Cinema Moralia – Folge 73
Der Berlin Blues |
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Patrice Chéreaus Ceux qui m'aiment prendront le train | ||
(Foto: MFA+ FilmDistribution GmbH) |
»I party a lot ... I need a change« – im Gorki-Park, nicht nur an den letzten lauen Spätsommernächten unsere pop-russische Lieblingskneipe direkt vor der Tür in Berlin-Mitte, lässt es sich nicht vermeiden, einem Gespräch am Nachbartisch zu lauschen, das sich als recht repräsentativ entpuppt: Ein Schweizer quatscht ein Paar an, und man unterhält sich über Maßnahmen gehen die allgegenwärtige Langeweile des Lebens: Früher, ja früher da sei nicht nur de Sommer heißer und länger gewesen, sondern auch die Nächte länger, und Berlin besser. Der Angesprochene entpuppt sich als ein in Irland lebender Libanese mit Vollbart und italienischer Freundin, der oft in Berlin ist, aber das Meer, die Wärme und langen Nächte von Beirut vermisst. »You should come to Beyrouth« sagt er mehrfach, und ich denke auch, yeah, I should come to Beyrouth...
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Ein allgemeiner Ennui hat längst die Hauptstadt ergriffen, und das hat nicht allein etwas mit diesem seltsamen Interregnum zu tun, bei dem die FDP schon aus dem Bundestag rausgeflogen ist, aber noch fünf Minister stellt, und bei dem die ostdeutsche Pfarrerstochter Angela Merkel sich übermorgen mit der ostdeutschen Pastorengattin Katrin Göring-Eckardt zu schwarzgrünen Koalitionssondierungen trifft – obwohl die Aussicht, mit Gauck dann gleich von drei nordostdeutschen Protestanten regiert, oder repräsentiert zu werden, nicht nur anständigen katholischen Atheisten aus München die Tränen in die Augen treibt. Dieser Überdruss bezieht sich eher auf Mieten, Bierpreise, Wetter, Medienboard-Filmförderung und das Gesamtpaket, das sich einst als »Berlin« so perfekt verkaufte. Statt arm aber sexy ist Berlin inzwischen teuer und unsexy, in der Innenstadt werden die Bürgersteige vielerorts früher hochgeklappt, als in München, außerdem sind da eh nur Touristen. Wowereit wird man erst nachtrauern, wenn die CDU wieder regiert.
Das heißt nicht, das die Münchner recht haben, die bis heute ihren Hintern noch nie nach Berlin gekriegt haben, die Texte schreiben, die vor Neid aufs hippe Berlin strotzen. Aber gerade in Punkto Kino sollte man die Wirklichkeit auch nicht mit Oh Boy verwechseln, und der Rede der hiesigen Filmförderung darf man auch nicht glauben, wenn dort immer noch von den »kleinen schmutzigen Filmen« die Rede ist, die man angeblich gern fördern möchte.
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Längst fördert man in Berlin die gleichen saturierten Großprojekte, wie in München, und verschleudert ganz nebenbei das einmalige Potential der Hauptstadt, in der man – siehe Oh Boy – andere Geschichten erzählen könnte. Heute werden die schmutzigen Berlin-Filme in München gedreht, wo man Hasenbergl-Wohnungen noch ein bisschen mehr einsaut, um sie »berlinerisch« wirken zu lassen,
während man in Berlin Projekte fördert, die in München spielen. Ist ja auch alles egal. Allein immer diese feisten Funktionärsfotos, wie gerade von der MIPCOM in Cannes, wo die immer gleichen Gesichter einem immer gleich entgegen grinsen.
Oder nehmen wir die neuesten Förderentscheidungen der Region: Was wird da gefördert mit insgesamt 3,6 Mio. Euro Fördermittel für 35 Filmprojekte? Tom Tykwer, Andreas Dresen, ein Amerikaner, von dem man noch nie gehört hat, und Christian Zübert.
Gewagt, gewagt. Allein drei Filme bekommen knapp zwei Millionen, also 32 Filme teilen sich die anderen 1,6. Klein und schmutzig? Wohl kaum. Aber die deutschen Filmfunktionäre sollten sich langsam entscheiden, ob sie von sich behaupten, das Unbekannte und Neue zu unterstützen, oder das, was schon bekannt und teuer ist.
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Was uns aufs nächste Thema bringt: Den Untergang des Abendlandes, der angeblich droht, wenn das Bundesverfassungsgericht der Klage eines Multiplex-Kinokonzerns recht gibt. Es gibt keinerlei Grund mit der Postion dieser Heuschrecken zu sympathisieren, außer dass man nach einem entsprechenden Urteil gern mal in die Gesichter mancher Funktionäre gucken würde. Außer dass man gern mal wüsste, ob ehemalige Filmfunktionäre, Fernsehredakteure und deutsche Ex-Produzenten in der freien Wirtschaft wohl mehr Chancen hätten, als abgewählte FDP-Bundestagsabgeordnete.
