69. Berlinale 2019
Verdünnter Schmerz in der Steppe |
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Manche nennen es Krankheit, wir nennen es Berlinale – Szene aus Marie Kreutzers Der Boden unter den Füßen | ||
(Foto: Salzgeber) |
»Lächerlich für jemanden wie ihn, aber es ist, wie es nun einmal ist: Entweder er arbeitet oder er langweilt sich. Gleich beide Nachmittagstermine wurden abgesagt und nun breitet sich der Tag wie eine unendlich weite Steppe vor ihm aus. Langeweile ist verdünnter Schmerz. Irgendwo aufgeschnappt, bleibt hängen bis in alle Ewigkeit. Und warum? Weil es stimmt. Langeweile ist gewissermaßen ein der Depression vorgeschalteter Zustand. Die Schwermut, der Weltschmerz, die diffuse Trübsal, die während seiner Jugend auf ihm lastete ist einer oft schier unerträglichen Ödnis gewichen.«
Heinz Strunk: »Der Goldene Handschuh«, S.55
400 Filme laufen bei der Berlinale, das ist sowieso eine Wahnsinnszahl. Es ist fast doppelt soviel, wie in Cannes (100) und Venedig (120) zusammen laufen. Klar, dass es da vielleicht mehr Sektionen braucht, als die jeweils vier von Cannes oder Venedig. Ob es deshalb gleich 12-14 sein müssen, je nach Zählweise, ist eine andere Frage. Denn auch klar muss jedem sein, dass gerade in dieser Unmenge an Filmen Orientierung nötig ist. Das Festival muss seinen Besuchern vermitteln, was ihm
besonders wichtig ist, was auch für alle interessant ist, was hingegen eher spezielle Interessen erfüllt. Nichts von alldem leistet das Festival, deswegen fühlen sich hier viele ziemlich verloren und allein gelassen.
Wenn man dann noch bedenkt, dass die Berlinale drei Tage kürzer ist, als Cannes und zwei als Venedig, und wenn man weiß, dass es für den größten Teil der Sektionen gar keine Pressevorführungen gibt, für das Panorama nur ein Dutzend und dass deshalb alle
Pressevorführungen überfüllt sind, dann kann sich jeder vorstellen, wie das Wochenende abläuft: ein einziges Gehetze und Chaos, verbunden mit der Frustration, in vieles nicht hereinzukommen.
Manche nennen es Krankheit, wir nennen es Berlinale.
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Vermutlich gibt es vieles, was gegen Der Boden unter den Füßen spricht. Mir hat der neue Film der Österreicherin Marie Kreutzer trotzdem gut gefallen.
Das Konzept ist lustig, einfallsreich, schön schematisch: Eine Unternehmensberaterin und eine Verrückte treffen sich und wir Zuschauer begreifen, unterstützt von der cleveren Montage, dass hier nicht Vernunft und Wahn, sondern nur zwei verschiedene Formen von Irrsinn aufeinander klatschen.
Es
stimmt schon, ein bisschen mehr Bodenlosigkeit hätte dem Film gutgetan. Und zugleich weniger, dafür mehr Kälte und Mechanik. Vielleicht hätte ihn dann die Berlinale nicht genommen, weil er nicht ins sozialdemokratische Schema der Unternehmer mit schlechtem Gewissen gepasst hätte. Es wäre aber der bessere Film.
Auch so ist es ein guter. Denn er ist elegant inszeniert, beobachtend, aber immer wieder die reine Distanz aufbrechend.
Was man tatsächlich einwenden kann, ist
mangelnde Konsequenz. Denn die Unternehmensberaterin Lola ist dann doch nicht wirklich einfach nur Unternehmensberaterin, sondern eben doch weniger cool, als sie gern wäre. Sie erzählt Ärzten nicht die Wahrheit, verleugnet ihre kranke Schwester auf selbst kranke Weise. Und sie hat eine lesbische Beziehung (Affäre?) mit ihrer Chefin. Als ob die Hauptsache nicht gereicht hätte. Wie Maren Ade in Toni
Erdmann traut die Regisseurin der Figur einer Unternehmensberaterin allein nicht genug zu – sie muss dann krank, kaputt, an sich leidend sein, und eben doch nicht so 'ne richtige »icy bitch«. Das hätte ich aber gern gesehen. So scheinen Frauen aber Frauen nicht gern zu sehen.
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Auch die Figur der Femme fatale ist komplett aus der Mode gekommen. Bedeutet Feminismus eigentlich, dass Frauen in der Kunst keine Abgründe und nicht Doppelgesichtiges mehr haben dürfen?
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Die Berlinale war schon in ihrer »klassischen« Zeit, während des Kalten Kriegs, ein Schaufenster nach Osten. Wie sieht das 30 Jahre nach dem Mauerfall aus? Schon merkwürdig, dass der Mauerfall nach 30 Jahren der Berlinale keine Erwähnung wert ist, geschweige denn eine Sonderreihe. Wie aus dem Gedächtnis getilgt.
2018 war ein erfolgreiches Jahr für das osteuropäische Kino. Aber welche Spuren hinterlässt das osteuropäische Kino nun auf der Berlinale?
Am Wochenende lief im
Wettbewerb Mr. Jones, der neue Film der polnischen Altmeisterin Agnieszka Holland, ein Film aus Mazedonien, und auch in den Nebenreihen vieles aus dem ehemaligen Ostblock.
Mr. Jones war ziemlich öde, was nicht nur daran liegt, dass dies ein mit zweieinhalb Stunden überlanger Film ist, stilistisch 08/15-Kostümkino und Historien-Bebilderung ist, das in einem
A-Wettbewerb nichts zu suchen hat, uninspiriert und altmodisch, ohne einen Funken Originalität.
Die abgedroschene Geschichte über die Schrecken des Stalinismus, die hier mit den Augen des britischen Journalisten und ukrainischen Nationalhelden Gareth Jones (1905-1935) gezeigt werden, ist auch politisch fragwürdig.
Denn Gareth Jones zeigte offene Sympathien für die Nazis, schrieb für von Goebbels kontrollierte Zeitungen und war auch sonst eine Figur, die man keineswegs
derart ausschließlich positiv zeichnen sollte, wie Holland das tut. Einmal mehr ist auch dies ein polnischer Film, der zwar übersensibel auf die Abgründe de Sowjet-Kommunismus reagiert, demgegenüber aber die Verbrechen der Nazis, der polnischen und (in diesem Fall besonders) ukrainischen Nationalisten bagatellisiert.
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Der Direktor mag bis zur letzten Sekunde seinen Spaß haben – es sind aber nur noch sechs Tage, he he he – die Menschen in Berlinale-Filmen leiden unter Spaßverbot. Ein miesepetriger Film mit schlechtgelaunten Charakteren nach dem andern flackert über den Bildschirm des Berlinale-Wettbewerbs.
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Auch der Leben von Diane Kruger als Mossad-Agentin ist nicht lustig. Da der Regisseur Yuval Adler uns offenbar alle vergnüglichen Dinge eines Agentenfilms wie Verfolgungsjagden, Geballer und Explosionen ersparen will, wird umso mehr geredet. Nichts Sinnvolles, sondern Banalitäten und Plattitüden im Stil von »Im Krieg sterben Unschuldige«. Vorhersehbar geht es darum, wie schrecklich und entfremdet angeblich doch das Leben von Geheim-Agenten ist. Wäre sie mal besser Unternehmensberaterin geworden!
(to be continued)