63. Berlinale 2013
Kunst kommt von Machen |
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Side Effects: einfach Kunst | ||
(Foto: Senator) |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
»Everything has to be made. And it needs to be made by someone.« Nichts ist in der Welt, was nicht zuvor von jemandem gemacht wurde. So heißt es in Maladies – einem Film, der genau dieses Prinzip selbst schön illustriert: Kunst will erst einmal gemacht sein, bevor man sich Gedanken darüber macht. Wie dieses Urteil letztlich ausfällt, sollte für den Herstellungsprozeß vorerst irrelevant sein.
Wir können nicht ehrlich behaupten, dass wir Maladies im engeren Sinne verstanden hätten – aber wir haben uns letztlich doch darüber gefreut. Catherine Keener und James Franco spielen quasi Versionen von sich selbst, die in New York (oder ist es Kalifornien?) über Kunst und Träume reden, versuchen Kunst zu machen, und mit ihren Eigenarten zu Rande zu kommen. Der Autor und Regisseur »Carter« – schon durch seinen Verzicht auf einen Vor- oder Nachnamen unter akutem Kunstverdacht – spielt nicht mit,
er stellt sich statt dessen mittels des Films selbst dar. Zugegeben, alles eher surreal-verquast, vieles eher Selbstgespräch der Stimmen im Kopf des Filmemachers als Dialog mit dem Publikum. Aber über weite Strecken zieht er einen doch in seinen Gedankenfluss.
Er ist eine dieser flüchtigen Begegnungen mit einer fremden Persönlichkeit, ein Einblick in das, was sie umtreibt. Wie weit verbreitet der Ausdrucksdrang der Menschen ist, wird einem auf Filmfesten erst recht wieder bewusst. Diese Hoffnung, jemanden zu finden, der einem zuhört, erfüllt sich dort oft selbst für den Verschrobendsten. Auch wenn dem Werk nur eine Handvoll Verständnis entgegenbringt.
Joseph Gordon-Levitt rät, einfach die eigene Kunst zu machen, ohne lange zu zaudern und in Selbstzweifeln zu verharren. Diese Einstellung merkt man an seinem persönlichen Sprung ins kalte Wasser: Don Jon’s Addiction, bei dem der Schauspieler zum ersten Mal selbst Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat. Obwohl er sich kein ganz einfaches Thema gewählt hat, geht er es mit einer angenehmen Unverkrampftheit an: Nicht nur um Pornosucht geht es,
sondern wie Medien generell das Leben und Verhalten von Menschen prägen. Der Film lässt den Enthusiasmus Gordon-Levitts spüren, er ist kurzweilig, aber nicht dumm.
Es herrscht bei ihm nicht so ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Resultat wie bei den zahllosen »Kunstprojekten« James Francos. Der ist ein Meister des Konzepts und der Geldbeschaffung. Aber sobald es an die tatsächliche Gestaltung und Durchdringung geht, scheint sein Interesse bereits längst wieder von der
nächsten Idee vereinnahmt zu sein.
Interior. Leather Bar wurde als Experiment angekündigt, die verschollenen 40 Minuten aus William Friedkins Cruising zu rekonstruieren. Geschnitten wurden damals Szenen, die zu explizit das Geschehen in einer schwulen Lederbar zeigten.
Als Endergebnis wird ein Mischmasch
präsentiert aus vorbereiteten Statements Francos, die ihn reflektiert wirken lassen sollen, gestellten Gesprächen sowohl homo-, als auch heterosexueller Männer über persönliche Grenzen, inszenierten Entblößungen von Vorurteilen, und trotz des ursprünglichen Ziels des Projekts überflüssig wirkenden Sexszenen.
Die Mitwirkenden äußern vor der Kamera ihre Verwirrtheit ob des tieferen Sinns der Übung, beteuern aber erschreckt sofort ihr Vertrauen in James Francos »Vision«. Dem
Publikum bleibt nicht anderes übrig, es dem Filmteam gleich zu tun. Bis es sich nach dem Film eingestehen muss, dass das Gesehene mehr Leere als Lehre bietet. Und der eine, der es und sich erklären sollte, lässt alle im Stich. Zuletzt hält selbst der große und mächtige Franco nurmehr seine Kamera auf die Versuchsteilnehmer, und scheint ebenfalls seine Beweggründe vergessen zu haben. Er zog Leute aus, um die berüchtigte Homophobie von Cruising zu dekonstruieren. Und kann doch nur mit eigenen Klischees kontern.
Man hat das Gefühl, dass man James Franco mit Kritik gar nicht dingfest machen kann, da er bereits zu zig anderen Projekten weitergeflirrt ist.
