21.05.2019
72. Filmfestspiele Cannes 2019

Trau­er­zu­stand

Maryam Touzanis Adam
Maryam Touzanis Adam
(Foto: Grandfilm)

Das Debüt der Marokkanerin Maryam Touzani Adam zeigt konzentriert einen Konflikt mit der Tradition, bleibt formell jedoch konventionelles Festivalkino

Von Sedat Aslan

In Marokko werden Kinder, die außer­ehe­lich geboren sind, aus Zwang wegge­geben oder gar ausge­setzt. Sexuelle Bezie­hungen sind ohne vorherige Heirat verboten, gerade den Müttern droht die gesell­schaft­liche Ächtung und Gefängnis, den Kindern werden gar nicht erst Papiere ausge­stellt – sie sind de facto illegale Wesen.

Vor diesem Hinter­grund erzählt Maryam Touzani in ihrem Lang­film­debüt Adam die Geschichte der hoch­schwan­geren Samia (fantas­tisch in ihrer ersten Haupt­rolle: Nisrin Erradi), die auf der Suche nach Arbeit und einem Dach überm Kopf verzwei­felt durch die Straßen von Casablanca streicht. Ein Vater ist weit und breit nicht in Sicht, die auf dem Land lebende Familie weiß nichts von ihrem Malheur. Jeder poten­ti­elle Arbeit­geber, dem dies klar wird, schlägt die Türe vor Samia zu. Als sie bei der verwit­weten Abla (kehrt ihre unter­drückten Gefühle eindrucks­voll nach außen: Lubna Azabal) steht, freundet sich deren acht­jäh­rige Tochter unver­se­hens mit Samia an. Abla hat eine kleine Bäckerei, die sie neben der Erziehung ihres Kindes in aufrei­bender Arbeit alleine betreibt, will von Samias Hilfs­an­gebot aber nichts wissen, sie verachtet sie wegen ihrer außer­ehe­li­chen Schwan­ger­schaft und möchte auch nicht, dass das Viertel über sie zu reden beginnt. Samia aber lässt nicht locker, und so entwi­ckelt sich zwischen beiden Frauen nach und nach ein Band, was dazu führt, dass sie sich ihren inneren Kämpfen stellen – Abla verharrt nach dem Tod ihres Mannes im Trau­er­zu­stand und lässt keinerlei Freude in ihrem Leben zu, und Samia möchte zu ihrem Kind keine emotio­nale Bindung aufbauen, um es direkt nach der Geburt auf dubiosem Wege zur Adoption freigeben zu können.

Maryam Touzani beschränkt sich auf ein Drama zwischen zwei Figuren, das die meiste Zeit an einem einzigen Schau­platz statt­findet. Ferner konzen­triert sie den Plot auf wenige Elemente, benennt die Grund­kon­flikte ihrer Figuren klar, die der Kern des Films sind, und streift ein gesell­schafts­po­li­tisch rele­vantes Thema. Es sind für ein Debüt nach­voll­zieh­bare, wahr­schein­lich kluge Entschei­dungen. Sie kann sich so stärker ihren Figuren zuwenden, denen sie alle Zeit der Welt gibt, sich zu entwi­ckeln, während sich der Plot mit kleinsten Schritten fort­be­wegt. Irgend­wann wird der Zuschauer selbst wie zu einem Teil von Ablas Haus, wobei dies durch die intel­li­gente Kame­ra­ar­beit von Virginie Surde nicht in Platz­angst ausartet, sie lotet den Raum in bestechender Weise aus und model­liert die Schau­spieler in erdigen, fast mono­chromen Tönen, was einen Eindruck von der gedämpften Innenwelt der Charak­tere abgibt.
Touzanis Ansatz beinhaltet jedoch ande­rer­seits auch keinerlei Über­ra­schungen. Der Film umreißt seine Welt sehr früh und bleibt in den engen selbst­ge­steckten Grenzen, man bekommt, was man erwartet. Adam ist ein sauber insze­niertes Debüt mit emotio­nalem und poli­ti­schem Gehalt, das vieles richtig macht, dabei aber auch nichts in Frage stellt. Fast zwingend führt dies zu Festival-Einla­dungen, wobei gerade in der Sektion »Un Certain Regard« jedoch nicht­tra­di­tio­nelle Erzähl­weisen versam­melt werden sollen. Davon kann hier nicht im Ansatz die Rede sein.