72. Filmfestspiele Cannes 2019
Trauerzustand |
||
Maryam Touzanis Adam | ||
(Foto: Grandfilm) |
Von Sedat Aslan
In Marokko werden Kinder, die außerehelich geboren sind, aus Zwang weggegeben oder gar ausgesetzt. Sexuelle Beziehungen sind ohne vorherige Heirat verboten, gerade den Müttern droht die gesellschaftliche Ächtung und Gefängnis, den Kindern werden gar nicht erst Papiere ausgestellt – sie sind de facto illegale Wesen.
Vor diesem Hintergrund erzählt Maryam Touzani in ihrem Langfilmdebüt Adam die Geschichte der hochschwangeren Samia (fantastisch in ihrer ersten Hauptrolle: Nisrin Erradi), die auf der Suche nach Arbeit und einem Dach überm Kopf verzweifelt durch die Straßen von Casablanca streicht. Ein Vater ist weit und breit nicht in Sicht, die auf dem Land lebende Familie weiß nichts von ihrem Malheur. Jeder potentielle Arbeitgeber, dem dies klar wird, schlägt die Türe vor Samia zu. Als sie bei der verwitweten Abla (kehrt ihre unterdrückten Gefühle eindrucksvoll nach außen: Lubna Azabal) steht, freundet sich deren achtjährige Tochter unversehens mit Samia an. Abla hat eine kleine Bäckerei, die sie neben der Erziehung ihres Kindes in aufreibender Arbeit alleine betreibt, will von Samias Hilfsangebot aber nichts wissen, sie verachtet sie wegen ihrer außerehelichen Schwangerschaft und möchte auch nicht, dass das Viertel über sie zu reden beginnt. Samia aber lässt nicht locker, und so entwickelt sich zwischen beiden Frauen nach und nach ein Band, was dazu führt, dass sie sich ihren inneren Kämpfen stellen – Abla verharrt nach dem Tod ihres Mannes im Trauerzustand und lässt keinerlei Freude in ihrem Leben zu, und Samia möchte zu ihrem Kind keine emotionale Bindung aufbauen, um es direkt nach der Geburt auf dubiosem Wege zur Adoption freigeben zu können.
Maryam Touzani beschränkt sich auf ein Drama zwischen zwei Figuren, das die meiste Zeit an einem einzigen Schauplatz stattfindet. Ferner konzentriert sie den Plot auf wenige Elemente, benennt die Grundkonflikte ihrer Figuren klar, die der Kern des Films sind, und streift ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema. Es sind für ein Debüt nachvollziehbare, wahrscheinlich kluge Entscheidungen. Sie kann sich so stärker ihren Figuren zuwenden, denen sie alle Zeit der Welt gibt,
sich zu entwickeln, während sich der Plot mit kleinsten Schritten fortbewegt. Irgendwann wird der Zuschauer selbst wie zu einem Teil von Ablas Haus, wobei dies durch die intelligente Kameraarbeit von Virginie Surde nicht in Platzangst ausartet, sie lotet den Raum in bestechender Weise aus und modelliert die Schauspieler in erdigen, fast monochromen Tönen, was einen Eindruck von der gedämpften Innenwelt der Charaktere abgibt.
Touzanis Ansatz beinhaltet jedoch andererseits auch
keinerlei Überraschungen. Der Film umreißt seine Welt sehr früh und bleibt in den engen selbstgesteckten Grenzen, man bekommt, was man erwartet. Adam ist ein sauber inszeniertes Debüt mit emotionalem und politischem Gehalt, das vieles richtig macht, dabei aber auch nichts in Frage stellt. Fast zwingend führt dies zu Festival-Einladungen, wobei gerade in der Sektion »Un Certain Regard«
jedoch nichttraditionelle Erzählweisen versammelt werden sollen. Davon kann hier nicht im Ansatz die Rede sein.