Cinema Moralia – Folge 94
Die Sterne sollen weiterleuchten |
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Da hilft kein Flehen: Auch der Tod ist nicht umsonst |
Passivität ist wahrscheinlich die beste Haltung für Filmkritiker. Sie sollten Geduld haben, abwarten können, was der Film mit ihnen macht, den Film kommen lassen. Filmkritik, wo sie am besten ist, ist ein Instrument, auf dem der Film spielt. Aber auch Instrumente haben eine Seele, jede Stradivari oder jedes Boesendorfer-Klavier ist anders, wie jeder Kritiker.
Insofern Filmkritiker auch ein gleichberechtigter Teil der kulturellen Landschaft und »der« Filmszene sind, ist
von ihnen aber auch Einmischung gefragt, Streitkultur und Meinungsstärke. Am besten begründet, zur Not auch mal einfach so, um den Laden aufzumischen. Hecht sein im Teich, in dem die fetten Karpfen noch oben schwimmen, aber nur Hechte überleben. Darum ist Filmkritik wo sie gut ist, immer auch Aktivismus. Erst recht in einer Landschaft die von behaupteter und angeschminkter Qualität geprägt ist, aber von faktischem Kulturverfall in nie gekanntem, niemals geahntem Ausmaß. Wir wissen
noch gar nicht, wie tief wir bereits gesunken sind, weil die Gleichgültigkeit uns alle einlullt, und wir ahnen noch nicht, wie tief wir fallen werden, bevor alles vielleicht wieder besser wird. Aber was wir sehen: »Qualitätsjournalismus« ist nur eine Floskel, eine Phrase, die kaum diejenigen beruhigt, die sie verwenden. »Qualitätsjournalismus« ist nur eine Maske, hinter der sich ein Abgrund auftut – »Qualitätsjournalismus« ist das angeschminkte Lächeln von Joker aus Batman.
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In Reaktion auf das zunehmend »konventionelle und formelhafte Kino« und den dazu passenden Journalismus wurde im Mai ein »Flugblatt für aktivistische Filmkritik« verfasst. Die Kritiker müssten ihren »passiven Pragmatismus überwinden und den Aktivismus für sich wiederentdecken«, schreiben die Verfasser, und dafür »wirtschaftliche Risiken« tragen. Zu den konkreten Ankündigungen der Unterzeichner gehört die Durchführung einer »Woche der Kritik« parallel zur Berlinale. Aber was muss man sich darunter vorstellen? Über die Möglichkeit, sich neue Freiräume zu erkämpfen, sprechen drei der Initiatoren des Manifests, mit zwei Redakteuren von »Revolver« bei »REVOLVER LIVE! (39)« am kommenden Freitag, 24. Oktober 2014 um 20 Uhr im »Roten Salon« der Berliner Volksbühne. Mit dabei sind Dunja Bialas von Artechock, Frédéric Jaeger und Claus Löser, sowie die Regisseure/Redakteure Christoph Hochhäusler und Nicolas Wackerbarth. Wir sind gespannt.
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Aktivismus scheint allgemein wieder mehr gefragt. Zeit wird’s. Denn solange Förderer, Sender und nicht zuletzt die Politik, die vieles ändern könnte, wenn sie wollte oder eben müsste, solange diese Funktionäre alle ihre Probleme nur aussitzen, auf dem Rücken der Künstler, der Filmemacher und des Publikums kann nichts besser werden. Man muss die Funktionäre zwingen, ihre Rolle wieder als dienende – den Künstlern und den Steuerzahlern dienend – zu begreifen, und vor
allem: Zu erfüllen.
Warum eigentlich gibt es Lokomotivführergewerkschaften und Pilotenvereinigungen, die ihren Namen verdienen, also für die Interessen ihrer Mitglieder kämpfen, und nötigenfalls streiken, aber kein entsprechendes Pendant auf Seiten der Regisseure und der Produzenten? Deren Vereinigungen machen mitunter gerade im Fall der Produzenten sogar den Eindruck, als dienten sie eher zur Ruhigstellung ihrer Mitglieder als zu deren Aktivierung.
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Zur Zeit erschöpft sich der Aktivismus noch vor allem in Manifesten und Manifestähnlichem, also Forderungen. So fordern die Autoren und Regisseure mehr Investitionen ins Fernseh-Programm. Die Mehreinnahmen aus der Haushaltsabgabe sollten auch für Strukturreformen dienen. Wohl gesprochen. Aber der Löwe zeigt noch keine Krallen.
Immerhin weist die Kritik auf wichtige Punkte hin: »Neben hohen Verwaltungskosten fällt das Ungleichgewicht in den Mittelansätzen für
journalistische Berichterstattung, Sport und für fiktionale bzw. dokumentarische Langformate auf. Die ARD hat nach vielen Jahren der Intransparenz vor kurzem einige wenige Zahlen vorgelegt. Aus ihnen geht hervor dass etwa für Sportsendungen mehr als fünf Mal so viel ausgegeben wird wie etwa für die führende ARD-Fiction-Reihe 'Tatort'. Solide ausfinanziert sind die journalistischen Eigenproduktionen. Dagegen hat die Auftragsproduktion (Serien, fiktionale Fernseh-
und Dokumentarfilme) seit Jahren mit Kürzungen zu kämpfen. Sie ist zum 'Spar-Schwein' der Anstalten geworden. Ähnliches gilt für das materiell ohnehin geringe Engagement bei Kino-Co-Produktionen, wo der Beitrag insb. des ZDF seit Jahren sinkt. ...
