66. Berlinale 2016
Die Vielfalt unter dem Wüstensand |
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In the Last Days of the City | ||
(Foto: Wolf Kino GmbH / Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.) |
»The friend of each people is his intellect, its enemy is its ignorance.«
Reza (768-818), der achte Imam
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Ein junger Mann streicht durch die Metropole Kairo, vorbei an kleinen Läden, an Autostaus, an fahrenden Händlern. Im Hintergrund sieht man den Nil, die Parks, die uns unbekannte Pracht der Metropole. Immer wieder sitzt er im Café. Er heißt Khalid und sucht eine neue Wohnung, denn aus seiner lieb gewordenen alten muss er heraus. So lernen wir ihn kennen, einen Filmemacher, der an seinem ersten Film arbeitet, und die Geschichte seiner Familie rekonstruiert. Der Vater ist tot, die eine Schwester starb einst bei einem Autounfall in Libyen, die andere Schwester trifft er gelegentlich, die Mutter liegt schwer krank im Krankenhaus. Ein Stabwechsel der Generationen. Eine Reise zwischen Erinnerung an Ägyptens große Geschichte und unsicherer Zukunft: Denn Khalids Freundin, eine moderne emanzipierte Frau hat ihn verlassen, weil sie die repressive Stimmung im Land nicht mehr erträgt. Es ist 2010, kurz vor dem arabischen Frühling, der auch Ägyptens modernen Pharao Mubarak stürzte. Im Hintergrund berichten die Fernsehnachrichten von Unruhen und künden das Kommende an.
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Mit Khalid und seinem Makler lernen wir diesen langen Winter vor der Revolution kennen. Wir entdecken auch Ägyptens Hauptstadt Kairo als lebendiger Organismus, zugleich als Landkarte der Sehnsüchte und Träume, als Traumfabrik.
Khalid hat drei enge Freunde. Sie trennen sich, und während Khalid bleibt, geht der eine nach Berlin, der zweite nach Beirut, der dritte nach Baghdad.
So markiert In the Last Days of the City von Tamer El
Said, dieser ägyptische Beitrag und große Film im Berlinale-Forum auch unter der Hand, eine Region, die viele Filme in den Fokus rückt.
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Arabien, Naher oder Mittlerer Osten, islamische Länder – alle diese Begriffe sind vage, keiner befriedigt so ganz, wenn man diese Region charakterisieren will, die von der Atlantikküste Marokkos bis zum Indischen Ozean reicht, von den schneebedeckten Bergen Kurdistans bis zum Horn von Afrika.
Viele Werke aus dieser Region laufen auf der Berlinale – offenbar braucht man den Anstoß durch Nachrichtenbilder von Krieg, Terror, religiösem Fanatismus, um sich für eine
Region zu interessieren, die doch eine Wiege der Weltkultur ist.
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Zu diesen Filmen gehört der erste Spielfilm überhaupt, der aus Saudi-Arabien stammt: Barakah Meets Barakah von Mahmoud Sabbagh ist überraschend: Eine Romantic Comedy, die im ersten Moment wie orientalisches Bauerntheater anmutet, dann aber doch nicht nur gut unterhält, sondern auch erstaunliche Vielschichtigkeit und Tiefgang entfaltet.
Denn zum einen ist dies ein
Date-Movie über die erblühende Liebe zwischen einem Regierungsbeamten und einem Internet-Star, bei dem die Frage »kriegen sie sich? Kriegen sie sich nicht?« durchaus Raum einnimmt. Dabei erleben wir aber wie viele Frauen hier unverschleiert herumlaufen, wie schwierig es aber ist, sich als Unverheiratete überhaupt zu treffen. Wir erleben die harten Regeln der religiösen Polizei, die kaum minder tyrannischen Familientraditionen.
Zum anderen ist dies ein Spiel mit der Zensur,
denn der Regisseur macht aus willkürlich eingesetzten Bilder-Pixeln einen großen Lachspaß.
Schließlich ist der Film interessant, weil man einmal ein paar Innenansichten aus dem Alltag Saudi-Arabien zu sehen bekommt, die jenseits der üblichen Mekka-Pilger-Nachrichtenbilder ein modernes, vielschichtiges Land zeigen – weit entfernt zwischen dem eines Öl-Schlaraffenlands, aber auch kein Nordkorea im Wüstensand.
In jedem Fall ein Staat unter heftigem Reformdruck, der jederzeit implodieren kann – wovor man nach diesem Film auch keine Angst mehr haben muss.
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Ein ganz anderer Film ist Houses Without Doors aus Syrien. Avo Kaprealian hat in seiner Heimatstadt Aleppo gedreht, nach Beginn der immer noch andauernden Belagerungskämpfe. Aber sein Film ist kein Dokumentarfilm, sondern eine essayistische Mischung aus philosophischer Reflexion über arabische, osmanische und armenische Geschichte, und Spielszenen, und Dokumentarischem. Eine anspruchsvolle Etüde über den Krieg an sich, und was er mit
seinem Land gemacht hat.
Der Regisseur ist ein Archivar, der das Archiv des Imaginären mit dem des Realen verbindet. In Arabien werden gerade die Archive neu gemischt – und auch unser Gedächtnis wird durch die Begegnung mit dem Arabischen verändert. Die Berlinale hat daran einen guten Anteil, ihre Filme aus Arabien können unsere Debatte nur befruchten.