Cinema Moralia – Folge 87
Der Status Quo Vadis des Dokumentarfilms |
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R.I.P. Michael Glawogger (1959-2014) |
»Man kann nichts Relevantes machen, ohne das Einverständnis und die Mitarbeit der Leute, um die es geht.«
Michael Glawogger
Michael Glawogger ist tot. Das ist nicht nur eine sehr traurige Nachricht, es ist auch ein großer Verlust für das Weltkino, dem dieser ungewöhnliche begabte Regisseur, der noch längst nicht am Ende seines Weges war, und mehr fehlen wird als mancher andere, über dessen Tod man weniger traurig wäre.
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Glawogger starb an diesem Mittwochmorgen an Malaria – bei Dreharbeiten zu seinem neuen Film in Afrika. Dass er dort starb, an den Rändern unserer Welt, passt. Denn er brachte diese Ränder auf die Leinwand. Kompromisslos, angreifbar im Einzelnen, unbedingt verteidigenswert im Grundsätzlichen, universal im Anspruch. Wenn er von diesen Rändern erzählte, erzählte er von uns.
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»Mein Name ist Michael Glawogger, ich bin ein Filmregisseur ... man könnt' auch sagen, ich bin ein Filmemacher, denn ich mache Filme. Ich bin Autor, wenn ich schreibe, insofern bin ich ein Autorenfilmer, denn ich mache Filme, die ich mir selber ausdenke... aber ich würde mir jetzt nicht große Gedanken über diese sprachliche Definition machen. Ich mache Filme. Ich mache Spielfilme, Dokumentarfilme, Experimentalfilme.«
So beschrieb er sich einmal selbst, und man merkt es schon an dieser Selbstbeschreibung: Michael Glawogger war ein ungewöhnlicher Autorenfilmer: abwechslungsreich und vielfältig, am Schönen ebenso interessiert wie am Hässlichen, an der Wirklichkeit wie an ihrer Veränderung Die meisten kannten ihn als Dokumentarfilmregisseur, aber er hat auch drei Spielfilme gemacht. Nach etwas Schwerem folgte ein Ausflug ins Komödiantische oder in jene bitterbös schrägen, hammerhart krassen schwarzen Satiren, die wir hierzulande als typisch Österreichisch empfinden: Das Vaterspiel etwa, oder Nacktschnecken.
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Trotzdem: Seine Dokumentarfilme werden vor allem von Michael Glawogger im Gedächtnis bleiben. 1959 in Graz geboren, dem widerständigen, rauhen, harten, warmherzigen Gegen-Wien kam er aus dem Umfeld eines gemeinsam mit Freunden gegründeten Kinoclubs über das Filme-schauen zum Filme-machen.
Berühmt machte ihn dann Megacities, das Porträt von acht Weltstädten, in denen der Kollaps Alltag ist, und die kleinen Ängste und Scheinproblemchen der westlichen Wohlstandsgesellschaft ganz weit weg. Ein symphonischer Film, der die Strukturen ins Zentrum stellt, ohne die Menschen zu vergessen, und der darum – wohl nicht ganz ungewollt – wirkt, wie das Prinzip von Walter Ruttmanns Berlin-Film auf die Welt der Gegenwart übertragen.
Es folgten Filme wie Workingman’s Death über den Wandel der Arbeitsverhältnisse und deren Ende im globalen Regime der digitalen Techniken. Und dann Whores' Glory, mit dem er vor zwei Jahren in Venedig einen Preis gewann – er handelt von den Arbeitsverhältnisse von Prostituierten in der ganzen Welt. Er hat viel gedreht, und zuletzt noch auf der Berlinale im Februar eine Episode zu Wim Wenders Kathedralen der Kultur beigetragen.
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Glawoggers Thema war die Globalisierung. Auch darin, wie in seiner Haltung, das Hässliche und Alltägliche der Wirklichkeit in stilsicheren, wenn man so will, schönen Bildern zu zeigen, war er ein unzeitgemäßer Dokumentarfilmer. Einer, der gegen den gegenwärtigen Trend des Ignorierens der Wirklichkeit in der Dokufiction und Dokusoap auf der Wahrheit des Faktischen beharrte, einer, der zeigte, was ist, aber auch was sein soll.
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»Es ist ja nicht so, dass die Welt zu einem kommt, und sagt: Hallo ›mach' einen Film!‹ Das ist eigentlich im dokumentarischen Arbeiten das Schönste: Diese Zeit, in der man auszieht, um Dinge zu suchen: Das Recherchieren, das Hingehen, die ersten Kontakte, und wie sich das dann anfühlt und auf welche Dinge man stößt – das ist ein schöner, neugieriger, neuer Prozeß.«
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Glawogger war parteiisch, aber nie subjektivistisch. Er gab sich die Aufgabe, gegen das von den Eliten täglich in die Welt gesetzte verlogene, ideologische und sachlich falsche Bild von Globalisierung und Bankenkrise ins Feld zu ziehen, Ideologien zu entlarven, und damit eben auch eine neue Realität zu schaffen.
Im Internet kann man sein Tagebuch nachlesen, das er bis kurz vor seinem Tod geführt hat.
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Ausgerechnet am 60. Geburtstag von Michael Moore ist Glawogger gestorben. Bizarrer Zufall des Schicksals. Moores Eitelkeit ging Glawogger ab. Sie mögen manches ihrer politischen Agenda geteilt haben, aber Glawogger war Moores Gegenteil. Glawogger war neugierig, und er wusste am Anfang seiner Projekte nie, was herauskommen sollte – während bei Moores Filmen nichts mehr langweilt, als die Abwesenheit von Neugier.
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Der Zufall des Zusammentreffens dieser zwei Ereignisse treibt die Gedanken zur Frage nach Gegenwart und Zukunft des Dokumentarfilms.
In Zeiten in denen ein – übrigens recht guter – Film, in dem Götz George seinen Vater spielt, als Doku-Drama eine Doku-Programmplatz besetzt, sind die Begriffe vollkommen verludert. Was heute als Dokumentarfilm durch die Köpfe wabert, ist vieles, aber selten ein Dokumentarfilm. Was als »Wandel des Dokumentarischen« verkauft wird – so der Titel der Dokville 2013 – ist oft dessen Abschaffung. Vielleicht wandelt sich das Dokumentarische nämlich gar nicht, sondern seine Existenz – Bedingungen bei den Sendern und die Toleranz für Experimente. Die Formatierung nimmt zu, die Akzeptanz gegenüber dem Ungeschliffenen ab. 52 Minuten gelten bereits als »lang«. Zudem werden die Grenzen zur Fiktion immer weiter aufgeweicht.
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Wenn irgendwo, dann hat beim Dokumentarfilm die Postmoderne gesiegt: Wenige glauben noch an »Wahrheit«, und wer es tut, scheut den Begriff. Es ist zum Gemeinplatz geworden, dass die Wirklichkeit eine erzeugte, erfundene, konstruierte sei. Dass alles inszeniert ist. Dass die Wirklichkeit eine »sogenannte« ist. Scripted reality.
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Im Prinzip ist das alles Bullshit. Es ist eine Ideologie, die nichts weiter bedeutet, als die Abschaffung der Wirklichkeit. Der Dokumentarfilm, der sich darauf einlässt, gibt sich selber auf. Ohne Wahrheit, bzw. den Anspruch auf sie, wird alles Fiktion. Von Michael Glawogger konnte man lernen, die Wirklichkeit zu inszenieren, sie aber nicht an die Inszenierung zu verkaufen.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.