25.04.2013
Cinema Moralia – Folge 60

Waiting For The Sirens Call

Easy Rider
Lüge, Kapital & kein »falsches« Ende: Dennis Hopper & Peter Fonda in Easy Rider
(Foto: Columbia Pictures)

Wo bleibt der Gorbatschow der öffentlich-rechtlichen Sender? Lügner, Verräter, der Bundesfilmpreis und natürlich die ewige Beziehungskiste zwischen Fernsehen und Kino – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 60. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Lügner. Hoeneß, klar. Man kann, wie ich ein erklärter FC-Bayern-Verächter sein, und doch Mitleid haben mit Uli Hoeneß, mit dem Moralts­unami, der jetzt über ihn herein platscht. Die Moral­keule, die jetzt auf Hoeneß hinein­bricht, trifft natürlich nicht ganz den Falschen, vor allem aufgrund seiner offen­kun­digen Doppel­moral. Umgekehrt kann man den Protest und die Vorver­ur­tei­lungen aber auch schein­heilig finden. Man fragt sich, ob eigent­lich alle, die da meckern, perfekte Steu­er­zahler sind, die noch nie irgend­etwas gemacht haben, was sie im Nach­hinein bereuen? Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Und seien wir ehrlich: wer mal ein paar Tage in Gegenwart von baye­ri­schen – und nicht nur baye­ri­schen – Hand­werks­meis­tern verbracht hat, weiß, wie die dafür sorgen, dass sie beim Fiskus nicht zuviel bezahlen müssen.
Also mit Fußball­me­ta­phern gefragt: Wollen wir in einer Gesell­schaft leben, die aus lauter Moral­apos­teln besteht, aus lauter Sammers mit kahl­po­lierten Schädeln und zu engen Desi­gner­pull­overn? Was das jetzt mit deutschem Kino zu tun hat? Abwarten. Und mitdenken.

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Verräter. Aka: Judas. Götze halt. Das macht man nicht. Überall hätte er hingehen können, aber nicht zum FC Bayern. Fußball­gottes Strafe wird ihn ereilen, so wie sie die Constantin ereilt, die so Filme machen, wie der FC Bayern Fußball spielt. Viel­leicht oft erfolg­reich, aber selten schön.

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Ein Hoch auf die Förderung! Jetzt pünktlich zum Bundes­film­preis und nach der Bekannt­gabe der Cannes-Auswahl muss es mal gesagt werden: Wo wäre das deutsche Kino ohne unsere Förderer?
Soeben erreicht uns nun eine gemein­same Pres­se­mit­tei­lung aller deutscher Förder­insti­tute – Peter Dinges (Film­för­de­rungs­an­stalt FFA); Klaus Schaefer (FilmFern­sehFond Bayern); Gabriele Röthe­meyer (Film­för­de­rung Baden-Würt­tem­berg); Eva Hubert (Film­för­de­rung Hamburg Schleswig-Holstein); Petra Müller (Film- und Medi­en­stif­tung NRW); Kirsten Niehuus (Medi­en­board Geschäfts­füh­rung Film­för­de­rung); Manfred Schmidt (Mittel­deut­sche Medi­en­stif­tung); Thomas Schäffer (Nordmedia). Darin protes­tieren die Förderer gegen den schran­kenlos freien Markt, genauer gesagt das geplante Frei­han­dels­ab­kommen zwischen der EU und den USA. Sie fordern zu Recht eine Ausnahme der Film­för­de­rung von diesem Abkommen, mit der Begrün­dung, das geplante Frei­han­dels­ab­kommen werde die Unter­s­tüt­zung von deutschen und europäi­schen Filmen gefährden. »Das hätte zur Folge, dass deutsche bzw. europäi­sche Filme aus den Kinos verschwinden und sich die Dominanz der ohnehin schon starken US-ameri­ka­ni­schen Inhalte erheblich vers­tärken würde. Auch Frank­reich und die europäi­schen Film­schaf­fenden fordern eine Bereichs­aus­nahme für die Film­för­de­rung.«
Natürlich könnte man jetzt hinzu­fügen: Warum, liebe Förderer, schwenkt ihr dann nicht gleich ganz auf die Linie der Franzosen ein, tretet für eine exception cultu­relle und Quoten für den natio­nalen (oder in diesem Fall: europäi­schen) Film ein und argu­men­tiert, dass über Kultur eben nicht der Markt, nicht das Publikum und nicht ein demo­kra­ti­sches Abstim­mungs­ver­fahren entscheiden kann.?
Das wäre konse­quent: Aber ohne Frage sind die deutschen Förderer auf dem richtigen Weg.

