Cinema Moralia – Folge 83
F for Fake reloaded... |
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Der Alchemist: Beltracchi vernebelt so manchem den Verstand | ||
(Foto: Senator) |
»Das Verhältnis zu den Eltern beginnt traurig, schattenhaft sich zu verwandeln. ... Einmal rebellierten wir gegen ihre Insistenz auf dem Realitätsprinzip, die Nüchternheit, die stets bereit war, in Wut gegen den Nicht-Entsagenden umzuschlagen. Heute aber finden wir uns einer angeblich jungen Generation gegenüber, die in jeder ihrer Regungen unerträglich viel erwachsener ist, als je die Eltern es waren; die entsagt hat, schon ehe es zum Konflikt überhaupt kam, und daraus ihre
Macht zieht, verbissen autoritär und unerschütterlich.«
Th. W. Adorno, »Minima Moralia«, S.22
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Gähnen inklusive. Wieviel Bücher von Adorno hat Doris Dörrie wohl gelesen? Muss sie ja auch nicht, der Frankfurter Philosoph ist keine Lektüre für jedermann. Sie muss sich allerdings auch nicht auf seine Kosten lustig machen.
Dörries neuester Film, Alles inklusive, der eine eigene Rezension einfach nicht wert ist, weil er ist, wie alle von Dörries letzten Filmen, erzählt von einem
Generationenkonflikt: Alternde Hippie-Mami, gespielt von Hannelore Elsner und ihre von Nadja Uhl gespielte Tochter, die auf den Namen Apple hört und so spießig wie neurotisch ist. Damit wir letzteres merken, hat sie ihren Hund auch »Freud« getauft. Das Problem des Films ist nicht allein, der reaktionäre Umgang mit dem Sujet, es ist schon eher seine wahnsinnige Humorlosigkeit, die sich mit verkrampften Witzchen tarnt. Vor allem aber ist es die Tatsache, dass der Film noch zehnmal
spießiger ist, als die Tochter-Figur. Die einzige unsympathische Figur des Films ist eine von der hier wirklich bedauernswerten Juliane Köhler gespielte Radiomoderatorin. Sie wird als weltfremde Kopfgesteuerte charakterisiert, die – natürlich – Adorno zitiert und – natürlich – als Einzige gegen Unterhaltung eintritt. Was nur belegt, dass Dörrie es offenbar wahnsinnig nötig hat, ihr antiintellektuelles Ressentiment irgendwo auszuleben, und sich
für die erwarteten und berechtigten Verrisse schon vorab Ausreden zuzulegen.
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Die Kunst der Fälschung. Zum Fall Beltracchi, und Arne Birkenstocks Dokumentarfilm Die Kunst der Fälschung über den wir letzte Woche berichtet haben – danke für die ermunternden Reaktionen!!! –, gibt es noch sehr viel zu sagen – und einiges davon werden wir an dieser Stelle noch tun. Pünktlich zum Start dieses aus sehr vielen Gründen empfehlenswerten
Dokumentarfilms möchten wir wenigstens mit ein paar Legenden aufräumen:
- Ist der Film konventionell gemacht, wie ein mir überaus vertrauter Autor formulierte? Nein, er ist »sehr gut und unterhaltsam gemacht«. So stand es im Manuskript. Das wurde dann rausredigiert. Denn der Satz »Zensur findet nicht statt«, steht nur im Grundgesetz, nicht aber in allen Redaktionsstuben.
- So wird der Film immer wieder dargestellt als ein »Auftragswerk« Beltracchis (FAZ), als Teil
seiner Selbstvermarktung. Denen, die das sagen, sollte man nicht glauben, sondern einfach den Film selbst angucken.
- Ist das, wie die zweite Kunstkritikerin in der FAZ schreibt, »eine Fortsetzung der Verteidigung und der erfolgreichen Imagepolitik mit filmischen Mitteln«? Dem Image mag der Film nutzen, weil er mit einigen Vorurteilen und Fehlurteilen aufräumt. Eine Fortsetzung der Verteidigung ist er aber keineswegs.
