Cinema Moralia – Folge 60
Waiting For The Sirens Call |
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Lüge, Kapital & kein »falsches« Ende: Dennis Hopper & Peter Fonda in Easy Rider | ||
(Foto: Columbia Pictures) |
Lügner. Hoeneß, klar. Man kann, wie ich ein erklärter FC-Bayern-Verächter sein, und doch Mitleid haben mit Uli Hoeneß, mit dem Moraltsunami, der jetzt über ihn herein platscht. Die Moralkeule, die jetzt auf Hoeneß hineinbricht, trifft natürlich nicht ganz den Falschen, vor allem aufgrund seiner offenkundigen Doppelmoral. Umgekehrt kann man den Protest und die Vorverurteilungen aber auch scheinheilig finden. Man fragt sich, ob eigentlich alle, die da meckern, perfekte
Steuerzahler sind, die noch nie irgendetwas gemacht haben, was sie im Nachhinein bereuen? Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Und seien wir ehrlich: wer mal ein paar Tage in Gegenwart von bayerischen – und nicht nur bayerischen – Handwerksmeistern verbracht hat, weiß, wie die dafür sorgen, dass sie beim Fiskus nicht zuviel bezahlen müssen.
Also mit Fußballmetaphern gefragt: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die aus lauter Moralaposteln besteht, aus
lauter Sammers mit kahlpolierten Schädeln und zu engen Designerpullovern? Was das jetzt mit deutschem Kino zu tun hat? Abwarten. Und mitdenken.
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Verräter. Aka: Judas. Götze halt. Das macht man nicht. Überall hätte er hingehen können, aber nicht zum FC Bayern. Fußballgottes Strafe wird ihn ereilen, so wie sie die Constantin ereilt, die so Filme machen, wie der FC Bayern Fußball spielt. Vielleicht oft erfolgreich, aber selten schön.
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Ein Hoch auf die Förderung! Jetzt pünktlich zum Bundesfilmpreis und nach der Bekanntgabe der Cannes-Auswahl muss es mal gesagt werden: Wo wäre das deutsche Kino ohne unsere Förderer?
Soeben erreicht uns nun eine gemeinsame Pressemitteilung aller deutscher Förderinstitute – Peter Dinges (Filmförderungsanstalt FFA); Klaus Schaefer (FilmFernsehFond Bayern); Gabriele Röthemeyer (Filmförderung Baden-Württemberg); Eva Hubert (Filmförderung Hamburg
Schleswig-Holstein); Petra Müller (Film- und Medienstiftung NRW); Kirsten Niehuus (Medienboard Geschäftsführung Filmförderung); Manfred Schmidt (Mitteldeutsche Medienstiftung); Thomas Schäffer (Nordmedia). Darin protestieren die Förderer gegen den schrankenlos freien Markt, genauer gesagt das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Sie fordern zu Recht eine Ausnahme der Filmförderung von diesem Abkommen, mit der Begründung, das geplante
Freihandelsabkommen werde die Unterstützung von deutschen und europäischen Filmen gefährden. »Das hätte zur Folge, dass deutsche bzw. europäische Filme aus den Kinos verschwinden und sich die Dominanz der ohnehin schon starken US-amerikanischen Inhalte erheblich verstärken würde. Auch Frankreich und die europäischen Filmschaffenden fordern eine Bereichsausnahme für die Filmförderung.«
Natürlich könnte man jetzt hinzufügen: Warum, liebe Förderer, schwenkt ihr dann nicht
gleich ganz auf die Linie der Franzosen ein, tretet für eine exception culturelle und Quoten für den nationalen (oder in diesem Fall: europäischen) Film ein und argumentiert, dass über Kultur eben nicht der Markt, nicht das Publikum und nicht ein demokratisches Abstimmungsverfahren entscheiden kann.?
Das wäre konsequent: Aber ohne Frage sind die deutschen Förderer auf dem richtigen Weg.
