65. Berlinale 2015
Malt – wenn das Kino aufs Leben zurückblickt |
![]() |
|
Ein Lebemensch, der das Kino umarmte: Michael Althen |
Es war eine ganz besondere Premiere am zweiten Berlinale-Freitag, abends im Delphi. Schon der Weg dorthin stimmte ein. Mit der U-Bahn zum Bahnhof Zoo, über die Straße, Blick links der Zoopalast, ganz in Rot getaucht, »die Röte des Rots von Technicolor«, dann an den Döner-Buden vorbei, noch vor dem Beate-Uhse-Shop der Ort, wo bis vor ein paar Jahren die Fußballkneipe »Hanne am Zoo« existierte, betrieben vom Ex-Hertha und Bayern-Profi Hanne Weiner. Hier hatte ich mit Michael ein paar Mal
Fußball geguckt, an Bayern gegen Schalke erinnere ich mich noch. Vorbei, alles vorbei. Der Filmpalast heißt jetzt »Astor Filmlounge« groteskerweise, weil das Astor ja eigentlich das Kino weiter oben war, in dem früher die Retrospektiven liefen, und sich heute ein Modeladen befindet.
Hier in der ganzen Gegend war die Berlinale gewesen, als sie für mich begonnen hatte, 97, 98, 99, gute Jahre. Der alte Westen ist auch heute besser, einfach moderner und urbaner, als das neue Daimler- und
Sony-Berlin rund um den Potsdamer Platz.
+ + +
Das müsste es öfter geben, so einen Film, der nur für vielleicht 500 Leute in der ganzen Welt gemacht und wohl auch nur verständlich ist, von denen dann mindestens 300 gerade zusammen im selben Saal sitzen. Toll.
+ + +
Und auch toll, dass hier etwas möglich war, das sonst angeblich nie möglich ist: Alle Fernsehsender wollten dabei sein. Bestimmt nicht mit viel Geld, aber jeder gab etwas. Und es war kein Argument, wie so oft, dass da ja die anderen schon dabei sind. So etwas sollte es viel öfter geben. Auch das Goethe-Institut, dass doch gar kein Geld mehr hat und kaum noch etwas öffentlich ankauft, beteiligte sich in diesem Fall an der Vorab-Finanzierung eines Films, in dessen Natur es liegt, dass er schon im Inland nur ein sehr begrenztes Publikum erreicht.
+ + +
Als das Licht ausgeht, kommt fast als erstes seine Stimme... Über den Maler Nicholas de Stael, über den er mit seiner Frau Bea gemeinsam immer einen Film machen wollte. Erst kurz vor seinem Tod hatten wir über das Material gesprochen.
Michael Althen, geboren 1962, gestorben 2011, Filmkritiker fast 20 Jahre bei der Süddeutschen Zeitung und dann nochmal knapp zehn Jahre bei der FAZ, war ein besonderer Kritiker: Seine Texte bezauberten selbst Leser, die sich für Kino nicht
interessierten, sie öffneten nicht nur den Blick auf die Leinwand, sondern schlossen Bezirke in der Seele auf. Auch die Regisseure, so unterschiedliche wie Wim Wenders oder Christian Petzold oder Tom Tykwer verehrten ihn. Und – was gar nicht sein muss, vielleicht nicht sein sollte: Mit einigen war er befreundet. Und es hat ihn nicht korrumpiert.
+ + +
Jetzt hat ein besonders enger Freund, der Münchner Regisseur Dominik Graf, einen Film über ihn gedreht: Was heißt hier Ende? Der vom Bayerischen Rundfunk co-produzierte Film ist ein Erinnerungsstück geworden, für Freunde und Verehrer, aber auch eine melancholische Betrachtung über Filmkritik und Qualitätsjournalismus.
Graf, der gemeinsam mit Althen zwei essayistische
Dokumentarfilme gedreht hat, befragt Freunde, Familie, Weggefährten, er rekonstruiert das Leben und noch mehr die Persönlichkeit Althens, eines lässigen Mannes, der nicht viel geredet, aber gern gelebt hat, der im Hurrikan eines Filmfestivals sich immer die Zeit für einen Museumsbesuch oder einen ausgedehnten Mittagsschlaf nahm, aber dafür viele seiner Texte spät in der Nacht schrieb.
Er zeigt auch, was speziell war am Journalismus der 80er, der plötzlich Amerika cool fand,
an der Schuhman’s Bar und den lässigen schreibenden Vorortkindern Münchens, in einer Zeit, als sich die Stadt noch mit Recht »heimliche Hauptstadt« nennen konnte. Und vor allem beschwört er die Texte Althens, versucht sich einem einmaligen, besonderen, auch besonders denkenden Menschen zu nähren.
