05.10.2023
Cinema Moralia – Folge 305

Kampf gegen Rechts im Land der Rechner und Abwickler

Kleine Germanen
Aufklärungsarbeit in Kleine Germanen – Eine Kindheit in der rechten Szene...
(Foto: Little Dream Entertainment)

Die Kulturpolitik wird gekürzt, und der deutsche Film hat keine Rezepte zu ihrer Verteidigung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 305. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ich hätte noch lauter sein müssen«, sagt sie. Noch lauter? – Gott bewahre, nein! Auch nicht schriller. Sondern einfach besser, infor­mierter, weniger zynisch.

Die soge­nannte Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth bekommt offen­sicht­lich gerade das, was man land­läufig Muffen­sausen nennt. Nachdem sie sich zwei Jahre öffent­lich gefühlt totge­stellt hat, folgt jetzt eine Art Inter­view­kas­kade, in der sie hilflos versucht, das von ihr mitver­ant­wor­tete Berlinale-Desaster einzu­fangen und ihre übrigen Versäum­nisse und Fehl­ent­schei­dungen zu kaschieren. So etwa in der FAS vor 14 Tagen, und am vergan­genen Sonntag im Deutsch­land­funk. Dort musste sie nun – Strafe Gottes! – nicht nur ihre eigenen Fehler verant­worten, sondern auch noch die aktuelle Misere des Goethe-Instituts.

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Beim Auswär­tigen Amt und der Behand­lung des Goethe-Instituts tritt gerade die Wahrheit des Wertes zu Tage, den man hier­zu­lande noch der Kultur beimisst.
Aus dem Land der Dichter und Denker ist das Land der Rechner und Abwickler geworden, der Controller und Büro­kraten. Kultur ist eine verfüg­bare Masse, ein weicher »Streich­faktor« und allen­falls noch Stand­ort­vor­teil in einem Land, das unter »Zeiten­wende« vor allem einen erhöhten Vertei­di­gungs­etat versteht und das in Sonn­tags­reden zwar gerne die Wich­tig­keit der Kultur im soge­nannten »Kampf gegen Rechts« beschwört, tatsäch­lich aber die Kultur abwickelt und den Kampf gegen Rechts mit der Verschär­fung von Einwan­de­rungs- und Auslän­der­ge­setzen und einer zunehmend inhumanen Flücht­lings­po­litik führt.

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Was ist passiert? Das Auswär­tige Amt kürzt die Mittel, und das hat jetzt dazu geführt, dass das Goethe-Institut vor der größten Kürzung seit Jahr­zehnten steht.
Letzte Woche wurden die Pläne bekannt, denen dieser Kultur­ver­mittler ausge­rechnet in einer immer unüber­sicht­li­cher werdenden poli­ti­schen Lage zum Opfer fällt. Mittel­fristig sollen 10 Prozent gekürzt werden.

130 Mitar­beiter werden entlassen, vor allem Orts­kräfte, also Nicht-Deutsche, die über Jahre vor Ort etwas aufgebaut haben. Neun Institute werden geschlossen: Im Lande Melonis in Genua, Triest, Turin. In Frank­reich in Bordeaux, Lille, Straßburg. In Washington. Dafür ein neues Goethe-Insti­tuts­büro auf den Fidschi-Inseln. Kein Witz!

Das GI spricht werbe­deutsch von »Reform« und von »umfas­sender Trans­for­mers«. Von Popup-Kultur jenseits klas­si­scher Insti­tu­tionen.

Konkret: Das Goethe-Institut soll laut aktuellem Etat 2024 neun Millionen Euro weniger bekommen als 2023, der DAAD 7 Millionen weniger, die Humboldt-Stiftung 1,5 Millionen weniger. Wir reden also zusam­men­ge­rechnet von weniger als 18 Millionen Euro.
Zum Vergleich: ein neuer Leopard-Kampf­panzer vom Typ 2A8 kostet knapp 30 Millionen Euro. 18 neue davon hat die Bundes­wehr im Mai bestellt als Ausgleich für die 18 Leopard 2 Panzer, die sie der Ukraine bislang geliefert hat. Können wir uns nicht zugunsten der Kultur einen Panzer weniger leisten? Oder auch einfach das Geld für zwei weitere Drittel Panzer der Kultur zuge­stehen?

Wieviel ist uns Kultur wert?

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Den Kampf um die Rechte der Kultur und gegen die Finanz­herr­schaft über die Kultur indessen wird diese Kultur und insbe­son­dere das Kino einst­weilen nicht führen – dafür hat man viel zu viel Angst vor den Büro­kraten und Etat-Redu­zieren und Kontrol­leuren, die einem selber ja den Etat auch immer weiter zusam­men­strei­chen und von denen man schließ­lich den nächsten Film­an­trag bewilligt haben möchte. Also lehnt man sich besser nicht aus dem Fenster, sondern macht das, was Dominik Graf in seinem sehr lesens­werten Beitrag, den wir in dieser Ausgabe veröf­fent­li­chen, die »freudlose gesell­schaft­liche Problem­zo­nen­er­zäh­lung« im »Jutesack des Arthaus­kinos« nennt.

Das wird die Kultur nicht retten.

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Zurück zu Claudia Roth.

