Cinema Moralia – Folge 84
Rotwein, Himbeerreiche und Wellness-Arthouse... |
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Sein letzter Auftritt: Arthouse-Produzent Karl Baumgartner erhält die Berlinale-Kamera |
Es war wohl im Jahr 2007. Deutsch-französisches Filmtreffen in Versailles. Ein Abendausklang an der Hotelbar. Da habe ich mich einmal länger mit »Baumi« unterhalten. »Und wer bist du?« Mit seiner Frage war es so irgendwann, Jahre davor, mal losgegangen. Ansonsten kannte man sich eben so: Vom Sehen, vom »Hallo«-Sagen, von kurzen Bemerkungen, einem Austausch, Übereinstimmungen oder Dissens am Rand eines Festivals, einer Preisverleihung, einer Podiumsdiskussion, halt einer dieser Veranstaltungen, die das Leben der »Filmbranche« ausmachen; jenes Leben, das so schnell vergehen kann, dass es sich aus lauter im Grunde flüchtigen, für sich bedeutungslosen Ereignissen formt. »Baumi«, alle nannten ihn so, hat dieses Leben wohl geliebt. Jedenfalls war er einer derjenigen, die es immer mit am längsten aushielten, nicht nur an diesem Abend in der Hotelbar, mit Rotwein und Zigaretten, viel von beidem. Er wollte nie aufhören. Ein bisschen süchtig muss man vielleicht danach sein, aber eigentlich ist dieses Film-Leben, an dem auch wir Filmkritiker, ob wir nun wollen oder nicht, uns mit dieser »Branche« identifizieren, oder gerade nicht, irgendwie Teilnehmer und Teilhaber sind, auch nur eine etwas stressigere, etwas wichtigtuerische Variante des ganz Normalen.
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Alle liebten »Baumi«. Zu recht. Er war das seltene Beispiel eines »guten Menschen«. Voller Humanität. Kein Wichtigtuer. Direkt, klar, freundlich. Einer, der sofort duzte, und das nie als Anbiederung meinte. Sondern einfach lässig, leidenschaftlich, unverkrampft. Er konnte große Gesten, aber unprätentiös. Jetzt ist »Baumi«, Karl Baumgartner also, der 1949 in Südtirol geboren wurde, und daher auch Italiener war, der aber in Frankfurt lebte, und Argentinien liebte, gestorben. An dem, was man dann »eine schwere Krankheit« nennt. Krebs. Viele wussten das, schon länger, und als er auf der Berlinale vor sechs Wochen die Berlinale-Kamera bekam, war eigentlich klar, dass es das letzte Mal sein würde mit »Baumi«.
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»Er hatte nichts gemein mit dieser ganzen deutschen Filmbrache, er war ihr Gegenteil«, sagte mir jemand, die ihn länger kannte. Ich glaube, das stimmt. Er machte den Eindruck, dass er die Filme, die er produzierte und verlieh, wirklich liebte. Tatsächlich war Baumi einer, der neugierig war. Der ernsthaft reden wollte über seine eigenen Filme. Und mit dem man über diese Filme gut diskutieren konnte. Ich erinnere mich, dass ich mit ihm irgendwann über den kasachischen Tulpan sprach, mit dem ich gar nichts anfangen konnte, und er von mir genau wissen wollte, warum ich den für Ethnokitsch hielt, und er ein paar gute Gegenargumente nannte, warum das »Quatsch« sei. Im Gedächtnis blieb, dass er einen nicht überreden wollte, und erst recht nicht zum Schweigen bringen, einschüchtern, sondern interessiert war am Austausch. Vielleicht, weil er selber mal Filmkritiker gewesen war. Weil er Kinobetreiber war, Verleiher, Produzent. Weil er vor allem ein Zuschauer und ein Cinephiler war, einer, der wusste, dass Subjektivität und Leidenschaft und Austausch das Wichtigste am Kino sind. Viel wichtiger als wie man was findet. Viel lustiger auch.
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Aber wenn das alles so ist, was sagt es eigentlich über diese Branche? Wenn es so ist, dass die Branche einen liebte, der ganz anders schien, als sie? Dann kann das bedeuten, dass diese Filmbranche vielleicht doch nicht so ist, wie sie scheint. Kein Haifischbecken. Dass es in ihr viel mehr solche guten Menschen gibt. Dass sie humaner ist, netter, freundlicher und lustiger als wir manchmal glauben, oder auch glauben möchten. Mehr wie »Baumi«.
Es kann auch sein, dass alle »Baumi«
aber genau deshalb liebten, weil er anders war, als sie. Weil er war, wie sie gern gewesen wären. Weil er ihnen den Spiegel vorhielt.
Natürlich hat es der Liebe nicht geschadet, dass »Baumi« Erfolg hatte. Dass er der Branche auch insofern den Spiegel vorhielt, als dass er vorführte, wie es ging, und dass ihm gelang, was alle wollten: drei Goldene Palmen und schwarze Zahlen.
