65. Berlinale 2015
»Je ne suis pas Dieter Kosslick!« |
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Mannomann – nur Dritter! |
»Aber sie bekommen doch ihre Karte. Sie können sich ihre Karte an der Kasse abholen.« Dieter Kosslick wollte nett sein. Schließlich war da gerade jemand nett zu ihm gewesen. Wobei... das wusste er ja gar nicht. Also der Reihe nach: Meine Technikerin neulich beim Radio, eine der vielen netten tollen Kräfte im ARD-Hauptstadtstudio, ihren Namen möchte ich jetzt trotzdem nicht hinschreiben, erzählte mir, als die Rede auf die Berlinale kam, von einer Sendung letztes Jahr im
Deutschlandradio Kultur. Da gibt es Samstag morgens immer eine Diskussionsplattform, bei der Hörer anrufen können, zwei Stunden lang. Man dachte beim DLR wohl: Kosslick – gute Idee, der redet so viel, dann noch Hörer, ein Selbstläufer. Pech nur, dass kein Hörer anrief. Keiner. Eine halbe Stunde lang. Berliner gehen ja später ins Bett als Münchner, also war 9.30 Uhr am Samstag vielleicht noch ein bisschen früh, aber Deutschlandradio Kultur läuft ja bundesweit, sogar in Dresden,
und irgendeiner wird doch wohl auch außerhalb der BVG-Ringbahn noch von der Berlinale gehört haben. Interessiert aber offenbar keinen. Jedenfalls Kosslick, allein, ohne Hörer, der Moderatorin gingen spürbar die Fragen aus, Kosslick redete schon längst nicht mehr über Filme, sondern übers Essen, »die Luft war raus, es war zäh und langweilig« sagte meine Technikerin, so weit, so wenig überraschend. Die Technikerin aber, die von zuhause zuhörte, hatte Mitleid. Nicht mit Kosslick, mit
der Moderatorin. Also rief sie selber an. Stellte eine Frage zum Kartenkauf, der ja so kompliziert geworden sei. Kosslick, wie er so ist, fing die Frage geschickt auf, konterte mit der Feststellung: »Aber das ist doch ganz einfach.« Sie können ihre Karte einfach unten am roten Teppich abholen. Wie ist ihr Name? Nun hatte die Technikerin, weil man sie ja im Hause kennt und womöglich unter ihrem richtigen Namen gar nicht zur Sendung durchgestellt hätte, einen falschen Namen angegeben.
Und so sagte sie Kosslick: »Ich bin Frau Meier.« »Ah, Frau Meier...« »Man konnte richtig hören, wie Kosslicks Stimme im Satz innehielt.« erzählte die Technikerin, »und er nachdachte: Wenn jetzt alle Frau Meiers aus Berlin kommen, und eine Karte wollen... Und was wird dann aus den ganzen Freikarten für die Bundestagsabgeordneten?«
Jedenfalls liegt da jetzt irgendwo am Roten Teppich, vielleicht auch darunter oder daneben, jedenfalls »unten«, hautnahe am fetzigen
Berlinale-Geschehen, eine Karte für Frau Meier.
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»Ich werde sie mir nicht holen. Ich gehe dieses Jahr nämlich gar nicht auf die Berlinale.« sagte mir die Technikerin dann noch. Sie sei nämlich genervt, weil es mit den Karten wirklich immer komplizierter werde. »Da muss man drei Tage vorher anstehen, und dann kriegt man nie, was man will, sondern soll irgendetwas nehmen, was man gar nicht haben wollte. Das ist mir zu blöd.« Außerdem seien die Filme in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Recht hat
sie.
»Publikumsfestival«, das klingt halt viel volkstümlicher, als es ist, fast so wie »Kiezkino.« Der Berlinale-LiLaLaunebär weiß schon, wie man den Berlinern den Bart krault.
