64. Berlinale 2014
Size matters, who cares? |
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Hat wieder keiner gesehen, oder wie? Golderner-Bär-Gewinner Black Coal, Thin ice |
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(Foto: Fortissimo Films) |
Von Dunja Bialas
Wer den Wettbewerb links liegen lässt, macht dies meist aus einer bewussten Entscheidung heraus. Ich habe tatsächlich mehrere Gründe für mein Schwänzen. Erstens: geht mir die Festival-Politik insgesamt wahnsinnig auf die Nerven. Filme werden in der Hierarchie von Welt-, internationaler, Europa-, Festlands-, nationaler und regionaler Premiere über die unterschiedlich Festivals verteilt. Ein A-Festival wie die Berlinale definiert als Voraussetzung für die Teilnahme am Wettbewerb das Überlassen von Weltpremieren. Miteinander konkurrierende Festivals, sei es, weil sie zeitlich eng beeinander liegen, wie Sundance, Rotterdam und Berlin, oder weil sie im Festival-Ranking genau darauf achten müssen, dass kein anderes ihnen den Rang abläuft, wie Berlin, Cannes und Venedig (und jetzt auch Rom), fahren demgemäß spitze Ellebogen aus, wenn es darum gilt, Weltpremieren zu erkämpfen. Nicht weniger als die internationale Bedeutung des Festivals wird hier in die Waagschale geworfen. Aber auch abseits des Wettbewerbs ergeben sich dadurch Embargos auf die Filme: Wer in Berlin gezeigt werden will, darf, um bei dem Beispiel zu bleiben, nicht in Rotterdam oder Sundance gelaufen sein. Weshalb der neue Film Airstrip von Emigholz Ende Januar nicht in Rotterdam zu sehen war, das eine Retrospektive seines Werks zeigte, oder der Ur-Berliner Uli Schüppel seinen Afrika-Film Tranzania.Living.Room aufgrund von Verträgen mit Rotterdam nicht auf der Berlinale präsentieren konnte.
Dann: das Buhlen der Festivals um Stars, die Wichtigkeit des Glamours. Solange die Presse sich noch wie hysterische Fans von George Clooney beeindrucken lässt und darüber vergisst, Journalisten gemäße Fragen zu stellen, wie ein SZ-Artikel über die Berlinale-Pressekonferenz offenbart, wird sich daran wenig
ändern.
Auch die Sponsoren verlangen nach großen Namen. Sponsoren wiederum braucht man natürlich, um ein Festival groß zu halten, den anreisenden Stars ein entsprechendes Umfeld zu bieten und repräsentative Empfänge, Blumen und Essen aufzufahren.
Und das Publikum geht ja allzu gerne, wie der Vorverkauf zeigt, in die Filme, die ohnehin wenig später ins Kino kommen und die meist im Wettbewerb laufen (wieso eigentlich?). Und zwar in die großen Produktionen mit den bekannten
Schauspielern, wie zum Beispiel George Clooney. Dass sein Film von der Kritik besonders schlecht besprochen wurde, spielt keine Rolle.
Es ist kein Geheimnis, dass Dieter Kosslick seit Jahren immer größere Schwierigkeiten hat, die Filme zu bekommen, die er will. Fragt sich nur, was er will. Dabei muss es ihm natürlich auch um die großen Namen gehen, allein schon wegen der Sponsoren und der Medienaufmerksamkeit (siehe oben). Aus der Not jedoch, bei vielen Wunschfilmen ins Leere zu greifen (es gibt auch noch die zeitliche Nähe zum Oscar, die sich wiederum mit Einschränkungen verknüpft), zeigt die Berlinale seit langem auch soziales Weltkino, das dann meist, wie auch dieses Jahr, den Goldenen oder zumindest den Silbernen Bären gewinnt. Und hinterher hat wieder keiner den Film gesehen, weil alle auf die großen Erwartungen – und Namen – gesetzt hatten. Und was ist mit der Jury? Auch hier scheint es Probleme auf der Besetzungscouch zu geben.
Die Berlinale inszeniert sich im Wettbewerb als Event. Dabei sein ist alles, außer für all die Film-Produktionen, die ihren Kalender so ausrichten, dass Cannes im Mai der Höhepunkt des Jahres ist. Dennoch: die Limousinen, die Boulevard-Presse, das Publikum, die Fotografen, der rote Teppich, das Hyatt, Kosslick und die Stars: Alle wollen aus der Berlinale etwas ganz Großes machen. Mindestens so groß und glamourös wie… Hollywood. Oder die Oscars!
Die Frage ist, ob es in diesem engen Geflecht von Filmen, Stars, Sponsoren und Publikum, mit der Festival-Konkurrenz und den internationalen Beobachtern im Rücken, ein Alternativkonzept für den Wettbewerb geben könnte. Letztes Jahr gab es Anzeichen, die Grenzen für die unterschiedlichen Sektionen durchlässig zu machen und zum Beispiel Miguel Gomez in den Wettbewerb zu holen. Dieses Jahr war der Grenzgänger wohl Dominik Graf. Am Ende bleibt bei allem zu fragen: Was würde
Kosslick wollen, wenn er sich nur richtig trauen würde?
Vorher aber müsste es heißen: Size matters, who cares?