Cinema Moralia – Folge 82
Das Kunstkartell schlägt zurück |
||
Arne Birkenstocks Beltracchi – Die Kunst der Fälschung | ||
(Foto: Senator) |
»Ein Kritiker muss dem Mainstream widerstehen, er sollte die Seite stark machen, die in der öffentlichen Debatte gerade schwach ist. Ein Kritiker ist nur dann einer, wenn er sich als Anti-Establishment versteht.«
Susan Sontag, mal wieder, diesmal in einer Szene in Martin Scorseses Untiteled New York Review of Books Project, der als »work in progres« auf der Berlinale lief.
+ + +
Empörung an sich mag verständlich sein, ist aber immer auch etwas fragwürdiges. Sehr nachvollziehbar kritisierten gerade deutsche Medien in den letzten Jahren Empörungstendenzen in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Wenn es um die »Wutbürger« von Stuttgart ging, um Sarrazins Geschwätz von den Kopftuchmädels, um europafeindliche D-Mark-Freunde, um Rechtpopulisten oder zuletzt um Schweizer Fremdenfeinde – da standen die deutschen Journalisten instinktsicher gegen solch' vermeintlich »gesundes Volksempfinden«, plädierten für Vernunft, Differenzierung, Objektivität. Mit anderen Worten: Für Aufklärung.
+ + +
Gefährlich wird es dann aber schnell, wenn sich Journalisten einmal selbst empören. Dann kennen sie keine Gnade, dann trieft Moral und Rechtschaffenheit aus jeder ihrer Zeilen, so, als sei man froh, endlich einmal das offenbar so schwere Joch der Skepsis abwerfen und ganz subjektiv drauflosledern zu dürfen. So, als fürchte man auch ein wenig die eigenen Zweifel, den eigenen Verstand, und müsse daher um so lauter sich krakeelend gebärden. Weil es natürlich sie selbst betrifft.
So geschehen vor Jahren beim »Fall Tom Kummer«, jenem SZ-Journalisten, der Interviews frei erfunden hatte. Dass dazu immer auch ein paar Leute gehörten, die sie ihm gern und gegen alle Zweifel abkauften, wurde schnell vergessen. Erst recht die Frage, ob diese Interviews womöglich gut und interessant zu lesen waren, ob sie in gewissem Sinn »Kunstwerke« waren, und ob die ganze Geschichte womöglich einige tiefere Wahrheiten über den Medienbetrieb verriet.
Noch einmal ging es so,
als dann ein Film über Kummer gemacht wurde.
Und jetzt gibt es endlich wieder einen Anlass: Diesmal sind es vor allem Kunstkritiker und Kunstjournalisten, die mit Schaum vorm Mund und wie gleichgeschaltet, mit unter auch recht hirnlos und in jedem Fall ohne eine Spur Humor und Gelassenheit über einen Film reden und schreiben: Die Kunst der Fälschung ist ein Dokumentarfilm, der kommende Woche in die deutschen Kinos kommt. Er handelt von dem Fall des Malers und Kunsthändlers Wolfgang Beltracchi und all den interessanten Geschichten, die dazugehören: Beltracchi hat über Jahrzehnte Gemälde erfunden und diese Werke als angebliche Originale für hohe Summen verkauft. 2010 flog der Fall auf, 2011 wurde Beltracchi wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt, und in der Öffentlichkeit zum »Jahrhundertfälscher« erklärt.
+ + +
Überraschend ist für den, der den Film gesehen hat, nicht unbedingt, dass er bei manchen auf heftige Ablehnung stößt. Überraschend ist aber sehr wohl, wie einhellig und hysterisch im Ton diese Ablehnung ist, und wie falsch sich hier oft die Redaktionsleitungen verhalten.
+ + +
Falsch ist erst einmal etwas Grundsätzliches, das immer wieder geschieht, wenn es um Kino geht: Die Tatsache, dass die Filmkritik auf stillem Weg ausgeschaltet wird, wenn ein Film scheinbar von einem »Thema« handelt. Wie oft hat man das erlebt: Handelt ein Film von Fußball oder Bobfahren, schreibt plötzlich der Sportreporter die Filmkritik, geht es um einen Komponisten darf der Musikredakteur ran, bei Ziemlich beste Freunde die Frankreich-Korrespondentin, oder die Literatur-Redakteurin, die Romanistik studiert hat, bei Die Mühle und das Kreuz die Kunstredakteurin, und bei Harry Potter die Modefachfrau, die einfach Fan ist.