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Das vorauseilende Gejammer ist jedenfalls falsch, und weckt zugleich wie jedes Pfeifen im Wald Verdacht: Denn dass die Frage, ob das deutsche Filmförderungsgesetz (FFG) überhaupt verfassungsgemäß ist die verschiedenen Lobbys des deutschen Films so spürbar nervös macht, hat seine guten Gründe. Ungeachtet dessen, ob man die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nun für berechtigt hält oder nicht, wirft sie nämlich ein grelles Licht auf die deutsche Filmförderung, die sich lieber im Dunkeln hält, und auf ihre inneren Widersprüche, die nur für Fachleute offenkundig sind: Besonders in Deutschland ist Filmförderung ja bekanntermaßen ein Zwitter, gefangen im unlösbaren Widerspruch zwischen Kulturförderung einerseits, und Wirtschafts- bzw. Standortinteressen andererseits. Ein Zusatzproblem ist die Kulturhoheit der Länder, die den berüchtigten »Fördertourismus« im Gefolge hat, ein zweites der übermächtige Einfluss der Fernsehsender, die längst zu erzwungenen Co-Produzenten deutscher Filme geworden sind.
Natürlich ist die Klage himmelschreiend unberechtigt. Die klagenden Kinoketten sind sowieso gar keine deutschen Unternehmen mehr, es sind rein auf kurzfristigen Profit ausgerichtete Unternehmen, Heuschrecken und Agenten der Amerikaner, eine fünfte Kolonne Hollywoods. Sie zeigen nur noch amerikanische Filme und zwar meistens die schlechten. Die guten amerikanischen Filme, ein Film wie Frances Ha nämlich, oder Woody-Allen läuft dann auch so gut wie nie im Multiplex, sondern im kleinen Kino an der Ecke.
Was diese Amerikaner mit ihrer Klage – wie mit dem Freihandelsabkommen – durchsetzen wollen, ist Steinzeitliberalismus – absolut freie Fahrt für Hollywood. Film als reines Wirtschaftsgut mit einer Armada von Marketingagenten, die Millionen und Abermillionen in PR pumpen.
Was die Funktionäre der Deutschen zur Zeit wollen, ist etwas anderes. Für den freien Markt sind sie ja auch nur, wenn es um Autos geht, weil sie halt die besten Autos bauen. Hier, weil sie eben längst nicht die besten Filme machen, wollen sie Protektionismus und Handelsschranken, aber wirtschaftliche. Ein Wirtschaftsprotektionismus wie einst die Butterberge.
Film ist aber nun mal kein Wirtschaftsgut. Film ist nicht dasselbe wie Wurst oder wie Kühlschränke. Das Problem ist nur, dass Film seit einigen Jahren in die Hände der Wurstverkäufer und Kühlschränkehändler gefallen ist. Die Förderung in ihrer jetzigen Form hat daher viele Nachteile für künstlerisch wertvolle Filme.
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Das Ergebnis sind Fördergräber wie Cloud Atlas. Solche Großproduktionen graben der Vielfalt das Wasser ab, da dann für Kleineres das Geld fehlt. Trotzdem – oder gerade deshalb? – sind die allermeisten deutschen Filme im internationalen Kinomarkt nicht wettbewerbsfähig, und gelten als künstlerisch irrelevant.
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Wie dreist die Wurstverkäufer des deutschen Kinos inzwischen argumentieren, ihren völligen Verzicht auf ein kulturelles Feigenblatt, und ihre systematische Dummheit bewies im Deutschlandfunk Ralf Schilling, Geschäftsführer der in Karlsruhe klagenden UCI. Leider kaum besser war dann die Gegenposition, die ein gutvernetzter Hamburger Kinobetreiber in ziemlich schlichter Weise Kommentaren formulieren durfte.
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Was tun? Für den normalen Zuschauer ist die Antwort sehr einfach: UCI boykottieren, Multiplexe überhaupt boykottieren, wenn man das Kino liebt. Einfach nicht in diese Kinos gehen, die das Kino kaputt machen. Und wenn doch, dann dort nix trinken, keine Cola-Eimer und Käse-Taco-Säcke, denn damit machen die den Umsatz. Besser im Kino an der Ecke trinken und essen.
