65. Berlinale 2015
Mad Men in der Tafelrunde |
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Ein Filmfestival ist wie ein Raumschiff |
Eines zumindest scheint schon vorher klar: Man hat sich in Berlin offenbar schwergetan, die sieben Jurymitglieder zusammenzubekommen. Denn so spät wie diesmal, gerade einmal acht Tage vor Festivalbeginn, ist lange keine Jury mehr bekanntgegeben worden.
Andererseits: Jurys sind überschätzt. Ist es tatsächlich wichtig, wer am Ende eines Filmfestivals die Preise erhält? Nicht wirklich. Jedenfalls nicht bei der Berlinale. Oder erinnern Sie sich noch, wer vor fünf Jahren den Goldenen Bären bekommen hat? Oder vor einem Jahr?
So ein Filmfestival funktioniert, während es noch läuft, wie ein Raumschiff – völlig losgelöst von der Erde schwebt es im eigenen Orbit, da kann wie vor zwei Jahren während der Berlinale sogar der Papst zurücktreten, oder wie ein Jahr zuvor, natürlich auch während der Berlinale, ein Bundespräsident – die anwesende Journalistenschar schaut, wenn sie es denn überhaupt registriert, nur mal kurz vom Programmheft auf und ärgert sich, dass jetzt womöglich der Platz für
den Festivalbericht in der Zeitung oder der Radiosendung weniger wird. Und ab geht’s ins Kino zum nächsten Film.
Sobald sich die Aufregung des Festivalbetriebs dann gelegt hat und der Schlaftrythmus wieder normaler wird, also so zwei, drei Tage nach Festivalende, ist aus dem Raumschiff eine Geisterstadt geworden, und »High Noon« ist lange vorbei.
Jurys sind aber auch unterschätzt. Denn hier kann eine Handvoll Leute ganze Leben verändern, Unbekannte entdecken oder wenigstens einmal ins Rampenlicht holen, aber auch Hoffnungen zunichtemachen. So etwas speist natürlich die eigene Eitelkeit und den Hang einer Jury, irgendetwas Überraschendes, völlig Unerwartetes zu machen, eine Entscheidung zu treffen, an die man sich auch nach Jahren noch erinnert.
Eine Jury kann auch Karrieren einen ganz neuen Schub geben. So etwa Fatih Akin, als er vor nunmehr auch schon elf Jahren für Gegen die Wand den Goldenen Bär gewann, da machte die Jury um Schauspielerin Frances McDormand nicht nur aus dem immer noch etwas jugendlichen Hamburger, dessen Filme längst nicht allen gefielen, einen Weltstar, sie machten auch aus Berlinale-Chef Dieter Kosslick den Mann, der
dem deutschen Film eine Plattform bot.
Dabei hatte ausgerechnet Kosslick den Film gar nicht im Wettbewerb haben wollen, ihn nur in eine Nebensektion eingeladen.
Erst durch ein paar Zufälle rückte der Film kurz vor Toreschluss nach.
Jurys sind aber vor allem undurchsichtig. Was da genau bei der geheimen Tafelrunde hinter geschlossenen Türen passiert, das wissen nur die, die dabei gewesen sind. Und nicht einmal die verstehen es immer rückblickend ganz genau. Denn jede Jury hat ihre Eigendynamik, ist ein einmaliges, komplexes soziales Geflecht, in dem Sympathie nicht weniger zählt, als Argumente.
Mit dabei sein möchte eigentlich immer der Festivaldirektor und dann mit sanften Empfehlungen oder ungebetenen Ratschlägen dem Film zum Sieg verhelfen, der dem Festival nutzt. In Cannes, dem Mekka des Kino, macht man das offenbar gern.
Bei der Berlinale, so sagt man, hat der Direktor weniger Einfluss. Im letzten Jahr konnte man das erleben. Da wollte alle Welt, dass Richard Linklaters Boyhood gewinnt, und dem mauen Wettbewerb hätte das geholfen. Der Goldene Bär ging dann aber unerwartet an einen unbekannten Chinesen.
Auch beim diesjährigen Jurypräsidenten Darren Aronofsky kann man sich schwer vorstellen, dass er sich von Dieter Kosslick etwas sagen lässt. Dass Aronofsky, der bisher mit seinen Filmen immer in Cannes oder Venedig war, überhaupt mitmacht, liegt wohl nur daran, dass er nach seinem Megaflop Noah offenbar dringend in der Filmwelt Gutwetter machen muss.
Gern würde man dagegen dabei sein, wenn Aronofsky mit dem Koreaner Bong Joon-ho diskutiert. Beide gelten als ausgewiesene Alphatiere der Film-Branche, und ihre Geschmäcker sind, schließt man von ihren eigenen Filmen drauf, meilenweit verschieden.
Schauspieler in der Jury sollen vor allem beim Fototermin einen schönen Eindruck machen und im Boulevard für tägliche Schlagzeilen sorgen. Gerade in Berlin.
Vor Jahren taufte der Boulevard einmal eine, die es mit diesem Job besonders genau nahm, und sich so leichtbekleidet wie photogen auf dem roten Teppich räkelte, »die Berlinackte«.
Was hat es schließlich zu bedeuten, dass mit Matthew Weiner, ein Fernsehserienmacher, in der Jury sitzt. Man würde ja auch nicht einen Popbarden über klassische Streichkonzerte entscheiden lassen. Aber beide Medien nähern sich einander an, gerade in Berlin, wo die Auswahl populistischer und massenorientierter ist, als in Cannes oder Venedig.
Und beim Berliner Filmmarkt, der der Industrie wichtiger ist als der Wettbewerb, dreht sich diesmal viel um Serien.
Es gibt also für die Mitgliedschaft in einer Jury viele Gründe. Man könnte auch die Auswahl der Filme so erklären. Mit jeder Nominierung setzt man ein Zeichen, und am Ende sollen alle Seiten, die Kunst und das Geld und das Publikum zufrieden sein
Dass die Jury nebenbei auch noch Preise vergeben muss, ist dabei nur ein Detail unter vielen.
Aber vielleicht kommt alles auch wieder ganz anders. Hinterher ist man immer dümmer.