Cinema Moralia – Folge 86
Berlin Baby, Muschi München oder doch Düsseldorf Darling? |
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Jane Fonda in Barbarella | ||
(Foto: Paramount Pictures) |
»Ich denke, die Betäubung wird schon kommen.« –Arthur Schnitzler
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»Rüdiger betreibt wieder Förderbashing« – das bekamen jüngst die Mitarbeiter des Medienboards zu lesen. Dass man auch beim Medienboard offenbar Cinema Moralia liest, ist ohne Frage eine Ehre für uns. Förderbashing wird an diesem Ort natürlich trotzdem nicht betrieben, und glücklicherweise haben das auch die allermeisten richtig verstanden. Trotzdem nochmal für alle: Es geht in diesem Blog allein darum, Fragen zu stellen, deutlich und ungeschönt, mitunter vielleicht etwas
von Gerüchten und Halbwahrheiten angefeuert, so wie sie eben auch formuliert werden, wenn mindestens zwei Angehörige »der Branche« zusammenstehen. Es geht darum, Themen, Eindrücke und Probleme anzusprechen, die von anderen zumindest ignoriert und oft genug absichtlich, aus Eigeninteresse oder schierer Angst, nicht ausgesprochen werden. Es geht darum, einen offenen Diskurs anzuregen, weil Offenheit das Einzige ist, das uns weiterbringen kann.
In der Filmbranche wird viel
geredet. Unter Freunden und immer über die, die gerade nicht dabei sind. Genau daran will ich mich nicht halten – ich habe den Vorteil, ziemlich wenig Aktien im Spiel zu haben, und deswegen versuche ich einiges öffentlich aufzuschreiben, was mir durch den Kopf geht, und zwar genau so subjektiv, wie ich es denke und wahrnehme, und auf eine Weise, die im Wust des Netzes mit der Vielfalt seiner Stimmen wahrgenommen wird, die Gespräche provoziert, die zu Reaktionen und Antworten
anregt.
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Die gepflegte Sprache der PR-Industrie, Fördernews und Pressehefte, bedienen andere – hier geht es um Klartext, zur Not auch mal übers Ziel hinaus.
Weil genau das alles offenbar immer besser gelingt, häufen sich auch die Hinweise von Seiten der Filmemacher, der Kritikerkollegen und die Kommentare, Mails, Anrufe und Hinweise auf Themen über die »man doch mal was schreiben könnte«. Vielen Dank dafür und bitte weiter so! Vertraulichkeit ist, wenn sie gewünscht wird,
garantiert. Berichterstattung leider nicht. Genauso wenig wie bestelltes Schweigen. Eine gut befreundete filmschaffende Seele – um es mal anonym und geschlechtsneutral zu formulieren –, meinte neulich, ich solle doch bitte über dies und jenes »jetzt gerade mal« nichts schreiben, weil das am Ende an irgendeiner Stelle zu Rückschlüssen führen könnte. Leider geht das so nicht.
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So wie der eine nach dem Cinema Moralia No. 85 von letzter Woche dachte, ich wolle mich beim Medienboard für irgendetwas rächen, nachdem ich nach vielen positiven Dingen mal ein paar Sachen aufgeschrieben habe, die am Filmstandort Berlin schon mal besser waren, dachte ein anderer, ich wolle mich bei Monika Grütters einschleimen, weil ich die neue Kulturstaatsministerin gelobt habe. So kann man das natürlich sehen.
Aber das verrät doch mehr etwas über die Denke derjenigen, die
das sagen, als über diesen Blog.
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Ist der Berlin-Hype vorbei? fragt in wenigen Wochen auch die »Media Convention«, die am 6./7.Mai in Berlin stattfinden soll. Da gehts um Standortpolitik und aus Investorensicht standortgefährdende Fragen wie die, ob Berlins Image als »coolste Stadt der Welt« nun bröckelt? Steigende Mieten und Touristenmassen sind aber nur die Oberfläche, und auch der seit Jahren grassierende Ausverkauf kreativer Möglichkeiten sind nur dein Teil des Problems. Die Hauptsache ist die
geistige Trägheit der Hauptstadt.
Wie es darum bestellt ist, kann man der Tatsache entnehmen, dass die Veranstaltung den Titel »Berlin Baby!« hat. Dieses Verständnis von Coolness und Lässigkeit ist das vorherrschende. Da war Wowereits »arm aber sexy« noch geistreicher. Da sollen jetzt Muschi München und Darling Düsseldorf einpacken, oder wie?
