09.11.2017
Cinema Moralia – Folge 165

Plüsch und Bier, das rat ich dir – Netflix und Weinstein, das lass sein!

High and Low
Stream ich noch, oder guck ich noch Talkshow? Der Netflix-Produktion Meyerowitz Stories geht die Puste aus. Foto: Netflix
(Foto: Netflix)

Der Vernichtungsfeldzug: Die Klage des Streaming-Schurken und die Lage der deutschen Kinos. Eine Schlachtaufstellung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 165. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Was ist ein Tele­fon­film? Im italie­ni­schen Kino in den fünfziger Jahren nannte man so jene Filme für die breite Masse, die billig produ­ziert waren, und in denen die Figuren, statt vor spek­ta­kulären Schau­plätzen am Telefon mitein­ander redeten.
Heute gibt es wieder Tele­fon­filme. Es sind jene Werke für die Masse, die man nicht genau sehen muss. Hören reicht, denn sie sind nicht mehr für die große Leinwand gemacht, es genügt voll­kommen der kleine Bild­schirm des Smart­phones. Mehr gibt es nicht zu sehen.
So sind ziemlich oft die Filme, die Netflix produ­ziert. Noah Baumbachs Meye­ro­witz Stories zum Beispiel, ein mit vielen Stars besetzter, trotzdem sehr lang­wei­liger, weil verla­berter Film über eine dysfunk­tio­nale Familie, die die ganze Zeit mitein­ander streitet.
Weitaus besser, zugegeben ist Okja, der Film eines korea­ni­schen Kult­re­gis­seurs, in dem ein künstlich erzeugtes Super­schwein vor den Zugriffen der Lebens­mit­tel­in­dus­trie gerettet werden soll. Die Industrie finan­ziert Industrie-Kritik. So, liebe Leser, funk­tio­niert moderner Kapi­ta­lismus!

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Diese beiden Filme sorgten im Mai, bei den Fest­spielen von Cannes, für einen Skandal. Denn sie liefen im Wett­be­werb und wurden von Netflix produ­ziert – aller­dings gar nicht fürs Kino. Netflix, das ist bekannt­lich der smarteste unter den neuen Raub­fi­schen im verschla­fenen Karp­fen­teich der europäi­schen Film­branche.
Ein Strea­ming­dienst, aber nicht irgend­einer. Sondern eine Firma, die im Gegensatz zum großen Konkur­renten Amazon, aber auch zu Mubi und den vielen anderen kleineren dem Kino direkt den Kampf ansagt. Man wolle das Kino ersetzen, es sei von vorges­tern, verkünden die selbst­be­wusst lächelnden Netflix-Herren in den grauen Anzügen.
Ein neues Medium ruft zu einem Vernich­tungs­feldzug gegen ein altes Medium auf.

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Mal abwarten, ob ihnen das wirklich gelingt, denn bislang – Millionen Abon­nenten hin oder her – macht Netflix Miese und lebt nur von Erwar­tungen, sprich: vom täglich neu verbrannten Börsen­ka­pital.
Und die vielen Abon­nenten haben sie vor allem durch Dumping­preise – für neun Euro einen ganzen Monat lang gucken, bis der Arzt kommt – das ist keine reale Finan­zie­rung. Netflix hat verkündet, dass es im kommenden Jahr achtzig eigene Spiel­filme heraus­bringen will. Im dritten Quartal dieses Jahres behauptet Netflix weitere 850.000 Abon­nenten in den USA und außerhalb 4,45 Mio. gewonnen zu haben. Trotzdem verdient man auch mit diesen Größen noch nicht jene acht Milli­arden Dollar, die Netflix 2018 allein für Eigen­pro­duk­tionen ausgeben will.

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Überhaupt: die Finan­zie­rung. Wer bezahlt denn die Filme, die auf Netflix laufen? Die europäi­schen Steu­er­zahler. Denn Selbst­pro­du­ziertes wie Okja und die Meye­ro­witz Stories sind die große Ausnahme. Die meisten Filme die Netflix zeigt, sind angekauft.
Deutsche Förderung hat Netflix bisher noch nicht erhalten. Die einzige Serie in Deutsch­land ist bisher »Dark« und hat keine Förderung bekommen. Ein Unter­schied ist auch, dass Amazon dem Produ­zenten Rechte lässt, Netflix aber nicht. Warum sollten nun ausge­rechnet im Mekka des Kinos, in Cannes, solche Häretiker und Feinde des Kinos noch eine Bühne und den roten Teppich ausge­rollt bekommen?

