19.03.2015
Cinema Moralia – Folge 104

Peinlich, dilet­tan­tisch, unbegabt – das passiert, wenn sich die Politik in die Kultur einmischt

Tom & Jerry
Eine Schande – nicht nur für Berlin
(Foto: MGM)

Noch einmal in Sachen DFFB: Was ist die Lage? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 104. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Heute finden wir uns einer angeblich jungen Gene­ra­tion gegenüber, die in jeder ihrer Regungen uner­träg­lich viel erwach­sener ist, als je die Eltern es waren; die entsagt hat, schon ehe es zum Konflikt überhaupt kam und daraus ihre Macht zieht, verbissen und uner­schüt­ter­lich.«
Adorno, Minimal Moralia, I.2

Kann eigent­lich Björn Böhning über diese Sache stolpern? Das fragte mich heute ein – sehr renom­mierter, mit manchen Film­preisen bedachter – Film­pro­du­zent im infor­mellen Gespräch. Gute Frage, dachte ich. Über die Antwort bin ich mir unsicher. Einer­seits wohl eher nicht, denn dafür ist die DFFB einfach nicht wichtig genug. Und die gut fünf Millionen DFFB-Etat nur Peanuts. Wie viel hat nochmal die geschei­terte, von Anfang an verfehlte läppische Olympia-Bewerbung gekostet?
Ander­seits: viel­leicht doch, falls hier tatsäch­lich mit Wissen des Berliner Senats­kanz­lei­chefs falsche Unter­lagen einge­reicht worden sind.

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Wenn sich als wahr heraus­stellt, worauf zurzeit alles hindeutet, dass Ralph Schwingel für den Direk­to­ren­posten im Januar 2015 angefragt wurde (so seine eigene Aussage, an der ich keinen Grund habe zu zweifeln), seine Bewer­bungs­un­ter­lagen aber auf Herbst 2014 datiert sind (wie vier glaub­wür­dige Zeugen mir gegenüber ausgesagt haben), und wenn es dafür nicht ein paar sehr gute Erklärung dafür gibt, dann müsste Böhnings Stuhl eigent­lich wackeln. Denn dann ist er nicht nur, wie jetzt schon, für ein Verfah­rens- und Kommu­ni­ka­ti­ons­de­saster verant­wort­lich, sondern für Schlim­meres. Manche in Berlin reden bereits von Urkun­den­fäl­schung im Amt.

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Davon abgesehen ist die Lage nicht minder fatal. Aber der Reihe nach: Die DFFB ist die älteste und die mit großem Abstand renom­mier­teste Filmaus­bil­dungs­stätte der Republik. Einge­weiht vor fast 50 Jahren, als Willy Brandt noch Regie­render Bürger­meister war und West-Berlin noch Front­stadt nicht nur künst­le­ri­scher Freiheit im Kalten Krieg.
Zu ihren Absol­venten gehören keines­wegs nur Hardliner des Autoren­kinos wie Hartmut Bitomsky oder Harun Farocki, sondern auch Hollywood-Regis­seure wie Wolfgang Petersen, oder Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Shanelec die mit der »Berliner Schule« die einzige inter­na­tional erfolg­reiche Kino­be­we­gung bilden, die seit Fass­bin­ders Tod vor über 30 Jahren in Deutsch­land entstanden ist.
Das Besondere der DFFB ist erstmal, dass sie eben keine Hoch­schule ist, in der das Studium völlig verschult in Bachelor- und Master­gänge zerfällt, sondern eine Akademie, ein Ort für Eigensinn und Freiheit – die man natürlich dann auch nutzen muss. Aber hier haben die kommenden Filme­ma­cher Zeit, etwas auszu­pro­bieren, sich zu finden.
Das zweite Allein­stel­lungs­merkmal schließt daran an: Weil dies eine Kunst­aka­demie ist, gehört die Mitbe­stim­mung von Dozenten und Studenten zum Wesens­kern der DFFB.

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Vor vier Jahren nun ernannte man wieder einmal einen Direktor. Es war Jan Schütte, ein immer schon zweit­klas­siger Regisseur, der den Mund mehr als voll nahm – »mein Freund Marty«, »mein Freund Quentin« – und damit die film­fremden Politiker beein­druckte, allen voran die jetzige Hamburger Kultur­se­na­torin Barbara Kissler, seiner­zeit für die DFFB zuständig und in jeder Hinsicht eine richtige Flasche, Schütte, der zwar schon in Ludwigs­burg versagt hatte, aber strom­li­ni­en­för­miger war, und vermeint­lich clever genug, um den wider­s­tän­digen Ort auf Linie der Film­för­de­rung zu bringen.
Die Wahl wurde gegen den klaren Willen von Dozenten und Studenten getroffen, keine 15 Prozent der Stimmen standen hinter Schütte. Ein Affront. In den folgenden Jahren zeigte sich, dass man eine Film­schule wie due DFFB nicht gegen Studenten, Dozenten und Mitar­bei­ter­ap­parat regieren kann.
Mühsame interne Graben­kämpfe folgten. Gerade noch hatten die Kultur­po­li­tiker ein Einsehen und kompli­men­tierten Schütte hinaus.
Doch ähnliche Jahre voller Frus­tra­tion sollte es, wenn es nach Studenten und Dozenten geht, nicht noch einmal geben. Darum wollte man diesmal bei der Besetzung mitreden – nur im Konsens, also nicht gegen Dozenten- und Studen­ten­ver­treter sollte der neue Direktor bestimmt werden.
War das zuviel verlangt?