- Darf man über »so einen« denn einen Film
machen? Warum nicht? Man macht über ganz andere Leute Filme. Beltracchi hat Charme, er ist vielleicht nicht in allem ehrlich, aber zumindest offen.
- Das törichteste Argument in diesem Zusammenhang ist der absurde Vorwurf, dass der Film öffentliche Filmförderung bekommen habe – offenbar weiß sie nicht, oder will nicht wissen, dass in Deutschland fast jeder Film Förderung bekommt, bekommen muss. Denn immerhin im Grundgesetz steht es noch: »Zensur findet nicht statt.«
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Hat Humorlosigkeit eigentlich etwas mit Seriosität zu tun? Eher mit ihrem Gegenteil scheint mir. Auffallend an den allermeisten aus dem Anti-Beltracchi- und dem Anti-Birkenstock-Lager, ist die völlige Ironiefreiheit. Und das ausgerechnet zu Karneval, ihr Köllner! Aber heute ist ja schon Aschermittwoch.
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Überhaupt die FAZ: Ein anderer Autor hatte dort an Beltracchi schon Wochen zuvor kein gutes Haar gelassen: »Spießer und Feigling« heißt es schon in der Unterzeile, und in dieser, für die sonst so seriöse FAZ ungewöhnlichen Tonlage geht es dann weiter: »selbstverliebter Kleinbürger ... Wichsvorlagen ... Geilheit und Geld«.
Soviel zur ästhetischen Lage im Qualitätsfeuilleton.
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Vielleicht liegt es ja an solchen Texten und solchen Autoren, dass, wie der Perlentaucher vermeldet, die FAZ noch nie so dünn war, es noch nie so wenig Text für soviel Geld gab, wie am letzten Montag.
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Ein Medienspiel. Warum das so ist, dafür hat zumindest die Wissenschaft eine Erklärung: Die in Zürich lehrende Elisabeth Bronfen hat in mehreren Büchern die Mechanismen von Medien untersucht:
»Die Kritiker wollen die Deutungshoheit über den Bereich der Kunst haben. Wenn dann plötzlich eine Kunst produziert wird, die die Kritiker vors Licht führt, dann wird auch nicht nur die Rolle der Käufer, sondern auch der Kunstkritiker kommt dann ins Schwanken. ... Beltracchi wird
wahrscheinlich schon zu einem Sündenbock gemacht, weil er nicht nur den Kunsthändlern, sondern auch den Kunstkritikern zeigt, worauf das ganze Geschäft mit dem sie ihr Geld verdienen, basiert – nämlich, dass sie ja selber Hochstapler sind.«
Das ganze Interview dann nächste Woche, hier.
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Zitieren wir doch lieber den in jeder Hinsicht weit besseren Autor Niklas Maak, der in Birkenstocks Film als Interviewpartner mitwirkt:
»Es gibt eine marktimanente Logik, die Kritik und Zweifel bestraft und Zustimmung und Anerkennung belohnt... Der Experte kriegt eine üppige Provision dafür – es gibt keinen, der möchte, das es falsch ist. Das ist schon eine beachtliche Leistung, wie nach dem derzeitigen Erkenntnisstand eben nur ein Mann, kein großes Team es geschafft
hat, sämtliche vermeintliche Zentralen der Kompetenz und Macht in der internationalen Kunstwelt auszuschalten, eine nach der anderen. Wie in einem schlechten Cowboy-Film: Einer kommt und mäht einen Sheriff nach dem anderen weg.«
Genau das ist der entscheidende Punkt.
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»Fast jede Geschichte ist auch eine Lüge«, sagt Orson Welles in seinem amüsanten Essayfilm F For Fake (1973), einer intelligenten Reflexion über Wahrheit, Fälschung und unseren unbedingten Willen zur Selbsttäuschung.
