27.03.2014
Cinema Moralia – Folge 84

Rotwein, Himbeer­reiche und Wellness-Arthouse...

Karl Baumgartner
Sein letzter Auftritt: Arthouse-Produzent Karl Baumgartner erhält die Berlinale-Kamera

Das flüchtige Leben: »Baumi« und die Branche, Peer Steinbrück und Andres Veiel schwindeln – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 84. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Es war wohl im Jahr 2007. Deutsch-fran­zö­si­sches Film­treffen in Versailles. Ein Abend­aus­klang an der Hotelbar. Da habe ich mich einmal länger mit »Baumi« unter­halten. »Und wer bist du?« Mit seiner Frage war es so irgend­wann, Jahre davor, mal losge­gangen. Ansonsten kannte man sich eben so: Vom Sehen, vom »Hallo«-Sagen, von kurzen Bemer­kungen, einem Austausch, Über­ein­stim­mungen oder Dissens am Rand eines Festivals, einer Preis­ver­lei­hung, einer Podi­ums­dis­kus­sion, halt einer dieser Veran­stal­tungen, die das Leben der »Film­branche« ausmachen; jenes Leben, das so schnell vergehen kann, dass es sich aus lauter im Grunde flüch­tigen, für sich bedeu­tungs­losen Ereig­nissen formt. »Baumi«, alle nannten ihn so, hat dieses Leben wohl geliebt. Jeden­falls war er einer derje­nigen, die es immer mit am längsten aushielten, nicht nur an diesem Abend in der Hotelbar, mit Rotwein und Ziga­retten, viel von beidem. Er wollte nie aufhören. Ein bisschen süchtig muss man viel­leicht danach sein, aber eigent­lich ist dieses Film-Leben, an dem auch wir Film­kri­tiker, ob wir nun wollen oder nicht, uns mit dieser »Branche« iden­ti­fi­zieren, oder gerade nicht, irgendwie Teil­nehmer und Teilhaber sind, auch nur eine etwas stres­si­gere, etwas wich­tig­tue­ri­sche Variante des ganz Normalen.

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Alle liebten »Baumi«. Zu recht. Er war das seltene Beispiel eines »guten Menschen«. Voller Humanität. Kein Wich­tig­tuer. Direkt, klar, freund­lich. Einer, der sofort duzte, und das nie als Anbie­de­rung meinte. Sondern einfach lässig, leiden­schaft­lich, unver­krampft. Er konnte große Gesten, aber unprä­ten­tiös. Jetzt ist »Baumi«, Karl Baum­gartner also, der 1949 in Südtirol geboren wurde, und daher auch Italiener war, der aber in Frankfurt lebte, und Argen­ti­nien liebte, gestorben. An dem, was man dann »eine schwere Krankheit« nennt. Krebs. Viele wussten das, schon länger, und als er auf der Berlinale vor sechs Wochen die Berlinale-Kamera bekam, war eigent­lich klar, dass es das letzte Mal sein würde mit »Baumi«.

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»Er hatte nichts gemein mit dieser ganzen deutschen Film­brache, er war ihr Gegenteil«, sagte mir jemand, die ihn länger kannte. Ich glaube, das stimmt. Er machte den Eindruck, dass er die Filme, die er produ­zierte und verlieh, wirklich liebte. Tatsäch­lich war Baumi einer, der neugierig war. Der ernsthaft reden wollte über seine eigenen Filme. Und mit dem man über diese Filme gut disku­tieren konnte. Ich erinnere mich, dass ich mit ihm irgend­wann über den kasa­chi­schen Tulpan sprach, mit dem ich gar nichts anfangen konnte, und er von mir genau wissen wollte, warum ich den für Ethno­kitsch hielt, und er ein paar gute Gegen­ar­gu­mente nannte, warum das »Quatsch« sei. Im Gedächtnis blieb, dass er einen nicht überreden wollte, und erst recht nicht zum Schweigen bringen, einschüch­tern, sondern inter­es­siert war am Austausch. Viel­leicht, weil er selber mal Film­kri­tiker gewesen war. Weil er Kino­be­treiber war, Verleiher, Produzent. Weil er vor allem ein Zuschauer und ein Cine­philer war, einer, der wusste, dass Subjek­ti­vität und Leiden­schaft und Austausch das Wich­tigste am Kino sind. Viel wichtiger als wie man was findet. Viel lustiger auch.

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Aber wenn das alles so ist, was sagt es eigent­lich über diese Branche? Wenn es so ist, dass die Branche einen liebte, der ganz anders schien, als sie? Dann kann das bedeuten, dass diese Film­branche viel­leicht doch nicht so ist, wie sie scheint. Kein Haifisch­be­cken. Dass es in ihr viel mehr solche guten Menschen gibt. Dass sie humaner ist, netter, freund­li­cher und lustiger als wir manchmal glauben, oder auch glauben möchten. Mehr wie »Baumi«.
Es kann auch sein, dass alle »Baumi« aber genau deshalb liebten, weil er anders war, als sie. Weil er war, wie sie gern gewesen wären. Weil er ihnen den Spiegel vorhielt.
Natürlich hat es der Liebe nicht geschadet, dass »Baumi« Erfolg hatte. Dass er der Branche auch insofern den Spiegel vorhielt, als dass er vorführte, wie es ging, und dass ihm gelang, was alle wollten: drei Goldene Palmen und schwarze Zahlen.

