Kinos in München – Das Cincinnati
»Ich will nicht in Schönheit sterben« |
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Außen schmucklos, innen Kult: Das Cincinnati-Kino im Fasanengarten |
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(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas & Ingrid Weidner
Der Parkplatz vor dem Kino wirkt verlassen und leer, ein eisiger Wind weht an diesem Januar-Nachmittag durch die Cincinnatistraße am Perlacher Forst. Das freistehende Gebäude mit dem langgestreckten Querbau erinnert an eine Lagerhalle, zum würfelartigen Kopfbau führen ein paar Stufen zu den zwei davor gesetzten Eingangstüren. Fast verlassen liegt der Riese im Dämmerlicht. Nur hinter den hohen, zur Straßenseite hin ausgerichteten Fenstern verheißt ein sonnengelbes, warmes Licht Leben.
Ein Haus im Nirgendwo der Münchner Peripherie, das Setting wirkt wie die erste Szene eines düsteren Thrillers aus dem Mittleren Westen der USA. Doch ein Schaukasten mit Kinoplakaten verrät, das dieser Zweckbau ein Kino beherbergt. Das Cincinnati in der Cincinnatistraße liegt nur zehn Minuten von der S-Bahn Fasangarten entfernt, mitten in der ehemaligen Amerikanischen Siedlung am Perlacher Forst. Zwar zog die US-Army längst ihre Truppen und Mitarbeiter ab, doch das Kino versprüht immer noch den funktionalen Charme der 1950er Jahre.
Im Foyer riecht es nach Popcorn, das in einer süßen und salzigen Variante angeboten wird. Nachos, Süßigkeiten, Kaffee, Softdrinks und ein Bier zum Film finden die Kinogänger an der Theke, wo sie auch ihre Eintrittskarten lösen. Im großzügigen Entree finden sich ein paar Tische und Barhocker im Stil der späten 1990er Jahre, schwarzes Metallrohr, ausgesessenes Kunstleder, kleine Gesprächsinseln, die vor dem Film belagert werden. Gegenüber der von Betonstrebenen gehaltenen Glasfassade, die wie ein modernes Kirchenfenster anmutet, prangt eine große Leinwand. Eigentlich sollte sie Werbezwecken dienen, erzählt uns Betreiber Thomas Wilhelm, mit dem wir uns zum Gespräch im Kinofoyer getroffen haben, manchmal läuft dort ein Trailer, zu WM-Zeiten hin und wieder auch ein Fußballspiel.
Der gigantische Kinosaal mit einem breiten Mittelgang führt direkt auf die 80 Quadratmeter große Bühne zu. Dort könnte locker das Ensemble einer Hollywood-Produktion den Applaus des Publikums entgegen nehmen. Auch die dahinter aufgespannte Leinwand mit ihren 60 Quadratmetern wirkt imposant. Im Saal finden 428 Besucher auf braunen, gepolsterten Sesseln Platz. An den großzügigen Abständen zwischen den Stuhlreihen lässt sich noch erkennen, für wen das Haus geplant war: Stattliche, hoch aufgewachsene GIs, denen Beinfreiheit und Komfort wichtig waren. Dagegen wirkt das etwa zeitgleich gebaute Theatiner wie ein Gegenstück aus dem Nachkriegsdeutschland. Das elegante Lichtspieltheater in der Innenstadt im 1950er-Jahre-Stil planten die Architekten wohl für ein ganz anderes Publikum, nämlich schmächtige, kulturell ausgehungerte Intellektuelle, die sich dort zwischen den engen Stuhlreihen die Cineasten der Großstadt wurden.
»Wir sind hier kein Arthouse-Kino«, sagt Thomas Wilhelm nüchtern und zeigt erklärend auf die Plakate von Thor oder Fack ju Göhte, die das Foyer schmücken. Als er im August 1999 das Cincinnati übernahm, lebten kaum noch Amerikaner in der Siedlung, doch das Kino war trotzdem gut besucht. Der große Parkplatz vor der Tür und die nahe gelegene Autobahn lockten auch viele Zuschauer aus dem Umland in das großzügige Kino. Blockbuster und „Bad-Guys-Filme“, so erinnert sich Wilhelm, spielte er damals für sein Publikum. Zwar dachte der Kino-Betreiber anfangs noch über einen kompletten Umbau des Hauses nach, um den zu groß gewordenen Saal in mehrere kleine aufzuteilen, denn das hätte das Haus besser bespielbar gemacht. Doch ein Architekt rechnete ihm vor, dass die Umbaumaßnahmen mindestens eine Million DM kosten würden.