+ + +
Zugleich erzählt der Film eine kleine unvollständige und subjektive Geschichte der Filmkritik und ihrer derzeitigen Gefahren. Er erzählt von der Abschaffung der Filmkritiksendungen und der Kritikerstellen in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, und zeigt wie das Fernsehen auch sein eigenes Gut, den mitproduzierten deutschen Film, kaputt macht.
Graf zeigt auch, dass die Filmkritik ein Gruppenphänomen ist, das Althen der beste und charismatischste,
speziellste, aber eben doch Teil einer Handvoll Freunde war.
Ein bisschen spricht aus Vielem auch die Melancholie und das Älterwerden einer Generation. Wenn sie sich an Michael Althen erinnern, wie an einen glücklich früh Gestorbenen, der ihnen voraus gegangen ist, dann – das wird in Was heißt hier Ende? klar – glauben sie auch nicht mehr an die Zukunft ihrer Profession, weil sie
sich das Neue und die neuen Zeiten nicht mehr richtig vorstellen können, weil ihnen in den schicken Büros der Nobelverlage vielleicht der Mut und Schwung der Jugend verloren ging.
Diesen Schwung gibt es aber – in einer neuen Generation, auch wenn das nicht alle im Film akzeptieren möchten. Man muss da jetzt nicht auf die »Woche der Kritik« kommen, wie sich frech eine Veranstaltung des deutschen Filmkritikerverbands nannte, die parallel zu Berlinale stattfand. Mitten in
Berlins Mitte zeigte man Regisseure, die einst die Berlinale entdeckt hatte wie den Hongkong-Meister Johnnie To oder Berliner-Schule-Filmemacher Christoph Hochhäusler. Und zeigte neue, Unbekannte, die vielleicht mal auf der Berlinale laufen werden. Die Vorstellungen dieser »Woche der Kritik« waren voll, man nahm sich Zeit und Ruhe für Debatten, ein neues cinephiles Festival-Zentrum ist entstanden, ein Stachel im Fleisch einer allzu saturierten, bequem gewordenen Berlinale.
+ + +
Im Film nimmt so eine Gegenposition vor allem Olaf Möller ein. Nicht Liebe, eher Respekt bringt er Michael Althens Texten entgegen, und bringt ihn dann treffend auf den Satz: »Der glaubte an was.« Das ist es, was ich mich bei einigen gefragt habe, die im Film auftreten: An was glaubt Ihr? Außer daran, dass es mit Eurem Beruf zu Ende geht? Das möchte ich lesen, auch von Claudius Seidl, Harald Pauli, Peter Körte, Tobias Kniebe, Andreas Kilb, Wolfgang Höbel. Denn einige von Euch glauben schon an etwas, möchten es zumindest, trauen sich aber nicht, das hinzuschreiben, weil sie dann nicht mehr so cool dastehen wie gerade eben noch. Vielleicht, so scheint mir, hat auch nur die Ironie und Abgeklärtheit, mit der hier manchmal die Dinge schnell abgetan werden, ihren Zenit hinter sich. Michael Althen war auch ironisch gewesen, aber er war nie abgeklärt. Das unterscheidet ihn, sorry to say, von den allermeisten in diesem Film.
+ + +
Immer wieder schimmert durch manche Äußerungen die Haltung hindurch, dass »die jungen Leute« »heutzutage« es nicht mehr bringen. Dass die halt schlechter sind, »es« nicht richtig wollen. Kann sein, dass da was dran ist. Ich erinnere mich, dass ich, auch das in seinem letzten Jahr, mit Michael auch einmal so ein Gespräch hatte, wo er Ähnliches sagte. »Man muss halt einfach wollen. Und machen.« Klar. Muss man auch.
Aber trotzdem. Es muss doch auch jedem Älteren, Etablierten, Saturierten
klar sein, dass er gut reden hat, und dass es die billigste Position ist, auf die Jungen zu schimpfen, anzumerken, dass die nicht so toll sind, wie man selber in dem Alter war. Und dass man mit solchen Kommentaren vor allem etwas über sich selbst erzählt, nicht über die Verhältnisse und dreimal nichts über die Zukunft.
Es muss doch auch jedem klar sein, dass er gut reden hat.
+ + +
Und man sollte beim Gejammer nicht verschweigen, dass die glorreiche FAZ, kaum war Michael Althen unter der Erde, auch seine DVD-Seite beerdigt hat, und die Filmseite gekürzt, und und...
Das schöne Wort vom »Qualitätsjournalismus« ist auch eine Chiffre für Denkfaulheit.
Und der primitive Servicejournalismus, der starorientierte Boulevard, das Abschaffen und Kürzen von Zeitungsseiten, das ist doch keine Erfindung der Jungen, gegen die sich die Nicht-mehr-Jungen beherzt
gesträubt hätten.
Dass er solche Überlegungen überhaupt auslöst, diese Fragen anreißt, ist Grafs Film natürlich gar nicht hoch genug anzurechnen.
