72. Filmfestspiele Cannes 2019
Promillegetriebener Brainfart |
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Du sollst keine Lederjacke neben mir haben | ||
(Foto: Central Film / Koch Media) |
Von Sedat Aslan
Ein Mann mittleren Alters stopft seine Jacke in ein Klo an einer Raststätte, betätigt die Spülung und fährt davon. So beginnt die Groteske Le Daim (Deerskin), die in der Reihe »Quinzaine des Réalisateurs« läuft. Georges, so heißt der Mann (gespielt von Jean Dujardin, weltberühmt geworden durch The Artist), lässt Frau und Job hinter sich, besorgt sich mit seinem letzten Geld eine Jacke aus echtem Hirschleder, auf die Old Shatterhand neidisch gewesen wäre. Er betrachtet die Jacke vom ersten Moment an so, als sei sie die Liebe seines Lebens. Bald fängt er an, mit ihr zu sprechen, und die Jacke spricht irgendwann auch zu ihm. Sie ist äußerst eitel und eifersüchtig, und weil sie keine anderen Jacken neben sich duldet, bleibt Georges nichts mehr anderes übrig, als zu töten.
Der Regisseur Quentin Dupieux, unter seinem Pseudonym »Mr. Oizo« auch Musiker, behandelte mit dem Film Rubber bereits einen mordenden Autoreifen als Protagonisten, eine Handschrift ist also erkennbar. Die Idee, dass eine Wildlederjacke ein Eigenleben entwickelt und ihren Träger manipuliert, bis er zu einem Serienmörder wird, klingt wie ein promillegetriebener Brainfart, der hier unbeirrt durchgespielt wird. Dabei bemüht sich Dupieux um eine Low-Key-Inszenierung, die die Absurdität der Handlung kontrastiert, ein minimalistischer Soundtrack tut sein übriges. Tatsächlich bleibt der Film durch diese betont geerdete Erzählweise trotz aller absurden Wendungen in einer merkwürdigen Balance, die dem Humor zuträglich ist.
Die knackigen 77 Minuten über kann man sich gerne fragen, ob das Ganze eine Metapher über den modernen Mann in der Midlife-Crisis ist, der sich Lederklamotten besorgt, um eine neue Periode seiner Lebenszeit einzuläuten. Georges versucht sich auch insofern neu zu erfinden, als er sich gegenüber der äußerst gutgläubigen Bar-Mitarbeiterin (Adèle Haenel) des abgelegenen Hotels, in das er sich einquartiert, als Regisseur ausgibt und ihr seine Amateuraufnahmen zur Montage überlässt. Der Traum, sich – trotz oder gerade wegen – des eigenen Dilettantismus als Filmemacher bezeichnen zu dürfen, spielt somit auch eine Rolle und könnte einen ironischen Verweis auf den Regisseur Quentin Dupieux darstellen, der dasselbe Alter wie sein Protagonist hat und für Drehbuch, Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnet. Der Film kann aber einfach auch nur als kleine, nicht unintelligente Mitternachtsunterhaltung für trashaffine Kinogänger gesehen werden, und hätte damit in einem schwindenden Segment durchaus seine volle Berechtigung.