75. Filmfestspiele von Venedig 2018
Die Welt kann echt warten, oder? |
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Bilder, Trailer und Pressemitteilungen dürfen wir schon angucken. Auch ins Oscar-Rennen darf er. Ansonsten herrscht über die Presse Embargo. Werk ohne Autor ist (noch) ein Titel ohne Film | ||
(Foto: Walt Disney) |
»Gerhard Richter gilt als besessener Porträtist. Er malte Tante Marianne, er malte seinen späteren Schwiegervater Eufinger, er wurde der Bote des deutschen Dramas, ohne dass es ihm bewusst war. Unter dem Firnis seiner Bilderwelt verbirgt sich ein Geheimnis, zu dem bisher niemand vordrang, zum Geheimnis seines Lebens. Nicht mal der Künstler kennt die Details der Familientragödie; sein Schaffen gibt sie unbewusst preis. … Kein Regisseur könnte das Beziehungsgeflecht makaberer inszenieren«.
Jürgen Schreiber: »Das Geheimnis des Malers«; Tagesspiegel vom 23.08.2004
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Was soll das eigentlich? Muss man wirklich einen Film zum deutschen Oscar-Kandidaten ernennen, den noch niemand gesehen hat? Zu dem es keinerlei Reaktionen gibt, sei es von einer Festivaljury, vom Publikum, von der Filmkritik, seismographisch zumindest ?
Bisher ist – der Sperrfrist sei Dank – Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donnersmarck ein Film
unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Ich wage aber vorauszusagen, dass man nach seiner Premiere darüber streiten wird, ob er wirklich der bessere Film ist und bessere Oscarchancen hat, als beispielsweise 3 Tage in Quiberon von Emily Atef, Transit von Christian Petzold oder Der Hauptmann von Robert Schwentke, um nur mal diese drei sehr unterschiedlichen internationalen deutschen Erfolgsfilme zu nennen.
Warum eigentlich kann eine Jury aus neun Verbandsvertretern nicht noch zumindest zehn Tage warten, bis man die internationalen Reaktionen aus Venedig und Toronto als erste Seismographen nehmen kann?
Oder gab es hier Druck von anderen Seiten, dass die
Jury den Film tunlichst schnell ernennen solle, um dessen Vermarktungschancen zu erhöhen? Der Disney-Verleih »Buenavista« immerhin ist mächtiger als die Verleiher der drei anderen Filme zusammen.
Andere Gründe kann es kaum geben. Denn kaum ein Regisseur hat je zweimal den Auslands-Oscar gewonnen. Glaubt die Jury ernsthaft, dass dieser Film Chancen hat? Ist ihr das egal, oder ist sie einfach naiv?
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Überhaupt die Sperrfrist. Wir halten sie ein, als echte Gentlemen. Denn wir haben den Film gesehen, und sind im Prinzip sehr dankbar für diese Erleichterung unserer Arbeit – denn 188 Minuten, also mehr als drei Stunden, sind in jedem Fall eine Zumutung, egal wie der Film ist.
Dieses »Sperrfrist« oder »Embargo« genannte Verbot wertender Äußerungen und »Besprechungen« über den Film, »sowie auf den Interviews«, die mit Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Oliver Masucci,
Saskia Rosendahl und Regisseur und Drehbuchautor Florian Henckel von Donnersmarck angeboten wurden, war ursprünglich bis einschließlich Dienstag, 11. September 2018 terminiert, wurde dann aber später verkürzt: »Für alle Printmedien bis zum 05.09.2018. Die Sperrfrist für Online, TV, Radio sowie für Soziale Netzwerke (Twitter, Facebook, Instagram etc.) besteht bis nach dem Ende der Festivalpressekonferenz, die am 04.09.2018 um 11:15 Uhr beginnt.«
Ich halte diese Sperrfrist aber
auch ein, weil ich die durch sie erst erzeugte Aufregung vollkommen absurd und übertrieben finde. Als könne die Welt nicht ein paar Tage länger warten, bis sie die Wahrheit über Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donnersmarck erfährt. Ich habe eher den Verdacht, dass die Sperrfrist-Hysterie vom Verleih und den zuständigen Marketingleuten noch angefacht wird, um den Film
ins Gerede zu bringen.
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Die Anmerkung, dass diese Sperrfrist »für jegliche Besprechungen, wertenden Äußerungen sowie Interviews zum Film« gelten soll, ist auch wichtig, denn diese Sperrfrist ist bereits am 25.08. gebrochen worden. Durch den »Spiegel«, der ein langes Interview mit von Donnersmarck veröffentlichte.
Sperrfristen haben nur Sinn, wenn gleiches Recht für alle gilt. Das mögliche Argument, es gebe eine gesonderte Vereinbarung mit dem »Spiegel«, zieht nicht, denn solche Vereinbarungen
würden viele gern schließen. Auch für den Buenavista-Verleih aber gilt das deutsche Grundgesetz. Nach dem ist die Presse nicht nur frei, sondern auch gleich.