+ + +
Wie immer hat man unter einem Dutzend Talking Heads seine Lieblinge. Für mich waren es Doris Kuhn, Stefan Lebert und Olaf Möller, in alphabetischer Reihenfolge. Dolly und Wolfgang Höbel sind sehr spürbar Michael persönlich am nächsten. Sie bringen eine Ahnung des Menschen auf die Leinwand. Stefan Lebert erzählt wunderbar und hat ein paar großartige Anekdoten parat. Olaf Möller sagt kurz und bündig ein paar Dinge, die die Gemütlichkeit stören. Wohltuend stören.
Und was Michaels
Familie sagt, das hat sowieso seine eigene Dimension, jenseits aller Kommentare.
+ + +
Dominik Graf selber ist auf besondere Art in diesem Film präsent. Er liest aus Texten Michaels mit einer Stimme, deren Klang dessen eigener verblüffend nahe kommt. Die alten Zeitungsseiten und ihr Design waren wunderschön anzusehen und gut eingebettet – visuell das Interessanteste. Ich hätte mir noch mehr Dominik Graf vorstellen können, auch gewünscht. Er hat sich zurückgenommen, was nobel ist, aber auch schade.
+ + +
Es sind also gewissermaßen drei Filme in einem: Über die Person, den Mensch Michael Althen. Über die Kulturgeschichte Münchens 1970-2001. Und über die Lage der Filmkritik. Alle wären auch einzeln interessant gewesen, manchmal gingen die Elemente gut zusammen, aber nicht immer. Was heißt hier Ende? ist ein Insiderfilm. Man muss schon viel wissen, um das überhaupt alles zu verstehen.
Und
natürlich fragt man sich, wie wohl Michael selber manches gefunden hätte...
+ + +
»Je mehr Kritiker im Raum, desto weniger Fragen« – Christoph Terhechte wollte nach der Vorführung des Films vielleicht witzig sein, aber er vergriff sich im Ton. Die Fallhöhe hätte nicht größer sein können.
Davon mal abgesehen, dass Michael Althen einer war, der bestimmt keine Fragen bei solchen öffentlichen Anlässen gestellt hätte, und das Kollegen-Gelaber unmittelbar nach dem Abspann sowieso doof fand. Erstmal Luft schnappen, eine Zigarette anzünden, den Film sacken lassen.
Dann »ein bisschen was aufschreiben«.
So entstanden einige der schönste Texte, die je in deutscher Sprache über das Kino geschrieben wurden. Was sie und was Michael so einzigartig machte, jedenfalls in unserer Landschaft, das war, dass es ihnen um Schönheit ging. Die der Empfindung, der Bilder, der Sprache.
Übrigens auch der Empfindung der Filmemacher. Wenn die fehlte, konnte er mal ungewohnt grob werden, zumindest im Gespräch.
+ + +
»Ich betreibe meinen Beruf eigentlich als eine Art, mich schreibend zu erinnern an etwas, was ich eigentlich fast schon wieder vergessen habe und anhand des Gefühls, das zurückgeblieben ist, zu rekonstruieren, was ich warum empfunden habe.« (Michael Althen, im Interview mit Felix von Boehm). Ich finde, das bringt es ganz gut auf den Punkt.
+ + +
Heute? Läuft man dem hinterher. Versucht, seine Haltung zu bewahren, wieder zu finden, sie lebendig zu halten, nicht zur Rüstung werden zu lassen. Andere Orientierungspunkte, andere Kritiker gibt es wenig. Eher noch im Ausland. Eher noch unter Filmemachern. Also flüchtet man sich in Erinnerungen, liest Michaels Texte wieder, aber nicht alle, um noch ein paar für später zu haben.
Manchmal fühle ich mich als Kritiker sehr allein. Das muss auch nicht schlecht sein so, denn am Ende
muss jeder seine Texte doch allein schreiben. Aber kann man sich dauerhaft an Tote erinnern, an Toten orientieren? Vielleicht ist das ja auch ganz normal, wenn man älter wird?
+ + +
Das Unfassbare dieses Todes, dieses Lebens, wenn man an es denkt, das ist noch immer da. Hier ist kein Ende, kein Abschluß. Diese Wiederbegegnung mit einem Menschen, den ich gekannt, sehr gemocht und in mancher Hinsicht auch verehrt habe, ist mir nahegegangen. Nicht so sehr unmittelbar, aber die Tage drauf. Es war ein Film, der glücklich machte und traurig.
Ich vermisse ihn unglaublich. Ich merke es bei diesem Film, ich fühle es, wenn ich diesen Text schreibe. Es zerreißt einem
das Herz, und deshalb lässt man das dann gar nicht so gern an sich heran. Nicht jeden Tag. Nur an diesem Freitag Abend.