30. Filmfest München 2013
»Starke Frauen, starke Filme« |
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Starke Mädchen haben die Hosen an, auch schon in den 50ern – Laurent Cantets stimmiger Foxfire |
Von Dunja Bialas
Seit mit Diana Iljine zum ersten Mal in der Geschichte des Filmfests München eine Frau an der Spitze des Festivals steht, ist die Aufregung groß: »Eine Frau soll Filmfest-Chefin werden« titelte etwa 2011 die Süddeutsche Zeitung am 8. März, dem Internationalen Frauentag. Zufall? Ja, purer Zufall, was die Schlagzeile aber nicht zum Positiven wendet. Denn im Artikel wird über die Tatsache, eine Frau an der Spitze eines Festivals dieser Größenordnung zu haben, keine weiteren Worte verloren, es ging nur um die Aufgeregtheit der Schlagzeile: »Eine Frau…!«
In einem Interview wurde Frau Iljine dann bei Amtsantritt gefragt, ob es noch andere Frauen in Führungspositionen von Festivals gäbe. Leider war Frau Iljine keine bekannt, aber sie war ja auch erst kurz im Amt. Eher sollte man sich doch über die Art der gestellten Frage wundern. Nur kurz, zur Erinnerung: Festivals, die in Deutschland in der Vergangenheit von Frauen geleitet wurden oder aktuell werden, sind die deutsch-französischen Filmtage in Tübingen, Ex-Ground in Wiesbaden, das Festival der Menschenrechte in Nürnberg, das Internationale Dokumentarfilmfestival in München, das Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, und das Internationale Frauenfilmfestival in Dortmund und Köln.
Auch im Jahr zwei von Frau Iljine und im Jahre eins von »Flexi-Quote«, Herdprämie, Femen & Co., sind die weiblichen Eigenschaften, die die Filmfestleiterin »pragmatisch« hinter sich zu lassen weiß, erwähnenswert. So schrieb die »SZ« am 22. Juni: »Diana Iljine ist zwar eine Frau mit langen blonden Locken, doch eine, die vor die Entscheidung gestellt, entweder mörderische Highheels zu tragen und großartig auszusehen oder doch lieber was Flaches und auch nach 23 Uhr noch klar denken zu können, immer den Bequemschuh wählen würde. Das ist ein Pragmatismus, der einen von der Stelle bringt.« Vorsichtshalber unterstellen wir dem Artikel eine nicht ganz ernst gemeinte Übererfüllung des »People«-Genres. Dennoch verwundert das Herumreiten auf die naturgegebenen Weiblichkeit der Leiterin.
Bevor ich nun selbst unter Rechtfertigungsdruck gerate angesichts des Vergrößerungsglases, das ich auf das Thema »Frau Iljine ist eine Frau« halte, muss gesagt werden: Das offizielle Motto des diesjährigen Filmfests lautet: »Starke Frauen, starke Filme«. Und wird so begründet: »In vielen Filmen spielen couragierte Frauen eine große Rolle. Aber auch viele Schauspielerinnen und vor allem Regisseurinnen prägen das Programm.« Auch das Filmfest setzt also ein Ausrufezeichen hinter die Tatsache Frau. Und anstatt mich darüber aufzuregen und ein Plädoyer für den Post-Genderismus zu halten, greife ich dies auf und mache etwas, was ich noch nie gemacht habe: Ich nehme das Programm des Filmfests unter feministischen Gesichtspunkten unter die Lupe.
Da ist zunächst Fanny Ardant, die Große, eine der Heroinen des diesjährigen Festivals. Einmal taucht sie wie eine halluzinogene Erscheinung in dem sehr machohaften, wenn auch ironisch gebrochenen »Bunga-Bunga«-Film von Paolo Sorrentino auf, La grande bellezza. Auch in Les beaux jours von Marion Vernoux, in dem sie die Hauptrolle spielt, ist Fanny Ardant durch und durch Dame mit einem mädchenhaften Körper, blondgefärbten Haaren, tiefschwarz umrandeten Augen und sphinxartigem Lächeln. Marion Vernoux (Love etc., Drehbuchautorin von Vénus beauté unter Regisseurin Tonie Marshall) inszeniert die Grande Dame des französischen Kinos als scheues Ding, das einem lüsternen Jüngling verfällt; es geht kurz um das Altern der Frauen, ihre sexuellen Wünsche, ihr Recht darauf, ihnen nachzugeben, wenn sich Gelegenheit bietet – und dann doch nur jemandem auf dem Leim zu gehen, der sein Testosteron nicht im Griff hat.
