Kinos in München – Filmtheater Sendlinger Tor
»Wer Kino macht, muss jung bleiben« |
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Nicht nur deutsche Filme: Das Sendlinger-Tor-Kino mit seinem großflächigen selbstgemalten Plakat |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Dunja Bialas & Ingrid Weidner
Es ist ein goldener Montag Ende Oktober. Mitten am Nachmittag hat sich in der schönsten Sonne eine Menschentraube vor dem Filmtheater Sendlinger Tor gebildet. Sie wollen, den aufgestellten Biertischen der benachbarten Wirtschaften zum Trotz, ins Kino gehen. Der Film, den sie sich ausgesucht haben, ist Exit Marrakech, eine filmische Reise ins Wüstenland Marokkos von Oscar-Preisträgerin Caroline Link und anscheinend verheißend genug, um den warmen Tag und die helle Sonne zu verschmähen.
Wir sind zum Gespräch mit Fritz und Christoph Preßmar, den Geschäftsführern des Sendlinger-Tor-Kinos verabredet. Das elegante Kino mitten in der City Münchens hat vor wenigen Tagen, am 17. Oktober, seinen 100. Geburtstag gefeiert. Höchste Zeit, um ein wenig hinter die Kulissen der alten Dame zu sehen.
Gleich darauf sitzen wir im Büro von Fritz Preßmar, in dem es stark nach Popcorn riecht, und kommen uns vor, als wären wir geradewegs im Bauch des Kinos gelandet. Die Fenster sind
verdunkelt, in den Büroräumen herrscht gedimmtes Kino-Licht. Genau die richtige Atmosphäre, um sich auf auf eine Zeitreise zu den Anfängen des Sendlinger-Tor-Kinos zu begeben. Später, als wir das Haus wieder verlassen und, erfüllt von den Erzählungen der Kinobetreiber, und noch einmal auf das hundertjährige Haus blicken, wird uns klar: Wir saßen direkt hinter dem großen, von René Birkner gemalten Kinoplakat.
Fritz und Christoph Preßmar, das sind Vater und Sohn, die gemeinsam das größte »Einzeltheater« Münchens mit 400 Plätzen führen. Die Konstellation »Vater und Sohn« hat Tradition bei den Preßmars. Fritz Preßmar, der heute 68 Jahre alt ist, wuchs mit dem Kino auf und war lange Zeit »Junior« an der Seite seines Vaters. Er war erst ein Jahr alt, als sein Vater Fritz Preßmar 1946 das leicht kriegbeschädigte Kino am Sendlinger-Tor-Platz übernahm, das damals unter dem Namen Central-Theater als Soldatenkino den G.I.s diente. »In Bayern gab es damals überall Soldatenkinos«, erzählt uns Fritz Preßmar. Sein Vater, der Kriegsheimkehrer Fritz Preßmar, hatte eine Ausbildung zum Filmkaufmann in der Reichsfilmkammer absolviert. Er betrieb das Kino zunächst im Auftrag der Amerikaner, bis es am 19. Dezember 1946 als »Filmtheater Sendlinger Tor« für die Zivilbevölkerung wiedereröffnet wurde.
Fritz Preßmar sen. führte das bereits vor dem Weltkrieg bei den Münchnern sehr beliebte Kino in eine goldene Zeit hinein. Mit überwiegend deutschen Filmen sorgte er für traumhafte Besucherzahlen bis Ende der 50er Jahre, meist war der Saal sogar zu 100 Prozent ausgelastet. Der »junge« Fritz Preßmar holt bei diesem Stichwort alte Buchhalterhefte aus dem Schrank. Zwar wirkt der Einband leicht vergilbt, doch die exakt notierten Zahlenreihen beeindrucken. Für jede Vorstellung wurden die exakte Besucherzahl und Einnahmen eingetragen. Auch wenn heute der Computer auf Preßmars Schreibtisch über ein Netzwerk direkt mit dem Buchungssystem der Kasse verbunden ist, wird noch die alte Tradition gepflegt: Für jedes Kinojahr wird ein neues Heft angelegt und die Zahlen fein säuberlich per Hand eingetragen.
»Nach den Goldenen 50ern kam drei, vier Mal das Kinosterben«, kappt Fritz Preßmar kurzerhand das Schwelgen in der guten alten Zeit. Klobige Fernsehgeräte eroberten die heimischen Wohnzimmer und setzten den Kinos gehörig zu. Die Besucherzahlen in den städtischen Kinos brachen ein, die ersten Kinobetreiber gaben auf. Diesem ersten Kinosterben folgten der Angriff des Videorekorder, der Multiplexe, der DVD und des Internets und schließlich die Digitalisierung, die als neue Kinotechnik in allen Häusern kostenspielige Umrüstungen erforderte.
