69. Berlinale 2019
Erzählerische Power aus Lateinamerika |
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Eindrücklich: Jayro Bustamentes Temblores | ||
(Foto: TuVasVoir / Berlinale) |
Für starkes Erzählkino aus Lateinamerika war man auf der Berlinale dieses Jahr vor allem auf das Panorama angewiesen, wo mit Temblores von Jayro Bustamente aus Guatemala und Monos von Alejandro Landes aus Kolumbien zwei besonders überzeugende Beispiele zu sehen waren.
»Temblores« – die titelgebenden Erdstöße setzen in diesem Film zwei Mal ein, an dramaturgischen Wendepunkten, an denen die Lebensverhältnisse der Hauptfigur Pablo grundlegend erschüttert werden. Pablo ist kein junger Mann mehr, aus dem gehobenen Bürgertum, und entschließt sich, Frau und Kinder zu verlassen, um mit seinem Geliebten Francisco zusammenzuleben.
Es ist bezeichnend für die ungeheure erzählerische Stärke dieses Films, dass diese auch metaphorisch zu verstehenden Beben in keiner Weise aufgesetzt oder platt wirken. Sie packen den Zuschauer mit physischer Wucht und lassen den Gedanken an symbolhafte Bedeutung allenfalls erst im Rückblick aufkommen. Bustamentes bezwingendes Erzählen vertraut ganz auf die Kraft der Bilder. Wie in seinem ersten Langfilm, Ixcanul – Träume am Fuße des Vulkans, 2015 auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis bedacht, arbeitete er wieder mit dem Kameramann Luis Armando Arteaga zusammen. Der zeichnete auch für die Kamera in dem beeindruckenden paraguayischen Film Die Erbinnen verantwortlich, der letztes Jahr auf der Berlinale ausgezeichnet wurde. Arteagas unaufdringliche Bildgestaltung vermag die Lebensräume der Figuren so zu erschließen, dass physische Bewegung unmittelbar als konkrete Handlung anschaulich wird.
In Ixcanul, in dem von Angehörigen einer Maya-Ethnie und von Kaffeepflückern erzählt wird, erschien dies noch als eher ethnographischer Gestus. In Temblores geht es um die Großstadt Guatemala, geht es um eine feindliche soziale Atmosphäre, die die Kamera fast mit klinischer Kälte erkundet. Hier versucht Pablo seine schwule Beziehung gegen die Widerstände des extrem homophoben großbürgerlichen Familienclans durchzusetzen, aus dem er stammt. Man ächtet ihn geradezu: er verliert seine Arbeit als Consultant, darf seine Kinder nicht mehr sehen, da Schwulsein mit Pädophilie gleichgesetzt wird. Es sind beklemmend düstere Bilder, die allenfalls bei Pablos Begegnungen mit dem Geliebten eine innige Wärme bekommen, ansonsten aber eine emotionale Unbehaustheit vermitteln. Eindringlich wirken vor allem die Sequenzen, die in der evangelikalen Gruppe spielen, deren Glauben sich der Familienclan Pablos angeschlossen hat. Um die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seinen Kindern nicht ganz aufgeben zu müssen, unterzieht sich Pablo einer Umerziehung, die die Evangelikalen in einer Art paramilitärischem Camp durchführen.
Eine andere Form erzählerischer Kraft, mehr vom Genre-Kino gespeist, entwickelt Monos von Alejandro Landes. Er zeigt ein tatsächliches paramilitärisches Camp im kolumbianischen Hochland, in dem sich einige ausgegrenzte Jugendliche zusammenfinden, die sogenannten Monos. Es handelt sich hier gewissermaßen um Nachfahren der olvidados, der Vergessenen Luis Buñuels, nur dass sie fern der Gesellschaft in eine archaisch-mythisch wirkende Umwelt versetzt wurden. Sie unterstehen einer ominösen Organisation und haben eine entführte US-amerikanische Ärztin in verwitterten Betonverliesen zu bewachen. Es herrscht eine postapokalyptische Stimmung, die verfallenden Betonstrukturen sind abweisender und schroffer als die wildesten Felsformationen, die Spiele und Rituale der Monos sind hart und gewalttätig.
Die Grundsituation erinnert an die Rebellen und Terroristen der Farc in Kolumbien, an deren Strategie eines Rückzugs in den Urwald, wo sie von der Armee in einem unerbittlichen Krieg verfolgt wurden. Eine solche massive Armeeattacke ist es auch im Film, die den Aufenthalt der Monos im Hochland beendet und sie in den Regenwald vertreibt.
Damit verändert sich die Tonalität in Monos, der Film wechselt unbekümmert die Genre-Referenzen: von einer Art roher Fantasy geht es über Kriegsfilmsequenzen zu einem klassischen Urwaldabenteuer, in dem sich eine Gruppe durchschlagen und behaupten muss, gegen die feindliche Natur, gegen Rivalitäten untereinander, überdies gilt es, die Geisel zu bewachen und wieder einzufangen, wenn sie entkommen ist.
Das ist unmittelbares, wie unbehauen wirkendes Erzählkino, das einen tatsächlich staunen lässt. Keine politische Parabel, keine ethnographische Erkundung – obwohl genau diese Elemente zugrunde liegen: allerdings werden sie in einem wilden hybriden Verschnitt mit Genremustern überformt.
Der Film von Alejandro Landes scheut nicht davor zurück, mit bombastischen Effekten, vor allem auf der Tonspur, Wirkungstreffer beim Publikum zu landen. Wuchtige Schnitte, unterstützt vom Sound, schlagen wie Axthiebe ein. Die Kamera bietet spektakuläre Fahrten und Aufsichten, der Zuschauer wird in einen Strudel von Eindrücken und Affekten gesogen. Man kann sich hier mit großer Lust dem wilden Imaginären von Abenteuerfilmen und buchstäblich dem reißenden Strom der Erzählung ausliefern.