66. Filmfestspiele Cannes 2013
Gott vergibt, das Kino nie |
||
Nicht gelungen: Only God Forgives von Nicholas Windig Refn | ||
(Foto: Tiberius Film GmbH & Co. KG / 24 Bilder Film GmbH) |
»Die Sprache ... kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke«, – so Heinrich von Kleist vor etwas mehr als 200 Jahren. Auf Kleist müssen wir uns jetzt sowieso langsam einstellen. Ein radikaler Künstler, von dem wir Kritiker, wie auch mancher Filmemacher sehr viel lernen können. Kleists Radikalität bestand gerade darin, dass er nicht genau wusste, was er tat. Weil er sich dem Sog des Schreibens überließ. Es fanden während des Schreibens
Prozesse statt, die er nicht bewusst steuern wollte.
Nicht der schlechteste Ratschlag, jetzt um 1.21 Uhr, wenn sich Schlaf- und Wachzustände langsam zu sonambulem Caligarismus mischen...
+ + +
Diesmal hat man wirklich den Eindruck, dass die Programmierung des Programms, also die Platzierung der einzelnen Filme im Festivalprogramm einem höheren Plan folgt. Als hätte sich Thierry Fremaux überlegt, das Schlechteste alles auf den Wochenanfang zu packen, weil es dann auch vorbei ist.
+ + +
Drive – das war vor zwei Jahren an diesem Ort der vielleicht schönste, allemal überraschendste Film des Wettbewerbs: Nicholas Windig Refn kannte man bis dato nur von einschlägigen Genrefilmen, wie seiner Pusher-Trilogie, die in den frühen 90er Jahren auf der Tarantino-Welle mitschwamm, inzwischen doch recht gealtert ist, und der Filmgeschichte vor allem
deshalb im Gedächtnis bleiben wird, weil mit ihr Mads Mikkelsen bekannt wurde. Ein paar andere Werke folgten, Fear X ist einen zweiten Blick wert, und Valhalla Rising, der, wieder mit Mikelsen, vor ein paar Jahren in Venedig lief, war bis dahin fraglos Refns bester Film. Dann kam Drive. Sensationelle erste zehn, 15 Minuten, dann immer noch sehr stark, ein romantischer Film voller Herz, mit überzeugendem Musikeinsatz. Fraglos ein großartiger Film, der zu Recht, aber immer noch sensationell den Regie-Preis gewann, und zum Welterfolg wurde.
Schwer daran anzuknüpfen. Verständlich, dass Refn die größten Vorschusslorbeeren eines Wettbewerbsfilms
galten. Was würde Refn tun?
+ + +
Im letzten Jahr gab es, was es noch nie gab in Cannes: Eine von Festivalboss Thierry Fremaux persönlich moderierte Trailershow, über die wir seinerzeit an dieser Stelle auch geschrieben hatten. Dort lief neben Ausschnitten aus Spring Breakers von Harmony Korine und Wong Kar-wais The Grandmaster auch ein langer Trailer zu Only God Forgives, Refns neuem Film. Im Licht des fertigen Werkes, muss man jetzt sagen: Der Film ist ganz genau so, wie man es nach Ansicht des Trailers im letzten Jahr befürchten musste: Ein stilisisiertes Nichts in Zeitlupe, Ellipsen, schöne Klamotten an schönen Menschen zu Neonzwielicht und Musik – wie ein ganz schlechter Wong Kar-wai.
+ + +
Es ist eine Art Gangstergeschichte. Sie spielt in Thailand. Am Anfang sieht man einen Boxring, zwei Amerikaner, die Kämpfe von Thai-Jungs organisieren. Sie sind Brüder, einer geht los, besucht Bordelle, verprügelt den Besitzer, weil er offenbar auf besonders junge und jungfräuliche Mädchen steht, und sie nicht bekommt. Schnitt. In einem anderen Etablissement nimmt er eine junge Frau mit aufs Zimmer, wir ahnen schon Böses, und tatsächlich liegt sie bald tot in ihrem Blut auf einem
Zimmer. Warum und wieso? Gründe (um mal von Motivationen gar nicht erst anzufangen) werden in diesem Film konsequent nicht gegeben. Auch nicht dafür, warum der Mörder im Zimmer sitzen bleibt, nicht dafür, warum der nun ermittelnde Polizei-Offizier den Vater der Ermordeten zum Tatort kommen lässt, um ihn mit dem Täter im Zimmer einzuschließen, mit der Bemerkung: »Do whatever you want.«
Als er die Tür wieder öffnet, ist der Mörder überaus grausam zerschmettert.