Obwohl das Sendlinger-Tor-Kino die erste Kinokrise vergleichsweise gut wegsteckte, entschieden sich die Preßmars, die Anzahl der damals 750 Plätze auf die heute noch bestehenden 400 zu reduzieren. Das Sendlinger-Tor-Kino hatte bis in die 80er Jahre hinein den wichtigen Standortvorteil, Erstaufführungskino zu sein, was ihm gute Besucherzahlen garantierte. Es bekam Filme exklusiv von den Verleihern, die dann nur hier, am Sendlinger Tor, zu sehen waren. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber den Kinos in den Stadtteilen, von denen die meisten unter dem Erstaufführungsverbot litten und denen die Einführung des Fernsehers besonders zusetzte.
Auch wenn sich später aufgrund eines Kartellurteils, das das Exklusivrecht abschaffte, das Kino im Herzen Münchens die Erstaufführungen mit den anderen Kinos der Stadt teilen musste, konnte das Sendlinger-Tor-Kino immer gute bis sehr gute Besucherzahlen vorweisen. »Kino ist ein Gemeinschaftserlebnis«, betont Fritz Preßmar, der das Kino seit den 70er Jahren betreibt. Und fügt hinzu: »Die Leute schätzen das historische Ambiente unseres Hauses.« Schließlich genießen die Besucher des Cuvilliés-Theaters oder der Staatsoper auch die besondere Atmosphäre und nicht nur die Aufführung, da ist sich Preßmar sicher. »Auch bei einem Kinobesuch am Sendlinger Tor guckt man nicht nur auf den Film, sondern genießt das ganze Drumherum, auch vor dem Film.« Ein historisches Kassenhäuserl lädt beim Kartenverkauf auf eine kleine Zeitreise ein, im vornehmen Foyer mit goldglänzenden Messinggeländern und roten Samtsesseln lässt es sich gut auf den Vorstellungsbeginn warten. Irgendwie schmecken selbst die Süßigkeiten exklusiver, die man an der gut sortierten Theke erstehen kann. Die Popcorn-Tüten, oft Zugeständnisse an die heutigen Konsumbedürfnisse der Kinobesucher, muten an wie eine nostalgische Reminiszenz an die Anfänge des Kinos.
Schon als das Haus am 17. Oktober 1913 als erster Münchner Kino-Neubau seine Türen unter dem Lichtspielbetreiber Carl Gabriel öffnete, wollte man das Kinoerlebnis zu einem vornehmen Ereignis machen. Gabriel, der unter anderem als Schausteller auf dem Oktoberfest mit Filmen für Unterhaltung sorgte, wollte Kino aus der Jahrmarkt- und Unterhaltungsecke herausholen und einem anspruchsvollen Publikum nahebringen. Dementsprechend gab es einen Balkon, auf dem man wie in der Oper Überblick über das Geschehen im Parkett hatte. Ein prachtvoller Vorhang zog sich zur Vorstellung auf, und es gab sogar einen Orchestergraben – schließlich war Stummfilmzeit. Eröffnet wurde mit Die Herrin des Nils, der durchaus marktschreierisch angepriesen wurde: »Länge 2300 Meter! Spieldauer über 2 Stunden! Ein gewaltiges Meisterwerk in höchster Vollendung, übertrifft nach fachmännischem Urteil alles bisher dagewesene« prangte in großen Lettern auf dem Filmplakat.
Auch heute programmieren Fritz Preßmar und Sohn Christoph vor allem Filme, die für sie eine gewisse Qualität haben. »Wir schauen schon drauf, was in unser Haus und das Ambiente passt«, sagen sie. Das sind Arthouse-Filme und Literaturverfilmungen, die ein breites Publikum ansprechen, sowie gehobener Mainstream. Diese Strategie hat sich über die Jahre bewährt, denn alle Kinokrisen haben sie ohne größeren Schaden überstanden. Das besondere Geschick bei der Filmauswahl zeigt auch ein Blick in die Liste aller Filme seit den 1950er Jahren, die in der zum hundertjährigen Jubiläum erschienenen Festschrift zu finden ist. Deutsche und bayerische Filmproduktionen, so sehen wir an den Jahreslisten, zählen zum Markenzeichen und Erfolgsrezept des Kinos. »Und Komödien! Die Leute lachen einfach gerne«, fügt Fritz Preßmar hinzu, und in Gemeinschaft sei Lachen noch einmal viel ansteckender. Deutsche und bayerische Filme hier im Herzen der Münchner Innenstadt sehen zu können, in dem prachtvollen Eckhaus mit denkmalgeschütztem Interieur und historischer Fassade, auf der ein großflächiges Plakat des letzten bayerischen Plakatmalers prangt – das Fremdenverkehrsamt hätte sich das nicht besser ausdenken können. Von Das Wirtshaus im Spessart über Lausbubengeschichten, Das doppelte Lottchen bis hin zu Man spricht deutsh, die Otto-Filme, Die Geschichte vom Brandner Kaspar und zuletzt Dampfnudelblues: im Filmtheater Sendlinger Tor hat der deutsche und bayerische Film sein würdiges Zuhause gefunden.