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Zwei andere Fragen drängen sich angesichts der Meldung allerdings auf: Zum einen, warum sich die berechtigte Skepsis gegenüber auch regulierten Märkten nicht auch in anderem zeigt. Förderinstitutionen entscheiden zum Beispiel nicht per Schwarmintelligenz aller Filmschaffenden eines Bundeslandes, sondern durch ein Gremium, vulgo: Jury. Beim Bundesfilmpreis aber soll es nicht nur die Gesamtheit aller Akademiemitglieder richten, sie sollen erklärtermaßen »besser«
entscheiden, als es eine Jury würde. Und das hindert keinen der Förderer schon über Filmpreisnominierungen Jubelmitteilungen zu verfassen.
Die zweite Frage: Werden die deutschen Förderinstitutionen denn auch das sich langsam aber sicher steigernde Grummeln der deutschen Filmschaffenden unterstützen, das sich gegen die neuesten Entscheidungen der Fernsehsender richtet?
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Zu Erinnerung: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bekommt über 7,5 Milliarden Gebührengelder jährlich – also ein mehr als hundertfaches des jährlichen Filmförderung. Die Gegenleistung dafür heißt Programmangebot. Die Öffentlichen sollen ein Vollprogramm liefern, das dem Grundsatz der Vielfalt folgt, und sich – wir sprechen hier von gesetzlichen Vorgaben, die im Gegensatz zu den Steuergesetzen nicht mit Hilfe populistischer Debatten und Sendungen wie
»Jauch« per Moralkeule ins Bewusstsein der Öffentlichkeut gehämmert werden – deutlich von den Angeboten der privaten Kommerz-Sender unterscheiden muss. Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag zählen Information und Kultur, und dieser Auftrag kann nicht etwa per Koch- und Reisesendungen abgegolten werden.
Das meiste von dem Gebühren-Geld geht allerdings schon mal für Betriebsrenten und Gehälter drauf, für den Erhalt von Immobilien und einer Rundfunk-Vielfalt, die man im
Programm mit der Lupe suchen muss. Sehr wenig von dem Geld fließt tatsächlich ins Programm, noch weniger in neue Filme, obwohl doch der Kinofilm ein wesentlicher Bestandteil der Kultur ist.
Nun ist es ja nicht so, dass Serien wie »Homeland« oder »Borgen«, die das Fernsehen revolutioniert haben, aus Deutschland kämen. Vielmehr verschlafen die deutschen Sender auch in reinen Fernsehformaten die Fernseh-Zukunft. Bei den Filmen wird aber gerade um- und abgebaut. Anfang März erklärte
die Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks (BR), Bettina Reitz in der Münchner Verlautbarungspostille »Blickpunkt Film«: »Es werden definitiv nicht mehr Kinoprojekte, eher weniger, vielleicht sogar spürbar weniger.« Andere zogen mit Erklärungen nach.
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Für diesen Freitag, wo alle, bestimmt auch diverse Fernsehredakteure sich selbst wieder mit salbungsvollen Worten feiern und die Bedeutung des deutschen Kinos loben werden, ist nun eine gemeinsame Resolution angekündigt, auf der sich diverse Verbände und Lobbys, groß und klein, zusammen mit der Filmakademie und der SPIO (»Spitzenorganisation der Filmwirtschaft«) und mit ver.di an die Programmverantwortlichen bei ARD und ZDF sowie an die Rundfunkräte und die Rundfunkgesetzgeber in den Ländern wenden werden. Details sind noch nicht bekannt, nur die Forderung: »ARD und ZDF müssen sich zum Kinofilm bekennen!«
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So weit, so gut und so verständlich: Die Abhängigkeit der deutschen Produzenten vom Fernsehgeld ist sehr groß. Zugleich aber fällt doch ein merkwürdiger Widerspruch auf: immer wieder wettern Filmemacher ja aufs Fernsehen und seinen Einfluss, weil der angeblich ihre künstlerische Freiheit beengt. Die neuesten Ankündigungen werden aber jetzt noch von keinem als Chance begriffen, um die ganze Filmfinanzierung auf neue, fernsehunabhängige Beine zu stellen, sondern scheinbar nur als Anlass, vermeintliche Pfründe zu verteidigen. Oder übersehe ich etwas mit dieser Nachfrage?