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Im Interview-Text behauptet das Hamburger Magazin auch – sehr wertend – bei dem »Drei-Stunden-Epos« handele es sich um »eine Art Comeback für den 45-jährigen Regisseur«. Und beschreibt eingewoben in seine Fragen: »Das Thema Euthanasie, ein Nazi-Begriff für die systematische Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen, nimmt in Ihrem Film großen Raum ein. Eine Szene dazu wird vermutlich für Diskussionen sorgen. Die Kamera begleitet eine Figur bis in die
Gaskammer.«
Dann erzählt von Donnersmarck von seinem Film: »Es geht um einen jungen Künstler, der seinen Weg sucht und sich in eine Modestudentin verliebt. Als es ernst wird, lernt er ihren Vater kennen. Und dieser Vater ist ein harter Ideologe, ein Nazi, ein sehr überzeugter, und später in der DDR ein halbwegs überzeugter Sozialist. Und dieser Vater sieht in dem Schwiegersohn in spe alles, was er verachtet. Der Vater setzt alles daran, diese Beziehung zu zerstören. Und gleichzeitig
muss dieser junge Mann irgendwie innerhalb dieses Konflikts zu seiner Kunst finden und vielleicht sogar diesen Schwiegervater mit der einzigen Waffe, die er hat, seiner Kunst eben, besiegen. Das alles geschieht vor dem Hintergrund von drei Epochen deutscher Geschichte. … Der Film ist stark inspiriert von einigen Ereignissen aus dem Leben Gerhard Richters, das stimmt. … Die Grundidee zu Werk ohne Autor verdanke ich dem Journalisten Jürgen Schreiber und seiner Richter-Biografie.
Ich wusste, dass Richters Tante von den Nazis ermordet worden ist. Das war wohl ein großes Trauma in seiner Jugend. Was aber erst Jürgen Schreiber herausgefunden hat und Richter selbst bis dahin nicht wusste: dass der spätere Schwiegervater von Gerhard Richter ein SS-Arzt war und Mittäter beim sogenannten Euthanasie-Programm der
Nazis.«
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Das Thema Sperrfristen und »Wie geht Marketing – und wie nicht?« ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Denn welchen Sinn haben Sperrfristen, warum unterschreibt man sie, wenn dann der Trailer alles wichtige verrät?
Dazu kann man sich ja mal die auf YouTube veröffentlichten Trailer und Filmclips anschauen. Der Clou der Handlung dieses Films und ihre wesentlichen
Grundzüge finden sich darin – diese Handlung allerdings ist auch längst bekannt. Sie ist in all ihren abgründigen Hintergründen in Jürgen Schreibers Buch »Ein Maler aus Deutschland« en detail beschrieben.
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Zu alldem hinzu kommt die spezielle Poesie der Pressemitteilungen. Zum Oscar-Vorschlag lesen wir:
»Die neunköpfige Jury mit Jurysprecher Moritz Hemminger (Verband deutscher Filmexporteure e.V.) begründete ihre Entscheidung folgendermaßen: Werk ohne Autor erzählt in einem großen epischen Bogen ein bewegendes Künstlerschicksal im Nachkriegsdeutschland, in
einer Zeit, als es schwierig war, zu einer eigenen Kunstsprache zu finden. Der Film hat, unterstützt von einem grandiosen Schauspielerensemble, große poetische Momente und geht gleichzeitig einer essentiellen, auch heute noch aktuellen Frage nach: Das Finden einer eigenen Haltung.«
Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck: »Herausgekommen ist eine Liebesgeschichte, ein Familiendrama, eine Biographie Deutschlands im 20. Jahrhundert und ein Streifzug durch die Kunst
der Moderne.«
Produzent Jan Mojto, Pergamon Film: Werk ohne Autor ist für mich ein bis jetzt nie dagewesener großartiger Deutschlandfilm, der mit Liebe zum Detail und realitätsbezogen 30 Jahre deutsche Zeitgeschichte für das junge Publikum und für die Welt erzählt. Die Entscheidung, ihn ins 'Oscar-Rennen' zu schicken, ist für mich daher folgerichtig.
»Inspiriert
von wahren Begebenheiten erzählt Werk ohne Autor die Geschichte des Kunststudenten Kurt Barnert (Tom Schilling), der sich in seine Kommilitonin Ellie Seeband (Paula Beer) verliebt. Doch Ellies Vater, der gefeierte Medizinprofessor Carl Seeband (Sebastian Koch) sieht in dem Schwiegersohn in spe alles, was er hasst und verachtet. Er setzt seine ganze Kraft daran, die
Beziehung zu zerstören. Was jedoch keiner von ihnen weiß, ist, dass ihre Schicksale bereits eng miteinander verknüpft sind, durch ein schweres Verbrechen, das Seeband Jahrzehnte zuvor beging. Werk ohne Autor ist eine emotionale Achterbahnfahrt durch drei Jahrzehnte deutscher Geschichte, erzählt durch die Augen eines jungen Künstlers, in dessen Familie sich die Wege von Opfern
und Tätern auf tragische Weise kreuzen.«
»Inspiriert von wahren Begebenheiten erzählt Werk ohne Autor über drei Epochen deutscher Geschichte vom dramatischen Leben des Künstlers Kurt (Tom Schilling), seiner leidenschaftlichen Liebe zu Elisabeth (Paula Beer) und dem folgenschweren Verhältnis zu seinem undurchsichtigen Schwiegervater Professor Seeband (Sebastian Koch),
dessen wahre Schuld an den verhängnisvollen Ereignissen in Kurts Leben letztlich in seiner Kunst und seinen Bildern ans Licht kommt. Werk ohne Autor ist eine emotionale Achterbahnfahrt durch drei Epochen deutscher Geschichte, die den Wahnsinn und die Tragik des 20. Jahrhunderts anhand von drei Schicksalen beleuchtet. Ein fesselndes Drama, eine tragische
Familiengeschichte, ein flammender Thriller und eine Hommage an die befreiende Kraft der Kunst in einem.«
Da bekommt man schon mal eine Vorstellung. Und am Dienstag kommen unsere Besprechungen.
(to be continued)