Cinema Moralia – Folge 88
Nur ein Aktivist bekämpft den Mist... |
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Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel | ||
(Foto: missingFilms Acrivulis & Severin GbR) |
»Es gibt keine Grenzen, aber man kann welche ziehen.«
Wittgenstein
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Es gibt ein Papier, das nicht Manifest genannt werden will, sondern Flugblatt. Vielleicht hat man sich da inspirieren lassen von den Papierfliegern, die bei den diesjährigen Oberhausener Kurzfilmtagen über die Leinwand huschten. Mit Flugblättern beginnen Reformationen und Revolutionen und so wollen wir diesem Papier Glück wünschen auf seinem Flug durch die Szene.
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Man kann es hier nachlesen und sollte es auch. Denn auch wer sich an manchen Unschärfen in Ausdruck, Ansicht und Stoßrichtung stört, oder den Begriff »Aktivismus« doof findet, der wird doch zugeben müssen, dass die Zielrichtung stimmt.
Die wichtigen Probleme werden benannt: Die Lüge des Pragmatismus. Das zum Stammeln heruntergekommene Reden über Film. Beklagt wird da ganz selbstkritisch der Verfall der Kritik, ihre Zurichtung auf Dienstleistungen, ihre erzwungene Anpassung
an Marktgegebenheiten. Der Markt hat aber nicht recht, sondern ist der Feind, das wird hier deutlich.
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Wichtig auch, dass es nicht bei Selbstkritik bleibt. Denn andere haben wesentlich mit Schuld: Filmverleiher und Kinobetreiber, die das Programmkino bewusst und geplant kaputt gemacht haben, Programmkinos, die keine mehr sind. Programmmacher, die meist noch nicht mal wissen, und mitunter nicht wissen wollen, dass Arthouse das Gegenteil von Kunst ist.
Festivals übernehmen noch gelegentlich punktuell die Aufgabe von Programmkinos. Gleichzeitig gehen auch viele von ihnen auf
den Strich aus Sponsorenzwängen, Verleiherkompromissen, Förderdiktatur und den Fürstinnen der Senderprovinzen. Sie unterwerfen sich der Marktlogik anstatt ihr entgegen zuarbeiten – das Filmfest München wird hier alsbald das beste Beispiel geben.
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Mit dem Fahrrad durch Köln. Was lese ich an einem Fenster: »Nichts wie weg mit dem deutschen Qualitätskino« steht fett auf einem Poster. Schau da: Es ist die KHM.
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Es war dann aber doch Dominik Graf. Ein Zitat aus seinem »Zeit«-Artikel von 2012. Und ein Projekt der Filmwerkstatt.
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Solches Qualitätskino werden wir bald wieder feiern müssen. Am Freitag verleiht die Filmakademie in ihrer unerschöpflichen Weisheit die Bundesfilmpreise, und schon die Nominierungen machen klar, dass dabei wenig herauskommt, was der Rede auch nur wert ist.
Edgar Reitz, sonst wenig.
Ein als Italo-Western verkleideter Heimatfilm. Die sich ihren eigenen Standpunkt verleugnende Satire Finsterworld wird immerhin Deutschland gerecht, und ist meilenweit besser als der Rest.
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Man denkt jedes Jahr, es könnte nicht schlimmer kommen mit den Nominierungen zum Bundesfilmpreis. Und fast jedes Jahr wird man eines Besseren belehrt. Was ist das für ein Auswahlverfahren, was für eine »Filmakademie«, bei der es nicht eine Nominierung gibt für einen einzigen formal ambitionierten Film? Wie Die Frau des Polizisten? Wie Kreuzweg? Wie Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel? Die aber einen Massenschwachsinn wie Fack ju Göhte zu einem der besten sechs Filme des Jahres erklärt? Der besten??? Halloo!!
Ich meine jetzt nicht die
Tatsache, dass sich die Menschen häufen, die einem zutuscheln, Jakob Lass' Love Steaks »hätte ich fünfmal abgelehnt ... da kann ich so abkotzen«. Nein, sondern die Tatsache, dass jeder Preis für diesen Film die Preise im letzten Jahr für Oh Boy nachträglich dementiert. Denn beide Filme gut finden oder für die
Zukunft des deutschen Kinos halten kann nur, wer Tomaten auf den Augen hat, eine Gehirnwäsche hinter sich oder das WM-Trickot der deutschen Fußballnationalmannschaft entworfen hat.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.