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An diesem Donnerstag startet in den deutschen Kinos mal wieder ein gutes Dutzend Filme. Unter anderem Blackhat, das neue, im übrigen ganz ausgezeichnete Werk von Michael Mann und dann Jupiter Ascending, ein ziemlich vulgärer, aber unterhaltsamer Fantasy-Knaller von den Wachowski-Geschwistern. Beides in jedem Fall starlastig, beides Spektakelkino, das auch in Amerika erst jetzt rauskommt, man könnte also wunderbare Europa-Premieren daraus basteln. Hier zeigt sich ein erstes Problem: Es gelingt der Berlinale einfach nicht mehr, solche Filme und ihre Stars nach Berlin zu holen.
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Aber wenn das mal alles wäre. Die Berlinale behauptet von sich selber gern, sie sei ein wahnsinnig politisches Filmfestival, überhaupt eigentlich das politischste Filmfestival der Welt. Man kämpft für die Freiheit von Dissidenten, gegen Diktaturen und den Hunger in der Welt... Wobei... Ob die Sektion »Kulinarisches Kino« mit ihren First-Class-Köchen und 5-Sterne-Schaumsüppchen jetzt angesichts des Hungers in der Welt... Aber egal. Weiter. Jedenfalls politisch, Freiheit und
Menschenrechte werden hier großgeschrieben, wie man so sagt, also FREIHEIT und MENSCHENRECHTE. Wie steht es damit aber auf der Berlinale selbst? Die ist mit ihren Absperrungen und VIP-Bereichen eher eine Variante der postmodernen Kontroll- und Disziplinargesellschaft, aber das gilt irgendwie leider für alle drei A-Filmfestivals, auch wenn Cannes das immer noch eleganter hinbekommt, aber auch nicht besser.
Aber warum dürfen die DFFB-Studenten eigentlich keinen Stand auf der
Berlinale machen, um dort auf ihren Kampf um Mitbestimmung aufmerksam zu machen? Die Studis wollen sich nicht von einer Kommission, die von Björn Böhning, dem Büroleiter des Regierenden Bürgermeisters moderiert und tendenziell manipuliert wird, gegen ihren Willen eine neue Leitung verpassen lassen, nachdem der letzte auf diese Art bestimmte Leiter, Jan Schütte, ein Griff ins Klo war, um es mal freundlich auszudrücken. Warum also dürfen diese Filmemacher von morgen nicht heute für
ihre Rechte kämpfen? Werden sie hoffentlich trotzdem tun, was kann ihnen denn die Berlinale schon verbieten? Noch haben wir selbst im – theoretisch – Privatgelände um den Potsdamer Platz, wo die Polizei nur geduldet ist, aber kein Hausherr, keine Putinschen Verhältnisse.
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Apropos Putin. »Wenn wir in Russland wären, würdest Du nach Deinen Texten keine Berlinale-Akkreditierung bekommen«, sagte mir neulich ein russischstämmiger Filmemacher, der meinen Cinema-Moralia-Kommentar gelesen hatte, in der ich das Nicht-Verfahren bei der Vertragsverlängerung des Berlinale-Leiters kommentiert habe. Tja, da hab ich ja noch Glück gehabt, das ist mir auch sehr bewusst.
Den schönen Voltaire-Satz »Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür
einsetzen, dass du es sagen darfst«, würde Dieter Kosslick in Bezug auf die Berlinale dann aber wohl doch nicht formulieren. Voltaire kam nicht bis zum Potsdamer Platz.
Da kann ich nur entgegensetzen: »Je ne suis pas Dieter Kosslick!«
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Am Dienstag habe ich eine E-Mail an Frauke Greiner geschrieben, die Pressechefin der Berlinale. Ich schätze Frauke Greiner sehr, sowohl persönlich und menschlich als auch, weil sie ohne Frage ihren Job sehr gut macht. Die Tatsache, dass wir nicht immer einer Meinung sind, das können wir auch gar nicht, und dass wir ganz verschiedene Interessen haben, schlicht gesagt auch an verschiedenen Seiten sitzen, tut meiner Wertschätzung und dem Respekt keinen Abbruch. Zudem kann man es ja mal
so ausdrücken: Wer unter Dieter Kosslick Pressearbeit machen und zu seinem Filmprogramm und den vielen irritierenden Entscheidungen immer gute Miene machen muss, der hat es auch nicht leicht.