Eine gewaltige Summe für ein Kino, für das Wilhelm keinen langfristigen Mietvertrag hatte. Also arrangierte er sich mit den Räumlichkeiten und konzentrierte sich auf die Programmgestaltung. »Die Filmauswahl ist eine Wissenschaft für sich«, verrät er und ergänzt: »Ich muss schauen, dass der Laden läuft.« Persönliche Filmvorlieben des Eigentümers spielen deshalb kaum eine Rolle, denn um ein Kino rentabel zu betreiben, muss sich Wilhelm wirtschaftlichen Zwängen beugen. »Ökonomie comes first«, so sein lapidarer Kommentar, denn er wolle nicht »in Schönheit sterben«. Selten läge er mit seiner Auswahl daneben. »Ich spreche mich mit Mitarbeitern und Kollegen ab«, sagt er. »Außerdem bringe ich dreißig Jahre Kino-Erfahrung mit.« Wilhelm kann sich mittlerweile gut auf sein Filmgespür verlassen. Im Cincinnati zeigt er überwiegend Mainstream-Filme, doch das Publikum kommt auch für den ein oder anderen Arthouse-Filme vorbei. Kinderfilme in der Nachmittagsschiene, sowie Schul- oder Privatvorführungen ergänzen das Programm.
Und dann wäre da noch das Wetter, eine schwer kalkulierbare Variable der Programmgestaltung. »Schönes Wetter ist schädlich«, soviel steht für Wilhelm schon mal fest. Doch »schlechtes Wetter macht auch kein volles Kino«, philosophiert er weiter. Überhaupt beschreibt Wilhelm das Kinopublikum als anspruchsvoll. Elektronische Reservierungssysteme oder gleich eine App, über die der gewünschte Platz gebucht werden kann, gelten für sein Publikum mittlerweile als Standard. Gutscheine, Sonderaktionen, ein üppiges Sortiment an Snacks sowie ein ansprechendes Ambiente erwarten die Gäste vom Kinobesuch. Doch ein Tagescafé im Cincinnati würde sich vermutlich in der weitläufigen Wohnsiedlung nicht lohnen, darüber nachgedacht hat Wilhelm schon.
Die Siedlung am Perlacher Forst gilt inzwischen als begehrte Wohnlage. Das nach amerikanischen Vorbild errichtete Wohnquartier mit Schulen, Sporthallen, Kirche und Kino entstand dort ab 1953 für die in München stationierten Militärs der US-Army und ihre Familien. Eigens für das neue Quartier ließ der Freistaat Bayern eine Fläche von rund einem Quadratkilometer Wald abholzen, damit dort Wohnungen gebaut werden konnten. Vor allem höhere Dienstgrade und über mehrere Jahre in »Germany« stationierte Angehörige der US-Army lebten dort. Die breiten, auf große Schlitten zugeschnittenen Straßen kamen überwiegend ohne Gehsteige aus, auch Gartenzäune oder große Garagen wie in den Siedlungen der deutschen Nachbarn in anderen Stadtvierteln suchte man dort vergebens. Nach dem Kalten Krieg und dem Fall der Mauer zogen die Amerikaner und mit ihnen die anderen Alliierten immer mehr Truppen aus Deutschland ab. Diese ehemaligen Kasernen und Wohnquartiere gingen nach der Räumung wieder in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland über. Verwaltet werden diese Immobilien und Grundstücke von der Bundesimmobilienverwaltung (Bima), die auch das Cincinnati an Wilhelm vermietet.