Gründe gibt es auch
nicht dafür, warum nun wiederum der Polizei-Offizier den Vater an einen anderen Ort schafft, um ihm da überaus stilisiert mit einem Samurai-Schwert, das er recht unbequem im Rücken unter der Uniform versteckt hat, den Arm abzuhacken. Damit er, wie der Mann des Gesetzes erklärt, in Zukunft mehr auf seine drei überlebenden Töchter abgebe. Dazu wird er nicht viel Gelegenheit haben, denn ein paar Tage später wird der Mann mit dem Armstumpf dann ermordet. Wir wissen, wer die Killer sind. Denn
tags zuvor ist die von Kristin Scott Thomas mit gelbblond gefärbtem Haar und dicken roten Plastikfingernägeln gespielte, auch sonst auch sonst so billige, wie unsympathische Mutter der beiden Amerikaner aus den USA abgereist. Diese Frau entpuppt sich als Gangstermami und eine Art White-Trash-Ma-Baker. Fluchend, vulgär und knallhart kommandiert und erniedrigt sie den von Ryan Gosling gespielten überlebenden Sohn. Eigentlich weiß man von Anfang an, worauf die Handlung nun des
Weiteren hinausläuft: Versuche, den nicht gerade uncoolen Polizei-Offizier (noch die interessanteste, aber auch nicht entwickelte Figur) zu ermorden, scheitern vorhersehbar, weniger vorhersehbar verliert Gosling auch den Thai-Boxkampf-Showdown mit dem Polizei-Offizier überaus klar. Woraufhin der die Mutter tötet, und Gosling die unverständlicherweise völlig schutzlose Tochter des Polizei-Offiziers verschont, aber – only god forgives – dafür keineswegs Dank erntet,
sondern auch noch, offenbar damit alles seine Ordnung hat, per Samuraischwert einen Arm abgehackt bekommt. Das wiederum überrascht nicht, denn das hatten wir schon gesehen, als Tagtraum Goslings ganz zu Beginn, während sich eine hübsche Thai-Nutte vor ihm befriedigte...
Diese so vertrackte, wie in sich sinnlose Rachegeschichte, krankt nicht allein daran, dass man keine einzige dieser Figuren auch nur von fern sympathisch findet. Sie ist vor allem ganz einfach banal, und trägt allenfalls für einen Kurzfilm. Sie scheint am Ende nichts als ein seichter Vorwand für die hochstilisierte Inszenierung von von Folter, Mord und anderen Gewaltakten, in Zeitlupe.
Only God Forgives sieht ohne Frage mitunter recht hübsch aus und ist gelegentlich sogar glänzend inszeniert. Was an dem Film wirklich wütend macht, ist zum einen die aufgeblasene Attitüde, die stilisierten Zeitlupen, die bedeutungsschweren Szenen, wie die, dass Gosling gegen Ende, als er die Leiche seiner Mutter findet, noch mit der Hand durch die Wunde in deren Leib herumstochert – um das Herz zu finden? Dieser Film ist
vor allem »wannabe«.
Alles ist hochgradig prätentiös und in seiner elliptischen Inszenierung auf der Stelle tretend. Langsam und bedeutungsschwer ist dies in jeder Hinsicht das Gegenteil von Drive – der Film hat so gar keine Leichtigkeit, kein Tempo, keine Energie, keine Musikalität.
Vielmehr paart sich Einfallslosigkeit mit Frauenhass und überaus prätentiösen Jungs-Phantasien. Only God Forgives ist ein Buberlfilm, der in einem den Gedanken weckt: Den hätte seine Mami mal öfter übers Knie legen sollen. Dann müsste er Mutterkomplexe und andere Traumata jetzt nicht mühsam auf der Leinwand abarbeiten. Für die Person des Regisseurs muss man jedenfalls nach diesem Film das Schlimmste befürchten, zumal Refn in Interviews Sätze von sich gibt, wie den, er widme diesem Film seinem zur Zeit noch ungeborenen Sohn. Wenn dem tatsächlich so ist, sollte Refns Frau nach diesem Film die Scheidung erwägen.
+ + +
Missverstandenes Asien ist alles natürlich auch, weil Refn vermutlich selber glaubt, er sie hier irgendwie Zen-buddhistisch drauf, bloß weil sein Bulle immer zwischen den Schwert-Aktionen schwermütige Thai-Pop-Schlager singt. Dabei ist er gerade in seinem Asien-Zugang nichts als ein Kino-Tourist.
Der Gipfel dieser Zumutung ist dann im Nachspann die Widmung bzw. der Dank für Alejandro Jodorowsky und Gaspar Noe. Damit wir, wenn wir es schon nicht von selbst verstehen, nur ja
begreifen, wie hart – Noe – und wie kosmologisch – Jodorowsky – dieser Refn drauf ist. Auf weia!
Valhalla Rising im Lichte von diesem Film betrachtet, verliert noch mehr als Drive. Auch Gott vergibt nicht alles.
+ + +
Was an diesem Boutique-Cinema aber vor allem nervt, ist, dass er die weitaus klügeren Ansätze eines Kinos der Oberflächen und des Driftens – etwa Sofia Coppola oder Wong Kar-wai – durch genau solche Filme nachhaltig diskreditiert werden.
+ + +
Noch schlimmer war anderes: Über Valeria Bruni Tedeschis dritte Regiearbeit Un château en Italie gibt es wirklich nicht mehr zu sagen, als: Wenn Refns Film, man muss das zugeben, zwar einer der meistgehassten Beiträge war, fand er doch Verteidiger. Und im Kino hielten sich Buhs und Applaus die Waage. Bei Bruni Tedeschi war das nicht mehr so.
