02.09.2018
75. Filmfestspiele von Venedig 2018

Die Welt kann echt warten, oder?

Werk ohne Autor
Bilder, Trailer und Pressemitteilungen dürfen wir schon angucken. Auch ins Oscar-Rennen darf er. Ansonsten herrscht über die Presse Embargo. Werk ohne Autor ist (noch) ein Titel ohne Film
(Foto: Walt Disney)

Künstlich erzeugte Aufgeregtheit und entgleitendes Marketing: Embargos, Sperrfrist und Propaganda – mindestens drei Fragen zu Florian Henckel von Donnersmarcks »Werk ohne Autor« – Notizen aus Venedig, Folge 4

Von Rüdiger Suchsland

»Gerhard Richter gilt als beses­sener Porträ­tist. Er malte Tante Marianne, er malte seinen späteren Schwie­ger­vater Eufinger, er wurde der Bote des deutschen Dramas, ohne dass es ihm bewusst war. Unter dem Firnis seiner Bilder­welt verbirgt sich ein Geheimnis, zu dem bisher niemand vordrang, zum Geheimnis seines Lebens. Nicht mal der Künstler kennt die Details der Fami­li­en­tra­gödie; sein Schaffen gibt sie unbewusst preis. … Kein Regisseur könnte das Bezie­hungs­ge­flecht makaberer insze­nieren«.
Jürgen Schreiber: »Das Geheimnis des Malers«; Tages­spiegel vom 23.08.2004

+ + +

Was soll das eigent­lich? Muss man wirklich einen Film zum deutschen Oscar-Kandi­daten ernennen, den noch niemand gesehen hat? Zu dem es keinerlei Reak­tionen gibt, sei es von einer Festi­val­jury, vom Publikum, von der Film­kritik, seis­mo­gra­phisch zumindest ?
Bisher ist – der Sperr­frist sei Dank – Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donners­marck ein Film unter Ausschluss der Öffent­lich­keit.
Ich wage aber voraus­zu­sagen, dass man nach seiner Premiere darüber streiten wird, ob er wirklich der bessere Film ist und bessere Oscar­chancen hat, als beispiels­weise 3 Tage in Quiberon von Emily Atef, Transit von Christian Petzold oder Der Hauptmann von Robert Schwentke, um nur mal diese drei sehr unter­schied­li­chen inter­na­tio­nalen deutschen Erfolgs­filme zu nennen.
Warum eigent­lich kann eine Jury aus neun Verbands­ver­tre­tern nicht noch zumindest zehn Tage warten, bis man die inter­na­tio­nalen Reak­tionen aus Venedig und Toronto als erste Seis­mo­gra­phen nehmen kann?
Oder gab es hier Druck von anderen Seiten, dass die Jury den Film tunlichst schnell ernennen solle, um dessen Vermark­tungs­chancen zu erhöhen? Der Disney-Verleih »Buena­vista« immerhin ist mächtiger als die Verleiher der drei anderen Filme zusammen.
Andere Gründe kann es kaum geben. Denn kaum ein Regisseur hat je zweimal den Auslands-Oscar gewonnen. Glaubt die Jury ernsthaft, dass dieser Film Chancen hat? Ist ihr das egal, oder ist sie einfach naiv?

+ + +

Überhaupt die Sperr­frist. Wir halten sie ein, als echte Gentlemen. Denn wir haben den Film gesehen, und sind im Prinzip sehr dankbar für diese Erleich­te­rung unserer Arbeit – denn 188 Minuten, also mehr als drei Stunden, sind in jedem Fall eine Zumutung, egal wie der Film ist.
Dieses »Sperr­frist« oder »Embargo« genannte Verbot wertender Äuße­rungen und »Bespre­chungen« über den Film, »sowie auf den Inter­views«, die mit Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Oliver Masucci, Saskia Rosendahl und Regisseur und Dreh­buch­autor Florian Henckel von Donners­marck angeboten wurden, war ursprüng­lich bis einschließ­lich Dienstag, 11. September 2018 termi­niert, wurde dann aber später verkürzt: »Für alle Print­me­dien bis zum 05.09.2018. Die Sperr­frist für Online, TV, Radio sowie für Soziale Netzwerke (Twitter, Facebook, Instagram etc.) besteht bis nach dem Ende der Festi­val­pres­se­kon­fe­renz, die am 04.09.2018 um 11:15 Uhr beginnt.«
Ich halte diese Sperr­frist aber auch ein, weil ich die durch sie erst erzeugte Aufregung voll­kommen absurd und über­trieben finde. Als könne die Welt nicht ein paar Tage länger warten, bis sie die Wahrheit über Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donners­marck erfährt. Ich habe eher den Verdacht, dass die Sperr­frist-Hysterie vom Verleih und den zustän­digen Marke­ting­leuten noch angefacht wird, um den Film ins Gerede zu bringen.

