65. Berlinale 2015
Zwischen Schönheit und Schrecken, Humor und Groteske |
||
Dominga Sotomayors Mar |
Monumentale Mähdrescher und Bagger, futuristische Hochhäuser, ein Ballett der Maschinen zu Orchestermusik, Körper, Landschaften, Bewegung, eine schöne neue Welt und ihre Abgründe – das ist Marcelo Pedrosos Brasil S/A, eine filmische Antwort auf literarische Beschwörungen des brasilianischen Traums, ob durch Stefan Zweig, Max Bense oder Clarice Lispector.
Aber dieser beeindruckende Film im »Internationalen Forum« der dem Autorenkino
verschriebenen Sektion der Berlinale, zeigt eben auch die anderen Seiten, symbolisiert durch das Bild einer riesigen Nationalflagge Brasiliens, die mit einem Loch in der Mitte über den Hochhausschluchten landet. Ein modernes Selbst-Bild von Brasilien und gewissermaßen dem ganzen Kontinent, aber eben auch ein Bild der Folgen von Modernisierung und rasantem sozialem Wandel. In der Schönheit wohnt der Schrecken. Und wenn ein riesiges Frachtschiff so malerisch wie pathetisch den
Ozean durchpflügt, dann ist das auch ein Bild der Macht.
Lateinamerika ist gleichzeitig ein klassischer wie ein unbekannter Kinokontinent. So vielfältig wie die Länder ist auch das Kino. Dabei ist es wieder einmal der Wettbewerb der Berlinale, in dem allzu Offensichtlichen, Erwartbaren nachgegeben wird: Ein Film zeigt Indigenes, an der Grenze zum Folkloristischen, wie der guatemaltekische Film Ixcandul über die Welt der Kaffeepflücker und Maya-Nachfahren, über eine junge Frau und das Thema Zwangsehe – das ist der Stoff, aus dem so mancher Berlinalefilm ist und doch beschleicht einen gelegentlich der Eindruck, das größte Ereignis dieses Films sei vielleicht, dass es ihn überhaupt gibt, dass in Guatemala überhaupt Filme gemacht werden.
Der zweite Wettbewerbsbeitrag, El Club vom Chilenen Pablo Larrain, setzt auf die zweite Seite unserer Vorstellung des Kontinents: Soziales Elend und den harten, politischen Skandal: Es geht einmal mehr um sexuellen Missbrauch in katholischen Zusammenhängen und die klägliche Rolle der katholischen Kirche. Larrain, einem der wichtigsten Filmemacher Lateinamerikas ist ein wichtiger, sehr gut inszenierter, starker Film gelungen. Allerdings spekuliert er auch auf den Skandal, und eine kühle Glätte durchzieht den Film, dem man anmerkt, dass hier einer auf den Beifall des Festivalpublikums hofft.
Richtig überraschend, frisch und ästhetisch wie inhaltlich überzeugend war anderes. Besonders stark sind in diesem Jahr wieder die Filme aus Argentinien, einem der wichtigsten Kinoländer des Kontinents: Mar von Dominga Sotomayor, auch ein Forumsfilm, erzählt zwischen Drama und ironischer Groteske von einem Paar, das Urlaub am Strand macht, sich zu trennen droht, dann kommt seine Mutter. Das Ganze vor dem Hintergrund des Wochenendtourismus mit seinen ganz eigenen, mitunter bizarren Seiten – hier paart der Humor sich mit dem Schrecken. Ganz direkt: Denn irgendwann schlägt hier der Blitz ein.
Ein anderes Paar zeigt Juan Schnitman: El Incendio ist ein rasanter Handkamerafilm aus dem Metropolen-Taumel von Buenos Aires, der ein wenig an den tollen deutschen Wettbewerbsfilm Victoria erinnert: 24 Stunden im Leben eines Paares, während denen sich das Private zum Panorama einer hypernervösen Gesellschaft weitet.
Schließlich El Guri von Sergio Mazo, auch aus Argentinien, in der Jugendsektion »Generation«: Ein kleiner Junge, dessen Mutter fortgegangen ist, ist auf sich allein gestellt. Er hängt herum mit dem Tierarzt und den Arbeitern des Dorfes, mit Tieren und in der Natur – ein Junge, in dem der spätere Mann schon erkennbar ist. Und allmählich erfährt er die Wahrheit über die Mutter, wird erwachsen...
Auch hier steckt im Privaten das Politische.