Das ist einerseits ein vertretbarer Ansatz und soll auch gar nicht grundsätzlich verdammt werden. Es belegt aber die Geringschätzung des Kinos als Kunst, es beweist die Tatsache, dass man der Ansicht ist, von Film müsse man eigentlich nicht mehr verstehen, als jeder im Publikum, um das Werk beurteilen zu können, von Kunst (oder Literatur, oder Frankreich oder Fußball) aber schon. Wäre es anders müsste dann ja konsequenterweise, wenn umgekehrt Harun Farocki im Museum Ludwig ausstellt, oder Haneke eine Oper inszeniert, oder Petzold ein Theaterstück, dann »der Filmkritiker« zuständig sein. Das ist aber keineswegs der Fall.
+ + +
Die Kunst der Fälschung wird nun in den ersten Berichten konsequent von Kunstkritikern besprochen, nicht von Film-Experten. Das Ergebnis ist fatal. Zum einen ist es überaus oberflächlich: Regisseur Arne Birkenstock wird ständig überaus billigen persönlichen Anfeindungen und Unterstellungen ausgesetzt – er ist nämlich der Sohn von Beltracchis Anwalt, was ihm überhaupt einen
Vertrauensvorschuss und den Zugang zu diesem verschaffte. Natürlich hat er sich damit auch Blößen gegeben, und gewissermaßen angreifbar gemacht. Andererseits ist die Sippenhaft in Deutschland abgeschafft, und die anderenorts doch so unparteiischen und unvoreingenommenen Kollegen scheinen zu vergessen, dass der Anwaltsberuf nichts ehrenrühriges ist. Selbst geständige Verbrecher haben das Recht auf bestmögliche Verteidigung.
Zumindest könnte man ja Arne Birkenstock
einmal die Frage stellen, warum und inwiefern er sich eigentlich für unbefangen hält, oder wie er mit möglicher Befangenheit umgeht.
Das fragt aber keiner, stattdessen wird der Film behandelt wie eine Fortsetzung des Plädoyers der Verteidigung.
+ + +
Dafür müsste man den Film allerdings erst mal überhaupt angucken. Was nicht ausreichend geschieht: Mit mehr als einer Handvoll Redakteuren habe ich allein an diesem Mittwoch über den Fall Beltracchi und über Birkenstocks Film diskutiert – kein einziger hatte den Film gesehen, aber alle wussten Bescheid: Es gehe doch nicht, dass man einem Kriminellen auch noch den Roten Teppich ausrolle, meinte eine, ein anderer erzählte vom »Hype« um Beltracchi, und davon, dass er »durch alle Talkshows gereicht« werde. Ist das Neid auf die Kollegen, oder gar Beltracchi selbst. Man könnte das zum Anlass einer geistreichen Betrachtung über die Seele im medialen Zeitalter nehmen: Ist eigentlich die Talkshow schuld, oder der Talkshowgast?
+ + +
Statt dass man über diesen Film vernünftig und sachorientiert debattiert, triumphieren Halbwissen und plumpe Gesinnung. Alles ist dermaßen einseitig, mit immer denselben Gesichtern sogenannter »Experten« – der offenbar sehr medienaffine Ermittler, und ein unbedingt medienaffiner Buchautor, die ihre immergleichen Sätze in alle Kameras sagen, egal, ob die ihnen nun von »Aspekte« oder von »ttt« vor die Nase gehalten werden.
Gesinnung triumphiert.
Mainstream-Gesinnung.
+ + +
Was dieser Fall eigentlich belegt, ist, dass die Debatten- und Streitkultur in Deutschland auf den Nullpunkt gekommen ist. Verstanden sich Journalisten einst als Hecht im Karpfenteich, war es Berufsehre, »Anti-Establishment« (Susan Sontag) zu sein, schwimmen sie heute am liebsten im Schwarm, denn da ist es wärmer.
Sie sind Mitmacher.
»Manufacturing Consent« – was Noam Chomsky vermeintlich ein bisschen paranoid für die Privatfernsehsender der 80er-Jahre
beschrieben hat, trifft längst auch auf große Teile der europäischen Medien, auf viele öffentliche Sender und sogenannte Qualitätszeitungen zu: Überall steht das Gleiche, man verstärkt nur gegenseitig den Lärm.
Selten habe ich mich so an Chomsky erinnert gefühlt wie dieser Tage.
