Cinema Moralia – Folge 78
Figg Disch Vörderunck! |
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Fack ju Göhte | ||
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH) |
Fack ju Göhte wurde bisher von knapp 5.5 Millionen Zuschauern gesehen. Gefördert wurde der Film von den verschiedenen Instituten der deutschen Filmförderung mit mindestens 2,6 Millionen Euro – also etwas mehr als 50 Cent pro zahlendem Zuschauer. Diese Fördergelder setzen sich folgendermaßen zusammen: 900.000 Euro vom DFFF (Deutscher Filmförderfonds), 800.000 Euro vom FFF (Film Fernseh Fonds Bayern), 650.000 Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg, 300.000 Euro von der FFA (Filmförderanstalt), sowie weiteren 200.000 Euro Verleihförderung von der FFA und weiteren 150.000 Euro FFF-Geldern, ebenfalls als Verleihf örderung.
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Man braucht nicht viel Einfühlungsvermögen, um darauf zu tippen, dass sich die deutsche Filmförderung die Tatsache, dass Bora Dagtekins Film bisher fast 5.5 Millionen Besucher bekam, als einen Erfolg ihres Wirkens zurechnen dürfte. Schließlich gilt Fack ju Göhte als »erfolgreichster Film« des Jahres 2013, und bei dieser enormen Summe hat die Filmförderung dieses Ergebnis in gewisser Weise
überhaupt erst möglich gemacht.
Genau genommen allerdings handelt es sich bei diesem Ergebnis eher um die endgültige Pervertierung dieser Förderung – denn schließlich wurde das, was wir bislang noch »die deutsche Filmförderung« nennen, obwohl sie diesen Namen von Tag zu Tag weniger verdient, vor rund 50 Jahren einmal gegründet, um dem Kommerzkino ein kulturelles Gegengewicht an die Seite zu stellen.
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Die Behauptung des »erfolgreichsten Films« kann man schnell vom Tisch wischen. Fack ju Göhte ist keineswegs der erfolgreichste Film des Jahres. Wir müssen mal mit der Legende aufhören, dass ein Film, der nominell die meisten Zuschauer hat, auch automatisch der erfolgreichste Film sei. Das ist falsch, und wir meinen hier nur wirtschaftliche Kriterien – von Kunst und Kultur ist vorläufig nicht die Rede. Aber gerade streng ökonomisch betrachtet muss man danach fragen, wie hoch der Etat einer Produktion war, wie viel Zuschauer also pro eingesetztem Euro erwirtschaftet wurden? Und wie hoch die Fördersummen waren? Wie hoch der Marketingetat? Und natürlich von wem das Geld kam – ob also ein Produzent überhaupt ein bisschen eigenes Geld riskiert hat, oder er nur das anderer Geldgeber ausgegeben hat. Man könnte über stattfindende oder fehlende Rückzahlungen von Fördergeldern reden – bei denen es sich ja theoretisch nur um Darlehen handelt. Aber auch ganz offiziell werden keine zehn Prozent dieser Darlehen zurückgezahlt, inoffiziell liegen die Angaben bei unter vier Prozent. es handelt sich also in Wahrheit gar nicht um Darlehen, sondern um versteckte und kulturell ummäntelte Subventionen.
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Damit man das hier nicht falsch versteht: Nichts gegen Subventionen! Wenn mit offenen Karten gespielt wird, wenn die Bedingungen klar und die Vergabeformen fair sind. Wenn Wirtschafts- und Standortsubventionen auch so heißen und Kulturförderung auch der Kultur gilt. Womit wir fast bei der Kultur sind. Aber noch nicht ganz: Denn die wichtigste Frage nach wirtschaftlichem Erfolg lautet: Wie viele Zuschauer hat ein Film im Verhältnis zur Zahl seiner Filmkopien und zur Größe
der Kinos, in denen er gezeigt wird. Wie ausgelastet sind die Säle? Auch da würde Fack ju Göhte aber vermutlich recht gut abschneiden.