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»Er war der Hecht im Karp­fen­teich«, sagte eine andere. Das darf man auch nicht vergessen. »Baumi« war ein guter Produzent. Und er tat etwas fürs Kino, weil er erfolg­reiche Filme produ­zierte, und weil ihm Erfolge jenseits von Hollywood gelangen. Zugleich, das möchte ich trotzdem nicht verschweigen, produ­zierte er natürlich auch eine Menge solcher Filme, die meiner Ansicht nach fürs Kino mittel­fristig nicht nur Gutes bewirken. Sondern Filme, die man als »Wellness-Arthouse« zusam­men­fassen kann: Bisschen Bedeutung, bisschen Kultur, aber nicht zuviel und viel gutes Gefühl. Solche Filme braucht das Kino. Das Problem ist nur, dass sie nie die Hollywood-Filme von den Lein­wänden verdrängen, sondern die »schwie­ri­geren«, sper­ri­geren Kunst­filme. Das Holly­wood­prinzip bestä­tigen sie nur. Deswegen war das Verhältnis mancher auslän­di­scher Co-Produ­zenten zu diesen Filmen auch ambi­va­lent, Einer­seits brachte es Geld und Aufmerk­sam­keit in fremde, »kleine« Film-Länder, ande­rer­seits zog es das wenige Geld auch von den anderen Filmen jener Länder ab; manches unter diesem »Wellness-Arthouse« ist eine gepflegte Form von Kolo­nia­lismus.

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»Die Redu­zie­rung der geplanten Rund­funk­ge­büh­ren­sen­kung von der KEF-Empfeh­lung von 73 Cent auf nur 48 Cent mag auf den ersten Blick wie ein Entge­gen­kommen der Minis­ter­prä­si­denten in Richtung der Forde­rungen des Bundes­ver­bands Regie e.V. wirken, die wir gemeinsam mit dem Verband der Dreh­buch­au­toren vorge­bracht haben. Dem ist aber leider nicht so. Mit keiner Silbe erwähnt die Politik eine Zweck­bin­dung an Inves­ti­tionen in das Programm. Mit der vermeint­li­chen Reduktion wird die Beitrags­höhe bis 2017 fest­ge­schrieben, der entstan­dene Puffer soll als Infla­ti­ons­aus­gleich dienen. Sollte aus dieser Rücklage tatsäch­lich keine Inves­ti­tion in das Programm möglich sein, zeigen die Minis­ter­prä­si­denten damit, dass es Ihnen nur um den Erhalt des Apparates, nicht aber um die Qualität der Inhalte geht.«
Mit diesen Zeilen warnt Jürgen Kasten vom BVR, dem Bundes­ver­band der Film und Fern­seh­re­gis­seure vor einer weiteren Kanni­ba­li­sie­rung der Produk­ti­ons­bud­gets, von der Aufgabe der essen­ti­ellen Programm­funk­tion des Fern­se­hens.

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Das ist mal eine Zusam­men­set­zung und ein toller Termin: Peer Stein­brück, der letz­jäh­rige SPD-Kanz­ler­kan­didat und Film­re­gis­seur Andres Veiel disku­tieren über die »Sicht­bar­keit und Unsicht­bar­keit der Finanz­krise«. Das fand vergan­genen Mittwoch im Rahmen der Reihe »Schwindel der Wirk­lich­keit« statt, die von der Film­sek­tion der Akademie der Künste kuratiert wird, und wöchent­lich hoch­span­nende, manchmal atem­be­rau­bende Veran­stal­tungen liefert. Auf der Website kann man sie nach­träg­lich angucken.

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Dabei ging es ausgehend von Veiels Thea­ter­s­tück »Das Himbeer­reich«, in dem der Regisseur Innen­an­sichten der Banker­welt zutage gefördert hat, um die Frage: Liegt die Erklärung dafür, dass die öffent­liche Reaktion auf die Finanz­krise erstaun­lich schwach blieb, an den Grenzen ihrer öffent­li­chen Darstell­bar­keit? »Was müsste passieren, um die Ursachen der Krise in die Sicht­bar­keit zu heben? Sind poli­ti­sche Regu­lie­rungs­ver­suche des Marktes allein deshalb zum Scheitern verur­teilt, weil Politik und Markt seit Jahren einen unheil­vollen Faus­ti­schen Pakt geschlossen haben mit einer kaum mehr entwirr­baren Inter­es­sen­me­lange? Und wer beherrscht die Algo­rithmen, die die Märkte zum großen Teil steuern?«
Das sind so Fragen, die natürlich auch die Film­branche angehen.

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Die Lage des deutschen Kinos ist zwie­spältig – einer­seits fragen sich manche Beob­achter ob ein Fass­binder, oder ein Fritz Lang im heutigen Deutsch­land überhaupt noch einen ihrer Filme machen könnten? So sicher ist das nicht, denn ohne Fernsehen entsteht kein Kinofilm und mit Fernseh-Geld gibt es nur Quoten­träch­tiges.
Denn was und wo ist der deutsche Film? Er besteht fast nur aus aufge­bla­senen Fern­seh­pro­duk­tionen und Studen­ten­filmen. Volker Schlön­dorff dagegen dreht in Frank­reich, Wim Wenders und Werner Herzog in Amerika und Alexander Kluge macht selbst­pro­du­ziertes Fernsehen.
So lebt der deutsche Film von den wenigen Ausnahmen, die die Regeln sprengen, von Filmen, die mit so unglaub­lich wenig Geld gedreht wurden, dass ein Til Schweiger oder Matthias Schweig­höfer dafür morgens nicht mal aus dem Bett kämen.

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»Das Nach­denken über Film findet im Film­be­reich weniger statt als im künst­le­ri­schen Bereich.« Aus dem Gespräch mit der Mitar­bei­terin einer Film­hoch­schule.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.