21.02.2019
69. Berlinale 2019

Erzäh­le­ri­sche Power aus Latein­ame­rika

Jayro Bustamentes Temblores
Eindrücklich: Jayro Bustamentes Temblores
(Foto: TuVasVoir / Berlinale)

Das lateinamerikanische Kino gehört zu den spannendsten Kinematographien der Zeit. Zwei Filme aus dem Berlinale-Panorama unter der Lupe: Temblores und Monos

Von Wolfgang Lasinger

Für starkes Erzähl­kino aus Latein­ame­rika war man auf der Berlinale dieses Jahr vor allem auf das Panorama ange­wiesen, wo mit Temblores von Jayro Busta­mente aus Guatemala und Monos von Alejandro Landes aus Kolumbien zwei besonders über­zeu­gende Beispiele zu sehen waren.

Erdstöße

»Temblores« – die titel­ge­benden Erdstöße setzen in diesem Film zwei Mal ein, an drama­tur­gi­schen Wende­punkten, an denen die Lebens­ver­hält­nisse der Haupt­figur Pablo grund­le­gend erschüt­tert werden. Pablo ist kein junger Mann mehr, aus dem gehobenen Bürgertum, und entschließt sich, Frau und Kinder zu verlassen, um mit seinem Geliebten Francisco zusam­men­zu­leben.

Es ist bezeich­nend für die ungeheure erzäh­le­ri­sche Stärke dieses Films, dass diese auch meta­pho­risch zu verste­henden Beben in keiner Weise aufge­setzt oder platt wirken. Sie packen den Zuschauer mit physi­scher Wucht und lassen den Gedanken an symbol­hafte Bedeutung allen­falls erst im Rückblick aufkommen. Busta­mentes bezwin­gendes Erzählen vertraut ganz auf die Kraft der Bilder. Wie in seinem ersten Langfilm, Ixcanul – Träume am Fuße des Vulkans, 2015 auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis bedacht, arbeitete er wieder mit dem Kame­ra­mann Luis Armando Arteaga zusammen. Der zeichnete auch für die Kamera in dem beein­dru­ckenden para­gu­ay­ischen Film Die Erbinnen verant­wort­lich, der letztes Jahr auf der Berlinale ausge­zeichnet wurde. Arteagas unauf­dring­liche Bild­ge­stal­tung vermag die Lebens­räume der Figuren so zu erschließen, dass physische Bewegung unmit­telbar als konkrete Handlung anschau­lich wird.

In Ixcanul, in dem von Angehö­rigen einer Maya-Ethnie und von Kaffee­pflü­ckern erzählt wird, erschien dies noch als eher ethno­gra­phi­scher Gestus. In Temblores geht es um die Großstadt Guatemala, geht es um eine feind­liche soziale Atmo­sphäre, die die Kamera fast mit klini­scher Kälte erkundet. Hier versucht Pablo seine schwule Beziehung gegen die Wider­s­tände des extrem homo­phoben groß­bür­ger­li­chen Fami­li­en­clans durch­zu­setzen, aus dem er stammt. Man ächtet ihn geradezu: er verliert seine Arbeit als Consul­tant, darf seine Kinder nicht mehr sehen, da Schwul­sein mit Pädo­philie gleich­ge­setzt wird. Es sind beklem­mend düstere Bilder, die allen­falls bei Pablos Begeg­nungen mit dem Geliebten eine innige Wärme bekommen, ansonsten aber eine emotio­nale Unbe­haust­heit vermit­teln. Eindring­lich wirken vor allem die Sequenzen, die in der evan­ge­li­kalen Gruppe spielen, deren Glauben sich der Fami­li­en­clan Pablos ange­schlossen hat. Um die Hoffnung auf ein Wieder­sehen mit seinen Kindern nicht ganz aufgeben zu müssen, unter­zieht sich Pablo einer Umer­zie­hung, die die Evan­ge­li­kalen in einer Art para­mi­li­täri­schem Camp durch­führen.

Genre-Grenz­gänger

Eine andere Form erzäh­le­ri­scher Kraft, mehr vom Genre-Kino gespeist, entwi­ckelt Monos von Alejandro Landes. Er zeigt ein tatsäch­li­ches para­mi­li­täri­sches Camp im kolum­bia­ni­schen Hochland, in dem sich einige ausge­grenzte Jugend­liche zusam­men­finden, die soge­nannten Monos. Es handelt sich hier gewis­ser­maßen um Nach­fahren der olvidados, der Verges­senen Luis Buñuels, nur dass sie fern der Gesell­schaft in eine archaisch-mythisch wirkende Umwelt versetzt wurden. Sie unter­stehen einer ominösen Orga­ni­sa­tion und haben eine entführte US-ameri­ka­ni­sche Ärztin in verwit­terten Beton­ver­liesen zu bewachen. Es herrscht eine post­apo­ka­lyp­ti­sche Stimmung, die verfal­lenden Beton­struk­turen sind abwei­sender und schroffer als die wildesten Fels­for­ma­tionen, die Spiele und Rituale der Monos sind hart und gewalt­tätig.

Die Grund­si­tua­tion erinnert an die Rebellen und Terro­risten der Farc in Kolumbien, an deren Strategie eines Rückzugs in den Urwald, wo sie von der Armee in einem uner­bitt­li­chen Krieg verfolgt wurden. Eine solche massive Armee­at­tacke ist es auch im Film, die den Aufent­halt der Monos im Hochland beendet und sie in den Regenwald vertreibt.

Damit verändert sich die Tonalität in Monos, der Film wechselt unbeküm­mert die Genre-Refe­renzen: von einer Art roher Fantasy geht es über Kriegs­film­se­quenzen zu einem klas­si­schen Urwald­ab­en­teuer, in dem sich eine Gruppe durch­schlagen und behaupten muss, gegen die feind­liche Natur, gegen Riva­li­täten unter­ein­ander, überdies gilt es, die Geisel zu bewachen und wieder einzu­fangen, wenn sie entkommen ist.

Das ist unmit­tel­bares, wie unbehauen wirkendes Erzähl­kino, das einen tatsäch­lich staunen lässt. Keine poli­ti­sche Parabel, keine ethno­gra­phi­sche Erkundung – obwohl genau diese Elemente zugrunde liegen: aller­dings werden sie in einem wilden hybriden Verschnitt mit Genre­mus­tern überformt.

Der Film von Alejandro Landes scheut nicht davor zurück, mit bombas­ti­schen Effekten, vor allem auf der Tonspur, Wirkungs­treffer beim Publikum zu landen. Wuchtige Schnitte, unter­s­tützt vom Sound, schlagen wie Axthiebe ein. Die Kamera bietet spek­ta­kuläre Fahrten und Aufsichten, der Zuschauer wird in einen Strudel von Eindrü­cken und Affekten gesogen. Man kann sich hier mit großer Lust dem wilden Imaginären von Aben­teu­er­filmen und buchs­täb­lich dem reißenden Strom der Erzählung auslie­fern.