Darum kommen wir jetzt endlich zur Kultur.
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Längst kapituliert die Filmförderung vor dem Druck der Märkte. Ihrer Aufgabe, der Kunst und dem Kino, das es an der Kasse schwer hat, Möglichkeiten zu schaffen, wird sie kaum noch gerecht.
Ein Film, der nach eigener Definition niemals Kunst sein will, der nichts ist als Ware, darf auch keinen Zugriff auf Kunstfördertöpfe haben.
Ein Film, der nie auf einem Filmkunstfestival wie der Berlinale laufen könnte, muss nicht 2,6 Millionen Fördergelder bekommen – und damit
natürlich das Geld anderen, besseren Filmen entziehen.
So pervertiert Kulturpolitik sich selber. Dringend müssten alle, die sich fürs Kino interessieren, alternative Fördermodelle entwickeln. Das Beispiel anderer Länder lehrt viel. Zum Thema machen müssen wir aber endlich auch die Rolle des Publikums. Denn es ist ja nicht zu bestreiten, dass über 5 Millionen in Fack ju Göhte gehen. Aber
nicht weil der Film gut ist, sondern weil die Leute keinen Geschmack haben. Weil dieser Geschmack systematisch verbildet oder gar nicht erst gebildet wird.
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Das beste Beispiel für diese These ist das deutsche Feuilleton, vor allem in den sogenannten »Qualitätszeitungen«: Dort wurde Fack ju Göhte zum Filmstart weitgehend ignoriert. Dann kommt der Erfolg und plötzlich müssen sich alle klugen Köpfe volksnahe geben, und »das Phänomen erklären«, sprich den Leuten nicht etwa die Frage stellen, ob sie irgendein Kriterium für Qualität im Hirn haben, sondern ihnen beflissen nach dem Mund reden und zum Berlin-Mitte-Partygespräch die Begründung nachliefern, warum man den Schwachsinn gut finden darf. Wo solche Texte erscheinen, schafft sich »Qualitätsjournalismus« selbst ab – und wir werden ihn nicht vermissen.
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Der Münchner Regisseur Edgar Reitz, Schöpfer des HEIMAT-Epos und einer der Gründerväter des existierenden Filmfördermodells, hat aus den schlechten Erfahrungen längst eine klare Konsequenz gezogen: Im WDR-Gespräch plädierte er kurz vor Weihnachten dafür, die Förderung in der jetzigen Form einfach ersatzlos abzuschaffen: »Ich glaube, dass sich der deutsche Film emanzipieren muss von den Geldquellen des Fernsehens.
Ich glaube, dass eine Generation von Filmemachern
heranwachsen muss, die den Mut und die Kraft hat, ohne das Geld des Fernsehens Filme zu machen. Man muss auch in der Filmpolitik lernen, die Weichen richtig zu stellen. Das gesamte Fördersystem in Deutschland könnte einen guten deutschen Film auf die Beine stellen, wenn künstlerische Entwicklung das Ziel wäre – das ist überhaupt nicht der Fall. Es wäre ein neues Oberhausen fällig, dass die Emanzipation des Kinos von den Abhängigkeiten des Fernsehens ebenso fordert wie
von den Fördersystemen, sofern sie nicht die Filmkunst wollen. ... Jetzt sitze ich vor einem 25-jährigen Redakteur, und muss jede Einstellung begründen, als hätte ich in meinem Leben noch nie Filme gemacht.«
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Ein anderer Text hat eine ähnliche Tendenz: Produzent Martin Hagemann schrieb ihn bereits Anfang Dezember in der Frankfurter Rundschau: Unter dem Titel »Kommerz und Kunst – nur nichts dazwischen« macht auch Hagemann die Macht des Fernsehens und die Anfang der 60er begründete Filmförderung für die Misere verantwortlich. Hagemanns differenzierter Text macht auf viele wichtige Aspekte aufmerksam und lohnt die Lektüre. Mehr dazu demnächst.
