17.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Promil­le­ge­trie­bener Brainfart

Le Daim von Quentin Dupieux
Du sollst keine Lederjacke neben mir haben
(Foto: Central Film / Koch Media)

Quentin Dupieux, der französische Meister logischer Absurditäten, hat mit Le Daim mal wieder zugeschlagen. Diesmal geht es um eine Lederjacke mit Killerinstinkt

Von Sedat Aslan

Ein Mann mittleren Alters stopft seine Jacke in ein Klo an einer Rast­stätte, betätigt die Spülung und fährt davon. So beginnt die Groteske Le Daim (Deerskin), die in der Reihe »Quinzaine des Réali­sa­teurs« läuft. Georges, so heißt der Mann (gespielt von Jean Dujardin, welt­berühmt geworden durch The Artist), lässt Frau und Job hinter sich, besorgt sich mit seinem letzten Geld eine Jacke aus echtem Hirsch­leder, auf die Old Shat­ter­hand neidisch gewesen wäre. Er betrachtet die Jacke vom ersten Moment an so, als sei sie die Liebe seines Lebens. Bald fängt er an, mit ihr zu sprechen, und die Jacke spricht irgend­wann auch zu ihm. Sie ist äußerst eitel und eifer­süchtig, und weil sie keine anderen Jacken neben sich duldet, bleibt Georges nichts mehr anderes übrig, als zu töten.

Der Regisseur Quentin Dupieux, unter seinem Pseudonym »Mr. Oizo« auch Musiker, behan­delte mit dem Film Rubber bereits einen mordenden Auto­reifen als Prot­ago­nisten, eine Hand­schrift ist also erkennbar. Die Idee, dass eine Wild­le­der­jacke ein Eigen­leben entwi­ckelt und ihren Träger mani­pu­liert, bis er zu einem Seri­en­mörder wird, klingt wie ein promil­le­ge­trie­bener Brainfart, der hier unbeirrt durch­ge­spielt wird. Dabei bemüht sich Dupieux um eine Low-Key-Insze­nie­rung, die die Absur­dität der Handlung kontras­tiert, ein mini­ma­lis­ti­scher Sound­track tut sein übriges. Tatsäch­lich bleibt der Film durch diese betont geerdete Erzähl­weise trotz aller absurden Wendungen in einer merk­wür­digen Balance, die dem Humor zuträg­lich ist.

Die knackigen 77 Minuten über kann man sich gerne fragen, ob das Ganze eine Metapher über den modernen Mann in der Midlife-Crisis ist, der sich Leder­kla­motten besorgt, um eine neue Periode seiner Lebens­zeit einzu­läuten. Georges versucht sich auch insofern neu zu erfinden, als er sich gegenüber der äußerst gutgläu­bigen Bar-Mitar­bei­terin (Adèle Haenel) des abge­le­genen Hotels, in das er sich einquar­tiert, als Regisseur ausgibt und ihr seine Amateur­auf­nahmen zur Montage überlässt. Der Traum, sich – trotz oder gerade wegen – des eigenen Dilet­tan­tismus als Filme­ma­cher bezeichnen zu dürfen, spielt somit auch eine Rolle und könnte einen ironi­schen Verweis auf den Regisseur Quentin Dupieux darstellen, der dasselbe Alter wie sein Prot­ago­nist hat und für Drehbuch, Kamera und Schnitt verant­wort­lich zeichnet. Der Film kann aber einfach auch nur als kleine, nicht unin­tel­li­gente Mitter­nachts­un­ter­hal­tung für tras­haf­fine Kino­gänger gesehen werden, und hätte damit in einem schwin­denden Segment durchaus seine volle Berech­ti­gung.