+ + +
Wer kennt heute überhaupt noch La dolce vita fragt Verena zu recht. Paolo Sorrentino offenkundig nicht, sonst hätte er etwas mehr Demut gezeigt, und nicht die Dreistigkeit besessen, seinen neuen Film auch noch als Remake von Fellinis Meisterwerk anzukündigen. Zwerge im italienischen Film sind noch lange nicht Fellini.
La grande bellezza wäre auch ohne diesen Verweis schon schlimm genug. Wie schon alles losgeht: Mit einem daherstolzierenden Celine-Zitat über das Leben als Reise vom Leben zum Tod. Dann Kitsch, ein Musik-Chor, der uns dauerberieseln wird, Rom-Tourismus durch Denkmäler, dann ein toter Japaner, dann Rafaela-Carra-Songs auf einer derben Bunga-Bunga Party; eine Frau redet über den »mental and
physical decline« im »Paese di merda«, wofür dieser Film tatsächlich ein Indiz ist, zu Drecksmusik ohne Dialoge sieht man ein Ballett, eine Disco-Choreographie, die vorgebliche Poesie einsamer Zwerge – und nach 25 Minuten ist die Geschichte immer noch so unklar wie in der ersten Minute. Irgendwie ist zu ahnen, dass es irgendwie um ein Dekadenz-Portrait geht, böse Reiche, die irgendwie mystisch drauf sind; man sieht ein Kloster mit Nonnen und Mädchen; eine Frau, die ihr Schamhaar
leuchtend rot gefärbt hat, darauf sind Hammer und Sichel zu sehen, sie ist ganz nackt, um dann mit voller Wucht gegen die Mauer eines römischen Aquädukts zu rennen und dann auf den Boden zu knallen. Eine Performance.
Nachsynchronisiert ist alles auch noch. Der Film hat keinerlei Struktur, ist bloßes Aufeinanderschichten und Aneinanderreihen von Bildern. Ein doofer Scheiß, Bunga-Bunga-Kino, und auch im schlechtestmöglichen Sinn des Wortes »typisch italienisch«.
+ + +
Viel besser, aber noch lange nicht gut ist Takashi Miikes Wara no tate. Wie bei wie Kore-eda geht es um die ganze japanische Gesellschaft. Aber anders. Ein Kriminal- und Polizeifilm, in dem zu Beginn ein reicher Mann auf die Hinrichtung eines gesuchten Kindermörder eine Millarde Yen aussetzt. Die Gesellschaft wird darüber fast verrückt, als der Mörder gefasst wird, droht man ihn zu lynchen. Ein guter Polizist schafft es, ihn zu retten und vor Gericht zu bringen – wobei sein gesamtes Team draufgeht. Er überredet den Reichen, die Belohnung zurückzunehmen, weil sie die Gesellschaft zerstört. Doch im Gericht sagt der Kindermörder dann: »Ich bedaure zutiefst – hätte ich das gewusst, hätte ich viel mehr getan.« Er ist das absolute Böse. Und Miikes Film mit viel Wohlwollen seine persönliche Fritz Lang-Hommage, voller Spuren von M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Fury, Man Hunt.
+ + +
Noch ein sehr gespannt erwarteter Film, der unter den Erwartungen blieb, ist der neue Johnnie To: Blind Detective hat zwar sehr gut geschriebene Dialoge, fast ein wenig bisschen Hollywood-Screwball, ist aber sonst ein eher schlichter Quatsch. Klamotte mischt sich mit hartem Krimi zu einem kalkulierten Massenprodukt. Ziemlich viel Körperflüssigkeiten werden vergossen: Blut, Fruchtwasser, Urin, Kotze, ansonsten ist die Story um einen blinden Detektiv, der von einer Kung-Fu-begabten Kollegin unterstützt Verbrecher jagt, und als Mystiker immerzu »use your intuition« brüllt, recht dünn geraten. Mit viel Wohlwollen kann man dem Film zugute halten, dass er Stadtviertel und Ausflugsziele Hongkongs vorführt, und so diesen filmischen Ort kartografiert. Nach einer hübschen Szene im Spielerparadies Macao gibt es am Ende einen doppelten Showdown. Nett, aber zu wenig für über zwei Stunden in Cannes.
+ + +
Nach dem Film spreche ich mit Derek Elley, meinem Bekannten von »Film Business Asia«, ehemals Autor von »Variety«. Er brachte den Film auf den groben Punkt: »This is a piece of shit from the beginning to the end.« Er wäre nach 15 Minuten rausgegangen, müsse aber drüber schreiben.
»Kannst du dir vorstellen, dass Thierry Fremaux sich diesen Film über zwei Stunden lang anguckt, und lustig findet? Der zeigt ihn nur, um den Namen Johnnie To im Programm zu haben.« Fazit: »I call that cynical
programmation.«