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Nach dem Eklat in Cannes im Frühjahr tobt jetzt ein neuer Streit. Jetzt greift Netflix auch die Film­för­de­rung an. Netflix will nicht zahlen. Im Gegensatz zu allen anderen, zu öffent­li­chen und privaten Fern­seh­sen­dern, aber auch im Gegensatz zu anderen Strea­ming­diensten weigert sich Netflix, seinen Anteil wie gesetz­lich vorge­schrieben in den gemein­samen Topf der Film­för­de­rung einzu­zahlen.
Aber Film­för­de­rung basiert auf Part­ner­schaft: Alle zahlen ein, unab­hängig davon, wieviel sie heraus­be­kommen. Aber nur wer einzahlt, darf Förderung bekommen. Logisch, oder?
Genau gegen dieses Modell hat Netflix jetzt geklagt: Vor dem Europäi­schen Gerichtshof wollen die Ameri­kaner ihre Beitrags­pflicht kippen – verhan­delt wird ab Donnerstag.
Es ist ein Grund­satz­pro­zess: Sollte Netflix Erfolg haben, kann man sicher sein, dass sich auch andere auf das Urteil berufen, und sich weigern zu zahlen.

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Einst­weilen ist dieser Streit aber auch eine wunder­bare Chance für Politiker und Verbands­lob­by­isten, um sich in Szene zu setzen. Schon im Februar nutzte Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters die Gele­gen­heit, um auf »Netflix und Co.« einzu­dre­schen. Aber schöne Sonn­tags­reden über Film­kultur, Abga­be­pflicht und Gerech­tig­keit verstellen mehr, als sie zeigen. Denn mit Netflix hat man einen wunder­baren Bösewicht, einen schil­lernden Schurken, den man für alle Übel der Filmwelt verant­wort­lich machen kann.

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Denn Netflix ist nicht schuld, wenn es dem deutschen Kino heute schlecht geht – das sind eher die einge­fah­renen Gewohn­heiten der Kino­be­treiber und Film­ver­leiher, eine erstarrte deutsche Film­land­schaft, in der die Lobbys und Verbände alles schön geregelt und aufge­teilt haben, eine erzkon­ser­va­tive Altbranche, die ihre Haus­auf­gaben nicht macht, die gern mit dem Finger auf Brüssel, auf Amerika und auf Unter­nehmen wie Netflix zeigt – in diesem Fall sogar zu recht – die allem Neuen aber miss­trau­isch bis feind­selig gegen­ü­ber­steht.
Erst vor drei Jahren wollten mutige Film­stu­denten mit ihrem preis­ge­krönten Film Love Steaks so etwas Neues auspro­bieren, und den Film zeit­gleich im Kino und im Internet starten – die Verbände liefen Sturm, und das Expe­ri­ment wurde abge­blasen.
Viele andere Filme­ma­cher erzählen ähnliches – der Befund ist klar: Viele Film-Verleiher sind von gestern, viele Kino­be­treiber von Vorges­tern.

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Unter­s­tützt wird eine solche fort­schritts­feind­liche Haltung von Gesetzen, die Filme zwingen, im Kino zu laufen, lange bevor sie auf DVD oder im Fernsehen vermarktet werden dürfen.
Auch wenn sie im Kino keiner zeigen will. Die Folge ist die Film­schwemme, die jetzt alle beklagen.
An die kann ich nicht glauben – dazu weiter unten.

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Mit einer solchen Haltung aber wird man in einer sich verän­dernden Filmöf­fent­lich­keit auf Dauer jeden­falls nicht überleben. Der Wett­be­werb der Streaming-Dienste mit dem Kino hat längst begonnen. Allein auf YouTube kann ich tausende hervor­ra­gender Kinofilme kostenlos sehen, die nicht leicht oder gar nicht auf DVD zu haben sind. Klar ist die Qualität im Kino unver­gleich­lich gut. Aber besser den Film überhaupt sehen zu können. Und besser einen guten Film in schlechter Qualität auf YouTube als einen schlechten im Kino.
In Zukunft gehören YouTube und Streaming und zeit­ver­setztes Fernsehen genauso zum Alltag wie das Kino. Es genügt also nicht fest­zu­stellen, dass Streaming dem Kino­be­such schadet. Denn zuviel Geld und zuviel Talent fließen inzwi­schen in die Streaming-Produk­tion, als dass man sie weiterhin igno­rieren könnte.

