67. Filmfestspiele Cannes
Warten auf Godard
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Jean Luc Godards Cannes-Beitrag: Adieu au langage |
Kommt er? Kommt er nicht? Es wäre gut, er würde kommen, denn die Filmkritiker brauchen ihn, wenn sein neuer Film auf die Leinwand kommt. Was hat er sich dabei gedacht? Welche ästhetische Ungeheuerlichkeit hat er sich wieder einfallen lassen? Wie soll man das alles verstehen? Was genau will er sagen?
Pressekonferenzen mit Godard waren immer ein großes Ereignis. Ihn öffentlich beim Verfertigen von Gedanken zu erleben hatte einen großen intellektuellen Mehrwert.
Und es durfte auch gelacht werden. Ich erinnere mich an eine frühmorgendliche Philosophiestunde mit JLG nach der Premiere von Nouvelle Vague (mein Gott, das ist über 20 Jahre her): »Ich habe gezögert,
hierherzukommen«, begrüßte er die Journalisten, »als Autor und Regisseur wäre ich nicht gekommen, als Co-Produzent muss ich meinen Co-Produzenten die Hand reichen und den Schauspielern, die in diesem Film mitgespielt haben. Und dann interessierte es mich einmal, dreißig Jahre später, nach Cannes zurückzukommen mit dem Gefühl der Erinnerung.«
Mich haben Godards spontane Äußerungen immer an Kleists Essay »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden« denken
lassen:
»Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein... Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l’idée vient en parlant.«
Godard wäre nicht Godard, wenn er den nächsten Bekannten, die da im Pressezentrum des 43. Festival International du Film de Cannes vor ihm saßen, nicht noch eine Unverschämtheit mit sanfter Stimme zugemutet hätte: »Sie reden einfach so daher... Sie müssen lange nachdenken, um die richtige Frage zu stellen, damit ich nicht gezwungen werde, Banalitäten zu faseln.«
Warum sind Godards Filme so anstrengend für seine Kritiker? Er selber weiß sehr viel zu sagen über das, was er wie macht. Er ist der Meister seiner Bilder und Töne, aber sind sie deswegen kompliziert? Zwischen JLGs Filmen und dem Publikum sitzen die Kritiker und machen sie so unverständlich, dass sie nicht mehr zu ertragen sind. Das hat Godard mit der Zeit müde gemacht. Nichts geht mehr. Die Wirklichkeit lässt sich im Film nicht rekonstruieren. Geschichten sind Erfindungen, Dialoge nur noch Zitate, die Darstellern in den Mund gelegt werden. Und die Bilder, sie stimmen nicht, man kann ihnen nicht glauben. Jean-Luc Godard hat eine tiefe Depression bemächtigt. Der respektlose und innovative Protagonist der Nouvelle Vague, der aggressive und kritische Beobachter politischer und gesellschaftlicher Vorgänge, der neugierige Handwerker eines Kinos der elektronischen Bilder, der Perfektionist im Herstellen von glasklaren Bildern und virtuosen Tonspuren, der unermüdliche Erforscher der wahren Geschichte des Kinos, er hat den Glauben an sein Medium verloren. Am Ende von For ever Mozart kommt der von ihm verkörperte müde, alte Regisseur die rote Treppe des leeren Foyers des Konzertgebäudes hoch, läßt sich auf der letzten Treppenstufe nieder und hört durch die geschlossenen Türen die Töne eines Klavierkonzerts von Mozart. Sie schwingen zu ihm als das Echo einer harmonischen Welt, die endgültig verloren ist. Keine Hoffnung mehr, nur noch Erinnerung. Sauve qui peut, Jean-Luc.
Wäre es nicht besser für die Kritiker gewesen, wenn Godard nach Cannes gekommen wäre? »Mais non« – und da ist diese leichte Melancholie im Blick und der etwas spöttische Zug um den Mund – »es gibt keinen Grund nach Cannes zu fahren. Ich war bereits dort. Vor 30 oder 40 Jahren hätte es mir Freude gemacht, die Palme zu bekommen, aber es hätte mir nicht gut getan. Um meinem Widerspruchsgeist treu zu bleiben: mir wäre es lieber, es gäbe keinen Preis und ich hoffe, dass sie sich nicht bemüßigt fühlen, einen kleinen Preis für das Lebenswerk zu vergeben. Man soll sich einfach den Film angucken und wenn sie ihn gut finden, sollen sie sagen, dass sie ihn gut finden«