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Zwei andere Fragen drängen sich ange­sichts der Meldung aller­dings auf: Zum einen, warum sich die berech­tigte Skepsis gegenüber auch regu­lierten Märkten nicht auch in anderem zeigt. Förder­insti­tu­tionen entscheiden zum Beispiel nicht per Schwarm­in­tel­li­genz aller Film­schaf­fenden eines Bundes­landes, sondern durch ein Gremium, vulgo: Jury. Beim Bundes­film­preis aber soll es nicht nur die Gesamt­heit aller Akade­mie­mit­glieder richten, sie sollen erklär­ter­maßen »besser« entscheiden, als es eine Jury würde. Und das hindert keinen der Förderer schon über Film­preis­no­mi­nie­rungen Jubel­mit­tei­lungen zu verfassen.
Die zweite Frage: Werden die deutschen Förder­insti­tu­tionen denn auch das sich langsam aber sicher stei­gernde Grummeln der deutschen Film­schaf­fenden unter­s­tützen, das sich gegen die neuesten Entschei­dungen der Fern­seh­sender richtet?

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Zu Erin­ne­rung: Das öffent­lich-recht­liche Fernsehen bekommt über 7,5 Milli­arden Gebüh­ren­gelder jährlich – also ein mehr als hundert­fa­ches des jähr­li­chen Film­för­de­rung. Die Gegen­leis­tung dafür heißt Programm­an­gebot. Die Öffent­li­chen sollen ein Voll­pro­gramm liefern, das dem Grundsatz der Vielfalt folgt, und sich – wir sprechen hier von gesetz­li­chen Vorgaben, die im Gegensatz zu den Steu­er­ge­setzen nicht mit Hilfe popu­lis­ti­scher Debatten und Sendungen wie »Jauch« per Moral­keule ins Bewusst­sein der Öffent­lich­keut gehämmert werden – deutlich von den Angeboten der privaten Kommerz-Sender unter­scheiden muss. Zum öffent­lich-recht­li­chen Auftrag zählen Infor­ma­tion und Kultur, und dieser Auftrag kann nicht etwa per Koch- und Reise­sen­dungen abge­golten werden.
Das meiste von dem Gebühren-Geld geht aller­dings schon mal für Betriebs­renten und Gehälter drauf, für den Erhalt von Immo­bi­lien und einer Rundfunk-Vielfalt, die man im Programm mit der Lupe suchen muss. Sehr wenig von dem Geld fließt tatsäch­lich ins Programm, noch weniger in neue Filme, obwohl doch der Kinofilm ein wesent­li­cher Bestand­teil der Kultur ist.
Nun ist es ja nicht so, dass Serien wie »Homeland« oder »Borgen«, die das Fernsehen revo­lu­tio­niert haben, aus Deutsch­land kämen. Vielmehr verschlafen die deutschen Sender auch in reinen Fern­seh­for­maten die Fernseh-Zukunft. Bei den Filmen wird aber gerade um- und abgebaut. Anfang März erklärte die Fern­seh­di­rek­torin des Baye­ri­schen Rundfunks (BR), Bettina Reitz in der Münchner Verlaut­ba­rungs­pos­tille »Blick­punkt Film«: »Es werden definitiv nicht mehr Kino­pro­jekte, eher weniger, viel­leicht sogar spürbar weniger.« Andere zogen mit Erklärungen nach.

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Für diesen Freitag, wo alle, bestimmt auch diverse Fern­seh­re­dak­teure sich selbst wieder mit salbungs­vollen Worten feiern und die Bedeutung des deutschen Kinos loben werden, ist nun eine gemein­same Reso­lu­tion angekün­digt, auf der sich diverse Verbände und Lobbys, groß und klein, zusammen mit der Film­aka­demie und der SPIO (»Spit­zen­or­ga­ni­sa­tion der Film­wirt­schaft«) und mit ver.di an die Programm­ver­ant­wort­li­chen bei ARD und ZDF sowie an die Rund­funk­räte und die Rund­funk­ge­setz­geber in den Ländern wenden werden. Details sind noch nicht bekannt, nur die Forderung: »ARD und ZDF müssen sich zum Kinofilm bekennen!«