Thomas Wilhelm stammt aus einer echten Kinofamilie. Er wuchs zwischen den Stuhlreihen, Projektoren und Filmrollen des Kino Solln auf, das seine Mutter über viele Jahre betrieb. Später übernahm Wilhelm das Lichtspielhaus, siedelte es in der Gartenstadt sogar einmal um und übergab es dann an François Duplat, der ihm im Gegenzug das Neue Rex in Laim überließ, das heute noch unter der Regie von Wilhelm steht.
Zunächst aber zögerte Wilhelm, ins Kinogeschäft einzusteigen. Er studierte BWL, versuchte sich in der IT-Branche. »Das war aber nicht so mein Ding«, erinnert er sich. Schließlich hörte er doch auf seine Mutter, die ihm zuredete, der Familientradition zu folgen. Denn anders als in einem Handwerksbetrieb habe ein Kinobesitzer jeden Abend sein Geld in der Kasse, so ihre Erfahrung. Wilhelm fügt noch ein weiteres Argument an: »Kino hat Spaß gemacht«. 1996 stieg er offiziell in das Familienunternehmen ein, übernahm das Neue Rex, mietete drei Jahre später das Cincinnati an. Schließlich kam als drittes Kino noch das Rottmann in der Maxvorstadt hinzu. In all den Jahren im Kinogeschäft erlebte Wilhelm Höhen und Tiefen, wie er erzählt. »Es ist eine spannende Branche, allerdings steckt ein großer Aufwand dahinter.«
Kritisch wurde es für das großzügige Cincinnati, als 2003 der Multiplex-Gigant Mathäser an der Bayerstraße mit seinen 14 Sälen und über 4000 Plätzen die Münchner Kinolandschaft erschütterte. »Das war eine große Konkurrenz für uns«, erinnert sich Wilhelm. Gerade weil viele Besucher gerne mit dem Auto anreisen und Popkorn-Kino lieben, ignorierten einige ihre alte Heimat und fuhren lieber weiter in die Innenstadt.
Momentan blickt das Cincinnati und mit ihm Thomas Wilhelm wieder in eine ungewisse Zukunft. Denn es steht mehr als in der Schwebe, wie es mit seinem Lichtspielhaus weitergeht. 2010 investierte er richtig viel Geld, um das Haus auf die digitale Kinotechnik umzurüsten. Jetzt zeigt das Haus auch 3D-Filme und hat im Viertel ein treues Publikum gefunden. Dass Zuschauer aus der Stadt an die Peripherie fahren, das glaubt Wilhelm nicht. Jetzt droht, ein Supermarkt das Kino zu vertreiben, eine Folge einer langen Entwicklung des Viertels. Die Ami-Siedlung, wie das Wohnquartier liebevoll und keineswegs despektierlich von den Münchner genannt wird, wird demnächst Standort des Neubaus der Europäischen Schule sein. Bald sollen die Bauarbeiten für den Zweckbau beginnen, der bereits 2015 mehr als 1800 Schüler beherbergen soll. Als Baugrund wurde ein Areal in der Nähe der S-Bahn-Haltestelle Fasangarten gewählt, der dort angesiedelte Supermarkt muss weichen und da die Eigentümerin des Areals, die Bundesimmobilienverwaltung (Bima), ein Ausweichquartier für den Vollsortimenter sucht, gibt es Überlegungen, das Cincinnati dafür zu nutzen. »Es muss ein Festbau sein.« Was bedeutet: Kinosessel raus, Regale rein. Und das wäre dann das Aus für das Kino in der Ami-Siedlung.
Ob dem Kino das städtische Baurecht und der damit verknüpfte Bestandsschutz hilft oder ob es wegen fehlender Alternativen dem Supermarkt weichen muss, entscheidet sich in den kommenden Monaten. Doch schon jetzt steht fest: Im Mai muss einen Lösung für die Umsiedelung des Supermarktes her. Im Viertel formiert sich Widerstand durch treue Kinogänger, zahlreiche Bürger engagieren sich mittlerweile für »ihr« Kino . Noch ist offen, wie es mit dem Cincinnati weitergeht. Dass das Quartier auch ein kulturelles Angebot für seine Bürger braucht, darüber seien sich alle einig, auch die Bima. Ob es ein Kino bleiben wird – das wird sich zeigen. Wir drücken die Daumen!
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.