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Letzte Woche haben wir über den – ich stehe dazu: grandiosen – Text von Alan Posener in der Welt berichtet. Es gab sehr, sehr viel Feedback. Aber auch Kritik und bedenkenswerte Einwände. Einer stammt von Martin Hagemann, selbst erfahrener Produzent der Berliner Firma zerofiction (www.zerofiction.eu). Er schreibt mir: »Bei aller Sympathie für eine sachkundige, produktive Kritik an den teilweise veralteten Strukturen des deutschen Filmförderwesen, bei aller Freude an guten Polemiken, der Autor Alan Posener stellt sich leider als komplett uninformiert heraus, die Polemik verpufft als kleine Eitelkeit. Die von ihm beschriebene Anhörung zur Novellierung des Filmfördergesetzes behandelte die nächsten drei Jahre der Filmförderanstalt und ihrer Regeln. In dieser größten und wichtigsten deutschen Filmförderung, ohne die es keine deutschsprachigen Kinospielfilme und Kinodokumentarfilmen gäbe, werden ausschließlich Einnahmen der Branche selber, die aus allen Vertriebswegen, aller Kinofilme stammen, zur Förderung deutscher Filme, von Verleihaktivitäten und von Kinos verwendet. Es fließt kein Steuergeld in diese Förderung, der Gesetzgeber ist die Aufsichtsbehörde der Anstalt des öffentlichen Rechts FFA. Die abschließende Frage des Autors, warum keine Steuerzahler eingeladen gewesen wären, beantwortet sich so von selbst. Aber ein genaueres Hinhören und etwas Recherche hätte ihn vor dem beklagten Schlaf bewahrt und durchaus einige interessante Einsichten in die unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen der deutschen Kinofilmbranche bereitgehalten. Dass die deutschen Kinofilmproduzenten und Regisseure einen stetigen Marktanteil von ca. 20% halten, ihn im ersten Quartal 2013 auf 30% steigern konnten, zeigt, dass trotz (gemessen an Theater- und Opernhaussubventionen) sehr geringen Förderungen und Selbsthilfemaßnahmen wie der FFA respektable Ergebnisse erreicht werden können.«
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In der aktuellen Nummer der blackbox der unermüdlichen Ellen Wietstock hat Hagemann ein bemerkenswertes, sehr wichtiges Interview gegeben. Auf vieles dort muss man noch ausführlich eingehen. Unter anderem sagt er angesichts der erwähnten Kürzungspolitik und der Ideenlosigkeit der Sender Folgendes: »Es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender viele Leute, die gerne etwas ändern möchten, es gibt viele Ideen auf der Programmseite, auf der Distributionsseite, wie und auf welchen Kanälen, Fernsehen in Zukunft stattfinden kann. Es gibt aber auch hier das Schwergewicht der Bürokratie – die Sender nähern sich langsam, aber sicher dem Zustand der Sowjetunion kurz vor Gorbatschow. Wer aber ist der Gorbatschow der öffentlichrechtlichen Sender? Auch hier ist die Politik gefordert. Glücklicherweise ist die Politik nicht mehr so abhängig von den öffentlich-rechtlichen Sendern, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Da wären überhaupt keine Diskussionen möglich gewesen. Kleine Schritte passieren in den Rundfunkänderungsstaatsverträgen, nur haben die dort geforderten terms-of-trade-Verhandlungen mit den Sendern wenig reale Verbesserungen gebracht. Die Verhandlungen fanden nur deshalb statt, weil die Staatskanzleien in einer Protokollnotiz des letzten Vertrags festgelegt haben, dass die Sender zu Verhandlungen über faire terms of trade verpflichtet sind. Die Produzentenallianz und die Drehbuchautoren haben einen Abschluss verhandelt. Aber niemand außerhalb dieser beiden Verbände kann wirklich feststellen, welche Verbesserungen es in der Substanz gibt. Die AG Dok hat meiner Ansicht nach deshalb zu Recht diese Verhandlungen abgebrochen. Es ist sehr wichtig, dass die Politik diese Fußnote im nächsten Vertrag bestätigt und nicht herausnimmt, wie vom Fernsehen momentan gefordert. Wenn wir in Deutschland eine lebendige, zeitgenössische, audiovisuelle Medienstruktur haben möchten, darf man nicht darauf vertrauen, dass Förderer und Sender sich selber reformieren werden. Hier müssen die Verbände stärker und massiver auftreten.«
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Nur ein kleiner Widerspruch: Was Martin Hagemanns Hinweis auf den Marktanteil leider nicht erwähnt, ist, wie dieser zustande kommt: Schweiger, Schweighöfer & Co.. Bevor jetzt wieder der beliebte Einwand kommt, das »wir« diese Zuschauer auch brauchen, möchte ich nur hinzufügen: Ich brauche diese Zuschauer nicht, und meine Kritiken sind nicht für sie geschrieben.
