte – die nicht nach optischen, sondern akus­ti­schen Gesichts­punkten ange­brachte Holz­ver­tä­fe­lung wurde von derselben Firma erstellt, die auch die Phil­har­monie im Gasteig mit Holz verkleidet hat.

Die Marketing-Chefin von George Lucs kam höchst­per­sön­lich in die Nymphen­burger Straße 31 und erstellte das Zerti­fikat. Die gesamte Sound­an­lage wird seitem mindes­tens alle 4 Jahre neu getuned und einge­stellt. Wir haben bei unserem Besuch im Cinema-Konzert­saal tatsäch­lich das Gefühl, mitten im Sound zu stehen und alles ganz klar zu hören, als ob es ganz ruhig wäre und nur der Sound auf uns zukäme. Wenn jetzt eine Steck­nadel auf der Leinwand fallen würde, sind wir uns sicher, würden wir es hören. Und dabei ist der Sound nicht einmal sonder­lich laut.

Buchwald reißt uns aus unserer Andacht heraus und führt uns noch auf den Balkon. Jetzt wird deutlich, wie sehr es ihm bei allen Gesicht­punkten um einen hohen Quali­täts­stan­dard geht: Hier auf dem Balkon, der mit einem kleinen Aufpreis auf den Kino­ein­tritt betreten werden kann, fühlt man sich wie beim Upgrade im Flugzeug von Economy zu Business. Im Gegensatz zu den Plätzen im Parkett sind die Sitze hier extra breit, aus anschmieg­samem Leder. Man hat mehr Bein­frei­heit und durch die begrenzte Zahl der Sitze ein Gefühl von kompletter Exklu­si­vität. Die Leute lieben die Premium-Lounge, und Buchwald bedauert, nicht mehr Platz für die Erwei­te­rung des Luxus­ab­teils zu haben. Aber auch auf den »billigen Plätzen« lässt sich’s gut sitzen: Buchwald – der trotz oder wegen seiner Technik-Begeis­te­rung unbedingt von Beginn an mit einem Vorurteil ausräumen will: »Ich bin kein Freak!« – lässt regel­mäßig die Sitze aufpols­tern.

Im Kino-Konzert­saal

Vom Reper­toire in die erste Liga

Seit 37 Jahren schon leitet der promo­vierte tech­ni­sche Diplom­volks­wirt das Cinema. In den Anfangs­jahren, als sich die Besu­cher­zahlen noch nicht auf mehr als 25 pro Tag beliefen, wurde aller­dings nur Reper­toire gespielt: schon leicht abge­stan­dene Filme, die all jene Kinos spielen durften, die nicht das Siegel »Erst­auf­füh­rungs­kino« hatten. Noch Anfang der 1990er Jahre waren das in München nicht mehr als sechs Kinos, eine Zahl, die absurd anmutet und mit einem Kriterium zu tun hatte, das sich allein aus dem Stadtplan gene­rierte: Nur die Kinos in der Innen­stadt durften Filme in Erst­auf­füh­rung zeigen, die anderen hatten das Nachsehen und konnten aktuelle Filme erst dann über­nehmen, wenn sie komplett abge­nu­delt waren. Die verlorene Ehre der Katharina Blum, erzählt uns Buchwald, bekam er erst sage und schreibe in der 17. Woche nach Kinostart über­lassen – ein Umstand, der keines der nicht innen­s­täd­ti­schen Kinos wirklich attraktiv machen konnte.

Ange­sichts zurück­ge­hender Besu­cher­zahlen schloss sich Buchwald mit anderen Kino­be­trei­bern zusammen, und gemeinsam zogen sie Ende der 1980er Jahre vor das Kartell­ge­richt und klagten gegen die Verleih­praxis, immer nur die gleichen Kinos zu beliefern und trotz großer Erfolge, die das Cinema bei den wenigen Erst­auf­füh­rungen, die es ergattert hatte, nicht mit in den Kreis der Erst­auf­füh­rungen aufzu­nehmen. 1991 wurde dann Recht gespro­chen, seit 1992 gibt es den soge­nannten »Cinema-Fall«, der der unglei­chen Behand­lung durch die Verleiher einen Endpunkt setzte. Seitdem ist das Cinema ein Erst­auf­füh­rungs­kino und spielt in der ersten Kino-Liga.

Buchwald hatte in der Zwischen­zeit schon umgebaut, und ihm war klar: auch in der ersten Liga gilt es, um Filme zu kämpfen. »Geh in die Nische«, sagte er sich deshalb 1992, »und die Nische heißt: Spiel Englisch!« Fortan schöpfte er aus dem vergleichs­weise großen Angebot der englisch­spra­chigen Origi­nal­filme.