Die deutsche Fernsehfiction galt lange als führend in Europa. Allerdings wird dieser gute Ruf durch weitere Kürzungsauflagen gefährdet... Nicht weniger, sondern mehr Entwicklungs- und Produktionsmittel müssten investiert werden, um
den Anschluss etwa an nordische oder US-Serien nicht zu verlieren.« (Pressemitteilung des Bundesverbands der Film- und Fernsehregisseure BVR)
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Seit Jahren stagnieren die Honorare der Autoren und Regisseure. Während der Lohnindex des Statistischen Bundesamtes für 1998–2013 um 37 Prozent und auch die Rundfunkgebühren in diesem Zeitraum um ca. 27 Prozent gestiegen sind, blieben die Honorare für Autoren und Regisseure in etwa konstant.
In allen Bereichen, nicht zuletzt dem angeblichen Qualitätsjournalismus greifen Buyout-Verträge um sich. Die Online-Expansion schafft zusätzliche Probleme.
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Echten Aktivismus praktiziert die Firma »Pandora«, an deren Hauptstandort NRW man jetzt die Filmförderung abbauen will: »Seit nunmehr 32 Jahren deutsche und internationale Filmkunst. Seit über achtzehn Jahren aus Köln. Wir wollen mit unseren Filmen auf künstlerische Weise auf gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen aufmerksam machen. ... Der Kinofilm erreicht über seine vielfältigen Auswertungen sehr viele Menschen, ist aber eine sehr teure Kunstform. Er braucht daher mannigfaltige Unterstützung. Wir sind sehr besorgt, dass einer unser wichtigster Verbündeten, die Film-und Medienstiftung NRW deutliche Kürzungen von ihren beiden Hauptgesellschaftern erfahren hat, zunächst vom WDR und nun auch von Land NRW. Die Filmstiftung hat in den letzten Jahren stetig ihren Aufgabenbereich um die neuen Medien erweitert, die Kürzungen gehen daher an die Substanz der Förderung.«
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Schwarze Kulturpolitik ist oft schlecht. Rotgrüne Kulturpolitik oft noch schlechter. Wie traurig!
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Das Recht auf freien Tod ist ein Menschenrecht. Herzlichen Dank für alle ermutigenden Zuschriften nach dem »Cinema Moralia« letzte Woche! Christian Züberts Spielfilm Hin und weg handelt von einer Handvoll Freunde, die alljährlich eine Radtour machen. In diesem Jahr führt sie nach Belgien. Doch diesmal wird es für einen von ihnen auch die allerletzte Reise sein. Denn Radler Hannes (Florian David Fitz) ist todkrank und will, weil Euthanasie in Deutschland verboten, in Belgien aber erlaubt ist, in Oostende sterben. Mit dieser Frage des Rechts auf ein freigewähltes, sanftes Sterben im Angesicht grausamen Qualtods, bei dem den Ärzten in Deutschland von ihren Verbänden und den Kirchen engere Grenzen gesetzt werden als vom Recht, greift Zübert ein wichtiges Thema auf. Nicht um den Sinn des Lebens geht es im Film, sondern um den Sinn von Leiden, und die Frage, wie man seine letzten Lebenstage verbringt, wenn man weiß, dass nur noch wenige bleiben. Ästhetisch ist er seinem anspruchsvollen Thema aber leider nicht gewachsen: Bedeutungsgetue statt Ernst, Lärm statt Stille, platter Humor statt feinem Witz – über 90 Minuten entwickelt sich das Drama in höchst berechneten und entsprechend vorhersehbaren Wendungen. Papierne Drehbuchsätze entfalten Gefühlskitsch und Klischees. Für den Betrachter eine Erfahrung zum Fremdschämen – allein die hervorragenden Schauspieler, insbesondere die immer wieder glänzende Julia Koschitz beleben diesen Feelgoodfilm über den Tod, der auf die Abgestumpftheit des Massenpublikums setzt.
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Auch aufs Massenpublikum setzt zwar Doris Dörrie – sie tut das aber in ihrem neuen Film ungleich geschmackvoller. Die Münchner Regisseurin war in ihren Dokumentarfilmen schon immer besser als als Spielfilmautorin. In Dieses schöne Scheißleben (Que Caramba Es La Vida) portraitiert Dörrie mexikanische »Mariachi« – Leben und Tod, Glück und Sterben liegen in dieser katholisch-exzessiven Volksmusik dicht beieinander. In Dörries Film geht es allerdings um die seltenen weiblichen Mariachi – typische Beispiele für Frauen in Männerberufen. Und es geht um einen bestimmten Tag: Den »Dia de los Muertos«, den Tag des mexikanischen Totengedenkens. Dörrie hat vor allem mit der Handkamera gefilmt: Ein expressiver, nicht nur für Lateinamerika-Interessierte hochinformativer Dokumentarfilm, der trotzig das Leben und die Macht des Hier und Jetzt feiert im Angesicht von Elend und Tod.
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»Das Internet ist die Desublimierung all unserer Gelüste« – ein Satz, den ich – ich weiß nicht mehr wo – letzte Woche aufgeschappt habe. Es ist aber auch deren Sublimierung zum Schlechteren. Das Internet tötet zum Beispiel Aktivismus.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.