Cinema Moralia – Folge 307
Ohne Worte! |
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Szene aus Veit Harlans Jud Süß (1940) | ||
(Foto: Murnau Stiftung) |
»Vielleicht trifft Freuds Bemerkung, die Neurose verleugne die Realität nicht, sie wolle bloß nichts von ihr wissen, auch für die kollektiven Anstrengungen zu, die wir in unserer Umgebung beobachten.«
- Alexander Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern, 1967
Es sind unangenehme Zustände. Der deutsche Kulturbetrieb hat nicht anders als die Gesellschaft allzu lange und lautstark geschwiegen. Den Deutschen fehlen die Worte für Anteilnahme, für Solidarität mit den Opfern, für das politische Notwendige. Allein ein einsamer Vizekanzler findet sie, und die deutsche Gesellschaft hat es Robert Habeck zu verdanken, dass er in einfacher Sprache genau das formuliert, was ein maulfauler Kanzler und eine orientierungslose Außenministerin nicht in Worte zu fassen vermochten.
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Der Kulturbetrieb des Westens, insbesondere der deutsche, wird zurzeit erschüttert von der Verwischung von Opfern und Tätern in der Frage der Pogrome der Hamas am 7. Oktober und von massiven Angriffen und Kampagnen gegen Israel und gegen jüdische Einrichtungen. Kaum eine, die nicht geschützt werden muss.
Die genannten massiven Angriffe gelten im Augenblick vor allem jenen, die sich auf Seiten Israels positionieren. Meinungsfreiheit gilt hier wenig; es wird einmal mehr zwischen
Gut und Böse unterschieden; die Cancel Culture feiert ihren letzten Hexensabbat. Auf lange Sicht werden sich Toleranz und Freiheit und demokratische Grundwerte und die Menschenwürde durchsetzen, auf kurze Sicht aber diktieren die neuesten Maoisten-Garden größere Teile des Kulturbetriebs. Sie schüchtern ein, sie töten die Vielfalt, für die sie doch angeblich eintreten wollen.
Es ist nicht der Staat mit seinen politischen Parteien, der sich zerstreitet und unfähig zur richtigen Positionierung ist, es ist die Gesellschaft selbst, die erkaltet, sobald es um Juden geht. Was Alexander und Margarethe Mitscherlich vor Jahrzehnten über »Die Unfähigkeit zu trauern« schrieben, trifft heute unvermindert zu, wenn es um Israel geht: Nicht-Hinschauen-wollen und »Derealisierung«, die Abspaltung der Wirklichkeit, dominieren nicht zufällig gerade das Denken und Fühlen jener, die schon von Berufs wegen besonders sensibel und empathiebegabt zu sein hätten, die aber im Gegenteil sich abkapseln, und lieber in den eigenen Ideologemen und Phantasmen sich einrichten, als Erfahrung zuzulassen, die ja unangenehm werden könnte.
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Was die Mitscherlichs 1967 als die drei Phasen beschrieben, mit denen Einsicht abgewehrt wird, gilt heute unverändert: Zunächst »auffallende Gefühlsstarre« und »emotionale Abwendung«, dann die Identifikation mit dem Aggressor, und schließlich das »manische Ungeschehenmachen«.
Das konkrete Resultat ist die unendlich große Einsamkeit, die viele Juden in Deutschland heute, mitten unter uns, empfinden, und für die vielen von uns jeder Sinn fehlt, während sie ihr hohles
Relativierungsgeschwätz verbreiten, die Israelis »Imperialisten« nennen und in angelernten Phrasen von »white privilege« und »Genozid« über jene faseln, deren Freunde und Angehörige gerade ermordet wurden.
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Das hat im Konkreten absurde Auswüchse. Die dffb of all people – also eine seit Jahren am Rande der Selbstauflösung agierende Filmhochschule in der verwüsteten Neuen Mitte der gescheiterten deutschen Hauptstadt – hat sich zu einem »Palästina-Statement« hinreißen lassen, das in seiner wirklichkeitsfernen Dummheit und Hybris eigentlich von großer surrealer Komik wäre, wäre es nicht zugleich moralisch derart infam: 162 Menschen haben bis heute eine Stellungnahme gezeichnet, in der sie sich zum Büttel islamistischer Propaganda machen lassen und darum »in Solidarität mit den Palästinenser*innen in ihrem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung« niemand Geringeren als »die deutsche Regierung« dazu auffordern, »ihre bedingungslose Unterstützung für die israelische Regierung einzustellen«.