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Alle Filme­ma­cher und anderen der deutschen Film­branche sollten sich selbst befragen und über­prüfen: Warum habt ihr Netflix abonniert? Warum nicht heute noch abbe­stellen, und besser erst mal alle DVDs angucken, die noch einge­schweißt im Regal stehen. Und, wenn es schon Streaming sein muss – warum nicht Mubi? Oder sogar Amazon? Boykot­tiert Netflix – das sind die Bösen.

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Wenn der Europäi­sche Gerichtshof also Netflix Grenzen aufzeigt, ist das gut und richtig. Aber es darf uns über die haus­ge­machten Probleme nicht hinweg­täu­schen.
Sonst endet das deutsche Kino eines Tages wie die fett­ge­mäs­teten Schweine im Netflix-Film Okja: Auf der Schlacht­bank!

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Welcher hier mitle­sende deutsche Filme­ma­cher hat gute Erfah­rungen mit einer Netflix-Zusam­men­ar­beit gemacht? Bitte melden, Diskre­tion garan­tiert. Ich behaupte aber, dass es keinen einzigen gibt.

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Kinostars scheint es nicht mehr zu geben in Deutsch­land. Die wahren Stars, das sind heute die Mode­ra­toren des Fernsehen, nicht die Gäste: »Maybritt Illner«, »Markus Lanz«, »Anne Will«, »Maisch­berger«, »Precht«, »Scobel«...

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»Die Kino­si­tua­tion kann man gar nicht isoliert disku­tieren«, sagte Michael Kötz bereits zu Beginn der Veran­stal­tung. So ging es denn danach einen halben Tag lang nicht nur um den Ort Kino, sondern um die Lage des deutschen Films, um sein Publikum und seine Macher bei den »Insel­ge­sprächen«, einem Gesprächs­forum, zu dem Kötz, der Leiter des Festivals des deutschen Films in Ludwigs­hafen im September geladen hatte. In vertrauter Runde, ohne Publikum, disku­tierten da Fachleute verschie­dener Bran­chen­felder über »die aktuelle Lage des Kinos im Arthouse-Bereich«. Schon diese notge­drungen etwas gewundene Formu­lie­rung deutete die Schwie­rig­keiten an, mit denen die deutsche Kinoszene konfron­tiert ist. »Arthouse« meint ein sehr dispa­rates Feld von Film­an­ge­boten, die prin­zi­piell beach­tens­wert sind, aber keines­wegs immer einem Kunst­an­spruch genügen.

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Den Ton hatte Kötz mit einem smart-provo­ka­tiven Artikel für das norma­ler­weise belang­lose Bran­chen­heft­chen »Blick­punkt Film« vorge­geben. Über­schrieben mit »Rettet das Kino!« sagte dieser dem Kino den baldigen Untergang voraus, sofern es sich nicht neu erfinde: Das Kino insgesamt sei bedroht, »an den falschen Stellen subven­tio­niert und an ebenso falschen Stellen nicht subven­tio­niert«. Als das Kino sich vor wenigen Jahren auf DCP, »die Technik des Internets«, umstellte, sei das der Anfang vom Ende gewesen. Seit man Filme in gleicher Qualität auch auf dem Computer und daheim sehen könne, habe das Kino den eigent­li­chen, technisch bedingten Grund seiner Existenz verloren. Denn »alles, was keinen konkreten Grund für seine Existenz hat, das besteht nur noch in der Vorstel­lung weiter.« Daher müsse sich das Kino komplett neu erfinden. Konkret forderte Kötz auch in Ludwigs­hafen eine umfas­sende öffent­liche Subven­tion von solchen Kinos, die sich auf Filmkunst konzen­trieren. Häuser für Massen­ware müssten davon unter­schieden werden, ähnlich wie man Opern subven­tio­niere, nicht aber Musical-Theater.
Freilich: Wenn das Kino zur Oper wird, wird es auch zum elitären Luxus – ausge­rechnet jenes Medium, das seit seiner Erfindung Ende des 19. Jahr­hun­derts alle Schichten auch jenseits von Bürgertum und Adel verband, und tatsäch­lich die gesamte Gesell­schaft im Dunkel des Kinosaals versam­melte.
Womöglich ist Kötz, ehema­liger Film­kri­tiker und seit Jahr­zehnten Direktor der Film­fes­ti­vals von Mannheim-Heidel­berg und Ludwigs­hafen, aber einfach ein Idealist – und so nutzte er seine Position als unab­hän­giger Festi­val­leiter, um die Rezepte seiner beim Publikum erfolg­rei­chen Festivals zumindest gedank­lich auf den Alltag zu über­tragen. Gemeinsam über­legten die Teil­nehmer, wie man die Euphorie eines beim Publikum beliebten Film­fes­ti­vals mit seinem Event­cha­rakter auf den grauen Kino­alltag über­tragen könnte.
Was brauchen die Kinos, um Publikum anzu­lo­cken, dauerhaft zu binden und wirt­schaft­lich gut überleben zu können? Und wo liegen die größten Gefahren?