Bei der Neuord­nung der Berlinale lässt die Staats­mi­nis­terin auch elemen­tare Sorg­falts­pflichten vermissen. Es wäre, gerade wenn man eine gute neue Struktur für die Berlinale will, und eine gute Intendanz, das Mindeste gewesen, trans­pa­rent zu agieren.
Das bedeutet: Es müsste eine klare offene und öffent­liche Ausschrei­bung der zu beset­zenden Inten­dan­ten­po­si­tion geben. Dazu gehört eine Stel­len­be­schrei­bung, aus der hervor­geht, welche Kriterien von Bewerbern zu erfüllen sind, welche Voraus­set­zungen der Staats­mi­nis­terin selbst wichtig sind. Schließ­lich müssten zeitliche Horizonte öffent­lich benannt werden: Bis wann soll besetzt werden?
Dies hätte der Besetzung der Findungs­kom­mis­sion für die Berlinale-Leitung voraus­gehen müssen.
Bei der erfolgten Benennung dieser Findungs­kom­mis­sion wiederum wäre es das Mindeste gewesen, eine Begrün­dung für deren Zusam­men­set­zung öffent­lich zu machen, und die Expertise der einzelnen Mitglieder zu benennen.

Das alles hat es hier nicht gegeben. Die zeit­li­chen Horizonte wurden nur sehr indirekt publik gemacht, in einem der erwähnten Inter­views ist von »Ende des Jahres« die Rede.

Die im Hauruck­ver­fahren veröf­fent­lichte Findungs­kom­mis­sion besteht (außer aus Roth und dem zustän­digen Mitglied der Berliner Senats­kanzlei) aus vier Personen: Regisseur Edward Berger; Anne Leppin, die Geschäfts­füh­rerin der Deutschen Film­aka­demie; Sara Fazilat, die Schau­spie­lerin und Produ­zentin; und der Produzent Roman Paul. Sie sind im Einzelnen sympa­thi­sche, unta­de­lige Personen. Aber darum geht es nicht.
Alle vier haben gemeinsam, dass sie Mitglieder der Deutschen Film­aka­demie sind, eines für den deutschen Film keines­wegs reprä­sen­ta­tiven Zusam­men­schlusses der Branche.
Sie haben auch gemeinsam, dass alle vier noch nie für ein Film­fes­tival gear­beitet haben. Kein Berlinale-Kenner ist unter ihnen, keiner, der Erfah­rungen aus vergan­genen Berli­nalen einbringen könnte. Kein Verleiher. Kein Kino­be­treiber. Kein Vertreter des inter­na­tio­nalen Films.
Was veran­lasst die Kultur­staats­mi­nis­terin, und was veran­lasst nicht zuletzt diese vier Mitglieder selbst, zu glauben, sie hätten die nötige Expertise, sie könnten eine kompe­tente Entschei­dung treffen?
Das hätte man gerne öffent­lich debat­tiert.
Was soll eine solche Findungs­kom­mis­sion finden? Was sucht sie? Von wem lässt sie sich beraten? Dies muss trans­pa­rent werden. Denn die Berlinale ist öffent­lich finan­ziert, nicht der private Schre­ber­garten der Staats­mi­nis­terin.

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Noch etwas zum Kampf gegen Rechts: Zu den größten Gefahren der AfD gehört, dass sich die demo­kra­ti­schen Parteien durch Äuße­rungen und Forde­rungen dieser anti­de­mo­kra­ti­schen Partei in eine blinde Abwehr­hal­tung treiben lassen.
So wie die Fest­stel­lung, dass im Osten die Sonne aufgeht, nicht dadurch falsch oder frag­würdig wird, dass die AfD sie in einen Antrag schreibt, wird es auch nicht falsch, Cancel-Culture zu kriti­sieren, weil das die AfD tut, oder das Gendern der deutschen Sprache für falsch zu halten, weil die AfD es kriti­siert.
Wir müssen vielmehr erkennen, dass die AfD nicht wenige prin­zi­piell berech­tigte oder disku­table Forde­rungen aufgreift, um diese als Troja­ni­sches Pferd dafür zu verwenden, dass man ihrem Ratten­fän­gertum auf den Leim geht.

Die analy­ti­sche Arbeit des Ausein­an­der­hal­tens und des Trennens zwischen Sach­li­chem und Unsach­li­chem, zwischen legitimer poli­ti­scher Meinung und ille­gi­timer radikaler Ideologie, ist etwas, ohne das wir nicht auskommen. Erst recht nicht, seit es die AfD gibt.

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Die Vertei­di­gung von Cancel-Culture und Gendern gegen die AfD lenkt von den eigent­li­chen, unan­ge­nehmen Fragen nur ab.

Statt sich den eigenen demo­kra­ti­schen Meinungs­raum von der AfD immer weiter verengen zu lassen, sollten Demo­kraten den Raum der demo­kra­ti­schen Öffent­lich­keit in seiner ganzen Breite und Größe vertei­digen, und sollten sich besser vorsehen, ob man den Feinden der Demo­kratie diesen Raum überlässt, bezie­hungs­weise wie man die Feinde der Demo­kratie aus diesem Raum aussperren könnte. Mit Argu­menten allein oder gar »Preaching to the Converted« ist es nicht getan. Nach wie vor und mehr denn je nach den Land­tags­wahlen vom kommenden Wochen­ende ist die Frage eines AfD-Verbots akut und zu disku­tieren.
Wer es in Ordnung findet, dass man schäd­liche Lebens­mittel verbietet, schäd­liche Verkehrs­mittel und schäd­liche Arznei­mittel, und diverses mehr verbietet, der kann sich nicht dem Gedanken pauschal verwei­gern, dass man eine schäd­liche Partei und ihre toxische Politik verbietet.