Augen auf beim Bild

Erst­auf­füh­rungs­kino zu sein, heißt Primär­ko­pien zu bekommen, ein Umstand, der in der noch gar nicht so lange zurück­lie­genden Analog-Projek­tion von 35mm immens bedeutend ist. Noch glück­li­cher kann sich derjenige schätzen, der die Erst­auf­füh­rungen in der Origi­nal­sprache sieht: »Die Film­ko­pien sind dann noch näher dran am Negativ«, erklärt uns Buchwald, ganz ohne Lauf­streifen und in einer exzel­lenten Bild­qua­lität. Nur zum Vergleich: eine gute Start­kopie habe 3,7K, die meisten digitalen Projek­toren, die heute zum Einsatz kommen, haben eine 2K-Auflösung. Dennoch war Buchwald das erste Kino in München, das sich einen digitalen Projektor zulegte. »Das lag an meinen Kontakten zu den USA«, erzählt er, und an seiner Tech­nik­auf­merk­sam­keit, die er durch das IMAX mitbe­kommen hatte. »Der Wechsel, der kommen würde, war mir früh deutlich.« Bei den ersten digitalen Projek­tionen wurde der 35mm-Projektor als Backup einge­setzt, damit es zu keinen störenden Pannen kommen konnte. Heute wird meist digital proji­ziert, aber wirklich entschei­dend wird die neue Technik, um 3D zu proji­zieren, darin sieht Buchwald den eigent­li­chen Sinn. Avatar war ein Erlebnis im Cinema, und damit sind nicht nur die hervor­ra­genden Zuschau­er­zahlen gemeint.

Fußball und Kino

Aber, es geht natürlich auch um die Zuschau­er­zahlen. In einem Jahr wie 2012, wo zuerst die Fußball-EM die Verleiher dazu bringt, Filme zurück­zu­halten, dann der Sommer kommt, in dem gewohn­heits­mäßig keine nennens­werten Film­starts gewagt werden und dann auch noch zusätz­lich die Olym­pi­schen Spielen abge­halten werden, muss schon auf die Gesamt­jah­res­bi­lanz geguckt werden, damit die Laune gut bleibt. Buchwald bietet seinem Publikum deshalb auch keinen reinen Arthouse an. »Upper-Main­stream«, so bezeichnet er sein Programm, irgendwo auf der guten Seite, und trotzdem das, was eher viele sehen wollen. Die Konkur­renz durch DVD und Internet aber glaubt Buchwald zu spüren. Die Film­starts in Deutsch­land, mit denen erst auch die Kopien für die Origi­nal­sprache raus­gerückt werden, erfolgen oft erst ein Jahr nach dem Start des Filmes im Herkunfts­land. Bis dahin haben die Cineasten sich oft schon die DVD besorgt, oder einen Stream im Internet gefunden – die Neugier nach dem Film ist jeden­falls schon abgeflaut. Wenn doch der Start der Origi­nal­filme in Deutsch­land sich nach der inter­na­tio­nalen Premiere richten könnte! Dies jeden­falls wäre Buchwalds Wunsch, um diese Benach­tei­li­gung zu umgehen – und um seinen Zuschauern das bieten zu können, was er von seinem Kino in tech­ni­scher Hinsicht verlangt: auch im Programm mit exklu­siver Premium-Qualität aufwarten zu können.

Cine-Opera

Einen Vorstoß aber hat Buchwald schon gewagt, und hier hat ihm die Technik geholfen: Er ist mit seinem Kino bei Live-Über­tra­gungen bei der Metro­po­li­tain Oper oder dem National Theater London dabei. Ein ganz neues Publikum kommt da in den ohnehin schon konzer­tanten Kinosaal, eigent­lich ein kino­fremdes, auch betag­teres, das aus dem Cinema eine echte Konkur­renz zur Gasteig-Phil­har­monie werden lässt. Und anders als in der Phil­har­monie im Gasteig, die ja gerade mit Diskus­sionen um Saal-Alter­na­tiven belegt wird, ist die Akustik im Cinema immer noch mehr als beein­dru­ckend. Wie wird es also weiter­gehen? Einen Nach­folger hat Buchwald schon im Blick. Und, ange­sichts der Schließungen, die das Atlantis und Film­ca­sino im letzten Jahr erfuhren: »Die Fläche für einen Super­markt ist zu klein«, sagt er, ganz Realist, das hat er schon ausge­messen, Büros gibt es ohnehin genug, und ein Loft im Erdge­schoss scheidet ja ebenfalls aus. Viel­leicht, so unser Gedanke, gibt es ja irgend­wann einen 2. Cinema-Fall, wenn sich das Cinema erkämpft haben wird, dass origi­nal­spra­chige Filme beim Start vorge­zogen werden können. Ein Pionier mit Visionen ist das Cinema ja allemal, auf allen Ebenen.