Vernoux lässt Ardant einmal sagen, ihr Vorhaben für das Pensionsalter wäre »Das andere Geschlecht« der Simone de Beauvoir zu lesen. Vielleicht legt sie mit diesem Satz die Unemanzipiertheit als deutliches Manko in die Figur der Caroline, der erfolgreichen Zahnärztin. Die, kaum nähert sich ihr ein Mann, in ein schüchternes Flüstern, nein, Hauchen verfällt. In ihrem Kampf gegen die Liebe und ihre eigenen sexuellen Begierden inszeniert Vernoux sie oft in unwürdigen, unterwürfigen und abhängigen Weibchen-Positionen, was deshalb so ärgerlich ist, da sie in jeder Szene als Frau inszeniert wird, und nicht, allgemeiner, als Mensch. In jeder Szene sollen wir die Ardant bewundern, die sich toll gehalten hat, obwohl sie schon über 60 ist, die mädchenhaft ist, obwohl schon über 60, mit einer jugendlichen Silhouette, obwohl schon über 60. Der jederzeit der Kopf verdreht wird, weil sie im Grunde ein Dummchen und eine Marionette in der Hand der Männer ist, kaum erhält sie Anerkennung, die sich aber wiederum auf ihre physische und gesellschaftliche Attraktivitäten der sichtbaren Oberfläche bezieht. Die französischen Frauen mögen zwar beruflich erfolgreich sein, kreuzt aber ein Mann ihren Weg, mutieren sie zu willenlosen Weibchen, so das Fazit beim Sehen des Films. (Les beaux jours, Sa., 29.06., 19:30 Uhr, Arri, und Mi., 03.07., 22:30 Uhr, Arri)
Agnès Jaoui behauptet sich schon seit Le goût des autres (Lust auf Anderes, 2000) als starke Regisseurin. Ihre Stärke ist ihr unübertreffbarer Sinn für Humor, den sie in aberwitzigen Szenen und trockenen Dialogen, die sie gemeinsam mit Jean-Pierre Bacri ersinnt, ausagiert. In Au bout du conte (wörtlich »Am Ende der Erzählung«, aber auch als Wortspiel »Au bout du compte«, etwa: »was am Ende bleibt«) zersetzt sie gekonnt und mit viel Leichtigkeit das Märchen vom Traumprinzen: Sie nimmt erkennbare Versatzstücke (Aschenputtel, Schneewittchen, Rapunzel), fügt diesen ein paar Prisen Marivaux'sche Geschlechter- und Liebesverwirrung hinzu und sieht dann genussvoll zu, wie sich unter der experimentellen Anordnung alle Träume in Luft auflösen.
Gesellschaftliche Realitäten und märchenhaftes Setting kreuzt Jaoui zu einer herrlich alp/traumhaften Grundkonstellation der Figuren, mit bösen Schwiegermüttern und alleinerziehenden Frauen, die Männer von ihrem Grant befreien und zu ihrer Seele hinführen. Das Opfer am Ende (»Au bout du conte / compte«) ist das erwachsen gewordene Mädchen (Agathe Bonitzer), das den Verführungskünsten des diabolischen Musikkritikers Wolf (passenderweise dargestellt von Benjamin Biolay) verfällt und darüber ihren Traumprinzen verliert. »So ist die Liebe: grausam«, bleibt ihr als Fazit des gebrochenen Herzens. Jaoui, und das ist tatsächlich stark, zeigt, wie schwach die Frauen in der Liebe sind, aber auch die Männer, bis auf den Puppen-Spieler Wolf. Eben alle bis auf den Spielleiter, ganz wie in der Liebeskonzeption eines Marivaux vorgesehen, in der sich die Innamorati die Liebe gegenseitig und sich selbst (ein)gestehen und dabei voreinander schwach werden. (Au bout du conte, Sa., 29.06., 14:00 Uhr, Atelier 1, Fr., 05.07., 19:30 Uhr, Atelier 1, Sa., 06.07., 17:00 Uhr, Atelier 1)
In den klugen Momenten des Lebens und der Gesellschaft löst sich die Geschlechterdichotomie auf, es gibt nicht mehr »die Männer« und »die Frauen«. Das wäre dann die Utopie des Geschlechtermiteinanders oder, wie die »SZ am Wochenende« am 22. Juni träumte: »Beide Seiten könnten die Kategorien 'Frauen' und 'Männer' kurz mal links liegen lassen und es probehalber hiermit versuchen: 'wir'.«
In Le temps de l’aventure löst sich die Geschlechterdifferenz in ein Zusammenspiel der Körper auf, in dem es nicht mehr um Gender geht, sondern nur noch um Sensualität, Intensität und Entgrenzung. Emmanuelle Devos, zweifelsohne eine der französischen Schauspielerinnen, die für die Rollen von starken Frauen besetzt werden, spielt die Theaterschauspielerin Alix, der ein ganzer Tag aus dem Ruder läuft. Das Mobiltelefon hat keinen Saft mehr, die Creditkarte ist gesperrt, mit der Schwester liefert sie sich einen befreienden Schlagabtausch, ihren Freund erreicht sie nicht, bei den unzähligen Male, in denen sie ihn aus der Telefonzelle aus anruft. Le temps de l’aventure zeigt ein intensives Kino des persönlichen Scheiterns, an einem Tag, der ein wenig verrückt ist, weil sich die Parameter verschoben haben. In diesem Ausnahmezustand wird Alix wie magnetisch angezogen von einem älteren Herrn (Gabriel Byrne), und dieser von ihr. Im Hotelzimmer lieben sie sich, einmal, zweimal. Gehen raus in die Straßen und lassen sich treiben, durch das Paris der Fête de la Musique, die gerade stattfindet.