Das alte »Suhrkamp-Prinzip« Allende & Adorno, also Isabel Allendes Kitschromane hunderttausendfach verkaufen,
um eine Adorno-Gesamtausgabe zu finanzieren, finde ich natürlich super! Nur sehe ich heute nirgendwo Adorno, ich sehe, dass Allende schon zum Besseren gehört, und daneben viel Rotz. Pardon my french!
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Auch eine nicht minder gute und erfahrene Produzentin schrieb eine Mail. Darin heißt es unter anderem: »Es gibt Strukturen in Deutschland, die mit Förderung, TV Sendern und solchen Anstalten wie der FFA zu tun haben, mir denen wir Produzenten uns tagtäglich herum schlagen und versuchen, das beste für uns heraus zu holen und gewisse Bedingungen mühsam von innen zu verändern. Und vor allem geht es darum, für Voraussetzungen zu kämpfen, dass bestimmte Filme in Zukunft überhaupt noch
eine Grundlage haben, dass Sie gemacht werden können.
Ich glaube, es ist Vielen nicht klar, welche Erosionen gerade passieren, gerade im TV Sektor. Man kann die Forderung nach einer Quote sicher belächeln, aber sich mal genauer anzusehen, was mit Kinderfilmen und Spielfilmen im TV passiert und was gerade droht, über Bord geworfen zu werden durch die angekündigten starken Kürzungen der Sender im Spielfilmbereich (Kino), wäre sicher einen zweiten Blick wert. Wenn Risk dann irgendwann
nur noch extremes Low-Budget heißt, wird sich der Fun-Faktor sicher auch nur schwer einstellen. Oder doch? Ist es doch der Mangel, der Kreativität fördert?«
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Gute Einwände und eine super Frage. Leider habe ich – beim Blick etwa auf Argentinien oder Rumänien – den Verdacht, dass tatsächlich Mangel die Kreativität fördert. Oder gute Förderung, die hammerhart kompromisslos auf Kunst – KUNST! ÄSTHETIK!! AVANTGARDE!!! – ausgerichtet ist. Wie in Frankreich. Oder eine Förderung, die wie in Österreich oder Dänemark frei ist von Fernsehinteressen, und umgekehrt das Fernsehen zur Co-Finanzierung verpflichten kann. Das wollen viele deutsche Förderer auch, und darin müssen wir alle sie noch mehr unterstützen.
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Im Zusammenhang mit dem Filmpreis bricht so eine gewisse Medienhysterie aus, und man bekommt plötzlich immer Mitteilung bei denen man auch nach längerer Überlegung nicht weiß, ob man darüber lachen oder weinen soll.
Zum Beispiel diese hier: Promi-Roboter twittert vom Deutschen Filmpreis!
