Cinema Moralia – Folge 58
Das Filmfestival der Polizei |
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Mitten in Istanbul: Das 32. International Istanbul Film Festival |
Soll man sich eigentlich freuen, wenn ein Kino plötzlich so wichtig wird? So wichtig, dass die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln gegen Filmemacher, Filmkritiker und eine Festivaldirektorin vorgeht, mehrere davon, unter anderem ein Jurymitglied für ein paar Stunden verhaftet? Oder ist das alles doch nur ein Zeichen für kulturellen Niedergang, jetzt auch in einer Stadt, die mal Kulturhauptstadt Europas war, und bis heute so etwas ist wie der östlichste Ort des
Westens?
Der 80-jährige Costa-Gavras dürfte sich jedenfalls am vergangenen Sonntagnachmittag an jene Zeiten erinnert fühlen, als er sich noch mit den griechischen Obristen Straßenschlachten lieferte. Der in Frankreich lebende, griechischstämmige Regisseur war einer der Redner bei einer Demonstration bei der über tausend türkische Filmschaffende und Gäste des Internationalen Filmfestivals von Istanbul am vergangenen Sonntag für die Rettung und gegen die Zerstörung des
historischen Emek-Kinos im Herzen des Stadtteils Beyoglu demonstrierten.
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Die Demonstranten riefen Slogans wie »Emek und das Kapital machen keinen Deal« und »Emek gehört uns. Istanbul gehört uns«. Unter den Protestierenden befand sich auch der Berliner Oh Boy-Regisseur Jan Ole Gerster. Mike Newell aus Großbritannien, Marcho Bechis aus Chile und der türkische Filmemacher Erden Kiral, der 1983 auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewann. Sie alle wurden Opfer der fast aus heiterem Himmel einsetzenden Polizeiattacken. Gegen die haben mittlerweile neben dem Festival und dem türkischen Filmkritikerverband auch deren deutsche Kollegen, die internationale Filmkritikervereinigung FIPRESCI und »Amnesty International« protestiert.
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Das Emek-Kino ist ein prächtiger Art-Deco-Bau, der aus den 20er Jahren stammt und über viele Jahre das Herz des wichtigsten türkischen Filmfestivals war. 1993 wurde es zum letzten Mal renoviert. Die Proteste für das Kino symbolisieren den Widerstand der Zivilgesellschaft gegen den Ausverkauf der historischen Innenstadt. Das traditionsreiche Kino soll für eine Shoppingmall geopfert werden.
(to be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.