Die Studis glauben offenbar tatsächlich: »Der
deutsche Staat unterdrückt im Namen der eigenen Geschichte nicht nur jegliche Kritik am Vorgehen des Staates Israel, sondern übt auch aktiv Druck auf kulturelle Einrichtungen, Universitäten und Schulen aus, um kritische Stimmen zu zensieren.«
Es folgen die bekannten, durch keine Empirie gestützten Phrasen – »jahrzehntelange Unterdrückung ... unter der Besatzung eines kolonialen Siedler- und Apartheidstaates ... Rassismus gegen arabische, muslimische und migrantische
Gemeinschaften« – nach denen es sich bei den Israelis um die neuen Nazis handelt.
Alles mündet schön gegendert in drei Forderungen:
- EINEN SOFORTIGEN WAFFENSTILLSTAND UND EIN ENDE DER ETHNISCHEN SÄUBERUNG DES PALÄSTINENSISCHEN VOLKES IN GAZA UND IM WESTJORDANLAND
- EIN ENDE DER POLIZEIGEWALT UND DES SYSTEMATISCHEN STILLSCHWEIGENS
- RÜCKFORDERUNG DER MEINUNGSFREIHEIT IN KULTURELLEN UND KÜNSTLERISCHEN EINRICHTUNGEN UND INSTITUTIONEN
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Pech für die neuen revolutionären Garden, dass ihnen ihre Wokeness selbst in den Weg kam, und sie schon vor Jahren den von der SPD bestallten Direktor, den Briten Ben Gibson zusammen mit dem Machtapparat der rotrotgrünen Senatsbürokratie mit fadenscheinigen Vorwürfen vom dffb-Balkon kegelten. Gibson nämlich würde heute, folgt man seinen allzu eindeutigen Facebook-Kommentaren, jede israelfeindliche dffb-Demo höchstpersönlich anführen, gewärmt vom eigenen PLO-Schal und beseelt von Erinnerungen an seine 68er-Jugend.
Dies ist nur ein besonders klägliches Beispiel für Prozesse, die in gefährlicherer Form zuletzt mehrfach zu beobachten waren (Wir könnten hier Ross und Reiter nennen, tun dies aber nicht auf Bitten der von Anwürfen Betroffenen): Der politische Islam in seiner übelsten Form, als Islamismus, dringt in Kunst und Kulturwissenschaften ein, und infiziert diese mit autoritärem, demokratiefeindlichem Gedankengut, bei denen modische, nur scheinbar aufklärerische Diskurse und
Theorien als Stichwortgeber fungieren.
Filmfestivals und Hochschuldozenten werden von den woken Schwadronen persönlich bedroht, mit Cancel-Bann belegt, Mitarbeiter, Studenten und Geldgeber werden gegen sie aufgehetzt, weil sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht und das Selbstverständliche gesagt haben: »I stand with Israel« ohne Wenn und Aber, ohne Relativierung, ohne Hinweis auf »die Palästinenser« – die es btw sowieso gar nicht gibt, es sei denn, man
schlösse die Israelis nicht ein, oder man unterschiede zwischen arabischen und anderen Palästinensern – aber geschenkt: Um Argumente und Fakten geht es nicht, sondern um Bekenntnisse. Und darum hat jeder selbsternannte »Israelkritiker« einen jüdischen Zitatgeber, vorzugsweise BDS-nah, der den Imperialismusvorwurf bestätigt und zitierfähig ist.
Das ist zugespitzt, wütend und polemisch formuliert, ja. Erfüllt von der Wut, dass gerade im deutschen Film bislang die
Aufmerksamkeit für Israel ebenso fehlte wie präzise Kritik an arabischen Positionen, wie überhaupt Unterscheidungsvermögen.
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Gut, dass wenigstens die HFF München sich einigermaßen unzweideutig gegen Antisemitismus, Judenhass und Hamas-Verharmlosung positioniert.
»Die HFF München spricht sich grundsätzlich, aber besonders in diesen Tagen für Humanität und Frieden aus.« heißt es da: »Mit großer Sorge blicken wir auf die politischen Entwicklungen. Wir lehnen jegliche Form von
Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit ab. Daher verurteilen wir den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel. Wir verurteilen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland.«
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Tatsächlich neue kritische Bilder und Narrative, wie sie vom dffb-Aufruf eingefordert werden, kommen gerade aus Israel.
