Cinema Moralia – Folge 81
Dieter Kosslick und die wilde 13 |
||
Fahrstuhl zu den Bären: Wes Andersons The Grand Budapest Hotel | ||
(Foto: Twentieth Century Fox of Germany GmbH) |
»Festivals sind die letzten Orte, an denen man sicher sein kann, dass das, was man sieht, nicht zur selben Zeit schon irgendwo zum Download bereitsteht. Man steht Schlange, man lässt sich von dem weißen Auge mit seinem stieren Blick zusammenbannen, das Hier und Jetzt ist spürbar. Man weiß wenig oder nichts über den Film – alles Glück ist möglich. Der Abstieg kommt noch früh genug.«
Das schrieb Michael Althen, vor genau vier Jahren, am 6. Februar 2010, in der FAZ kurz vor der 60.
Berlinale, die seine letzte werden sollte.
+ + +
»Malt« – ein Stich ins Herz ist es immer noch, wenn man an ihn denkt, fast jeden Tag, daran, dass er nicht mehr da ist. Zum Beispiel morgen Abend, am Eröffungsdonnerstag zum Bier im Berlinale-Palast. »Wie lange wird der Film das Kino noch brauchen?« hieß der melancholische Text, der mit diesem Zitat endet. Gute Frage. Ob sie an den nächsten zehn Tagen eine befriedigende Antwort findet?
+ + +
The Grand Budapest Hotel – mit diesem neuen Film von Wes Anderson wird heute Abend die Berlinale eröffnet. Es gibt Grund zur Hoffnung auf einen gelungenen Auftakt: Denn der Amerikaner Anderson ist immer für pfiffige Scherze und intelligente Leichtigkeit gut. Ebenso für Stars, also das, wonach die Berlinale vor allem giert: The Grand Budapest Hotel zeigt uns Ralph Fiennes, Bill Murray, Tilda Swinton, um nur die bekanntesten aus einem ganzen Dutzend zu nennen. Und auch die Geschichte passt: ein Luxushotel in früheren Zeiten, eine typisch britische Krimigeschichte, ein Hauch von Alt-Europa und Downton Abbey mit klassenbewussten Dienstboten und einer Oberklasse, die die Regeln lässig nimmt – so ungefähr könnte man auch ein in die Jahre gekommenes Filmfestival beschreiben, dass sich den neuen Zeiten der digitalen Ökonomie anzupassen sucht, und sich seiner alten Werte nicht mehr sicher ist.
+ + +
Wer sich dann das Programm vornimmt, und ganz genau hinguckt – oder nicht genau genug – der kann sich wundern: 13 deutsche Filme laufen im Wettbewerb!!! Wirklich? Moment... Nein, doch nicht – Irrtum. Denn der eine kommt aus Uruguay, der nächste aus Frankreich. Dann einer aus Brasilien, ein Kunstporno aus Dänemark, gleich zwei Filme aus Amerika, auch The Grand Budapest Hotel – trotzdem steht irgendwo immer Deutschland drauf, aber das einzig Deutsche daran ist am Ende immer das Geld der deutschen Filmförderung.
+ + +
Nein, es soll jetzt nicht darum gehen, dass dieses Geld natürlich auch immer irgendwelchen anderen deutschen Filmen fehlt, die es womöglich dringender brauchen als Regieweltstars wie Wes Anderson, George Clooney oder Lars von Trier.
Es geht einfach nur darum, wie man das Programm eines solchen Festivals am besten erklären kann. Wer die Berlinale und ihr Programm wirklich verstehen will, der sollte im Katalog nicht nach den Namen der Regisseure, nach der Filmstory oder nach Ästhetik
gucken, sondern nach den Namen der beteiligten Förderer, nach Förderprogrammen wie dem »World Cinema Fund«, dem »Talent Campus«, dem »Hubert Bals Fund« und nach den Namen der Weltvertriebe und der beteiligten Co-Produzenten.
Natürlich geht es der Festivalleitung auch um filmische Qualität, hoffentlich jedenfalls. Natürlich geht es um eine gute Mischung aus Ländern und Stilen. Vor allem aber geht es um Geld und um Kulturpolitik, darum, der deutschen Filmbranche einen Gefallen
zu tun.
+ + +
13 Filme also mit deutscher Förderbeteiligung, darunter immer noch vier deutsche Regisseure im Wettbewerb, insgesamt noch viele weitere deutsche und halbdeutsche Filme in den fünf Nebensektionen des Filmfestivals: Wenn Dieter Kosslick, der Schwabe, der schon seit 2001 Direktor der Berliner Filmfestspiele ist, heute Abend also »seine« 13. Berlinale für eröffnet erklärt, dann muss man fast zwangsläufig den Eindruck bekommen, das deutsche Kino sei eine Weltmacht, dem deutschen
Film könne es gar nicht besser gehen. Ganz so ist es nicht, und leicht verklärt das Party-Konfetti, das jedes Jahr pünktlich zum Karneval auch Berlin – zumindest rund um den Potsdamer Platz – für zehn Tage in eine fünfte Jahreszeit verwandelt, den Blick.
Kamelle werden zwar nicht geschmissen, aber auf dem Roten Teppich vor dem Berlinale-Palast, der eigentlich ein Musicalsaal ist, herrscht permanente Rosenmontagsstimmung, dort tobt dann die Ausgelassenheit der Fans um
die Wette mit dem Wahnsinn einer PR-Industrie, die sich zunehmend verselbständigt und allmählich die Herrschaft über das übernimmt, dem sie doch eigentlich dienen sollte.
+ + +
Ein Fest des Kinos sind die Berliner Filmfestspiele aber allemal und unabhängig von den alljährlich gleichen Fragen, ob denn nun der Wettbewerb besser oder schlechter ist, als letztes Jahr, ob der richtige Film am Schluss den Goldenen Bären bekommen wird.
In der großen Kino-Schatzkiste, die dieses Festival immer auch ist, findet man dieses Mal auch besonders viele Chinesen – kaum kaum ein Kontrast könnte größer sein, als der zwischen dem deutschen Subventionskino, dass das
Fernsehen zwangseinbindet, und echte Unabhängigkeit systemisch gar nicht mehr zulässt, und den Chinesen, die trickreich unter den Zensurhürden durchschlüpfen, und damit in den letzten 25 Jahren eine Ästhetik des Bildererzählens, der Flüchtigkeit und der poetischen Wahrhaftigkeit entwickelt haben, die das Weltkino revolutioniert hat.
So bleibt auch die Berlinale trotz allem einer der letzten Orte, an denen man dem Kino noch in unschuldigem Zustand begegnet: Nicht alles
ist fertig, nicht alles verkauft, nicht jeder Film hat eine Presseagentur, die bereits ein Marketingkonzept ausgeklügelt hat – die Filme die man hier sehen wird, müssen ihre Erzählung erst noch finden. Wie schön!
+ + +
So fällt die Filmwelt heute Abend wieder in ihr Kino-Wunderland: Man vergisst Freunde und Familie, denkt nur noch in Film-Kategorien, freut sich dass man Schlange stehen darf, nur noch vier Stunden Schlaf findet, und der Blick zunehmend stier und verengt wird – ganz allein in der Gegenwart des Kinos. Eine verrückte, tolle Welt!
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.