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Ein beliebtes Argument zur Erklärung der wirt­schaft­li­chen Probleme der Branche ist die gern wieder­holte Behaup­tung der »Film­schwemme«. Tatsäch­lich kamen in der Hochzeit des »Neuen deutschen Films« etwa 150 Filme pro Jahr ins Kino, jetzt sind es über 600. Erdmann Lange von Mann­heimer Atlantis-Kino berich­tete, man habe zwar gleich viele Besucher, aber viel mehr Filme, pro Film sinken also die Zuschau­er­zahlen.
Hier wurde ihm vom Gastgeber scharf wider­spro­chen. »Wenn wir weniger Filme haben, haben wir auch weniger Gründe um ins Kino zu gehen«, so Kötz. »Nein: Wir müssen die Haltung des Publikums verändern, wir müssen die Neugier verändern. Die Reduktion der Filme ist der sicherste Weg in den Untergang, auch wenn es wie eine Rettung aussieht.«
Dies unter­strich auch der Berliner Produzent Florian Koerner von Gustorf: »Es wird nie wieder weniger Filme geben. Wir müssen Wege finden, um Filme länger im Kino zu halten.«

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Tatsäch­lich erscheint die nicht nur unter Kino­be­trei­bern gern zitierte These der »Film­schwemme« bei genauerem Hinsehen wie eine Ausrede. Denn warum soll eine Erhöhung des Angebots eigent­lich ein Problem für Kino­be­treiber sein? Man könnte darin ja auch die Chance sehen, sich genau jene Titel auszu­su­chen, die fürs eigene Haus und Publikum passend sind. Tatsäch­lich aber sind viele Kinos gar nicht mehr Herr ihrer selbst. Sie können nicht autonom entscheiden, sondern werden oft durch – de facto – Knebel­ver­träge und ähnliche, nicht immer sehr trans­pa­rente und den gesetz­li­chen Richt­li­nien oft wider­spre­chende Forde­rungen von den über­mäch­tigen Verlei­hern gezwungen, bestimmte Filme wider das eigene bessere Wissen zu spielen. Zu recht verwies Lange zudem darauf, dass »etliche Filme rein aus Förder­gründen auf die Leinwände gedrängt werden, obwohl sie dort keine Perspek­tive haben.« Doch noch einmal: Wenn dem so ist – warum muss er selbst solche chan­cen­losen Filme eigent­lich spielen? Schließ­lich wurden gerade Programm­kinos einst ja genau deshalb gegründet, weil man sich von den Pres­sionen der »Altpro­du­zenten« der Film­in­dus­trie unab­hängig machen wollte.