Vergessen wir also nicht Welles: Dessen komplettes Werk ist durchzogen vom Thema Fälschung. Denken wir nur an das berühmte Radio-Hörspiel von 1938 mit der Fälschung
einer Marsmenschen-Invasion. Hat viele Menschen geschädigt und verstört, moralisch verunsichert, und vielleicht starb gar einer an einem Herzinfakt. Welles selbst liebte das Spiel mit versteckten Zitaten und Plagiaten. Zwei seiner Filmtitel gehen ironisch mit dem Problem um: It’s All True (1942) und F For Fake (1973). Letzterer handelt ebenfalls vom Kunstbetrieb und natürlich geht es bei Welles damit auch ums Kino – mit den albernen Kunsthändlern meint er die Filmproduzenten gleich mit.
In diesem Film tritt auch der echte Kunstfälscher Elmyr de Hory auf, und spielt sich selbst. Nur eine Stunde brauche er für eine Modigliani-Zeichnung – nicht nur Beltracchi war schnell.
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Irgendwo kommt dann auch Picasso noch einmal zu Wort, der einen echten Picasso für falsch erklärt – schließlich könne er selbst einen Picasso ebenso gut fälschen wie irgendwer sonst. Von Picasso stammt der Satz, dass die Kunst eine Lüge sei, die hilft, die Wahrheit zu erkennen. Ok, und wie ist es denn dann mit Beltracchi? Öffnen er und sein Fall uns nicht auch für vieles die Augen?
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Wieso nochmal sollen wir Wolfgang Beltracchi hassen, verabscheuen, oder zumindest verachten? Wieso, wenn wir umgekehrt den Hauptmann von Köpenick lieben dürfen, und Felix Krull erst recht – im Kino, wie als Buch. Beltracchi muss man nicht verklären. Beltracchi ist vieles. Aber er ist auch: Einer von unten, der es denen da oben mal kräftig gezeigt hat. Klar ist das ein primitiver Reflex. Aber ist er falsch, oder echt?
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Oscars. Ein britischer farbiger Regisseur, ein Mexikaner, eine Australierin, und eine Afroamerikanerin gewinnen die wichtigsten Filmpreise der Welt – so könnte man die Geschichte der diesjährigen Oscarnacht erzählen. Es wäre damit einmal mehr der Beweis erbracht, wie integrationsfähig Hollywood und die amerikanische Gesellschaft sind. Wie vielfältig das Kino der Gegenwart.
Man könnte allerdings auch eine ganz andere Geschichte erzählen. Wer am Sonntag
tagsüber nichts Besseres zu tun hatte, und ein bisschen im Internet unterwegs war, der hatte es nämlich nicht nötig, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Egal ob bei der »New York Times«, bei dem Branchenmagazin »Variety«, bei den unabhängigen Cinephilen von »Indiewire« – überall konnte man schon Tage vor der Oscar-Verleihung nachlesen, wer in welchen Kathegorien gewinnen würde.
Nur drei Oscars für 12 Years a Slave, aber den für den Besten Film. Ganz viele Oscars für Gravity, vor allem in technischen Kategorien, aber auch den Regiepreis, den der Mexikaner Alfonso Cuaron unbedingt verdient hatte. Ein Oscar für Cate Blanchet für Woody Allens neue Komödie, trotz aller wiederaufgewärmten Missbrauchsvorwürfe gegen den New Yorker
Stadtneurotiker. Und einer für Matthew McCaunaughey, denn wer einen AIDS-Kranken spielt, dabei auf Make-up verzichtet, seinen Körper herunterhungert oder sich Gewicht anfrisst, der hat im politisch-überkorrekten Reinheits-Amerika den Oscar sicher. Dafür kein Oscar für Leonardo DiCarpio, und überhaupt für Martin Scorseses tollen aber bitterbösen The Wolf of Wall Street, das war auch klar
wie Kloßbrühe, denn Filme über Börsenhaie sind sowieso schon unangenehm, weil sie viel zu viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Wenn sie dann aber auch noch lustig sind, in ihnen Zwergenwerfen, nackte hübsche Frauen, Koks, viele Dollarscheine und flotte Yachten vorkommen, dann appellieren sie am Ende noch an alle unsere niederen Gesinnungen zusammen. Pfui, pfui, pfui.
