Einstürzende Altbauten |
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Preisträger »Neubau« – missglückter Dokumentarfilm? | ||
(Foto: Max Ophüls Preis) |
»Lange Autofahrten durch alleengesäumte Straßen zwischen nordöstlichen Feldern... Wenn die Leute zuhause sind, wird gebügelt, es wird Heu ausgehoben, in der Freizeit badet man im See, und die Hauptfigur, ein junger Mann, der keine Eltern mehr hat, muss sich um seine Großmutter kümmern, die nicht mehr lange leben wird; er will aber auch sein eigenes Leben haben – so weit eine kleine unscheinbare Geschichte über die alltäglichen Leiden des Durchschnittsmenschen in der Durchschnittsprovinz, so weit das Übliche eines sozialrealistischen Spielfilms, der große Anleihen bei dokumentarischen Formaten nimmt. Aber was ist überraschend und besonders an Neubau? Was soll diesen Film so ungemein über die anderen 15 Beiträge im Spielfilmwettbewerb beim Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken herausheben, dass er gleich zwei von drei Hauptpreisen gewinnen müsste?«
Die Antwort: Nichts. Nichts außer der Tatsache, dass die Hauptfigur ein Transmann ist, und die Oma lesbisch, dass überhaupt dieser Film bevölkert ist von allerlei Menschen, die man im Kino meist nur in der Großstadt sieht.
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Regisseur Johannes Maria Schmitt und sein künstlerischer Partner und Hauptdarsteller Tucké Royale sprechen in diesem Zusammenhang von »Neuer Selbstverständlichkeit« – das ist dann aber paradoxerweise gerade ein Indiz dafür, dass etwas offenbar selbst für die Macher so wenig selbstverständlich ist, dass sie dies durch derartige Etiketten übertünchen müssen.
Trotz einer deutlichen Übermacht der Regisseurinnen im Wettbewerb gewann mit diesem Film nach vier Jahren mal wieder ein Mann den Max-Ophüls-Preis: Neubau gefiel der komplett mit Berlinern und mehrheitlich mit Frauen besetzten Jury vermutlich auch deshalb, weil er in der tiefsten brandenburgischen Provinz mehr als einen Hauch des Lebens von Berlin Mitte findet, und in der Gegend
spielt, in der die Berliner Kunstszene gerade die letzten leerstehenden Häuser aufkauft, um dort Wochenendresidenzen einzurichten und politisch-korrekte Nahrungsmittel anzupflanzen.
Ansonsten wirkt Neubau, als sei dem Regisseur ein Dokumentarfilm missglückt, und er habe darum eine Seminararbeit aus den »Cultural Studies« verfilmt.
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Am Morgen nach der Preisverleihung blieb vor allem die Erkenntnis, dass sich nach den beiden letzten, sehr verdienten Siegern Landrauschen und Das melancholische Mädchen offenbar allmählich ein Standard-Muster der Saarbrücker Preisträger herausbildet: Alle drei Siegerfilme ähneln sich: Intelligente Farcen über den Crash von Hipster-Welten mit dem wahren Leben. Für die allzu betonte Originalität von Neubau waren aber gleich zwei Preise zumindest einer zuviel.
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Das Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken hat sich längst etabliert – auch im 41. Jahr ist es das wichtigste Filmfestival für den deutschsprachigen Filmnachwuchs.
Prägend für die Atmosphäre sind junge Filmemacher und entsprechend lange Nächte. Die Filme sind selten perfekt, dafür aber oft riskant und ungewöhnlich.
Zugleich gibt es einen bemerkenswerten Kontrast zwischen einzelnen sehr guten, und vielen passablen Filmen und ihren sympathischen Machern, zu dem generellen Grauschleier der Melancholie, der sich wie Mehltau über die Gespräche und Vorführungen deutscher Filme senkt.
Auch die jüngsten Jungfilmer wissen inzwischen, dass zu Optimismus kein Anlass besteht, dass wenige von ihnen zweite und dritte Filme machen werden.
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Denn abseits von Saarbrücken halten die Funktionäre des deutschen Film-Systems Reden, in denen sie das Mantra wiederholen, es gebe viel zu viele deutsche Filme – als sei nicht das Hauptproblem das Zuwenig: Zu wenig gute Filme; zu wenig Kinos und Abspielplätze; zu wenig Sendeplätze im Fernsehen, weil die Kulturpolitik die Sender hier nicht in die Pflicht nimmt; zu wenig Geld, weil die Förderung hierzulande nur ein Drittel der Summen zur Verfügung stellt, die in Frankreich und Großbritannien ausgegeben werden; und schließlich zu wenig Publikum, weil wegen all der anderen genannten Gründe so etwas wie Filmkultur nur als Unkultur existiert.
Im deutschen Filmsystem herrscht die zynische Vernunft – und solange das sich nicht ändert, ist der deutsche Film kein Neubau, sondern ein sanierungsbedürftiger Altbau.
(to be continued)