65. Berlinale 2015
Ledermode und Bettbezüge |
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Jan Soldats Haftanlage 4614 | ||
(Plakat: RJ Films Inc.) |
Das Schönste an Festivals sind die Zusammentreffen des Unvereinbaren oder des Doch-Vereinbaren. Da stoßen Filme zusammen, der dem, den man gerade gesehen hat, den Spiegel vorhält. So etwa am Mittwochabend. Da lief Haftanlage 4614 vom Deutschen Jan Soldat. Soldat gehört zu den spannendsten deutschen Filmemachern der Gegenwart, weil er zu den ganz Wenigen gehört, die ihren Gegenstand ganz ernst nehmen, die ironiefrei erzählen und die deshalb, weil sie von etwas für die allermeisten Menschen Schrägem, Sonderbarem erzählen, in der Lage sind, einen Zuschauer aufzuwühlen, zu überraschen, zu irritieren.
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Soldats Dokumentarfilm erzählt von einem Fetischsegment, das nur eine Minderheit anzieht, und man muss es dem »Panorama« sehr zugutehalten, dass so ein Film hier gezeigt wird. Im Zentrum ein Folterkeller, mitten in Deutschland. Männer mit masochistischen Neigungen können dort einziehen, und sich quälen und drangsalieren lassen, aufs Härteste, Fieseste. Natürlich ist noch Schlimmeres denkbar. Codewörter schützen davor, dass ungewollte Dinge passieren. Im Gespräch begegnete
man dann unter anderem einem Chemielaboranten aus, war es Bielefeld? Er sagte den schönsten Satz des Films: »Ich komme hierher, um mich mal richtig zu entspannen.« So wie eine Bankiersgattin, die sich auf ihre Wellnesswoche freut.
Jan Soldat nimmt das, was er zeigt, sehr ernst, weil er die Normalität, die dem innewohnt, freisetzt.
Haftanlage 4614 funktionierte quasi als Vorfilm zum
angekündigten Skandal, der dann wie eine Dampfnudel in sich zusammenfiel.
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Die größte Enttäuschung im prallgefüllten Berlinale-Kino am Mittwochabend war wohl für die meisten, wie langweilig die Verfilmung von Fifty Shades of Grey war. Dies sollte also wirklich die Sensation des Kinofrühjahrs sein, die neue Sexfilm-Offenbarung? Was man sah, war ein recht prüder, recht durchschnittlicher und typisch amerikanischer Film, ein »romantisches Drama« mit softem Sex, Weichzeichner und gelegentlichem Klapsen auf den Frauenpopo. Freigegeben ab 16 Jahren. Auch überraschend: Die Regisseurin, die 1967 geborene Britin Sam Taylor-Johnson, die nach einem auf glaubhafter Quelle berichteten »Spiegel«-Artikel zunächst mit einem 20 Jahre älteren Mann verheiratet war, nunmehr mit einem 20 Jahre jüngeren Mann verheiratet ist, von dem sie zwei Kinder bekommen hat, was alles sie offenkundig für die Verfilmung qualifiziert hat, diese Regisseurin also legt sehr unabsichtlich durch beflissene Regie den reaktionären Kern der Vorlage, dem weltweiten Bestseller von E.L.James frei, und verwandelt diese nicht etwa in etwas radikal Feministisches. Da mag der Berlinale-Leiter Dieter Kosslick bei der Eröffnungsfeier noch so sehr von »Starke Frauen in besonderen Situationen« geredet haben – aber die von Dakota Johnson (nicht verwandt mit der Regisseurin, aber dafür die Tochter von Melanie Griffith und Don Johnson) gespielte Anastasia Steele ist auf der Leinwand ein noch ärmeres, noch unschuldigeres Mauerblümchen, das sich ganz von dem Mann, dem sadistischen Christian Grey, abhängig macht. Ästhetisch ist der Film bieder: Erzählt in gleichmäßig dynamischem, aber ja nicht rasantem Stil, hakt er die Stationen des Romans ab, um schließlich bei der keineswegs besonders unsanften Entjungferung der Hauptfigur zu landen. Ironischer Applaus im Saal.
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Was das eigentlich Erstaunliche ist: Der Film macht deutlich, dass dies gar kein Film über Sex oder gar über die Liebe ist, sondern über verschiedene Innenausstattungen, über Bettbezugs- und Ledermode und ein Film über die Überlegenheit der Reichen über die Armen. Folgt man Fifty Shades of Grey gilt: Die Armen bewundern die Reichen für ihren Reichtum und sind zu naiv (oder zu dumm), um zu merken, dass sie von ihnen konsequent nur benutzt, über den Tisch gezogen und missbraucht werden. Insofern erzählt die Doppelmoral dieses Films und die Tatsache, dass er auf der Berlinale läuft, dann auch wieder etwas über dieses Festival, das von einem Patriarchen machtvoll geführt wird, der gern auf Pressekonferenzen über »starke Frauen« redet, aber dann solche Filme zeigt. Und der nur drei seiner 15 Sektionen – die für Kinder, für Kurzfilme und die für deutsche Studentenfilme – von Frauen leiten lässt.