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So weit, so gut und so vers­tänd­lich: Die Abhän­gig­keit der deutschen Produ­zenten vom Fern­seh­geld ist sehr groß. Zugleich aber fällt doch ein merk­wür­diger Wider­spruch auf: immer wieder wettern Filme­ma­cher ja aufs Fernsehen und seinen Einfluss, weil der angeblich ihre künst­le­ri­sche Freiheit beengt. Die neuesten Ankün­di­gungen werden aber jetzt noch von keinem als Chance begriffen, um die ganze Film­fi­nan­zie­rung auf neue, fern­se­h­un­ab­hän­gige Beine zu stellen, sondern scheinbar nur als Anlass, vermeint­liche Pfründe zu vertei­digen. Oder übersehe ich etwas mit dieser Nachfrage?

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Letzte Woche haben wir über den – ich stehe dazu: gran­diosen – Text von Alan Posener in der Welt berichtet. Es gab sehr, sehr viel Feedback. Aber auch Kritik und beden­kens­werte Einwände. Einer stammt von Martin Hagemann, selbst erfah­rener Produzent der Berliner Firma zero­fic­tion (www.zero­fic­tion.eu). Er schreibt mir: »Bei aller Sympathie für eine sach­kun­dige, produk­tive Kritik an den teilweise veral­teten Struk­turen des deutschen Film­för­der­wesen, bei aller Freude an guten Polemiken, der Autor Alan Posener stellt sich leider als komplett unin­for­miert heraus, die Polemik verpufft als kleine Eitelkeit. Die von ihm beschrie­bene Anhörung zur Novel­lie­rung des Film­för­der­ge­setzes behan­delte die nächsten drei Jahre der Film­för­der­an­stalt und ihrer Regeln. In dieser größten und wich­tigsten deutschen Film­för­de­rung, ohne die es keine deutsch­spra­chigen Kino­spiel­filme und Kino­do­ku­men­tar­filmen gäbe, werden ausschließ­lich Einnahmen der Branche selber, die aus allen Vertriebs­wegen, aller Kinofilme stammen, zur Förderung deutscher Filme, von Verlei­hak­ti­vi­täten und von Kinos verwendet. Es fließt kein Steu­er­geld in diese Förderung, der Gesetz­geber ist die Aufsichts­behörde der Anstalt des öffent­li­chen Rechts FFA. Die abschließende Frage des Autors, warum keine Steu­er­zahler einge­laden gewesen wären, beant­wortet sich so von selbst. Aber ein genaueres Hinhören und etwas Recherche hätte ihn vor dem beklagten Schlaf bewahrt und durchaus einige inter­es­sante Einsichten in die unter­schied­li­chen Inter­essen und Ziel­set­zungen der deutschen Kino­film­branche bereit­ge­halten. Dass die deutschen Kino­film­pro­du­zenten und Regis­seure einen stetigen Markt­an­teil von ca. 20% halten, ihn im ersten Quartal 2013 auf 30% steigern konnten, zeigt, dass trotz (gemessen an Theater- und Opern­haus­sub­ven­tionen) sehr geringen Förde­rungen und Selbst­hil­fe­maß­nahmen wie der FFA respek­table Ergeb­nisse erreicht werden können.«

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In der aktuellen Nummer der blackbox der uner­müd­li­chen Ellen Wietstock hat Hagemann ein bemer­kens­wertes, sehr wichtiges Interview gegeben. Auf vieles dort muss man noch ausführ­lich eingehen. Unter anderem sagt er ange­sichts der erwähnten Kürzungs­po­litik und der Ideen­lo­sig­keit der Sender Folgendes: »Es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der öffent­lich-recht­li­chen Sender viele Leute, die gerne etwas ändern möchten, es gibt viele Ideen auf der Programm­seite, auf der Distri­bu­ti­ons­seite, wie und auf welchen Kanälen, Fernsehen in Zukunft statt­finden kann. Es gibt aber auch hier das Schwer­ge­wicht der Büro­kratie – die Sender nähern sich langsam, aber sicher dem Zustand der Sowjet­union kurz vor Gorbat­schow. Wer aber ist der Gorbat­schow der öffent­lich­recht­li­chen Sender? Auch hier ist die Politik gefordert. Glück­li­cher­weise ist die Politik nicht mehr so abhängig von den öffent­lich-recht­li­chen Sendern, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Da wären überhaupt keine Diskus­sionen möglich gewesen. Kleine Schritte passieren in den Rund­fun­kän­de­rungs­staats­ver­trägen, nur haben die dort gefor­derten terms-of-trade-Verhand­lungen mit den Sendern wenig reale Verbes­se­rungen gebracht. Die Verhand­lungen fanden nur deshalb statt, weil die Staats­kanz­leien in einer Proto­koll­notiz des letzten Vertrags fest­ge­legt haben, dass die Sender zu Verhand­lungen über faire terms of trade verpflichtet sind. Die Produ­zen­ten­al­lianz und die Dreh­buch­au­toren haben einen Abschluss verhan­delt. Aber niemand außerhalb dieser beiden Verbände kann wirklich fest­stellen, welche Verbes­se­rungen es in der Substanz gibt. Die AG Dok hat meiner Ansicht nach deshalb zu Recht diese Verhand­lungen abge­bro­chen. Es ist sehr wichtig, dass die Politik diese Fußnote im nächsten Vertrag bestätigt und nicht heraus­nimmt, wie vom Fernsehen momentan gefordert. Wenn wir in Deutsch­land eine lebendige, zeit­genös­si­sche, audio­vi­su­elle Medi­en­struktur haben möchten, darf man nicht darauf vertrauen, dass Förderer und Sender sich selber refor­mieren werden. Hier müssen die Verbände stärker und massiver auftreten.«