+ + +

Die Anmerkung, dass diese Sperr­frist »für jegliche Bespre­chungen, wertenden Äuße­rungen sowie Inter­views zum Film« gelten soll, ist auch wichtig, denn diese Sperr­frist ist bereits am 25.08. gebrochen worden. Durch den »Spiegel«, der ein langes Interview mit von Donners­marck veröf­fent­lichte.
Sperr­fristen haben nur Sinn, wenn gleiches Recht für alle gilt. Das mögliche Argument, es gebe eine geson­derte Verein­ba­rung mit dem »Spiegel«, zieht nicht, denn solche Verein­ba­rungen würden viele gern schließen. Auch für den Buena­vista-Verleih aber gilt das deutsche Grund­ge­setz. Nach dem ist die Presse nicht nur frei, sondern auch gleich.

+ + +

Im Interview-Text behauptet das Hamburger Magazin auch – sehr wertend – bei dem »Drei-Stunden-Epos« handele es sich um »eine Art Comeback für den 45-jährigen Regisseur«. Und beschreibt einge­woben in seine Fragen: »Das Thema Eutha­nasie, ein Nazi-Begriff für die syste­ma­ti­sche Ermordung psychisch kranker und behin­derter Menschen, nimmt in Ihrem Film großen Raum ein. Eine Szene dazu wird vermut­lich für Diskus­sionen sorgen. Die Kamera begleitet eine Figur bis in die Gaskammer.«
Dann erzählt von Donners­marck von seinem Film: »Es geht um einen jungen Künstler, der seinen Weg sucht und sich in eine Mode­stu­dentin verliebt. Als es ernst wird, lernt er ihren Vater kennen. Und dieser Vater ist ein harter Ideologe, ein Nazi, ein sehr über­zeugter, und später in der DDR ein halbwegs über­zeugter Sozialist. Und dieser Vater sieht in dem Schwie­ger­sohn in spe alles, was er verachtet. Der Vater setzt alles daran, diese Beziehung zu zerstören. Und gleich­zeitig muss dieser junge Mann irgendwie innerhalb dieses Konflikts zu seiner Kunst finden und viel­leicht sogar diesen Schwie­ger­vater mit der einzigen Waffe, die er hat, seiner Kunst eben, besiegen. Das alles geschieht vor dem Hinter­grund von drei Epochen deutscher Geschichte. … Der Film ist stark inspi­riert von einigen Ereig­nissen aus dem Leben Gerhard Richters, das stimmt. … Die Grundidee zu Werk ohne Autor verdanke ich dem Jour­na­listen Jürgen Schreiber und seiner Richter-Biografie.
Ich wusste, dass Richters Tante von den Nazis ermordet worden ist. Das war wohl ein großes Trauma in seiner Jugend. Was aber erst Jürgen Schreiber heraus­ge­funden hat und Richter selbst bis dahin nicht wusste: dass der spätere Schwie­ger­vater von Gerhard Richter ein SS-Arzt war und Mittäter beim soge­nannten Eutha­nasie-Programm der Nazis.«

+ + +

Das Thema Sperr­fristen und »Wie geht Marketing – und wie nicht?« ist damit aber noch nicht abge­schlossen. Denn welchen Sinn haben Sperr­fristen, warum unter­schreibt man sie, wenn dann der Trailer alles wichtige verrät?
Dazu kann man sich ja mal die auf YouTube veröf­fent­lichten Trailer und Filmclips anschauen. Der Clou der Handlung dieses Films und ihre wesent­li­chen Grundzüge finden sich darin – diese Handlung aller­dings ist auch längst bekannt. Sie ist in all ihren abgrün­digen Hinter­gründen in Jürgen Schrei­bers Buch »Ein Maler aus Deutsch­land« en detail beschrieben.

