06.09.2020
77. Filmfestspiele von Venedig 2020

Venedig On Speed 04: THE MAN WHO SOLD HIS SKIN

THE MAN WHO SOLD HIS SKIN
THE MAN WHO SOLD HIS SKIN von Kaouther Ben Hania
(Foto: BIENNALE CINEMA 2020 Press Service)

Simultanistische Filmkritik: THE MAN WHO SOLD HIS SKIN von Kaouther Ben Hania

Von Rüdiger Suchsland

Ein Machwerk, stilis­tisch und drama­tur­gisch. Viel­leicht auch gedank­lich, denn vieles bleibt an der Ober­fläche. Aller­dings stellt dieser Film einige inter­es­sante Fragen, hat ein paar inter­es­sante Grund­prä­missen und deswegen ist dies durchaus etwas, über das man nach­denken kann.
Die Prämisse ist die, dass ein Syrer, ein junger Mann, der eher wegen eines Fehlers als wegen poli­ti­scher Oppo­si­tion aus seinem Heimat­land fliehen musste und jetzt im Libanon dahin­ve­ge­tiert, ein Schengen-Visum braucht, weil seine Geliebte inzwi­schen in Belgien lebt und dort einen syrischen Diplo­maten gehei­ratet hat – auch um aus Syrien überhaupt heraus­zu­kommen, aber auch um... Und hier geht es los: Immer wieder hat der Film Schwie­rig­keiten, zu erklären, was eigent­lich genau passiert, und warum. Immer wieder ist alles extrem kompli­ziert, hergeholt und konstru­iert.
Das, was der Film von Kaouther Ben Hania halbwegs gut erklärt, ist einfach nur die Tatsache, dass dieser junge Mann namens Sama Ali zufällig einen Künstler trifft, und der macht ihm ein unmo­ra­li­sches, aber sehr gutes Angebot – ein Angebot, wie man so sagt, »das man nicht ablehnen kann.«
Es lautet: Für Geld und ein Schengen-Visum darf ich auf deinen Körper ein Bild täto­wieren. Damit sind nicht nur die finan­zi­ellen Probleme unseres Helden mit einem Schlag gelöst, er wird auch in ein lebendes, im Wortsinne Fleisch gewor­denes, Kunstwerk verwan­delt. Als solches muss er aller­dings in Ausstel­lungs­hallen für die nächsten Jahre zur Verfügung stehen. Er wird versi­chert, er wird irgend­wann an einen Sammler verkauft.

Die mora­li­schen Abgründe liegen auf der Hand, und für die, die es nicht verstehen, sagt der Künstler auch noch: »Manchmal fühle ich mich wie Mephis­to­pheles.«
Allzu plakativ ist auch, dass das in Fleisch gebrannte Kunstwerk ausge­rechnet das Abbild eines Schengen-Visums ist.
Und so geht es hier um allerlei wichtige und sehr zeit­ge­mäße Fragen: Was darf Kunst? Wie weit darf ein Mensch sich selbst verkaufen? Wo beginnt Ausbeu­tung? Darf ein Mensch in seine Ausbeu­tung einwil­ligen? Inwieweit ist es Kunst, wenn man mensch­liche Haut, mensch­li­ches Fleisch überhaupt im mensch­li­chen Körper zu Material dieser Kunst macht?
Leider beant­wortet der Film keine einzige, sondern streift sie alle und vieles mehr. Da reißt dann auch Monica Bellucci in der Rolle einer fiesen Kunstagentin nichts mehr.