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Neues aus der Kontrollgesellschaft: Kurz nach Silvester plädierte Silke Giebel, eine Politikerin der GRÜNEN für ein Recht auf böllerfreies Silvester. Böllern solle nur noch auf klar umgrenzten Flächen stattfinden. Gewiss wäre das für Kinder und Haustiere eine sehr nützliche Sache, weil sie dann nicht zur Stunde Null ängstlich unter dem Sofa kauern müssen. Genauso nützlich wie Vegetarismus und Alkoholverzicht, wie das Rauchverbot und Radfahrhelme. Allerdings hat der Helm dann Michael Schuhmacher genauso wenig genutzt, wie Angela Merkel ihre Bodyguards. Woraus die Gesundheitspolizisten der puritanischen Mehrheitsgesellschaft bestimmt nur den Schluß ziehen, Skifahren und Langlauf überhaupt zu verbieten – ist ja auch besser für die Landschaft. Man könnte umgekehrt auch sagen: »No risk, no fun«. Eigentlich weiß jeder, dass Lebensfreude auch immer Gefahren birgt. Nur, wer auch mal was riskiert, statt alles immer nur ängstlich zu vermeiden, nimmt am Leben richtig teil. Der Fall Schuhmacher beweist nur, dass es kein gelungenes Leben ohne Risiko gibt, dass das unausgesprochene Projekt der zeitgenössische Gesellschaft, sich und ungefragt auch allen anderen mit allen erdenklichen Mitteln jede Gefahr vom Leib zu halten, zum scheitern verurteilt ist. Dass wir sterben müssen. Und dass es für die Gesellschaft wie für den Einzelnen besser ist, zumindest in gewissen Maßen und immer mal wieder gefährlich und risikoreich zu leben. Übrigens nicht nur für die Gesellschaft und den Einzelnen, sondern auch für die Kunst.
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»Das was leicht ist, ist sehr häufig falsch und führt nicht in die Zukunft. Diejenigen, die mir den Weg leicht bereiten, sind nicht unbedingt meine Freunde. Sondern sie locken mich vielleicht dahin, wo sie mich gerne hätten.«
Edgar Reitz
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»Vinegar Syndrome« – das klingt niedlich-neckisch. Ab und an tauchte diese Rede vom »Essig-Syndrom« zuletzt in Diskussionsrunden auf, zum Beispiel im Frankfurter Kunstverein, in denen es um den Zustand des Filmerbes ging.
Gar nicht niedlich sind aber die nackten Fakten: Alles Essig! könnte man sagen – die deutschen Behörden, auch das sonst zu Recht so gelobte BKM gehen mit dem Film-Erbe nicht gerade sehr gut um. Während Frankreich für die Digitalisierung und
Umkopierung seines Film-Erbes in einem Zeitraum von 6 Jahren 400 Millionen Euro bereitstellt, sind es in Deutschland gerade mal 2 Millionen jährlich für ein paar bekannte Filmtitel. Wenn die Politik diesen grassierenden Zerfall unseres Film-Erbes weiter ignoriert, müssen wir in den kommenden Jahren mit dem Verlust der meisten Filme rechnen. Um den abzuwenden, gibt es eine Petition, auf die wir an dieser Stelle bereits aufmerksam gemacht haben. Sie fordert eine Zusammenarbeit von Bund
und Ländern und aller Archive.
Zusammen mit vielen Kollegen und Verbänden, darunter dem Verband der Filmkritik [www.vdfk.de] möchte ich hiermit alle Leser auffordern, zu unterzeichnen.
Hier noch einmal die Links:
https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2013/_11/_26/Petition_47385.html
http://filmerbe-in-gefahr.de/page.php?0,512,
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»Bildung schadet nicht«
Aby Warburg
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.