Cinema Moralia – Folge 104
Peinlich, dilettantisch, unbegabt – das passiert, wenn sich die Politik in die Kultur einmischt |
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Eine Schande – nicht nur für Berlin | ||
(Foto: MGM) |
»Heute finden wir uns einer angeblich jungen Generation gegenüber, die in jeder ihrer Regungen unerträglich viel erwachsener ist, als je die Eltern es waren; die entsagt hat, schon ehe es zum Konflikt überhaupt kam und daraus ihre Macht zieht, verbissen und unerschütterlich.«
Adorno, Minimal Moralia, I.2
Kann eigentlich Björn Böhning über diese Sache stolpern? Das fragte mich heute ein – sehr renommierter, mit manchen Filmpreisen bedachter – Filmproduzent im informellen Gespräch. Gute Frage, dachte ich. Über die Antwort bin ich mir unsicher. Einerseits wohl eher nicht, denn dafür ist die DFFB einfach nicht wichtig genug. Und die gut fünf Millionen DFFB-Etat nur Peanuts. Wie viel hat nochmal die gescheiterte, von Anfang an verfehlte läppische Olympia-Bewerbung
gekostet?
Anderseits: vielleicht doch, falls hier tatsächlich mit Wissen des Berliner Senatskanzleichefs falsche Unterlagen eingereicht worden sind.
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Wenn sich als wahr herausstellt, worauf zurzeit alles hindeutet, dass Ralph Schwingel für den Direktorenposten im Januar 2015 angefragt wurde (so seine eigene Aussage, an der ich keinen Grund habe zu zweifeln), seine Bewerbungsunterlagen aber auf Herbst 2014 datiert sind (wie vier glaubwürdige Zeugen mir gegenüber ausgesagt haben), und wenn es dafür nicht ein paar sehr gute Erklärung dafür gibt, dann müsste Böhnings Stuhl eigentlich wackeln. Denn dann ist er nicht nur, wie jetzt schon, für ein Verfahrens- und Kommunikationsdesaster verantwortlich, sondern für Schlimmeres. Manche in Berlin reden bereits von Urkundenfälschung im Amt.
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Davon abgesehen ist die Lage nicht minder fatal. Aber der Reihe nach: Die DFFB ist die älteste und die mit großem Abstand renommierteste Filmausbildungsstätte der Republik. Eingeweiht vor fast 50 Jahren, als Willy Brandt noch Regierender Bürgermeister war und West-Berlin noch Frontstadt nicht nur künstlerischer Freiheit im Kalten Krieg.
Zu ihren Absolventen gehören keineswegs nur Hardliner des Autorenkinos wie Hartmut Bitomsky oder Harun Farocki, sondern auch
Hollywood-Regisseure wie Wolfgang Petersen, oder Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Shanelec die mit der »Berliner Schule« die einzige international erfolgreiche Kinobewegung bilden, die seit Fassbinders Tod vor über 30 Jahren in Deutschland entstanden ist.
Das Besondere der DFFB ist erstmal, dass sie eben keine Hochschule ist, in der das Studium völlig verschult in Bachelor- und Mastergänge zerfällt, sondern eine Akademie, ein Ort für Eigensinn und Freiheit – die
man natürlich dann auch nutzen muss. Aber hier haben die kommenden Filmemacher Zeit, etwas auszuprobieren, sich zu finden.
Das zweite Alleinstellungsmerkmal schließt daran an: Weil dies eine Kunstakademie ist, gehört die Mitbestimmung von Dozenten und Studenten zum Wesenskern der DFFB.
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Vor vier Jahren nun ernannte man wieder einmal einen Direktor. Es war Jan Schütte, ein immer schon zweitklassiger Regisseur, der den Mund mehr als voll nahm – »mein Freund Marty«, »mein Freund Quentin« – und damit die filmfremden Politiker beeindruckte, allen voran die jetzige Hamburger Kultursenatorin Barbara Kissler, seinerzeit für die DFFB zuständig und in jeder Hinsicht eine richtige Flasche, Schütte, der zwar schon in Ludwigsburg versagt hatte, aber
stromlinienförmiger war, und vermeintlich clever genug, um den widerständigen Ort auf Linie der Filmförderung zu bringen.
Die Wahl wurde gegen den klaren Willen von Dozenten und Studenten getroffen, keine 15 Prozent der Stimmen standen hinter Schütte. Ein Affront. In den folgenden Jahren zeigte sich, dass man eine Filmschule wie due DFFB nicht gegen Studenten, Dozenten und Mitarbeiterapparat regieren kann.
Mühsame interne Grabenkämpfe folgten. Gerade noch hatten die
Kulturpolitiker ein Einsehen und komplimentierten Schütte hinaus.
Doch ähnliche Jahre voller Frustration sollte es, wenn es nach Studenten und Dozenten geht, nicht noch einmal geben. Darum wollte man diesmal bei der Besetzung mitreden – nur im Konsens, also nicht gegen Dozenten- und Studentenvertreter sollte der neue Direktor bestimmt werden.
War das zuviel verlangt?