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»Er war der Hecht im Karpfenteich«, sagte eine andere. Das darf man auch nicht vergessen. »Baumi« war ein guter Produzent. Und er tat etwas fürs Kino, weil er erfolgreiche Filme produzierte, und weil ihm Erfolge jenseits von Hollywood gelangen. Zugleich, das möchte ich trotzdem nicht verschweigen, produzierte er natürlich auch eine Menge solcher Filme, die meiner Ansicht nach fürs Kino mittelfristig nicht nur Gutes bewirken. Sondern Filme, die man als »Wellness-Arthouse« zusammenfassen kann: Bisschen Bedeutung, bisschen Kultur, aber nicht zuviel und viel gutes Gefühl. Solche Filme braucht das Kino. Das Problem ist nur, dass sie nie die Hollywood-Filme von den Leinwänden verdrängen, sondern die »schwierigeren«, sperrigeren Kunstfilme. Das Hollywoodprinzip bestätigen sie nur. Deswegen war das Verhältnis mancher ausländischer Co-Produzenten zu diesen Filmen auch ambivalent, Einerseits brachte es Geld und Aufmerksamkeit in fremde, »kleine« Film-Länder, andererseits zog es das wenige Geld auch von den anderen Filmen jener Länder ab; manches unter diesem »Wellness-Arthouse« ist eine gepflegte Form von Kolonialismus.
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»Die Reduzierung der geplanten Rundfunkgebührensenkung von der KEF-Empfehlung von 73 Cent auf nur 48 Cent mag auf den ersten Blick wie ein Entgegenkommen der Ministerpräsidenten in Richtung der Forderungen des Bundesverbands Regie e.V. wirken, die wir gemeinsam mit dem Verband der Drehbuchautoren vorgebracht haben. Dem ist aber leider nicht so. Mit keiner Silbe erwähnt die Politik eine Zweckbindung an Investitionen in das Programm. Mit der vermeintlichen Reduktion
wird die Beitragshöhe bis 2017 festgeschrieben, der entstandene Puffer soll als Inflationsausgleich dienen. Sollte aus dieser Rücklage tatsächlich keine Investition in das Programm möglich sein, zeigen die Ministerpräsidenten damit, dass es Ihnen nur um den Erhalt des Apparates, nicht aber um die Qualität der Inhalte geht.«
Mit diesen Zeilen warnt Jürgen Kasten vom BVR, dem Bundesverband der Film und Fernsehregisseure vor einer weiteren Kannibalisierung der
Produktionsbudgets, von der Aufgabe der essentiellen Programmfunktion des Fernsehens.
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Das ist mal eine Zusammensetzung und ein toller Termin: Peer Steinbrück, der letzjährige SPD-Kanzlerkandidat und Filmregisseur Andres Veiel diskutieren über die »Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Finanzkrise«. Das fand vergangenen Mittwoch im Rahmen der Reihe »Schwindel der Wirklichkeit« statt, die von der Filmsektion der Akademie der Künste kuratiert wird, und wöchentlich hochspannende, manchmal atemberaubende Veranstaltungen liefert. Auf der Website kann man sie nachträglich angucken.
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Dabei ging es ausgehend von Veiels Theaterstück »Das Himbeerreich«, in dem der Regisseur Innenansichten der Bankerwelt zutage gefördert hat, um die Frage: Liegt die Erklärung dafür, dass die öffentliche Reaktion auf die Finanzkrise erstaunlich schwach blieb, an den Grenzen ihrer öffentlichen Darstellbarkeit? »Was müsste passieren, um die Ursachen der Krise in die Sichtbarkeit zu heben? Sind politische Regulierungsversuche des Marktes allein deshalb zum Scheitern
verurteilt, weil Politik und Markt seit Jahren einen unheilvollen Faustischen Pakt geschlossen haben mit einer kaum mehr entwirrbaren Interessenmelange? Und wer beherrscht die Algorithmen, die die Märkte zum großen Teil steuern?«
Das sind so Fragen, die natürlich auch die Filmbranche angehen.
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Die Lage des deutschen Kinos ist zwiespältig – einerseits fragen sich manche Beobachter ob ein Fassbinder, oder ein Fritz Lang im heutigen Deutschland überhaupt noch einen ihrer Filme machen könnten? So sicher ist das nicht, denn ohne Fernsehen entsteht kein Kinofilm und mit Fernseh-Geld gibt es nur Quotenträchtiges.
Denn was und wo ist der deutsche Film? Er besteht fast nur aus aufgeblasenen Fernsehproduktionen und Studentenfilmen. Volker Schlöndorff dagegen dreht
in Frankreich, Wim Wenders und Werner Herzog in Amerika und Alexander Kluge macht selbstproduziertes Fernsehen.
So lebt der deutsche Film von den wenigen Ausnahmen, die die Regeln sprengen, von Filmen, die mit so unglaublich wenig Geld gedreht wurden, dass ein Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer dafür morgens nicht mal aus dem Bett kämen.
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»Das Nachdenken über Film findet im Filmbereich weniger statt als im künstlerischen Bereich.« Aus dem Gespräch mit der Mitarbeiterin einer Filmhochschule.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.