+ + +

Zu alldem hinzu kommt die spezielle Poesie der Pres­se­mit­tei­lungen. Zum Oscar-Vorschlag lesen wir:
»Die neun­köp­fige Jury mit Jury­spre­cher Moritz Hemminger (Verband deutscher Film­ex­por­teure e.V.) begrün­dete ihre Entschei­dung folgen­der­maßen: Werk ohne Autor erzählt in einem großen epischen Bogen ein bewe­gendes Künst­ler­schicksal im Nach­kriegs­deutsch­land, in einer Zeit, als es schwierig war, zu einer eigenen Kunst­sprache zu finden. Der Film hat, unter­s­tützt von einem gran­diosen Schau­spie­ler­en­semble, große poetische Momente und geht gleich­zeitig einer essen­ti­ellen, auch heute noch aktuellen Frage nach: Das Finden einer eigenen Haltung.«
Regisseur Florian Henckel von Donners­marck: »Heraus­ge­kommen ist eine Liebes­ge­schichte, ein Fami­li­en­drama, eine Biogra­phie Deutsch­lands im 20. Jahr­hun­dert und ein Streifzug durch die Kunst der Moderne.«
Produzent Jan Mojto, Pergamon Film: Werk ohne Autor ist für mich ein bis jetzt nie dage­we­sener groß­ar­tiger Deutsch­land­film, der mit Liebe zum Detail und reali­täts­be­zogen 30 Jahre deutsche Zeit­ge­schichte für das junge Publikum und für die Welt erzählt. Die Entschei­dung, ihn ins 'Oscar-Rennen' zu schicken, ist für mich daher folge­richtig.
»Inspi­riert von wahren Bege­ben­heiten erzählt Werk ohne Autor die Geschichte des Kunst­stu­denten Kurt Barnert (Tom Schilling), der sich in seine Kommi­li­tonin Ellie Seeband (Paula Beer) verliebt. Doch Ellies Vater, der gefeierte Medi­zin­pro­fessor Carl Seeband (Sebastian Koch) sieht in dem Schwie­ger­sohn in spe alles, was er hasst und verachtet. Er setzt seine ganze Kraft daran, die Beziehung zu zerstören. Was jedoch keiner von ihnen weiß, ist, dass ihre Schick­sale bereits eng mitein­ander verknüpft sind, durch ein schweres Verbre­chen, das Seeband Jahr­zehnte zuvor beging. Werk ohne Autor ist eine emotio­nale Achter­bahn­fahrt durch drei Jahr­zehnte deutscher Geschichte, erzählt durch die Augen eines jungen Künstlers, in dessen Familie sich die Wege von Opfern und Tätern auf tragische Weise kreuzen.«
»Inspi­riert von wahren Bege­ben­heiten erzählt Werk ohne Autor über drei Epochen deutscher Geschichte vom drama­ti­schen Leben des Künstlers Kurt (Tom Schilling), seiner leiden­schaft­li­chen Liebe zu Elisabeth (Paula Beer) und dem folgen­schweren Verhältnis zu seinem undurch­sich­tigen Schwie­ger­vater Professor Seeband (Sebastian Koch), dessen wahre Schuld an den verhäng­nis­vollen Ereig­nissen in Kurts Leben letztlich in seiner Kunst und seinen Bildern ans Licht kommt. Werk ohne Autor ist eine emotio­nale Achter­bahn­fahrt durch drei Epochen deutscher Geschichte, die den Wahnsinn und die Tragik des 20. Jahr­hun­derts anhand von drei Schick­salen beleuchtet. Ein fesselndes Drama, eine tragische Fami­li­en­ge­schichte, ein flam­mender Thriller und eine Hommage an die befrei­ende Kraft der Kunst in einem.«

Da bekommt man schon mal eine Vorstel­lung. Und am Dienstag kommen unsere Bespre­chungen.

(to be continued)