+ + +
Die herrschenden Empörer stellen die andere Seite gleich als Gegner moralisch in die dunkle Ecke und ersticken jede ernsthafte Debatte im Keim. Ist ja klar, wer die Guten sind. Weil die Empörer ihre Meinung mit Gesinnung verwechseln, und aus einem facettenreichen Thema eine Grundsatzfrage machen, bei der die Moralkeule ausgepackt und drauflosgedroschen wird.
+ + +
In diesem Fall geht es aber noch um etwas anderes, nicht um Moral, sondern um ihre hässliche Schwester, die Unmoral: Der Kunstszene wurden Beltracchi und sein Fall zum Objekt großer Aggressionen, schwankend zwischen Hass und Verachtung. Das liegt ganz offenkundig nicht allein daran, dass sie von Betracchi an der Nase herumgeführt wurde, oder an den hohen Beträgen, die von Galerien, Museen und Sammlern auf seine Konten flossen – denen übrigens noch weit höhere Einnahmen auf der
Händlerseite nachfolgten, von denen Beltracchi nichts hatte. Sie liegt mindestens ebenso sehr in der Tatsache begründet, dass der Fall Beltracchi und seine Folgen plötzlich grelles Licht auf eine Szene warfen, die selbst sehr daran interessiert ist, ihren Geschäften in einem diffusen Halbdunkel aus Diskretion und Insiderwissen, Heimlichtuerei und persönlichen Beziehungen, gegenseitigen Gefallen und Expertenkrämerei, Barzahlung und Gerücht zu nachzugehen. So ist es für
nahezu alle Beobachter kaum zu glauben, dass über drei Jahrzehnte niemand Verdacht schöpfte, keiner nachfragte, was es mit der Herkunft der plötzlich auftauchenden Beltracchi-Bilder auf sich hatte. Auch bleibt unverständlich, wie sich namhafte Kenner, ob der geschäftstüchtige Max-Ernst-Experte Werner Spies oder die Leitung des Kunsthaus' Lempertz über Jahre täuschen ließen – es sei denn, man stellt die Tatsache in Rechnung, dass sie mit bezahlten Gutachten und lukrativen
Auktionsergebnissen noch weit mehr verdienten, als die Fälscher.
Zudem steht ein zentraler Verdacht, der neben der Komplizenschaft womöglich noch wichtiger ist, weiterhin unwiderlegt im Raum: der, dass die größte Zahl der von Beltracchi gefertigten Bilder weiterhin unentlarvt als vermeintliches Original in Museen und Sammlungen hängt. Ohne Frage haben hier viele Seiten kein Interesse an echter Aufklärung.
+ + +
Man hat hier also den unbedingten Eindruck, dass das Kunstkartell zurückschlägt, und gut organisiert einen Film, den es nicht verhindern konnte, nun auf anderem Weg fertigzumachen versucht.
+ + +
Die Journalisten, die über Kunst und Galerien und die Kunstszene berichten, nagen an den Knochen, die von diesen reich gedeckten Tafeln abfallen. Manche dürfen sogar selbst am Tisch Platz nehmen. Sie brauchen das Wohlwollen und die Gunst der Szene. Dass sie sich diese nicht verscherzen wollen, dass sie sogar etwas tun, um ihre Position zu verbessern, oder vielleicht mal selbst ein hübsches Gutachten oder einen Katalogaufsatz zu schreiben, oder einen Kuratorsessel zu wärmen, kann man ihnen noch nicht einmal unbedingt verdenken. Auch wenn es nicht hübsch aussieht.
Schuld haben hier die Redaktionen und Verlage, die sie nicht aus der Schusslinie nehmen, die ihre Position nicht derart sichern, dass derlei Gunsterweise undenkbar wird. Eine Ursache ist auch, dass man offenbar gar nicht mehr den Willen und die Lust hat, aufzuklären und einmal das System Kunstbetrieb ehrlich in den Blick zu nehmen. Dass alle nur dabei sein und dazugehören wollen.
Ursache ist also letztlich das auf den Hund gekommene Selbstverständnis der Kritik. Von uns allen natürlich. Denn Filmkritiker sind nicht besser. Viele von uns verraten die Profession genauso schnell, wenn es mit Macht und Geld gelohnt wird. Wir bieten kein Bild, dass die Kunstkritik-Kollegen zwingen könnte, sich ein Beispiel zu nehmen.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.