69. Berlinale 2019
Konsequent selbstzerstörerisch |
||
Mut zum Risiko und Experimentierfreude | ||
(Foto: kineo Filmproduktion / Weydemann Bros) |
Von Sedat Aslan
Die neunjährige Bernadette, die ihren Namen nicht mag und deswegen von allen nur „Benni“ genannt wird, befindet sich aufgrund ihrer unberechenbaren Aggressionen in einer Dauerschleife zwischen den Institutionen der deutschen Kinder- und Jugendhilfe – die Mutter ist überfordert, der Vater nicht präsent, Betreuer und Ärzte können nicht nachhaltig weiterhelfen. Kann dieser junge Mensch es schaffen, dieser sich selbst nährenden Abwärtsspirale zu entkommen?
Erfrischend, dass der Film nicht einfach uninspiriert »Benni« genannt wurde, sondern sich im Titel neben weiteren Bezügen auch der erzählerische Vibe transportiert. Der Film macht aber noch viel Wesentlicheres richtig, was im deutschen Film oft falsch gemacht wird: Es ist ein Film mit einem klaren sozialpolitischen Thema, der nicht automatisch zum reinen Thesenfilm mutiert. Die Figuren und deren Beziehungen sind der Regisseurin viel wichtiger als eine kalkulierte Gesellschaftskritik. Emotional erzählen heißt nicht automatisch falsches Pathos.
Begeistert wie erstaunt reibt man sich die Augen angesichts dessen, wie mühelos hier Erzählperspektiven gewechselt werden, wie viele unberechenbare Haken der Plot schlägt (die dynamische Kamera von Yunus Roy Imer schlägt diese gleich mit) und wie immer wieder situative Komik durchbricht.
Wann hat man im deutschen Kino zuletzt eine solch wuchtige Kinderperformance gesehen? Helena Zengel trägt mit ihrer Urgewalt den gesamten Film. Hervorzuheben ist auch Albrecht Schuch als
Schulbegleiter Michael, der den Film im Mittelteil mit seiner starken Präsenz erdet.
Es ist ein bemerkenswerter »Systemfilm« in dem Sinne, dass er an einer Filmhochschule mit Beteiligung öffentlicher Förder- und einer Sendeanstalt entstanden ist, ohne dass ihm im Prozess seiner Realisierung sämtliche Kanten abgeschliffen worden wären. Dies ist ein tolles Beispiel dafür, was hierzulande möglich ist, wenn alle Beteiligten Mut zum Risiko und Experimentierfreude zeigen.
Lange Zeit wird glücklicherweise auch nur in Andeutungen psychologisiert. Dann aber begeht der Film den kapitalen Fehler, den für seinen Ausgang entscheidenden Wendepunkt über das Fehlverhalten einer äußerst schwach konstruierten Figur zu erzählen: Bennis Mutter, die von der Figurenanlage übers Kostüm bis hin zum Spiel als Einzige in diesem Ensemble geradezu grotesk überzeichnet ist. Das Psychologisieren übernimmt kurz, aber heftig das Ruder. Von dieser Plotverirrung erholt sich der Film nicht mehr. Der gesamte dritte Akt ist in der Folge redundant, wirkt wie seine eigene Zeitschleife. Also dann doch ein übrig gebliebenes Problem des deutschen Films: der schwierige, oft ungelenke Ausstieg aus der Geschichte.
Dennoch: Der Film ist ein früher Höhepunkt der diesjährigen Berlinale und zwei Akte lang ein kleines Wunderwerk, welches das System des deutschen Films zumindest für einen kleinen Moment, erschüttern sollte. Ist es da nicht konsequent, dass er am Ende auch sein eigenes narratives System sprengt?