Da heißt es: »Nachdem Promi-Roboter ROLI im Januar diesen Jahres bereits für großes Aufsehen bei der Deutschlandpremiere von Matthias Schweighöfers Schlussmacher sorgte, stehen seine nächsten Einsätze am roten Teppich kurz bevor: So ist er sowohl beim New Faces Award des People-Magazin BUNTE als auch beim Deutschen Filmpreis akkreditiert um von dort aus zu berichten. Die Highlights der Interviews werden zunächst vom roten Teppich aus live ins Netz getwittert; am nächsten Tag sind die Videos dann als Webisode auf Flimmer.de zu sehen.
Um dem
Dresscode der hochkarätigen Veranstaltungen gerecht zu werden, hat der Berliner Modedesigner Kilian Kerner eigens ein Sakko für den humanoiden Reporter entworfen. Kerner, dessen Kleider von den roten Teppichen nicht mehr wegzudenken sind, bediente sich hierfür eines klassischen Schnitts mit schwarzer Schurwolle.
ROLI ist eine Idee des Filmportals Flimmer.de, das im vergangenen Jahr von den Regisseuren Roland Emmerich und Marco Kreuzpaintner gegründet wurde. Der Reporter
soll dabei frischen Wind in die Berichterstattung von Filmpremieren und Events bringen und seine Erlebnisse in einer regelmäßigen Video-Webisode auf Flimmer.de präsentieren.
Und so funktioniert Flimmer.de: Eingebettet in ein unterhaltsames Trailerquiz wird dem Nutzer am Ende eines jeden Filmtrailers eine Frage zum Inhalt gestellt. Beantwortet der User diese richtig, so werden ihm bis zu 10 Cent auf seinem virtuellen Konto gutgeschrieben.
Hat er dann über die Zeit hinaus
ausreichend Guthaben gesammelt, so kann er dieses in Kinotickets, DVDs oder Video-On-Demand-Abrufe eintauschen. Auch Spenden ist möglich.«
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Roland Emmerich und Marco Kreuzpaintner... So sehen sie auch aus.
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»Ich will nicht in die Filmakademie. Wenn man die Kiste nur in seiner Wohnung stehen hat, hindert sie einen schon am Filmemachen. Da wird man nie gute Filme drehen, so ein schlechtes Karma ist das.« Soweit ein sehr guter Regisseur, den wir hier natürlich nicht namentlich nennen, über die diesjährige Auswahl der Filmakademie zum Bundesfilmpreis.
Ein paar Filme gibt es allerdings diesmal doch, die mir gefallen. Auf den Sieg von Oh Boy in allen Kategorien hoffe ich, und auf Preise für Oskar Roehler. Nachdem ich bereits Wetten gewonnen habe, dass Cloud Atlas in allen technischen Kategorien nominiert werden wird, nehme ich gern auch welche entgegen, dass er alle technischen Preise gewinnt.
Warum
das unberechtigt ist, und warum Cloud Atlas gar kein deutscher Film ist – ästhetisch gemeint, ökonomisch und juristisch geht er natürlich schon als solcher durch – das schreiben wir beim nächsten Mal.
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»Es war noch nie so schlimm wie heute ... das Publikum kennt sich nicht mehr mit Filmen aus. Leute, die dumme Filme machen, bekommen den Respekt, den die bekommen sollten, die gute Filme machen.«
Steven Soderbergh 1999 in seinem Buch »Getting Away With It«
Im Gespräch auf die Frage, ob sich seit »Getting Away With It« etwas wesentlich geändert habe, meinte er 2013: »Es ist alles noch viel schlimmer geworden. Ich glaube einfach nicht, dass das neue Kino und die Kultur überhaupt heute
noch den gleichen Stellenwert hat, wie früher. Das ist ein schwerer Fehler, und unsere Gesellschaft wird dafür bezahlen. Aber wir müssen den Dingen ehrlich ins Auge sehen: Weil alles zum Wirtschaftsgut geworden ist, muss man sich Nischen suchen. Das Fernsehen ist freier: Wenn mir im Kabelfernsehen dreieinhalb Millionen Leute zuschauen, ist das ein Erfolg. Und alle machen sich Gedanken über den Film. Im Kino ist das kein Erfolg. Hinzu kommt, dass leider jede neue Generation der
Studioangestellten noch weniger vom Kino versteht als die vorherige.«
Frage: Was sind die größten Fehler des heutigen Kinos?