Die diesjährige Oscarnacht war mit anderen Worten eine stinklangweilige Veranstaltung, und man muss Angst
bekommen, ob diese glamuröse Selbst-Feier des amerikanischen Kinos nicht an der eigenen Beschränktheit zu ersticken droht.
Die Oscars sind nicht mehr repräsentativ für Hollywood. Quentin Tarantino hat hier noch ne einen vernünftigen Preis gewinnen, Sofia Coppola auch nicht, Martin Scorsese musste 65 werden und mit Departed das plumpe Remake eines viel besseren Hongkong-Films vorlegen, um
endlich einmal den Oscar für den besten Film nach Hause zu nehmen – den er für geschätzt zehn bessere Filme nicht bekommen hatte.
Diesmal ist also 12 Years a Slave der angeblich beste Film der Saison – kaum zu glauben, wenn man ein paar von denen gesehen hat, die gar nicht erst nominiert waren.
12 Years a Slave ist nicht schlecht, aber er beweist doch in jeder seiner lackierten Einstellungen, dass Steve McQueen ein besserer Video-Künstler ist als ein Regisseur.
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Lektüre. Kinobetreiber haben ja viele Verdienste, die wir auch gern würdigen. Was an ihnen aber manchmal echt nervt ist das Gejammer, das noch größer ist als das von Verleihern, Produzenten, Regisseuren.
Neueste Beispiel: Christian Pfeil, Mitbetreiber des Monopol-Kinos am Nordbad wurde neulich von der AZ zum Berlinale-Auftakt folgendermaßen zitiert: »Ich habe gerade den Film Blau ist eine warme Farbe aus dem Programm genommen, und das, obwohl er gut lief. Aber er ist über drei Stunden lang. Wenn ich dann noch einen Film von drei Stunden – wie The Wolf of Wall Street im Programm habe, rechnet sich das nicht mehr. Denn man kann mit einem Dreistünder keine zwei Abendvorführungen machen. Und vom Ein-Euro-Aufschlag wegen Überlänge kassiert der Verleih
gleich wieder 50 Cent. Da bleibt zu wenig. Kleinere Kinos mit wenigen Leinwänden können sich daher gar nicht leisten, dauernd lange Filme zu zeigen. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum in Deutschland Lars von Triers Nymphomaniac in zwei Teilen gezeigt werden wird. Und dass die Berlinale im Wettbewerb so viele überlange Kunstfilme hat, wird auch die Zukunft kompliziert machen für uns Programmkinos.«
Geht’s noch? Was wollt ihr eigentlich? Da habt
ihr Superfilme von Scorsese, Von Trier und den Cannes-Sieger, und es ist immer noch nicht richtig. Da trauen sich die blöden Künstler doch tatsächlich Kunstfilme zu machen, die nicht in die Norm eines 89.30 Minuten langen TV-Events passen. Ja, sowas aber auch.
Da kann man nur sagen: Hoffentlich lernt das Publikum daraus, und guckt die Filme woanders. Denn zu einer funktionierenden Kinokultur gehören nicht nur Filme, die in möglichst jeder Weise die Norm sprengen, sondern auch
Kinobetreiber, die ihr Publikum pflegen, und die sich als Diener der Filme und ihrer Macher begreifen, nicht umgekehrt. Am Ende geht’s ja um eben diese Filme, nicht darum, dass ein Kino möglichst viele Vorstellungen ins Programm quetschen kann.
Dass ein Kinobetreiber einen Film, »obwohl er gut lief« nur aufgrund seiner Länge aus dem Programm nimmt, finde ich jedenfalls unterirdisch. Aber vielleicht hab ich nur die Feinheiten der Programmierungskunst noch nicht
verstanden.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.