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Die Entscheider, der Chef der SPD-geführten Berliner Senats­kanzlei Björn Böhning und das von ihm bestallte Kura­to­rium, spielten mit – aber nur vermeint­lich. Denn schnell stellte sich heraus: Das Pochen auf Demo­kratie und Mitbe­stim­mung war nur eine neue Nebel­kerze der Senats­kanzlei – hinter dem Gerede fragten Böhning und sein Kura­to­rium Wunsch-Kandi­daten im Dutzend an. Aber sehr schlecht vorbe­reitet. Namen sickerten von Anfang an durch, Kandi­daten sprangen wieder ab, oder bewarben sich dermaßen dilet­tan­tisch, dass selbst ihre Förderer sie nicht mehr instal­lieren konnten.

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Zwei Kandi­daten des Kura­to­riums, Julian Pölsler und ein lang­jäh­riger Funk­ti­onär des Deutschen Films, wurden bis jetzt von der Senats­kanzlei mutwillig und vermeidbar verschlissen.
Jetzt droht mit Ralph Schwingel der dritte Kandidat des Kura­to­riums unter die Räder zu geraten. Geht’s eigent­lich noch blöder und dilet­tan­ti­scher?
Wie ich schon vor Wochen an dieser Stelle schrieb: Kultur­po­litik wie in einer Bana­nen­re­pu­blik.

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Weiter zur Lage: Wer gehört eigent­lich dem Kura­to­rium der DFFB an? Entgegen den Infor­ma­tionen mancher Tages­zei­tungen verbreitet die DFFB selbst folgende Zusam­men­set­zung: Björn Böhning, Eberhard Junkers­dorf – für die, die ihn nicht mehr kennen: ein 76-jähriger Film­pro­du­zent, der vor zehn Jahren zum letzten Mal einen Film gemacht hat; Iris Brockmann, Senats­ver­wal­tung für Finanzen; Kirsten Niehuus, Chefin des Berlin-Bran­den­bur­gi­schen Medi­en­boards; Claudia Tronnier, ZDF-Redaktion Kleines Fern­seh­spiel; Claudia Nothelle, RBB.
Stell­ver­treter sind Dietrich Reupke aus der Senats­kanzlei; Günter Schulz, Senats­ver­wal­tung für Finanzen; Martin Bachmann, Verleiher von Sony-Deutsch­land; Philipp Steffens von RTL; Regina Ziegler, Film­pro­du­zentin.

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»Die Mitglieder des Kura­to­riums dürfen nicht in geschäft­liche Bezie­hungen (Lieferung, Leistung oder Beratung) zur Gesell­schaft treten.«
Geschäfts­ord­nung der DFFB, §8, Absatz 8

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Mit der Person Ralph Schwingel haben all diese Einwände gar nichts zu tun. Falls er Leiter der DFFB werden sollte, ist ihm die innere Stärke und äußere Unter­s­tüt­zung zu wünschen, um sich gegen zahl­rei­chen Begehr­lich­keiten zu wehren.
Was aber jeden­falls bleibt: Die Frage, ob das Kura­to­rium Ralph Schwingel ange­sichts der Lage an der DFFB mit seinem auto­ri­tären, wesent­liche demo­kra­ti­sche Werte miss­ach­tenden Vorgehen einen Gefallen tut.

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Und natürlich muss er sich selbst vorwerfen, naiv gewesen zu sein. Es genügt einfach nicht, sich auf die Position zurück­zu­ziehen, mit diesem Verfahren habe er nichts zu tun. Wo er doch nur durch dieses – verfehlte – Verfahren eine Chance auf den Direk­to­ren­posten bekam. Weil er diese Chance wollte, nahm er das Verfahren an, und muss nun die Folgen tragen – es sei denn, er entschließt sich, den Weg für ein neues Verfahren frei zu machen, und dann nochmal in einem offenen Verfahren zu kandi­dieren. Respekt wäre ihm sicher. So aber kommt Schwingel nach dem Stand der Dinge nicht mehr unbe­schä­digt aus der Ange­le­gen­heit heraus.

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Und Böhning? Mir sind junge Linke ja nicht unsym­pa­thisch. Erst recht nicht, wenn sie wie Böhning noch vor wenigen Jahren, eine Abschaf­fung des über­holten Urhe­ber­rechts fordern und für die Kultur­flat­rate eintreten.
Aber wer Böhning am vergan­genen Mittwoch zuhörte (in jener Sitzung, aus der die weibliche Hälfte der DFFB-Interims-Direktion uns Jour­na­listen raus­werfen ließ, als ob wir nicht wenige Stunden später von Teil­neh­mern die Mitschnitte im Dutzend zugemailt bekommen würden), der bekam den Eindruck eines erst 36-Jahre jungen, allzu smarten, in Film­dingen erschre­ckend unbe­darften, in hand­werk­li­chen Fragen peinlich dilet­tan­ti­schen, rheto­risch einfach nur unbe­gabten Berufs­po­li­ti­kers.
Der Falsche für Filmdinge.

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So ist die DFFB-Krise vor allem ein Lehrstück aktueller Film­po­litik: Fach­fremde Polit­kar­rie­risten und die Lobby­isten aus Film- und Fernsehen, die statt »Zuschauer« wie Böhning lieber »Kunden« sagen, agieren so dilet­tan­tisch wie selbst­herr­lich und als Diener von Markt­in­ter­essen, die mit der Sache und mit Kunst nichts zu tun haben.
Es ist eine Schande, nicht nur für Berlin. Über kultur­po­li­ti­sche Verdros­sen­heit muss sich da niemand wundern.

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Das ist die Lage.