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Nur ein kleiner Wider­spruch: Was Martin Hagemanns Hinweis auf den Markt­an­teil leider nicht erwähnt, ist, wie dieser zustande kommt: Schweiger, Schweig­höfer & Co.. Bevor jetzt wieder der beliebte Einwand kommt, das »wir« diese Zuschauer auch brauchen, möchte ich nur hinzu­fügen: Ich brauche diese Zuschauer nicht, und meine Kritiken sind nicht für sie geschrieben.
Das alte »Suhrkamp-Prinzip« Allende & Adorno, also Isabel Allendes Kitsch­ro­mane hundert­tau­send­fach verkaufen, um eine Adorno-Gesamt­aus­gabe zu finan­zieren, finde ich natürlich super! Nur sehe ich heute nirgendwo Adorno, ich sehe, dass Allende schon zum Besseren gehört, und daneben viel Rotz. Pardon my french!

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Auch eine nicht minder gute und erfahrene Produ­zentin schrieb eine Mail. Darin heißt es unter anderem: »Es gibt Struk­turen in Deutsch­land, die mit Förderung, TV Sendern und solchen Anstalten wie der FFA zu tun haben, mir denen wir Produ­zenten uns tagtäg­lich herum schlagen und versuchen, das beste für uns heraus zu holen und gewisse Bedin­gungen mühsam von innen zu verändern. Und vor allem geht es darum, für Voraus­set­zungen zu kämpfen, dass bestimmte Filme in Zukunft überhaupt noch eine Grundlage haben, dass Sie gemacht werden können.
Ich glaube, es ist Vielen nicht klar, welche Erosionen gerade passieren, gerade im TV Sektor. Man kann die Forderung nach einer Quote sicher belächeln, aber sich mal genauer anzusehen, was mit Kinder­filmen und Spiel­filmen im TV passiert und was gerade droht, über Bord geworfen zu werden durch die angekün­digten starken Kürzungen der Sender im Spiel­film­be­reich (Kino), wäre sicher einen zweiten Blick wert. Wenn Risk dann irgend­wann nur noch extremes Low-Budget heißt, wird sich der Fun-Faktor sicher auch nur schwer einstellen. Oder doch? Ist es doch der Mangel, der Krea­ti­vität fördert?«

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Gute Einwände und eine super Frage. Leider habe ich – beim Blick etwa auf Argen­ti­nien oder Rumänien – den Verdacht, dass tatsäch­lich Mangel die Krea­ti­vität fördert. Oder gute Förderung, die hammer­hart kompro­misslos auf Kunst – KUNST! ÄSTHETIK!! AVANTGARDE!!! – ausge­richtet ist. Wie in Frank­reich. Oder eine Förderung, die wie in Öster­reich oder Dänemark frei ist von Fern­seh­in­ter­essen, und umgekehrt das Fernsehen zur Co-Finan­zie­rung verpflichten kann. Das wollen viele deutsche Förderer auch, und darin müssen wir alle sie noch mehr unter­s­tützen.