Denn weil die Hamas-Mörder am 7. Oktober 2023 außer mit Waffen auch mit Kameras kamen, und ihre Untaten filmten, und die dabei entstandenen Bilder als Waffen im Bilderkrieg einsetzen, gibt es jetzt mediale Gegenschläge: In zwei Beiträgen widmete sich das ARD-Kulturmagazin »ttt – Titel, Thesen,. Temperamente« jetzt dem neuesten Kapitel in der
Bildgeschichte des Terrors.
Ein herausragender Beitrag von Tim Evers berichtete über die Desinformation im Bilderkrieg, der leider auch hier bei uns viele erliegen, und über israelische Antworten: Die von Achiya Schatz gegründete Organisation FakeReporter, die auch auf arabisch publiziert, und ihre Plattform digitaldome.
Nach dem abscheulichen Terroranschlag wurden die sozialen Medien von einer beunruhigenden Flut von Falschinformationen überschwemmt. Etwa die Behauptung vom Angriff auf ein Krankenhaus in Gaza mit rund 500 Toten – reine Fake News der Hamas, die aber selbst von der New York Times
und anderen namhaften Medien übernommen wurde. Später stellt sich heraus, dass es eine Explosion auf dem Parkplatz neben dem Krankenhaus war, durch die Rakete einer islamistischen Gruppe.
Die Onlinewelt ist ein Schlachtfeld ohne Grenzen. Gerade soziale Medien sind wie gemacht für die Schockbilder der Hamas und derartige Propaganda. Ziel ist Angst-Erzeugung. Es geht um Einschüchterung.
In der westlichen Welt haben sie großen Erfolg. Die linksliberale Öffentlichkeit, nicht zuletzt große Teile der Kunst- und Wissenschaftsszene reagieren mit Relativierungs-Geschwurbel und Täter-Opfer-Umkehrung. Man nennt die Hamas eine »Befreiungsbewegung«
Dagegen kämpft eine zweite Gruppe von Filmemachern. Eliran Peled hat für das Projekt »#BringThemHomeNow« mit Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln gesprochen und diese in kurzen Web-Clips porträtiert. Peled will der sadistischen Gewalt in den Videos der Hamas das Leben entgegensetzen. »Wir wollten das Gegenteil dieser Videos, nicht den Horror zeigen, sondern die Menschen. Das zeigen was einen Menschen und seine Menschlichkeit ausmacht. Wir wollen allen zeigen: Es könnten wir sein, es könnte deine Großmutter sein, dein Kind.«
»Es ist völlig egal ob man Israel mag oder nicht mag.« sagt Pereed. Wenn man das Ermorden eines 9-Monate alten Babys für normal hält, dann haben wir ein ganz anderes Problem. Dies ist keine antijüdische oder antisemitische Aktion, sondern eine antimenschliche.
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Der Kulturbetrieb, auch der des Films, wird seinem Auftrag nicht gerecht, wenn ihm die Worte fehlen, und er nicht fähig ist, Propaganda zu enttarnen, und pragmatische, freiheitliche Positionen zu formulieren.
Jetzt immerhin beginnen sich Gegenstimmen zu regen. Nach dem offenen Brief des Literaturbetriebs mit namhaften Autoren haben sich jetzt auch erste Stimmen der Filmszene zu Wort gemeldet.
Wir freuen uns, heute den Aufruf und die Namen der 50 Erstunterzeichner veröffentlichen zu können.
Dieser Aufruf wird sehr bewusst und von manchen Unterzeichnerinnen explizit gewünscht, bewusst am 9. November veröffentlicht, und ist damit als Stimme aus Deutschland unmissverständlich im Kontext der schrecklichen Geschehnisse des 9. und 10. November 1938 zu verstehen.
Das ist klar und unmissverständlich genug. Wie wirkungsvoll er angesichts der aktuellen Situation ist, hängt von der Bereitschaft zur Unterstützung ab. Wie immer in solchen Fällen führt es in Sackgassen, über einzelne Sätze und Formulierungen zu debattieren – entscheidend ist der Wille, die Grundintention zu unterstützen.