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Der Verband der deutschen Filmkritik nimmt die Verhandlung zum Anlass, über deutsche Filmförderung als solche nachzudenken, und zu fordern, man sollte die Filmförderung auf eine »bessere Grundlage stellen, um die Zukunft des deutschen Kinofilms langfristig zu sichern!«
In der Erklärung heißt es: »Der Verband der deutschen Filmkritik begrüßt die intensive öffentliche Diskussion der Praxis der deutschen Filmförderung im Gefolge der gestrigen Anhörung beim Bundesverfassungsgericht. ... Der in manchen Stellungnahmen aus Teilen der deutschen Filmbranche erweckte Eindruck, beim derzeitigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gehe es lediglich um die Sicherung der bestehenden Praxis einer Filmabgabe durch Kinobetreiber, Videotheken und Fernsehsender, ist falsch. Die für die Zukunft der Förderung zentrale Frage ist vielmehr die Legitimation der Entscheidungsprozesse der Filmförderungsanstalt (FFA). ... Für den Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) steht außer Frage, dass es dem Bund juristisch zusteht, wie auch zum politischen Auftrag des Staatsministers für Kultur und Medien gehört, ergänzend zu den Ländern Filmförderung zu betreiben. Dem Bundestag muss es erlaubt bleiben, hierfür auch eine Sondersteuer in Form der Filmabgabe gesetzlich festzuschreiben. In diesem Punkt erwarten wir daher die Zurückweisung der Klagen, die in ihrer Stoßrichtung und Argumentation fehlgeleitet sind.«
VDFK-Geschäftsführer Frédéric Jaeger fügt hinzu: »Die Gremienbesetzung mit Verbandsvertretern nach Proporzrechnung ist lediglich die zweitschlechteste Option nach der eines schlichten Mehrheitsprinzips wie der Einschaltquote.« Sie sei leicht anfällig für Fremdbestimmung, Sachkenntnis stand Verbandsposition solle die Jury bestimmen. Der VDFK hoffe nun darauf, »dass die kulturelle Komponente und Bedeutung der deutschen Filmförderung auf Bundes- wie Länderebene gestärkt und deutlicher herausgearbeitet wird. Eine auf soliden Füßen stehende Filmförderung kann mit Recht auf die Solidarität gerade der Großen der Branche pochen.« Dem kann man nur zustimmen.
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Patrice Chéreau war als Schauspiel-, Opern- und Filmregisseur einer der wichtigsten Künstler Europas. Nicht Intimacy, für den er den Goldenen Bären gewann, sein sein bester Film, sondern La La Reine Margot oder Ceux qui m'aiment prendront le train oder Gabrielle. Er spielte auch selbst, schrieb Drehbücher und war lange Jahre Theaterleiter, dazu ein dezidiert politisch denkender Mensch. Das Grenzüberschreitende seiner Arbeit lag in der Radikalität seiner Erzählweise und seiner Themen. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, nannte ihn in einem Nachruf treffend einen »existenziell beglückenden und existenziell erschütternden Künstler von Weltrang«.
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So traurig die Nachricht, so lustig die Notiz von Chéreau im Netz bei Liberation: »1974. Première réunion de travail avec Pierre Boulez. Au téléphone, j'ai mal compris, je crois qu'il me parle d’un festival à Beyrouth. Non, c'est Bayreuth. Il me parle de Wagner et du Ring que je ne connais pas.«
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Der Film zur Buchmesse ist Spieltrieb nach Juli Zehs Roman. Im Radio dreht sich alles am Eröffnungsabend um E-Books. Aber wie kommt es, dass trotz fortgesetzter E-Book-Propaganda in allen Medien immer noch kaum mehr als 3 Prozent des Umsatzes des Buchhandels mit elektronischen Medien gemacht werden? Obwohl man doch in der U-Bahn oder bei ähnlichen Gelegenheiten kaum noch einen
Menschen mit einem Buch erwischt,stattdessen aber fast jeder irgendein Smartphone oder elektronisches Lesegerät in der Hand hält. Ganz einfach: das Smartphone ist eher ein Dummphone, an dem die jeweiligen Besitzer vor allem herumdaddeln und bestenfalls eine SMS lesen.
Wenn sie denn lesen können. ie PISA-Studue legt es an den Tag: Die Deutschen sind ungebildet und dumm. Also auch das Kinopublikum. Wir ahnten es schon immer. Die Lesegeräte enthalten anderes, ihre Besitzer lesen
keine Bücher, sondern spielen dumme Spiele. Und GTA 5 hilft auch nicht beim Abschluss der Doktorarbeit.
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Immerhin gibt es in Deutschland eine Buchpreisbindung. Warum führt man aber keine Buchpreisbindung analog fürs Kino ein, eine deutsche exception culturelle? Stattdessen hat die Buchmesse in diesem Jahr ihr Film-Zentrum abgeschafft, und Paolo Coelho, der Til Schweiger der brasilianischen Literatur klagt üner fehlenden Populismus des brasilianischen Messeauftritts.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.