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Im Zusam­men­hang mit dem Filmpreis bricht so eine gewisse Medi­en­hys­terie aus, und man bekommt plötzlich immer Mittei­lung bei denen man auch nach längerer Über­le­gung nicht weiß, ob man darüber lachen oder weinen soll.
Zum Beispiel diese hier: Promi-Roboter twittert vom Deutschen Filmpreis!
Da heißt es: »Nachdem Promi-Roboter ROLI im Januar diesen Jahres bereits für großes Aufsehen bei der Deutsch­land­pre­miere von Matthias Schweig­hö­fers Schluss­ma­cher sorgte, stehen seine nächsten Einsätze am roten Teppich kurz bevor: So ist er sowohl beim New Faces Award des People-Magazin BUNTE als auch beim Deutschen Filmpreis akkre­di­tiert um von dort aus zu berichten. Die High­lights der Inter­views werden zunächst vom roten Teppich aus live ins Netz getwit­tert; am nächsten Tag sind die Videos dann als Webisode auf Flimmer.de zu sehen.
Um dem Dresscode der hoch­karä­tigen Veran­stal­tungen gerecht zu werden, hat der Berliner Mode­de­si­gner Kilian Kerner eigens ein Sakko für den huma­no­iden Reporter entworfen. Kerner, dessen Kleider von den roten Teppichen nicht mehr wegzu­denken sind, bediente sich hierfür eines klas­si­schen Schnitts mit schwarzer Schur­wolle.
ROLI ist eine Idee des Film­por­tals Flimmer.de, das im vergan­genen Jahr von den Regis­seuren Roland Emmerich und Marco Kreuz­paintner gegründet wurde. Der Reporter soll dabei frischen Wind in die Bericht­erstat­tung von Film­pre­mieren und Events bringen und seine Erleb­nisse in einer regel­mäßigen Video-Webisode auf Flimmer.de präsen­tieren.
Und so funk­tio­niert Flimmer.de: Einge­bettet in ein unter­halt­sames Trai­ler­quiz wird dem Nutzer am Ende eines jeden Film­trai­lers eine Frage zum Inhalt gestellt. Beant­wortet der User diese richtig, so werden ihm bis zu 10 Cent auf seinem virtu­ellen Konto gutge­schrieben.
Hat er dann über die Zeit hinaus ausrei­chend Guthaben gesammelt, so kann er dieses in Kino­ti­ckets, DVDs oder Video-On-Demand-Abrufe eintau­schen. Auch Spenden ist möglich.«

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Roland Emmerich und Marco Kreuz­paintner... So sehen sie auch aus.

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»Ich will nicht in die Film­aka­demie. Wenn man die Kiste nur in seiner Wohnung stehen hat, hindert sie einen schon am Filme­ma­chen. Da wird man nie gute Filme drehen, so ein schlechtes Karma ist das.« Soweit ein sehr guter Regisseur, den wir hier natürlich nicht nament­lich nennen, über die dies­jäh­rige Auswahl der Film­aka­demie zum Bundes­film­preis.
Ein paar Filme gibt es aller­dings diesmal doch, die mir gefallen. Auf den Sieg von Oh Boy in allen Kate­go­rien hoffe ich, und auf Preise für Oskar Roehler. Nachdem ich bereits Wetten gewonnen habe, dass Cloud Atlas in allen tech­ni­schen Kate­go­rien nominiert werden wird, nehme ich gern auch welche entgegen, dass er alle tech­ni­schen Preise gewinnt.
Warum das unbe­rech­tigt ist, und warum Cloud Atlas gar kein deutscher Film ist – ästhe­tisch gemeint, ökono­misch und juris­tisch geht er natürlich schon als solcher durch – das schreiben wir beim nächsten Mal.

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»Es war noch nie so schlimm wie heute ... das Publikum kennt sich nicht mehr mit Filmen aus. Leute, die dumme Filme machen, bekommen den Respekt, den die bekommen sollten, die gute Filme machen.«
Steven Soder­bergh 1999 in seinem Buch »Getting Away With It«
Im Gespräch auf die Frage, ob sich seit »Getting Away With It« etwas wesent­lich geändert habe, meinte er 2013: »Es ist alles noch viel schlimmer geworden. Ich glaube einfach nicht, dass das neue Kino und die Kultur überhaupt heute noch den gleichen Stel­len­wert hat, wie früher. Das ist ein schwerer Fehler, und unsere Gesell­schaft wird dafür bezahlen. Aber wir müssen den Dingen ehrlich ins Auge sehen: Weil alles zum Wirt­schaftsgut geworden ist, muss man sich Nischen suchen. Das Fernsehen ist freier: Wenn mir im Kabel­fern­sehen drei­ein­halb Millionen Leute zuschauen, ist das ein Erfolg. Und alle machen sich Gedanken über den Film. Im Kino ist das kein Erfolg. Hinzu kommt, dass leider jede neue Gene­ra­tion der Studio­an­ge­stellten noch weniger vom Kino versteht als die vorherige.«
Frage: Was sind die größten Fehler des heutigen Kinos?
Soder­bergh: »Abgesehen davon, dass zu viel Geld ausge­geben wird, vor allem für die falschen Dinge, stört mich der Miss­brauch, den viele Regis­seure mit der Musik treiben. Alles ist viel zu laut und viel zu eintönig, wie die Vuvuzelas bei der letzten Fußball-WM! Erkennbar gibt es auch eine Unfähig­keit, den Filmen ein richtiges Ende zu geben. Viele heutige Filme haben fünf oder sechs falsche Enden.«