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»Das Problem der Publi­kums­ent­wick­lung ist auch ein sozio­de­mo­gra­phi­sches. Wir verlieren die Jüngeren. Um die Leute unter 20 zu erreichen, brauchen wir Film­bil­dung und ästhe­ti­sche Heraus­for­de­rungen.«
Auch Stefan Paul, Kino­be­treiber des Tübinger Arsenal-Kino und Geschäfts­führer des gleich­na­migen Film­ver­leihs ist etwas resi­gniert überzeugt: »Die junge Gene­ra­tion haben wir schlichtweg verloren.« Der »kultu­relle Ort Kino« gehe selbst in einer vor allem kultur­wis­sen­schaft­lich orien­tierten Studen­ten­stadt wie Tübingen »an der normalen Studen­ten­schaft vorbei«. Ange­sichts immer gerin­gerer Zuschau­er­zahlen pro Filmtitel fordert Paul zudem: »Wir brauchen mehr Leinwände, um die vielen Filme alle zu zeigen.« Paul verwies auf Erfolge, die er in seinem Kino vor allem »mit regio­nalen Filmen, Themen­filmen, zusam­men­ge­fasst: Ziel­grup­pen­filmen« erlebt.
An diesem letzten Punkt stimmte Paul auch Jürgen Lütz vom Düssel­dorfer Rex und Odeon-Kino (und ebenfalls mit »Film Kino Text« ein unab­hän­giger Verleiher) zu. Zugleich ist Lütz opti­mis­ti­scher in Bezug auf das jüngere Publikum: »Man muss einfalls­rei­cher sein und mehr Möglich­keiten anbieten, um das junge Publikum zu halten. Junge Leute kommen zum Beispiel gern in OmU-Vorstel­lungen.«
Lütz griff Pauls Gedanken einer Erwei­te­rung der Leinwände auf. »Was wir dringend brauchen, ist ein Nach­spiel­kino. Die Leute brauchen drei, vier Wochen, bis sich ein Film herum­ge­spro­chen, hat und in den Köpfen der Entschluss reift, ins Kino zu gehen.« Hierhin sollten vor allem Subven­ti­ons­gelder geleitet werden.

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Wie weit ist die Ausstat­tung der Kinos reno­vie­rungs­be­dürftig? Im Prinzip ist zwischen einem Keller­raum mit Bier aus der Dose und der neuen Mode einer »Kino-Lounge« mit Plüsch­ses­seln und Drei-Gänge-Menü alle Erfolgs­mo­delle möglich. »Es muss nicht schick sein, sondern echt und authen­tisch«, so Schau­spie­lerin Julia Jentsch, »Das Haus sollte etwas mit den Leuten zu tun haben, die es betreiben, und denen, die hingehen.«
Skeptisch war hier Florian Koerner, der auf die weitaus moderne Kino­land­schaft in Groß­bri­tan­nien verwies: Das Programm in seiner Kombi­na­tion aus Kino, spezi­fi­schen Film­ti­teln, einem Ort, an dem man sich gern aufhält, und Waren­an­gebot klappt da besser. Programm­kinos sollten nicht aussehen wie ein Multiplex. Man muss hier alte Gebäude in einen sozialen Ort umfunk­tio­nieren, wo im Zwei­fels­fall auch nach­ge­spielt wird – dann hat man ein Festival im Kleineren.
Das Kino müsse jeden­falls wieder zum »Wohl­fühlort« werden, so Paul, »es ist wichtig, dass wir das Kino als kultu­rellen Ort besser fördern.« Mehrere Kino­be­treiber kriti­sierten die »anti­quierten Richt­li­nien« der Förderung: Kopi­en­an­zahlen zu fördern sei ein Modell aus dem analogen Bereich, genauso der Zwang, geför­derte Filme auch dann mit einer Mindest­ko­pien­zahl im Kino zu spielen, wenn diese im Ergebnis weder den Ansprüchen der Förderer, noch denen von Verleih und Kino genügen. Ande­rer­seits würden Doku­men­tar­filme oft nur unge­nü­gend gefördert, obwohl diese gut im Kino laufen.

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Die Förderer sieht Jürgen Lütz auch an ganz anderer Stelle in der Pflicht, ihrem Auftrag gerecht zu werden: Warum gibt es kein Kino­an­gebot für 20-Jährige? Warum haben wir in Deutsch­land nicht die Filme, die sich Jugend­liche im Kino angucken? Die Film­fi­nan­zie­rungs­struk­turen in Deutsch­land sind auf die 50-70-jährigen Zuschauer der kopro­du­zie­renden Fern­seh­sender ausge­richtet – und die Entscheider sind auch so alt.
Gegen solche negative Gegen­warts­dia­gnosen setzte Michael Kötz zum Abschluss noch einmal auf Opti­mismus: »Die Sender verlieren selbst ihr Publikum, die Verein­sa­mung in der Gesell­schaft steigt – warum soll es nicht so sein, dass die 20-Jährigen in fünf Jahren massen­haft ins Kino gehen, und die Gemein­schafts­er­fah­rung Kino neu entdecken.« Wir müssen nur wollen.

(to be continued)