Man kann sich auch das Titelbild der Website angucken. Da rast ein deutsches Auto – BMW! – durch die Luft aufs Brandenburger
Tor zu, und wird es bald zerschmettern. Wahrscheinlich denken manche, Hauptsache es ist kein Toyota. Aber das das Auto als Inbegriff der deutschen Wirtschaft zur Bedrohung für den Inbegriff der deutschen Kultur und für Berlin wird, so kann man das Bild auch verstehen, ohne viel herumzuinterpretieren.
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Werner van Bebber hat neulich die Frage gestellt, »wie die Stadt nach dem Hype dastehen wird – wenn die normalen Zeiten kommen?« Sprich: Wenn die Hipster wegziehen und ihre Eltern dann ein Berlin-Weekend mit Nofretete und Schinkel verbringen. Die Antwort ist klar: Berlin wird dann dastehen, wie heute München. Während München dann schon weiter ist.
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Wenn im Untertitel eines Textes von »starken Frauen« die Rede ist, geht unsereins ja schon mal vorsichtshalber in Deckung, weil wir denken, jetzt geht’s wieder mal um Iris Berben.
Und bei »Starke Stimmen« – so heißt eine Hörbuchreihe – wissen wir erfahrenen Konsumenten, auch gleich, dass es sich um Frauen handeln muss (»Starke Frauen lesen ausgewählte Literatur«), in diesem Fall das tolle Gesamtpaket von Hannelore Hoger, Elke Heidenreich, Senta Berger, Fritzi
Haberlandt und – natürlich! – Iris Berben.
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Nicht anders, wenn es heißt »Frauen schreiben«. Dieser Untertitel eines seit Herbst aktiven FAZ-Blogs enthält mindestens eine Frechheit und zwei Drohungen: Die Frechheit ist, dass Frauen offenbar immer noch ein Ghetto brauchen. Man muss sich nur mal vorstellen, ein Blog hieße »Männer schreiben«. Können Frauen auch 2014 nicht einfach Texte verfassen, zu Themen, müssen sie »als Frauen« schreiben, oder zumindest »jetzt mal als Frau«? Die Drohungen sind die, dass es jetzt nach der Überschrift
wahnsinnig frauenbewegt wird, was nach meiner subjektiven Kenntnis zumindest die Post-Alice-Schwarzer-Generationen genauso wenig interessiert, wie Männer, und über Frauenthemen (was immer das ist) gehen wird, dass hier also vor der ersten Zeile schon per Konzept eine PCness angedeutet wird, was geht und was nicht.
Und dann natürlich: Männer haben hier nichts zu suchen. Geht es den werten Damen – würde ich jetzt »Mädels« sagen, wäre es herablassend – nicht in das
gleichberechtigte Hirn, dass auch Männer Feministen und Anhänger von Gleichheit, Befreiung und Emanzipation sein können?
Aber wahrscheinlich war der Frauenblog wieder so eine Männeridee.
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Das Ergebnis ist trotzdem eine angenehme Überraschung. Einen wirklich lustigen Beitrag hat dort gerade die Kölner Filmkritikerin Heike-Melba Fendel beigesteuert. Da schimpft sie nämlich nicht über Männer, sondern über Frauen, die nicht verstehen, was Feminismus und Emanzipation bedeuten. Bascha Mika zum Beispiel. Deren Buch »Mutprobe« über die armen Frauen, die älter werden, ist nämlich das
Gegenteil seines Titels. Ja, stimmt, Frauen werden älter. Warum sollten sie auch jung sterben? Aber dass sie irgendwann doch sterben, und davor halt älter werden – sind daran jetzt auch die bösen Männer schuld?
Man muss mal nachlesen, was hier ohne Namensnennungen über die »wirkungsverwöhnte« Generation »der sich als unsichtbar ausrufenden Frauen um die 50« geschrieben wird, diejenigen, die nicht mehr wirklich um Befreiungen kämpfen mussten, die aber halt auch irgendwann
nicht mehr 30 sind, und jetzt dafür einen Schuldigen suchen.
Der schönste Satz: »Sie hungern nach der Aufmerksamkeit selbst solcher Männer, deren Pfiffe sie vormals peinlich berührten. Werber nennen das Gewährleistungsprinzip: Man zahlt einen hohen (Auf-)Preis für die Möglichkeit, etwas theoretisch tun zu können, was man praktisch nie nutzen wird, Geländewagen für Großstädter zum Beispiel.«
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Und was man in dem Text auch noch lernt: Die Zugfahrt von Köln nach Berlin dauert einfach zu lang.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.