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Was ist eigent­lich Kapi­ta­lismus? Kapi­ta­lismus ist, wenn zum Beispiel ein Bahnhof nur noch nebenbei dafür da ist, dass man schnell zum Zug kommt, sondern dazu, möglichst viel Verkaufs­flächen Platz zu bieten und die mit einem Vorwand dafür zu verbinden, dass der Sonn­tags­la­den­schluss ausge­he­belt wird. Kapi­ta­lismus ist auch, dass man einen Flughafen so plant, dass er den Reisenden nicht möglichst kurze Wege zum Flieger bietet – so noch Berlin-Tegel in den 70er Jahren – sondern möglichst lange, damit sie möglichst viel kaufen.
Kapi­ta­lismus ist auch, wenn man die gesell­schaft­li­chen Rahmen­be­din­gungen – sprich den Stress, dem der Normal­bürger ausge­setzt ist – so erhöht, dass er am Ende gegen all das nicht mehr protes­tiert.

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Gerade noch zwei kleine Film­hin­weise, jenseits der Nomi­nie­rungen der Film­aka­demie: Der Doku­men­tar­film boomt nämlich. Im deutschen Fernsehen wird er zwar zunehmend abge­schafft, oder durch forma­tierte Doku­men­ta­tions-Formate im kühl-glatten Stakkato-Stil oder mit seichtem Re-Enactment genanntes Nach­in­sze­nieren ersetzt – inter­na­tional aber blüht der Doku­men­tar­film mehr denn je, und darum auch im deutschen Kino. Offenbar stillt hier das Publikum einen Hunger nach Wirk­lich­keit und weniger durch­kom­po­nierten Geschichten mit langem Atem, der im Fernsehen, auch in den dafür einst mal gedachten Spar­ten­kanälen, immer weniger befrie­digt wird.
Der Film Alleine Tanzen (www.allei­net­anzen.de) von der Berli­nerin Biene Pilavci ist ein atem­be­rau­bendes Stück Kino. Ein Doku­men­tar­film, in dem die Filme­ma­cherin mit einer Offenheit, die fassungslos macht, und dabei einer sonder­baren Liebens­wür­dig­keit die eigene Familie portäi­tiert – wunderbar! Jeder, der kann sollte ihn schleu­nigst irgendwo sehen. Und wer mir das nicht glaubt: Alleine Tanzen gewann gerade den »new berlin film award« als bester Doku­men­tar­film beim Festival Achtung Berlin.
Weniger einschnei­dend, dafür aber von unge­meinem Alltags­witz ist die Verän­de­rung, die die deutsche (Münchner) Filme­ma­cherin Andrea Thiele beschreibt, in ihrem ersten langen Doku­men­tar­filmen nach mehreren kürzeren, die in den USA ange­sie­delt waren. Sie portä­tiert Fahr­schüler, die mitein­ander gemeinsam haben, dass sie ihren Führer­schein im Ausland machen: Eine Deutsche im Chaos des indischen Bombay, ein Ameri­kaner in Tokio, und eine Südko­rea­nerin im gemüt­li­chen München. Auch in der Welt des Auto­fah­rens gibt es kultu­relle Diffe­renzen, das ist schnell klar: You Drive Me Crazy ist eine mensch­liche Komödie, eine Komödie der kultu­rellen Irrungen, die unglaub­lich lustig ist – in vielen Momenten begegnet man dem Slapstick unseres Alltags. Eine Komik, die viel tiefere Wahrheit birgt, eine heitere Lektion in kultu­reller Toleranz.

(to be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.