Während sich die nahen Mulitplexe Cinemaxx und Mathäser sich gegenseitig Konkurrenz machen, wirkt das Sendlinger-Tor-Kino wie ein Solitär: Stolz, selbstbewusst, stilvoll und mit einem untrüglichen Blick für Qualität. Selbst im kinobegeisterten München sind solche markanten Häuser selten geworden. Vor kurzem wurde das Gloria-Kino am Stachus von der Kinopolis-Gruppe, die bundesweit die Kinolandschaft durch ihre Multiplex-Center ausgedünnt hat (das größte mit 14 Leinwänden ist das Münchner Mathäser), zum »Premium«-Kino umgebaut. Ledersessel und an den Sitzplatz gereichte Canapées und Champagner sollen seinem Konzept nach ein exklusives Kinoerlebnis verleihen. All das Brimborium hat das hundertjährige Filmtheater, das auf Historie setzt, nicht nötig. Außerdem genügt es selbstverständlich den Anforderungen des modernen Kinobesuchers: die Sessel sind bequem und die Technik stimmt, die Digitalisierung ist abgeschlossen, aber es kann auch immer noch der 35mm-Projektor angeworfen werden.
Neben den äußeren Qualitäten stimmen auch die inneren Werte: das Programm. Die Filme wählen Vater und Sohn gemeinsam aus, jeden Streifen haben sie vorab selbst gesehen, und immer haben sie ihr besonderes Haus und sein Publikum im Blick. »Horror, Science-Fiction und Gemetzel passen nicht in das Ambiente des Hauses«, so Christoph Preßmar. Effektefilme finde man hier nicht, dafür umso mehr Inhalt, auch wenn Filme mit schwierigen Themen sich auf die Besucherzahlen niederschlagen. Und James Bond natürlich, denn die traditionsreiche Filmreihe war schon immer am Sendlinger Tor zu sehen.
Vermutlich bleiben aufgetakelte »Premium«-Kinos eine vorübergehende Modeerscheinung und besetzen höchstens eine Nische. Schon allein die saftigen Eintrittspreise und das ganze Tamtam schrecken passionierte Kinobesucher ab. Lieber soll man, so raten Vater und Sohn Preßmar, auf die Auswahl besonderer Filme achten, und darauf, dass man sein Publikum nicht aus den Augen verliert. »Man muss beim Kinomachen mit dem Zeitgeist gehen, sowohl was die Technik als auch die Inhalte betrifft«, sagt Fritz Preßmar und fügt mit einem Blick auf seinen Kollegen und Sohn hinzu: »Man muss jung bleiben, sonst geht es nicht.«
Jung und auf der Höhe bleiben, damit das Kinomachen weitergeht und man sich nicht selbst abhängt. Es ist Zeit zu fragen, wie die Zukunft ihres Kinos aussieht, angesichts der Konkurrenz durch DVD und Video on Demand. Wie wird es mit dem Kino am Sendlinger Tor weitergehen? Haben sie keine Angst, dass auf einmal doch die Besucher wegbleiben? Christoph Preßmar, der BWL studiert hat, und zunächst im Bereich des Home Entertainments gearbeitet hat, betont: »Die Leute, die DVDs kaufen, sind meist auch Kinogänger.« Hier besteht also eine sich eher gegenseitige befruchtende Konkurrenzsituation, die das Kino nicht fürchten muss.
Mehr Gefahr birgt da die attraktive Lage des Kinos, über das schon seit längerer Zeit das Damoklesschwert der Zweckentfremdung hängt. Obwohl das Kino seinen Pächter an Umsatz und Gewinn beteiligt und als erfolgreiches Kino eine mehr als ordentliche Miete für den Standort bezahlt, kann für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, dass ein Investor kommt, und über das alteingesessene Kino mit einem Batzen Geld triumphiert. Aber braucht München wirklich einen weiteren Club oder einen gesichtslosen Flagstore an diesem historischen Platz?
Es ist Abend geworden, als wir den Büroraum hinter dem Marrakech-Filmplakat verlassen und auf den Sendlinger-Tor-Platz treten, der sich auf den Feierabend vorbereitet. Hektisch vorbeieilende Menschen tragen große Einkaufstaschen nach Hause, während andere vor den Cafés neben dem Kino ein Feierabend-Bierchen genießen. Wir nehmen uns vor, es ihnen demnächst gleichzutun: Im Sendlinger-Tor-Kino unbedingt einen deutschen oder noch besser, einen bayerischen Film gucken und danach das Flair der Stadt genießen. Denn schöne Kinos in München leben nur, wenn wir sie besuchen.