Soderbergh: »Abgesehen davon, dass zu viel Geld ausgegeben wird, vor allem für die falschen Dinge, stört mich der Missbrauch, den viele Regisseure mit der Musik treiben. Alles ist viel zu laut und viel zu eintönig, wie die Vuvuzelas bei der letzten Fußball-WM! Erkennbar gibt es auch eine Unfähigkeit, den Filmen ein richtiges Ende zu geben. Viele heutige
Filme haben fünf oder sechs falsche Enden.«
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Was ist eigentlich Kapitalismus? Kapitalismus ist, wenn zum Beispiel ein Bahnhof nur noch nebenbei dafür da ist, dass man schnell zum Zug kommt, sondern dazu, möglichst viel Verkaufsflächen Platz zu bieten und die mit einem Vorwand dafür zu verbinden, dass der Sonntagsladenschluss ausgehebelt wird. Kapitalismus ist auch, dass man einen Flughafen so plant, dass er den Reisenden nicht möglichst kurze Wege zum Flieger bietet – so noch Berlin-Tegel in den 70er Jahren –
sondern möglichst lange, damit sie möglichst viel kaufen.
Kapitalismus ist auch, wenn man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – sprich den Stress, dem der Normalbürger ausgesetzt ist – so erhöht, dass er am Ende gegen all das nicht mehr protestiert.
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Gerade noch zwei kleine Filmhinweise, jenseits der Nominierungen der Filmakademie: Der Dokumentarfilm boomt nämlich. Im deutschen Fernsehen wird er zwar zunehmend abgeschafft, oder durch formatierte Dokumentations-Formate im kühl-glatten Stakkato-Stil oder mit seichtem Re-Enactment genanntes Nachinszenieren ersetzt – international aber blüht der Dokumentarfilm mehr denn je, und darum auch im deutschen Kino. Offenbar stillt hier das Publikum einen Hunger nach
Wirklichkeit und weniger durchkomponierten Geschichten mit langem Atem, der im Fernsehen, auch in den dafür einst mal gedachten Spartenkanälen, immer weniger befriedigt wird.
Der Film Alleine Tanzen (www.alleinetanzen.de) von der Berlinerin Biene Pilavci ist ein atemberaubendes Stück Kino. Ein Dokumentarfilm, in dem die Filmemacherin mit einer Offenheit, die fassungslos macht, und dabei einer sonderbaren Liebenswürdigkeit die eigene Familie
portäitiert – wunderbar! Jeder, der kann sollte ihn schleunigst irgendwo sehen. Und wer mir das nicht glaubt: Alleine Tanzen gewann gerade den »new berlin film award« als bester Dokumentarfilm beim Festival Achtung Berlin.
Weniger einschneidend, dafür aber von ungemeinem Alltagswitz ist die Veränderung, die die deutsche (Münchner) Filmemacherin Andrea Thiele beschreibt, in ihrem ersten langen Dokumentarfilmen nach mehreren kürzeren, die in den USA
angesiedelt waren. Sie portätiert Fahrschüler, die miteinander gemeinsam haben, dass sie ihren Führerschein im Ausland machen: Eine Deutsche im Chaos des indischen Bombay, ein Amerikaner in Tokio, und eine Südkoreanerin im gemütlichen München. Auch in der Welt des Autofahrens gibt es kulturelle Differenzen, das ist schnell klar: You Drive Me Crazy ist eine menschliche Komödie, eine
Komödie der kulturellen Irrungen, die unglaublich lustig ist – in vielen Momenten begegnet man dem Slapstick unseres Alltags. Eine Komik, die viel tiefere Wahrheit birgt, eine heitere Lektion in kultureller Toleranz.
(to be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.