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Die Entscheider, der Chef der SPD-geführten Berliner Senatskanzlei Björn Böhning und das von ihm bestallte Kuratorium, spielten mit – aber nur vermeintlich. Denn schnell stellte sich heraus: Das Pochen auf Demokratie und Mitbestimmung war nur eine neue Nebelkerze der Senatskanzlei – hinter dem Gerede fragten Böhning und sein Kuratorium Wunsch-Kandidaten im Dutzend an. Aber sehr schlecht vorbereitet. Namen sickerten von Anfang an durch, Kandidaten sprangen wieder ab, oder bewarben sich dermaßen dilettantisch, dass selbst ihre Förderer sie nicht mehr installieren konnten.
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Zwei Kandidaten des Kuratoriums, Julian Pölsler und ein langjähriger Funktionär des Deutschen Films, wurden bis jetzt von der Senatskanzlei mutwillig und vermeidbar verschlissen.
Jetzt droht mit Ralph Schwingel der dritte Kandidat des Kuratoriums unter die Räder zu geraten. Geht’s eigentlich noch blöder und dilettantischer?
Wie ich schon vor Wochen an dieser Stelle schrieb: Kulturpolitik wie in einer Bananenrepublik.
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Weiter zur Lage: Wer gehört eigentlich dem Kuratorium der DFFB an? Entgegen den Informationen mancher Tageszeitungen verbreitet die DFFB selbst folgende Zusammensetzung: Björn Böhning, Eberhard Junkersdorf – für die, die ihn nicht mehr kennen: ein 76-jähriger Filmproduzent, der vor zehn Jahren zum letzten Mal einen Film gemacht hat; Iris Brockmann, Senatsverwaltung für Finanzen; Kirsten Niehuus, Chefin des Berlin-Brandenburgischen Medienboards; Claudia Tronnier,
ZDF-Redaktion Kleines Fernsehspiel; Claudia Nothelle, RBB.
Stellvertreter sind Dietrich Reupke aus der Senatskanzlei; Günter Schulz, Senatsverwaltung für Finanzen; Martin Bachmann, Verleiher von Sony-Deutschland; Philipp Steffens von RTL; Regina Ziegler, Filmproduzentin.
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»Die Mitglieder des Kuratoriums dürfen nicht in geschäftliche Beziehungen (Lieferung, Leistung oder Beratung) zur Gesellschaft treten.«
Geschäftsordnung der DFFB, §8, Absatz 8
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Mit der Person Ralph Schwingel haben all diese Einwände gar nichts zu tun. Falls er Leiter der DFFB werden sollte, ist ihm die innere Stärke und äußere Unterstützung zu wünschen, um sich gegen zahlreichen Begehrlichkeiten zu wehren.
Was aber jedenfalls bleibt: Die Frage, ob das Kuratorium Ralph Schwingel angesichts der Lage an der DFFB mit seinem autoritären, wesentliche demokratische Werte missachtenden Vorgehen einen Gefallen tut.
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Und natürlich muss er sich selbst vorwerfen, naiv gewesen zu sein. Es genügt einfach nicht, sich auf die Position zurückzuziehen, mit diesem Verfahren habe er nichts zu tun. Wo er doch nur durch dieses – verfehlte – Verfahren eine Chance auf den Direktorenposten bekam. Weil er diese Chance wollte, nahm er das Verfahren an, und muss nun die Folgen tragen – es sei denn, er entschließt sich, den Weg für ein neues Verfahren frei zu machen, und dann nochmal in einem offenen Verfahren zu kandidieren. Respekt wäre ihm sicher. So aber kommt Schwingel nach dem Stand der Dinge nicht mehr unbeschädigt aus der Angelegenheit heraus.
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Und Böhning? Mir sind junge Linke ja nicht unsympathisch. Erst recht nicht, wenn sie wie Böhning noch vor wenigen Jahren, eine Abschaffung des überholten Urheberrechts fordern und für die Kulturflatrate eintreten.
Aber wer Böhning am vergangenen Mittwoch zuhörte (in jener Sitzung, aus der die weibliche Hälfte der DFFB-Interims-Direktion uns Journalisten rauswerfen ließ, als ob wir nicht wenige Stunden später von Teilnehmern die Mitschnitte im Dutzend zugemailt bekommen
würden), der bekam den Eindruck eines erst 36-Jahre jungen, allzu smarten, in Filmdingen erschreckend unbedarften, in handwerklichen Fragen peinlich dilettantischen, rhetorisch einfach nur unbegabten Berufspolitikers.
Der Falsche für Filmdinge.
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So ist die DFFB-Krise vor allem ein Lehrstück aktueller Filmpolitik: Fachfremde Politkarrieristen und die Lobbyisten aus Film- und Fernsehen, die statt »Zuschauer« wie Böhning lieber »Kunden« sagen, agieren so dilettantisch wie selbstherrlich und als Diener von Marktinteressen, die mit der Sache und mit Kunst nichts zu tun haben.
Es ist eine Schande, nicht nur für Berlin. Über kulturpolitische Verdrossenheit muss sich da niemand wundern.
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Das ist die Lage.