An Frauke Greiner schrieb ich jedenfalls eine E-Mail, in der ich höflich fragte, ob ich denn wie in den letzten mindestens zehn Jahren, wieder eine Einladungskarte zur Berlinale-Eröffnungsfeier bekommen würde?
Ein paar Stunden später kam von Frauke die deutlich, aber auch irgendwie
lustig formulierte Antwort zurück: »Ich muss Dich leider enttäuschen.« Kein Satz mehr, keine Begründung. Aber die Botschaft war klar.
Am liebsten hätte ich zurückgeschrieben, dass mich das gar nicht so sehr enttäuscht, sondern ich es fast erwartet hatte, und dann auch wieder nicht, weil zu meinem Respekt vor Frauke Greiner ja gehört, dass ich sie ungemein professionell finde. Diese Antwort allerdings finde ich nur professionell formuliert.
Denn eigentlich vermittelt sie ja
ein Kompliment: Deine Texte haben Wirkung! Man muss nicht beim Spiegel ätzen, oder einen FAZ-Leitartikel schreiben, sondern artechock trifft auch. Hätt' ich mir zwar fast gedacht, aber danke dafür!
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Neulich hat die FAZ etwas überaus Ungewöhnliches, ja Merkwürdiges gemacht, etwas was sie noch nie gemacht hat, in den 14 Jahren, in denen Dieter Kosslick Berlinale-Chef ist. Und was sie, wage ich mal zu sagen, auch nicht gemacht hätte, wenn Michael Althen noch leben und das Film-Ressort leiten würde. Jedenfalls nicht in dieser Form. Da kam nämlich im Feuilleton ein Interview mit Dieter Kosslick. Ziemlich unmotiviert, aus heiterem Himmel, am 14. Januar. Was soll das denn?, fragte man
sich als regelmäßiger FAZ-Leser, am 14. Januar!! Hallo? Drei Wochen vor der Berlinale, einfach so, das macht nicht mal die Berliner Morgenpost. Und dann die Fragen... Hart und kritisch, wie: »Wo steht die Berlinale international?« oder »Sehen Sie ein Thema, das die diesjährigen Einreichungen verbindet?«
Gut, das Interview stammte von Jörg Michael Seewald, der normalerweise nicht im FAZ-Feuilleton schreibt, sondern auf der Medienseite, und den mit der Berlinale die Vorgeschichte
verbindet, dass nach einem seiner Texte vor eineinhalb Jahren schon mal eine Richtigstellung von Frauke Greiner in Leserbriefform in der FAZ veröffentlicht wurde.
Womöglich wollte da jemand was gutmachen?
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Interessanter aber ist eine der Antworten des Berlinalechefs: »Die Berlinale wird 65 Jahre alt. Sie ist das einzige A-Filmfestival, das Deutschland kreiert hat im Konzert mit Cannes und Venedig.« [Zwischenbemerkung: Mehr als ein A-Festival darf kein Land haben, und »kreieren« schon gar nicht] »Im internationalen Vergleich sind wir auf dem dritten Platz. Da fühlen wir uns wohl. Die Frage ist: Wer ist Nummer zwei? Nummer eins ist eindeutig, und so schauen wir mal: Man weiß aus der
Formel 1, dass es gar nicht dumm ist, ein Stück weiter hinten zu fahren, wenn man überholen möchte.«
Nun gibt’s bei der Formel 1 auch Windschatten mit entsprechender Sogwirkung, das Bild ist also mal wieder Stuss, aber entscheidend ist, dass Dieter Kosslick hier sagt: Wir sind nur Dritter. Und das ist auch gut so.
Echt jetzt? Mehr nicht? Mannomann, die Berlinale ist ganz schön bescheiden geworden.