04.09.2018
75. Filmfestspiele von Venedig 2018

»Hey Vincent!«

Julian Schnabels At Eternity's Gate
Der geniale Künstler in der Natur: At Eternity’s Gate ist überhöhtes Biopic
(Foto: DCM Filmdistribution)

Die Tage der Künstlerportraits haben begonnen – Notizen aus Venedig, Folge 7

Von Rüdiger Suchsland

»Es gibt ja viele Spiel­filme über Künstler und Maler. Meistens wird da der Schaf­fens­pro­zess als etwas unglaub­lich Leiden­schaft­li­ches darge­stellt. Am besten, der Künstler schneidet sich ein Ohr ab und malt mit dem Blut des Ohrs dann gleich das Bild! Ich hatte immer das Gefühl, dass das nicht der Wirk­lich­keit entspricht.«
Florian Henckel von Donners­marck; im Spiegel-Interview vom 25.08.18

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Bleierne Lange­weile senkte sich über den Lido: Der Montag­morgen war Julian-Schnabel-Tag und der über­schätze ameri­ka­ni­sche Hipster-Regisseur unterbot noch alle beschei­denen Erwar­tungen: At Eternity’s Gate heißt sein Film. Wieder einmal ein Künst­ler­por­trait von Schnabel, wieder einmal ein Van-Gogh-Film. Van Gogh ist wohl das Symbol des »genialen Menschen« in der Moderne, der »enig­ma­ti­sche Künstler« schlechthin.

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»Am Tor der Ewigkeit« – auch wenn das der englische Titel eines Gemäldes von Vincent van Goghs ist: drunter geht’s wohl nicht. Willem Dafoe war in der Rolle des Genies zu sehen – wer sonst? Schließ­lich hat der Mann schon Jesus gespielt, was bleibt da noch? wer könnte besser solche Schnabel-Sätze sprechen, wie: »Gott machte mich zum Maler für jene Menschen, die heute noch nicht geboren sind.« Und Dafoe hat die blauesten Augen der Filmszene, so schrill­blau wie der Himmel über Van Goghs Sonnen­blumen. Er war nicht der einzige outrie­rende Darsteller in dieser Kitsch- und Klischee­orgie, die das Schlimmste im Gegen­warts­kino zusam­men­bringt: Ein chicer ameri­ka­ni­scher Künstler und ein Haufen nicht ganz wichtiger Schau­spieler, die es toll finden, bei diesem Super­künstler einen Gast­auf­tritt zu haben: Oscar Isaac, Emma­nu­elle Seigner, Mads Mikkelsen (als Priester!! hihi), Rupert Friend.
Man kann sich das leider nur zu gut vorstellen: Ameri­kaner, die unter nichts weniger leiden, als unter mangelndem Selbst­be­wusst­sein, und es für tief­sin­nige Kunst halten, wenn Van Gogh dann irgend­wann nackt auf der Wiese tanzt und dabei die Arme nach oben gerichtet hat, als erlebe er gerade sein persön­li­ches Pfingst­wunder. Und Oscar Isaac, der natürlich Gauguin spielt – Yeah, who else?
Man ahnt es schon, wenn man das Statement des Regis­seurs liest: »This is not a forensic biography about the painter. It is about what it is to be an artist. It is fiction, and in the act of pursuing our goal, if we lean towards the divine light, we might even stumble onto the truth. The only way to describe a work of art is to make a work of art.«
Wie bescheiden! So von Künstler zu Künstler: »Hey Vincent!« Es geht also eigent­lich um Schnabel selbst.
Wahr­schein­lich ist auch Julien Schnabel von Gott zur Erde gesandt worden, um Kino für Menschen zu machen, die noch nicht geboren sind.

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»In der Türkei haben wir für solche Filme einen spezi­ellen Ausdruck«, sagt Nil nach dem Film, und muss lachen: »I did it, therefore it’s great.«

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Offenbar haben jetzt die Tage der Künst­ler­por­traits begonnen. Als nächstes erzählt Florian Henckel von Donners­mack das Leben Gerhard Richters. Und dann erzählt Brady Corbet von Starruhm, mit Natalie Portman und Jude Law. Dieser letzt­ge­nannte, Vox Lux ist für mich einer der am gespann­testen erwar­teten Filme der Mostra.

(to be continued)