Der fünfte Langfilm von Jérôme Bonnell zeichnet sich aus durch eine Beiläufigkeit und Unaufgeregtheit, die auf subtile Art die Seelenzustände seiner Protagonisten freilegen. Der Film läßt sich treiben wie die Figuren, mit einer zurückgenommenen Dramaturgie und ohne großen narrativen Gestus. Er findet statt im ahnungsvollen, aber letztlich unwissenden Beschreiben von Situationen, in die seine Figuren geraten, und zeichnet ein vages Bild des Absurden, das das Existentielle des Lebens und unsere eigene Geworfenheit zutage bringt. (Le temps de l’aventure, Do., 04.07., 19:30 Uhr, Atelier 1, Fr., 05.07., 17:00 Uhr, Atelier 1, Sa., 06.07., 17:30 Uhr, Atelier 2)
Ist echte Stärke, die keine Schwäche mehr kennt? Die Foxfire-Bande, eine Gang aus jungen Mädchen, die sich in den USA der 50er Jahre gegen die selbstherrlichen Angriffe und sexuellen Übergriffe von Männern mit brachialer Gewalt wehrt, kennt weder Gnade noch Furcht. Laurent Cantet hat den gleichnamigen Roman von Joyce Carol Oates verfilmt und genau hingesehen, wie sich in den 50er Jahren die patriachalischen Strukturen wie ein Netz über die gesellschaftlichen Möglichkeiten der
Frauen legten und sie festhielten, bis sie erstickten, wie April Wheeler in Revolutionary Road. Im oftmals dichten Close-up und mit einer stark bewegten Kamera zeichnet Cantet ein intensives Gruppenportrait junger Frauen zwischen Spring Breakers, Femen und Pussy Riot, die nicht mehr warten wollen,
bis man ihnen etwas zuteilt. Cantet hat mit Foxfire – Confesssions of a Girl Gang seinen ersten Kostümfilm hingelegt, und seinen ersten Film, den er komplett auf Englisch gedreht hat. Er zeigt das Stagnieren einer Gesellschaft, zeigt, welchen Weg mitunter Menschen gehen müssen, die ihrer Zeit voraus sind, zeigt die Härte und den Kriegszustand des vergangenen Geschlechterkampfs.
Die starken Frauen, auch das macht Cantet deutlich, werden hier von schwachen
Männern hervorgebracht, die so schwach sind, dass sie den Frauen keinerlei Stärke zugestehen wollen. Die starken Frauen sind aber auch jene, die marodierend durch die Gesellschaft ziehen, ohne wirkliches Ziel, weil man ihnen in den 50er Jahren keins gab. (Foxfire – Confesssions of a Girl Gang, Sa., 29.06., 16:30 Uhr, Atelier 1, So., 30.06., 21:30 Uhr, Atelier 1, Mi., 03.07., 14:00 Uhr, Atelier 1)
In der heutigen Zeit sieht dies, folgt man der »SZ«, nicht wesentlich anders aus: »Komplimente von Männern sehen die Frauen als sexuelle Belästiung, an der Stagnation im Job ist ausschließlich der Chef schuld.« Und wenn jetzt sogar die aufgedrehten Femen-Aktivistinnen nach dem allseits beklatschten »Germany’s Next Topmodel«-Auftritt unter Beschuss geraten, weil ihre Aktionen blind und ins Leere verlaufen, möchte man ausrufen: Frauen, fokussiert Euch, und werdet stark dabei!
Abschließend zur dem diesjährigen Motto geschuldeten »feministischen« Filmbetrachtung würde ich mich gerne folgenden – sonst immer weit von mir gewiesenen – Fragen stellen: Gibt es ein weibliches Filmemachen? Unterscheiden sich die Inszenierungen der Frau durch eine Geschlechtsgenossin von denen eines Mannes? Und lassen sich daraus Rückschlüsse ziehen, für das Selbstverständnis der Frau, für die Sichtweise des Mannes auf die Frau? Die Beispiele der
französischen Filme – soweit bislang gesehen – lassen zumindest folgende, vorläufige Thesen zu:
1. Frauen inszenieren Frauen eher in Bezug auf den Mann und weniger als selbständige und sich selbst erforschende Wesen.
2. Frauen sind schwach – so sehen sie sich selbst.
3. Frauen sind stark – aus der Sicht der Männer.
4. Die Differenz zwischen den Geschlechtern ist unüberwindbar, wenn auch anders als gedacht.
Und, um ein abschließendes Wort für die
französischen Spielfilme zu formulieren: Sie neigen, pauschal gesagt, dazu, auch emanzipierte und beruflich erfolgreiche Frauen als schwach zu zeigen, was aber immer mit der Liebe zu tun hat, der sie erliegen. Was erklärt, warum sich viele Filme aus Frankreich so ähnlich sind. Will man anderes erzählen, bleibt bisweilen nur der Ausweg, raus aus Frankreich und weg in eine andere Zeit.