Für die, die sich mit ihren einzelnen Arbeiten verbundener fühlen, gibt unterschiedliche Arten, damit umzugehen, wenn die Kunst ihr Publikum nicht auf die gewünschte Weise erreicht.
Wer anerkennt, dass es einfach nicht allen gefallen kann, wer ein vernünftiges Maß an Selbstzweifeln, aber auch den Wert seiner Leistung kennt, kann
souveräner auf die Meinung anderer reagieren. Siehe etwa: Jude Law bei der Pressekonferenz zu dem Psychopharmaka-Thriller Side Effects. Der auf die Vorhaltungen einer Journalistin, seine Figur handele nicht glaubwürdig, sich mit einem einfachen, charmanten »Sorry!« entschuldigte. (Side
Effects ist Soderberghs durchaus gelungener Versuch, etwas »Einfaches«, Geradliniges zu drehen, das sich die Kunstfertigkeit dahinter nicht anmerken lässt. Der Regisseur scheint seine Lust am Spiel mit dem Medium wiederentdeckt zu haben. Nachdem er seit einiger Zeit sein freiwilliges Karrierende verkündet, sprach er in Berlin plötzlich nur noch von einer »Pause – wie lange sie auch dauern mag«.)
Oder auch Matt Damon, der von sich aus das schwache Einspielergenis und
die mauen Kritiken seines Herzblutfilms Promised Land ansprach. Auf die Frage, wie er die Balance zwischen Fakten, Fiktion und Drama hinbekommen habe, antwortete er lakonisch: »Not very well, apparently.«
Und dann gibt es die, die bei allem Erfolg mit sich selbst hadern und alle Kritik als persönlichen Angriff verstehen. Bei Til Schweiger hat man den Eindruck, dass kein Maß an Anerkennung
und Einspielergebnis je groß genug sein kann, dass er sich nicht ungeliebt, unverstanden und ungerecht behandelt fühlte. Die Pressekonferenz zu The Necessary Death of Charlie Countryman verlief ohnehin noch deutlich höflicher, als die Reaktionen nach der Vorführung des Films erwarten ließen. Als die berechtigte und harmlose Frage fiel, warum ein erfolgreicher Schauspieler wie Schweiger sich für die Rolle eines solch eindimensionalen, klischeehaften
Schurken hergebe, wirkte er sichtlich eingeschnappt. Es drängt sich bei ihm das Gefühl auf, dass er mehr als andere Kunst hauptsächlich macht, um geliebt zu werden.
Worauf man bei jedem Festival wartet, ist die eine, große filmische Überraschung. Dieser eine Film, dessen Existenz einem trotz geflissentlichem Studium des Programmhefts entgangen ist. Dessen Titel sich nur im Lauf der Tage immer vernehmbarer aus dem Raunen der Kollegen schält. Nur weil so beharrlich geschwärmt wird, gönnt man dem Geheimtipp das letzte freie Plätzchen im privaten Festivalfahrplan. Und plötzlich will man nie Zweifel daran gehabt haben, dass eine 4 1/2 stündige
Dokumentation über einen Usbeken, der mit seiner Schafherde die Odyssee inszeniert, die erhoffte, berührende cineastische Offenbarung ist.
Dieses Mal haben wir so konzentriert auf das Flüstern gelauscht, dass wir das Brüllen ausgeblendet haben, das uns die diesjährige Überraschung mit verzweifelter Aufdringlichkeit ankündigen wollte.
Die omnipräsent angekleisterten Plakate haben wir noch ignoriert, bis sie angefangen haben, uns Tag und Nacht auch noch als
Motorkolonnen zu umkreisen und verfolgen. Und dann waren sie uns nur Anlass, uns über ihre Ästhetik zu mokieren – und nach fortgesetzter Belästigung auch noch durch den Trailer anderthalb Wochen in sicherster Überzeugung und höchsten Tönen über diesen offensichtlich grauenvollen Film zu lästern.
Am vorletzten Tag der Berlinale hatten wir dann keinerlei Hoffnung mehr, noch unseren usbekischen Schafhirten für dieses Festival anzutreffen. Das Reservoir an möglichen
Kandidaten schien definitiv erschöpft. Was wir hatten, war eine filmgroße Lücke im Zeitplan. Und nichts mehr anderes sie zu füllen, als obige Unsäglichkeit. Wenigstens einen munteren Verriss würde sie schon hergeben.
Wie sollten wir denn ahnen, dass die Überraschung wirklich unerwartet kommen würde?! Dass sie die Gestalt eines Hollywood-Computeranimationsfilms von Dreamworks annehmen würde, über eine Steinzeitfamilie inklusive lustigem Äffchen und frechem Baby. (Und wir
hassen lustige Äffchen und freche Babys!)
Ein Indiz – hätten wir es mitbekommen – hätte sein können, dass John Cleese am Drehbuch mitgearbeitet hat. Aber selbst dann hätten wir nicht gedacht, dass wir derart laut und inbrünstig mit – und nicht über – den Film lachen würden. Obwohl wir uns bis zuletzt mit dem Design nicht anfreunden konnten, lehrte uns The Croods: Timing schlägt Ästhetik.
Und sogar die Furcht vor der genreüblichen moralischen Botschaft erwies sich als unbegründet: The Croods verzichtet nicht auf sie, aber sie ist akzeptabler als gewöhnlich (»Keine Angst vor Veränderung!«) und wird einem nicht mit der Keule eingebläut.
Womit wir aber vollends nicht gerechnet hätten: Jenseits von Gags und
Charakterkomik bietet der Film einige Momente von Größe.
Als der Höhlenfamilienvater von Frau und Kindern getrennt wird, beschwört er ihre Gegenwart mittels Höhlenmalerei herbei – es ist das erste Mal, dass er Kunst nicht als mahnende Lektion benutzt, sondern als Möglichkeit zur Transzendenz.
Wenn man der Kunst irgendeine Freiheit lässt, wird sie sie nutzen. Jafar Panahi wurde im Iran mit Berufsverbot und Hausarrest belegt. Seither hat er zwei Filme fertiggestellt und auf Festivals geschmuggelt. Das bewundernswerte Kunststück an Pardé, seinem Beitrag im Berlinale-Wettbewerb, ist dessen Existenz. Er ist den Umständen abgetrotzt – aber auch durch sie bedingt. Panahi hat nicht einen ohnehin anstehenden Stoff den verengten Bedingungen
angepasst. Er hat seine quälende Situation zum Thema gemacht.
Er lässt verschiedene Figuren, die Aspekte seines Selbst verkörpern, eingesperrt in seiner Villa im Widerstreit aufeinandertreffen.
Pardon, Pardé, aber man täte Panahis Vermögen als Regisseur unrecht, wenn man den Film aus pflichtschuldiger Solidarität als seinen früheren Filmen ebenbürtiges Meisterwerk loben würde. Und gleichzeitig würde man damit die Einschränkungen durch das Regime
kleinreden.
Mit dem Drehbuchpreis hat die Jury die angemessenste Lösung gefunden für die etwas unfaire Aufgabe, den in Konkurrenz laufenden Film aus politischen Gründen ja kaum ohne Auszeichnung heimschicken zu können – ihn aber nicht aus Mitleid verdienteren Filmen vorzuziehen. Man kann dies als Anerkennung für Panahis Leistung verstehen, eine dramaturgische Form für sein Dilemma gefunden zu haben. Und was bliebe ihm auch anderes übrig als die Auseinandersetzung
mit sich und seiner gewaltsam reduzierten Welt?
Auch bei Maladies war zu spüren, wie stark die Personalunion von Regisseur, Charakteren, Film ist. Die Titelfigur von Frances Ha würde sich in der Welt von Maladies wohl auch heimisch fühlen. Aber sie lebt nicht in dessen nie genau lokalisierbarem Ort. Frances Ha ist in Kapitel unterteilt, die als Überschriften stets konkrete Adressen haben. Sie muss sich in einer Welt behaupten, die nicht nur um Ausdruckswege suchende Künstler in ihrer Blase kreist. Frances ist angehende Tänzerin in New York – aber tapst unbeholfen durch alle Bereiche ihres Lebens.
Maladies steckt tief in der Situation, die er zeigt, während Frances Ha eine ähnliche Situation mit verständnisvollem Abstand beobachtet. Paradoxerweise steht man als Zuschauer genau deswegen bei Maladies mehr außen vor, während man sich Frances auf ihrem Weg nahe und verbunden fühlt. Zumal der Film so charmant, zärtlich, präzise humorvoll, beglückend, schwerelos daherkommt. Noah Baumbach und Greta Gerwig, das Team hinter Frances Ha, scheinen ähnliche Erfahrungen mitgenommen zu haben – aber auch hinter sich gelassen zu haben. Ihr Blick auf diese komplizierte Lebensphase ist nicht verklärt, aber auch nicht lieblos.
Sie nennen es einen »Road movie that doesn’t go anywhere« – dessen Heldin am Ende dennoch ankommt. Zum ersten Mal findet sie einen Ort, der allein ihrer ist.
Auch wenn sie einen Teil ihrer Identität an der Tür zurück lassen muss, ist der Kompromiss kein
Verlust.
Ihr Bedürfnis Kunst zu machen hat nur eine andere Form angenommen als gedacht.